Olaf Thon

Raketenstart ins Profileben

Am 2. Mai 1984, beim aufregenden 6:6 von Schalke 04 im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Bayern München, schlug die große Stunde eines jungen Mannes, der am Tag zuvor gerade mal achtzehn Jahre geworden war. Ein Interview mit Olaf Thon, der an diesem Abend drei Tore gegen die Bayern schoss:

Breuckmann: »Am 1. Mai 1984 hatte Mönchengladbach im ersten Halbfinale Werder Bremen mit 5:4 geschlagen. Da war eine Steigerung kaum zu erwarten, oder?«

Thon: »Wir waren damals in der 2. Liga, und die großen Bayern kamen mit Pfaff, Augenthaler und den Rummenigges. Wer da Favorit war, war klar.«

Breuckmann: »Nach 12 Minuten lag Schalke mit 0:2 hinten. Aber Sie als achtzehnjähriger Nobody waren wesentlich daran beteiligt, dass es ein spektakuläres Unentschieden gab. Der Ausgleich zum 6:6 kurz vor Schluss muss ja wohl das Allergeilste gewesen sein, oder?«

Thon: »Ja, mit Abstand. Zwei Minuten vor Schluss stocherte Dieter Hoeneß den Ball zum 6:5 für die Bayern ins Tor. Der Fernsehreporter sprach zum dritten Mal an dem Abend von der ›endgültigen Entscheidung‹. Und dann, bei unserem letzten Angriff in der Nachspielzeit, habe ich dem Pfaff das Ding um die Ohren gehauen, genauer gesagt in den Winkel. Diese Bilder, der grenzenlose Jubel, die Ehrenrunden im Parkstadion, das kann ich noch jederzeit abrufen.«

Breuckmann: »Und der Bayern-Coach Udo Lattek hätte Sie am liebsten direkt nach dem Spiel gekauft.«

Thon: »Ja, er sagte: ›Für den Jungen würde ich sofort zehn Millionen hinlegen.‹«

Breuckmann: »Waren Sie nicht als kleiner Steppke Bayern-Fan?«

Thon: »Ich hab sogar in rot-weißer Bettwäsche geschlafen. Besonders Gerd Müller fand ich richtig klasse. Er war mein Vorbild. Der ZDF-Reporter Töpperwien hat das irgendwie rausgefunden und mich nach dem Pokalknaller darauf angesprochen. Klar, dass später dann und wann ein Spruch von unseren Fans kam.«

Breuckmann: »Haben Sie danach in Ihrer Karriere, unter anderem ja auch bei den Bayern, noch einmal eine vergleichbare Dramatik erlebt?«

Thon: »Bedeutendere Spiele ja. Vergleichbare Dramatik? Nun ja, das UEFA-Cup-Finale 1997 mit Schalke gegen Inter war auch spannend, beim WM-Halbfinale 1990 ging’s auch hoch her, als ich beim Elfmeterschießen gegen England den entscheidenden Elfer reinmachte, und über das irre Saisonfinale 2001 müssen wir gar nicht diskutieren. Da kam ich allerdings erst zwanzig Minuten vor Schluss als Auswechselspieler rein. Aber 1984, den Raketenstart ins Profileben, mit einem jungen Mann, der drei Tore schoss, das gab’s nur einmal.«

Der mit dem Wort tanzt

Mannis Kommentar

Olaf Thon kann reden wie ein Wasserfall. Das und seine Bekanntschaft mit diversen Doktoren und Professoren trug ihm schon früh den Titel »Professor« ein. Im Ruhrgebiet ist ein Professor »ein ganz Schlauer«; da schwingt nicht nur Bewunderung mit, sondern auch eine Portion Unsicherheit und süffisante Distanz gegenüber jemandem, »der allet weiß«. Olaf weiß viel, und um das gebührend nach außen zu tragen, bedarf es eines permanenten Redeflusses. Der Ex-Profi von Schalke und Bayern hat nach seiner Karriere viel geübt, noch heute spricht er als Experte in Radio und Fernsehen und vor den Schalker Heimspielen im VIP-Club LaOla zu den Fans.

Als Olaf Thon sprachlich noch nicht so sicher und routiniert war, schlichen sich manchmal ein paar sprachliche Bolzen in seine Vorträge. Wie zum Beispiel die Bemerkung über ein angebliches Foul: »Ich habe ihn nur ganz leicht retuschiert.« Mit solchen Fehlleistungen steht der Schalker aber in der Fußballszene nicht allein da. Woraus speziell im deutschen Bildungsbürgertum falsch geschlossen wird, Fußballer seien blöd.

Das ist ein Irrtum. Sie sind (mittlerweile) genau so blöd oder wissend wie der Rest der Bevölkerung auch. Weil sie nämlich keine tumben Malocher sind, sondern mehr oder weniger den Querschnitt der Deutschen abbilden. Und dieser durchschnittliche Deutsche tut sich eben mit Fremdwörtern gelegentlich schwer.

Sogar dem großen Dresdner Helmut Schön rutschte mal die Bemerkung raus: »Da gehe ich mit Ihnen chloroform.« Wobei in diesem Falle durchaus ironische Sprachverhunzung im Spiel gewesen sein könnte. Absolut authentisch hingegen ist der Bericht des kleinen Fritz Walter vom VfB Stuttgart über eine Verletzung: »Die Sanitäter haben mir auf dem Platz gleich eine Invasion gelegt.« Rudi Völler unterlief mal eine schwerwiegende Beleidigung seines beleibten Managers Reiner Calmund: »Ja gut, der arbeitet von morgens bis abends. Ja gut, das nennt man im Volksmund wohl einen Alcoholic.« Pierre Littbarski war selbstkritisch genug, die furchtbare Fremdwörterei an Ort und Stelle ad acta (!) zu legen: »In der ersten Halbzeit haben wir ganz gut gespielt, in der zweiten fehlt uns die Kontinu …, äh Kontuni …, ach scheiß Fremdwörter: Wir waren nicht beständig genug!«

Vielen Fußballprofis ginge heute ein solch witziges Eingeständnis eigener Sprachdefizite nicht über die Lippen. Denn sie haben Angst – Angst vor klaren Aussagen, Angst vor der Hinrichtung in der Bild-Zeitung am nächsten Tag, Angst vor dem Donnerwetter des Managers. Und so dominiert der Typus des angepassten Profis, der nur noch die Standardfloskeln (»Trotz des 0:3 können wir mit unserer Leistung in der ersten Halbzeit zufrieden sein.«) absondert, der womöglich noch von einem Rhetoriktrainer auf sprachliche Geschmeidigkeit getrimmt wird.

Und wenn es dann ans Toreschießen geht, schweigt der Spielermund. Und es gilt das Podolski-Prinzip: »Ich denke nicht vor dem Tor – das mache ich nie!«