Bernd: Hölzenbein

Sitztor in letzter Sekunde

Bernd Hölzenbein köpft am 7. November 1979 im UEFA-Cup in der Partie Eintracht Frankfurt gegen Dinamo Bukarest in der 90. Minute und letzten Sekunde im Sitzen den Ausgleich zum 2:2, was zur Verlängerung und schließlich zum Sieg von Frankfurt führt. Am Ende wird Frankfurt im Endspiel gegen Mönchengladbach UEFA-Pokalsieger. Hölzenbein über sein Sitztor:

»Die UEFA-Saison 1979/1980 ist in die Annalen des deutschen Fußballs eingegangen. Am Ende stehen die Bayern, Gladbach, Stuttgart und wir im Halbfinale, also eine rein deutsche Angelegenheit. Die Vorrunde begann schwierig, wir verloren das Hinspiel in Bukarest mit 0:2. Eine Woche später folgte im Waldstadion ein Spiel auf ein Tor.

Es gab also einen einsamen Kampf des Bukarester Torwarts Stefan gegen die verzweifelt ankämpfende Eintracht. In der 73. Minute köpfte Bum Kun Cha endlich den Anschlusstreffer zum 1:2. Hoffnung keimte auf, das Spiel nun endlich für uns zu entscheiden. Es sollte aber noch etwas dauern und die Nerven aller Beteiligten aufs Äußerste anspannen.

Es kommt die 90. Spielminute. Zuvor wurde noch Multescu vom Platz gestellt, Bukarest steht nur noch mit zehn Mann auf dem Feld. Im Mittelfeld gibt es einen Freistoß. Willi Neuberger fragt den Schiri, wie lang noch zu spielen sei. ›Twenty seconds‹, die Antwort. Und wer sich nun die folgenden zwanzig Sekunden in irgendeiner Aufzeichnung ansieht, wird eines der kuriosesten Spielenden erleben. Der Freistoß wird ausgeführt, der Ball gelangt zu Werner Lorant, der wiederum in den Strafraum flankt. Charly Körbel köpft aufs Tor, allerdings ohne jeden Druck, ohne jede Gefahr, die Sekunden rinnen dahin. Torwart Stefan braucht den Ball nur zu fangen, und alles wäre aus. Ich renne als Einziger mit und komme stolpernd neben ihm zu Fall. Er fängt den Ball auch, lässt ihn allerdings durch die Arme flutschen, und so gelingt es mir, geschickt halb sitzend, halb liegend den Ball zum 2:2 einzuköpfen.

Wer auf die Uhr gesehen hat, wird feststellen, dass nach exakt 20 Sekunden der Ball die Torlinie überrollt hat. Der Schiri Frederiksson hatte bereits beim Kopfball von Charly Körbel die Pfeife im Mund und den Arm gehoben, bereit, zur Mittellinie zu laufen und abzupfeifen, und in Gedanken wohl schon bei der Heimreise, als er merkte, dass der Ball noch heiß war und sogar im Tor landete. Kurioser geht’s nicht. Alle kamen auf mich zugerannt und erdrückten mich: Das Unfassbare war geschehen.

Der Rest war fast reine Formsache. Die ohnehin geschwächten und nun demoralisierten Rumänen hatten uns nichts mehr entgegenzusetzen. Bernd Nickel machte schon in der 93. Minute das 3:2. Später schlugen wir die Bayern im Halbfinale und gewannen gegen Gladbach das Endspiel: Die Eintracht war zum ersten Mal UEFA-Pokalsieger.«

Aus der Chronik der (fast) vergessenen deutschen Europacup-Teilnehmer

Mannis Kommentar

Diesen Hölzenbein kriegtest du noch nicht mal ruhig, wenn er auf dem Hosenboden saß. Ein Schlitzohr hoch drei, was er ja bei der WM sechs Jahre vorher auch schon sehr beeindruckend bewiesen hatte (haha!). Dass dies der Grundstein für den Gewinn des UEFA-Cups war, werden viele – natürlich nur außerhalb Hessens – schon vergessen haben. Heutzutage greift die Eintracht eher selten oben an (siehe das Kapitel über den Pokaltriumph gegen die Bayern 2018), aber ein paar goldumrahmte europäische Seiten hat die Frankfurter Chronik auch aktuell anzubieten.

