Jürgen Sparwasser

Ein historisches Duell

Bei der Weltmeisterschaft 1974 fand am 22. Juni in Hamburg das historische deutsch-deutsche Duell statt. Jürgen Sparwasser schoss das einzige Tor des Spiels und damit die DDR zum Sieg.

»Es gibt drei Tore, über die deutsche Fußballfans ewig diskutieren: das 3:2 von Helmut Rahn 1954, das Wembley-Tor von 1966 und meines bei der WM 1974. Auch wenn für mich persönlich mein 2:1 für Magdeburg gegen Sporting Lissabon noch wichtiger war, denn damit machten wir den Einzug ins Finale des Europapokals klar. Aber das andere Tor hatte eine politische Brisanz. Die Stimmung wurde besonders von den westdeutschen Medien angeheizt, allen voran von der Bild-Zeitung. Aber auch in der restlichen Welt wurde das Spiel mit Spannung erwartet.

Wir waren uns unserer Außenseiterrolle natürlich bewusst, aber wir wussten auch, was wir können. Nicht nur auf Vereinsebene, auch mit der Nationalmannschaft hatten wir zuvor gute Leistungen gezeigt – es wurde einfach höchste Zeit, dass wir mal bei einem großen Turnier dabei waren. In der BRD wurden diese Leistungen jedoch kaum anerkannt. Unser Europapokalsieg mit Magdeburg war dem Kicker fünf Zeilen wert.

Das Spiel selbst war unglaublich fair. Es ging nahezu freundschaftlich zu – vielleicht auch deshalb, da beide Teams schon für die nächste Runde qualifiziert waren. Bei vergebenen Torchancen wurde sich auch mal zugeschmunzelt. Vor und nach dem Spiel gab es Shakehands. Auch die jeweiligen Kommentatoren Werner Eberhardt und Heribert Faßbender hielten sich mit politischen Statements zurück, um die Brisanz nicht zu verstärken. In der ersten Halbzeit waren wir die spielbestimmende Mannschaft – eine Führung zur Halbzeit wäre nicht unverdient gewesen. Die enttäuschende westdeutsche Mannschaft wurde mit einem Pfeifkonzert in die Kabinen geschickt. Das 1:0 schließlich in der 78. Minute könnte ein Lehrbeispiel für einen gelungenen Konter sein.

Nach dem Spiel kam ich vor lauter Trubel erst lange nach den anderen vom Platz, und schon abends merkte ich die Folgen meines Tores: Ich wollte mit zwei Mitspielern noch auf die Reeperbahn, sie mochten mich aber nicht mitnehmen – es war ihnen zu gefährlich, sich mit mir zu zeigen.

Tor zum 1:0  v.l. Sepp Maier, Torschuetze Juergen Sparwasser DDR, Berti Vogts, Horst-Dieter Hoettges  Fussball WM 1974 DDR - Bundesrepublik Deutschland 1:0

Sepp Maier, Berti Vogts und Horst-Dieter Höttges haben gegen Jürgen Sparwasser das Nachsehen.

Im Nachhinein wäre der zweite Gruppenplatz besser für uns gewesen, denn dann hätten wir die Top-Gruppe mit Brasilien, Niederlande und Argentinien umgehen können. Und dann wäre auch die westdeutsche Mannschaft nicht Weltmeister geworden, da gehe ich jede Wette ein.

