Ditmar Jakobs

Wenn ein Torhaken die Karriere zerstört

In der Saison 1989/90 rutschte der HSV-Spieler Ditmar Jakobs beim Derby gegen Werder Bremen während einer Rettungsaktion in einen Haken der Tornetzaufhängung und verletzte sich so schwer, dass er seine Karriere beenden musste. Die Erinnerung schmerzt ihn auch heute noch:

»Wir hatten einen furiosen Fehlstart hingelegt und belegten am 9. Spieltag lediglich Platz 16. Nun kam das Nordderby gegen Werder Bremen. Die Vorfreude war groß, andererseits standen wir aber auch ziemlich unter Druck, wir mussten dringend punkten. Um die 20. Minute herum fingen die Bremer einen Angriff von uns ab und fuhren einen Konter. Wynton Rufer überlupfte unseren Torwart Golz, ich sprintete zum Tor, die Augen nur auf den Ball fixiert, und schaffte es, den Ball vor der Linie wegzuschlagen. Allerdings hatte ich so viel Schwung, dass ich ungebremst ins Tor rutschte. Ich hing im Netz und wollte wieder aufstehen, merkte aber, dass ich festhing. Ich tastete hinter mich und spürte das Netz und etwas Metallisches, Schmerzen allerdings nicht.

Der Mannschaftsarzt und der Physiotherapeut Hermann Rieger waren schnell da, um mir zu helfen, stellten aber fest, dass sich ein defekter, offener Karabinerhaken aus der Netzbefestigung in meinen Rücken gebohrt hatte. Erst versuchte man ergebnislos, mich mit einer Flex zu befreien. Allmählich ließ der Schock nach, und die Schmerzen kamen. Schließlich schaffte es der Mannschaftsarzt, den Karabiner mit einem Skalpell herauszuschneiden. Ich wurde mit einer Fleischwunde ins Krankenhaus gebracht, das Spiel ging weiter.

Bald stellte sich jedoch heraus, dass der Haken ein paar Zentimeter ins Fleisch eingedrungen war, drei Lendenwirbelfortsätze abgeschlagen und wichtige Nervenbahnen durchtrennt hatte. Abends war ich noch zuversichtlich, dass es schnell weitergehen würde.

Ich habe dann auch bald wieder versucht zu trainieren, litt aber unter motorischen Einschränkungen und Schmerzen. Ich wollte es in den ersten Monaten nicht wahrhaben, musste mir dann aber eingestehen, dass es nichts mehr wird. Ich war 36 Jahre alt, ein ordentliches Alter für einen Fußballer, und hätte sowieso lange gebraucht, um wieder richtig fit zu werden; aber auch wenn ich erst 20 Jahre alt gewesen wäre, hätte das nichts am Karriereende geändert.

Das Tragische war, dass ich genau in den einzigen defekten Karabinerhaken gerutscht bin, der auch noch nach innen hervorstand. Damals waren einige Tornetze noch an einer auf dem Boden liegenden Eisenstange mit Karabinerhaken befestigt, die Netzaufhängung wurde aber bereits nach und nach umgestellt. Doppelt tragisch: Das Volksparkstadion war ausgerechnet eines der letzten Stadien mit der alten Aufhängung. Immerhin haben wir das Spiel noch mit 4:0 gewonnen …«

Karriereende mit 36

Mannis Kommentar

Ditmar Jakobs musste sich nach dem grausigen Unfall mit dem Karabinerhaken beruflich umorientieren. Er wurde Versicherungsmakler; seine Agentur kümmert sich auch um die speziellen Belange von Profifußballern. Die tun gut daran, sich abzusichern. Denn nur die allerwenigsten scheffeln fünfzehn Jahre lang die notwendigen Millionen, um sich auf einem Landgut in der Toskana zur Ruhe setzen zu können. Zumal dann, wenn sie dazu noch einen Lebensstil pflegen wie der Nordire George Best: »Die Hälfte des Geldes, das ich verdient habe, ist für Alkohol, Frauen und Autos draufgegangen, den Rest habe ich einfach verprasst.«

Krankheit, Verletzung und finanzieller Leichtsinn bedrohen den erträumten dauerhaften Wohlstand. Selbst weit über fünfhundert Bundesligaspiele, wie im Falle des Ex-Torwarts Eike Immel, schützen nicht vor der Privatinsolvenz und dem schweren, mit angeblich 50 000 Euro versüßten Gang ins Dschungelcamp.

Über das soziale Elend von Fußballprofis wird zu Recht nur ganz selten in den Talkshows diskutiert; aber so furchtbar lustig ist es nicht für einen dreißigjährigen Bundesliga­spieler, wenn er nach einer schweren Verletzung zum Sportinvaliden erklärt wird. Okay, es gibt eine kleine Rente von der Verwaltungsberufsgenossenschaft, und die vom Verein abgeschlossene Unfallversicherung zahlt auch noch ein paar Euro. Aber die Sache mit den Frauen und den schnellen Autos funktioniert nur bei einem reibungslosen Übergang in einen einträglichen Job – oder wenn eine fette Sportunfähigkeitsver­sicherung zahlt. Die wird allerdings fast nur noch auf dem ausländischen Versicherungsmarkt angeboten, die meisten deutschen Versicherer scheuen das Risiko.

Und das ist nicht klein: Der Fußball ist für 57 Prozent aller Fälle von Sportinvalidität verantwortlich. Das Spiel ist schneller geworden, die komplexen Bewegungsabläufe hat der liebe Gott am sechsten Schöpfungstag bei der Erschaffung des Menschen nicht vorgesehen. In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Sprints um 30 Prozent zugenommen, pro Spiel werden dem Durchschnittsprofi 160 Antritte abverlangt, zwischendrin gilt es immer wieder, abzubremsen und die Richtung zu ändern.

Da die Regenerationszeiten bei 60, 70 Spielen pro Jahr auch nicht länger werden, beginnt der Körper, diese Belastung übel zu nehmen: Berufsfußballer haben im Schnitt pro Saison zwei Verletzungen, eine leichte und eine schwerere, die den Einsatz auf dem Rasen ausschließen. Das wurde in einer Studie der Ruhr-Universität Bochum ermittelt, deren Verfasser gleichzeitig herausfanden, dass in einem Bundesligakader ständig 13,5 Prozent der Spieler nicht einsatzfähig sind.

Die Behandlungs- und Personalkosten für Verletzungen im Profifußball summieren sich auf rund 90 Millionen Euro pro Jahr. Dabei (Achtung: verunglücktes Bild!) ist das Knie die Achillesferse: Mehr als ein Drittel der Verletzungskosten werden für Kniebehandlungen aufgewendet. Auf der Skala der empfindlichen Körperteile folgen die Sprunggelenke und die Oberschenkel.

Wer Fußball und Gesundheit kombinieren möchte, sollte sich also im Fußballstadion besser auf die ergonomisch vorbildlichen Sitze im VIP-Bereich konzentrieren.