1980 waren die deutschen Clubs, Holz wies darauf hin, im Halbfinale des UEFA-Cups unter sich: Stuttgart unterlag Mönchengladbach, Frankfurt fegte die Bayern im Rückspiel mit 5:1 nach Verlängerung vom Platz, und das Finale gewannen Hölzenbein, Nickel, Körbel, Bum Kun Cha und Co. gegen Gladbach nur wegen der höheren Anzahl der Auswärtstore (2:3 am Bökelberg, 1:0 in Frankfurt).

Zwanzig Jahre zuvor, als Real Madrid noch die unangefochtene europäische Übermannschaft war, gab es das legendäre 3:7 der Eintracht im Europapokalfinale der Landesmeister in Glasgow. Darauf heben sie noch heute am Main mit feuchten Augen den Bembel.

Der Europapokal hat für viele deutsche Mannschaften schon traumhafte Erlebnisse im Angebot gehabt, auch für die heute nur durchschnittlich erfolgreichen. Es waren eben nicht immer nur die üblichen Verdächtigen wie Bayern, Bremen, HSV, Dortmund oder Schalke am Start. Volker Finkes Freiburger zum Beispiel spielten zweimal europäisch, 1995/96 und 2001/02; beim zweiten Mal scheiterten sie mit Butt, Tanko, Kehl und Golz erst in der dritten Runde an Feyenoord Rotterdam.

Oder die furiosen Karlsruher mit dem begnadeten Heißmacher Winni Schäfer! Zwölf Jahre trainierte er in Baden, der wahnsinnige Höhepunkt war das 7:0 im UEFA-Cup gegen ­Valencia (Hinspiel 1:3). Der KSC – im Tor: Oliver Kahn – kam ins Halbfinale, gegen die Apfelsinentruppe aus Spanien traf »Euro-Eddi« Edgar Schmitt gar viermal.

Alemannia Aachen mit Trainer Dieter Hecking ist auch so ein europäisches One-Hit-Wonder. 2004/05 waren die Aachener UEFA-Pokalteilnehmer, spielten plötzlich gegen AEK Athen, St. Petersburg und Sevilla statt gegen Unterhaching oder St. Pauli und schieden erst in der Hauptrunde gegen Alkmaar aus. Die Heimspiele mussten sie in Köln statt am stimmungsvollen, aber maroden Tivoli austragen.

Der VfL Bochum – ja, es ist wirklich wahr! – wurde 1997 mit Peschel, Wosz, Waldoch und Közle Fünfter der Liga und nahm am UEFA-Pokal teil, wo er erst in der dritten Runde an Ajax Amsterdam scheiterte. Klaus Toppmöller hieß der Trainer, der sich aus gegebenem Anlass stets europäisch chic kleidete. 2002 kam er sogar mit Leverkusen ins Champions-League-Finale.

1981 werden sich auch die Jenaer zwecks Realitätstest diverse Male gekniffen haben. Im Pokalsieger-Wettbewerb warfen Vogel, Lindemann, Kurbjuweit und Co. unter anderem den AS Rom, Valencia und Benfica Lissabon aus dem Rennen, bevor sie das Finale in Düsseldorf gegen Dynamo Tiflis knapp mit 1:2 verloren. Trainer war der Thüringer aus Überzeugung Hans Meyer. Die größte Sensation im Osten war allerdings der Europapokalsieg des 1. FC Magdeburg 1974 im Wettbewerb der Pokalsieger (siehe dazu Seite 136).