Das Tor war später nicht nur Segen für mich, auch wenn es mir weltweite Anerkennung gebracht hat. Mein Tor wurde als Propaganda genutzt und in der ›Sportschau‹ jahrelang im Vorspann gezeigt – was einige Landsleute bald genervt hat. Auch sind Gerüchte gestreut worden, dass ich Auto, Haus und Prämie für das Tor bekommen hätte. Selbst die DDR-Oberen haben meine ›Verdienste‹ bald vergessen: In Magdeburg gingen sie ziemlich ruppig mit mir um und beförderten so meinen Wunsch, in den Westen zu wechseln. Dieses Tor bei der WM werde ich aber trotzdem nicht los. Wenn auf meinem Grabstein später nur ›Hamburg 1974‹ stehen würde, dann wüsste trotzdem jeder, wer drinliegt.«

Sparwassers Tor für die Ewigkeit

Mannis Kommentar

Wieder so ein Fußballspiel, bei dem alle sich genau erinnern können, wo sie es gesehen haben. Ich war 1974 für solche wichtigen Spiele am Mikrofon noch nicht vorgesehen und guckte BRD gegen DDR zusammen mit Studienkumpels in einer Kneipe im schönen Marburg.

Die Probleme fingen schon an bei den Namen der beiden staatlichen Gebilde, die da aufeinandertrafen. BRD galt als kommunistischer Kampfbegriff. Deutschland vielleicht? Die anderen waren ja auch Deutsche! Bundesrepublik Deutschland? Viel zu umständlich. Und die aus dem Osten? DDR oder, wie die Springer-Zeitungen schrieben, »DDR«? Aber sprich mal Gänsefüßchen aus! Ostdeutschland? Vielleicht gar – wegen der ehemals deutschen Gebiete in Polen – Mitteldeutschland? Das war die Sprache der Vertriebenenfunktionäre. Zone ging gar nicht mehr, das war den ganz, ganz kalten Kriegern vorbehalten.

Wir linken Studenten lagen alle vor Lachen am Boden, als ZDF-Kommentator Werner Schneider anhub und tatsächlich sagte: »Nach Rücksprache mit namhaften Staatsrechtlern hat das ZDF sich dazu entschlossen, ›DDR‹ zu sagen.« Was für eine todesmutige Entscheidung, Hut ab, darauf noch eins von diesem scheußlichen hessischen Pils!

Was folgte, war ein grausiger Auftritt der Mannschaft von Helmut Schön. »Der Sparwasser war mitverantwortlich, dass wir später Weltmeister geworden sind«, sagt Franz Beckenbauer heute, »der hat uns mit seinem Tor so richtig wachgerüttelt.« Das interessierte uns studentische Trunkenbolde überhaupt nicht, wir stießen Verwünschungen aus und gaben keine Westmark mehr für diese BRD(haha!)-Mannschaft.

Jürgen Sparwasser war nur einigen Spezialisten ein Begriff. Immerhin hatte er im gleichen Jahr mit Magdeburg, wo er fünfzehn Jahre spielte, gegen den hoch favorisierten AC Milan mit 2:0 den Europapokal der Pokalsieger gewonnen (siehe auch Seite 136). Sein Tor gegen die Westdeutschen verschaffte ihm in der DDR nicht nur Freunde – viele ostdeutsche Sympathisanten von Beckenbauer und Co. entwickelten mehr oder weniger offene Aggressionen gegen den Schützen des Siegtreffers gegen die Auswahl des »Klassenfeindes«.

Dabei war Sparwasser noch nicht einmal einer von den linientreuen Fußballern. Dreimal wurde er mit Magdeburg DDR-Meister, viermal Pokalsieger, aber als er nach dem Ende seiner Laufbahn zum Magdeburg-Trainer abkommandiert werden sollte, lehnte er ab. Daraufhin wollten sie ihn von der Uni Magdeburg werfen, wo er als Diplomsportlehrer arbeitete. Darum setzte er sich im Januar 1988 in den Westen ab und arbeitete zunächst als Co-Trainer bei Eintracht Frankfurt, wo sich Trainer Kalli Feldkamp rührend um ihn und seine Frau kümmerte. Als Cheftrainer war er in Darmstadt und beim Amateurligisten Rot-Weiß Walldorf nicht besonders erfolgreich. Sparwassers Trikot mit der Nummer 14 aus dem Spiel gegen die Bundesrepublik ist im Bonner Haus der Geschichte ausgestellt.