Trappatoni »hat fertig«!
Am 10. März 1998 trat der Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni vor die Presse und hielt seine berühmte Wutrede. Der damalige Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung (heute ist er Öffentlichkeitsarbeiter beim FC Bayern) Christopher Keil war mit erstaunten Ohren dabei:
»Die Bayern hatten viermal hintereinander nicht gewonnen, zuletzt hatte es ein 0:1 bei Schalke gegeben, der Spitzenreiter Kaiserslautern zog immer weiter davon. Es gab Diskussionen über Trapattonis antiquierten Trainingsstil und seine defensive Spielweise, aber keiner konnte mit einer derartigen Explosion rechnen. Er war ja ein Weltmann, alle mochten ihn, er hatte gute Manieren und war ein anständiger Kerl.
In Schalke hatten sich Basler und Scholl vor laufenden Kameras darüber beschwert, dass sie nicht von Beginn an spielen durften, und Strunz kam mit seiner Auswechslung nicht klar. Das waren vielleicht die Auslöser für Trapattonis Ausbruch.
Ich war damals auf dem Bayerngelände, um Karten für Absolventen der Deutschen Journalistenschule zu organisieren, die sich das Bayern-Spiel gegen Bochum anschauen sollten. Die Pressekonferenz hatten wir als Routinetermin gar nicht besetzt. Markus Hörwick, der Pressesprecher der Bayern, kam mir entgegen und riet mir eindringlich, ins ›Stüberl‹ zu eilen, wo die Pressetermine stattfanden. Dort ging es dann richtig ab. Ich war zunächst fassungslos, fühlte mich dann in einem Louis-de-Funès- Film und rechnete am Ende fest damit, dass Trapattoni wie einst Chruschtschow seinen Schuh ausziehen und auf den Tisch kloppen würde.
Die Reaktion der Berichterstatter war eine Mischung aus Betroffenheit und Gekicher, doch die Dimensionen dieser wilden Rede hatten wir alle begriffen und scharten uns um die Kollegen vom Radio, die uns alles noch mal vorspielten.
War der Zorn vorgetäuscht? Handelte es sich um einen kalkulierten Rundumschlag, den letzten Weckruf, um die fast verspielte Meisterschaft doch noch nach München zu holen? Ich glaube, es war ein Tobsuchtsschub, Trapattoni wollte Strenge zeigen und hatte sich in seiner Rage einfach vergessen. Er war tief gekränkt über die satten, jungen Typen, die ihm da in München auf der Nase rumtanzten. Jedem anderen hätte man vorwerfen können, er habe sich lächerlich gemacht, doch nicht Trapattoni, dazu war er einfach ein zu liebenswürdiger Mensch.«
Mannis Kommentar
Ich weiß nicht, ob Giovanni Trapattoni jemals einen Karnevalsorden bekommen hat. Verdient hätte er ihn; denn die professionellen Possenreißer der Republik, vom rheinischen Büttenredner bis zum norddeutschen Butterfahrt-Conferencier, lebten noch jahrelang von »Flasche leer« und »habe fertig«. Und wenn die Politiker ihre Volksnähe und Witzigkeit dokumentieren wollten, zitierten sie nur allzu gerne aus Traps Wutrede. Die SPD ließ nach der Abwahl von Helmut Kohl ein Plakat entwerfen, auf dem in großen Buchstaben »Ich habe fertig« prangte. Der italienische Bayern-Trainer hat sich also um den Witz in der deutschen Sprache verdient gemacht. Die beste Parodie seines Auftritts stammt übrigens vom telekritischen Comedian Oliver Kalkofe.
Ganz unwitzig betrachtet ist Traps erzürnter Hilferuf aber schlicht ein Beleg für die unterentwickelten Deutschkenntnisse des rundum sympathischen Fußballlehrers. 1994/95 und von 1996 bis 1998 war Trapattoni Trainer des FC Bayern München, kassierte jährlich geschätzte 2,5 Millionen DM – und konnte sich den Luxus erlauben, mit den Spielern und der Öffentlichkeit in einem nur teilweise verständlichen Germano-Italienisch zu kommunizieren. Das war schlicht unprofessionell.
Als Trapattoni 2005 zum VfB Stuttgart kam, saß ich nach dem ersten Saisonspiel (1:1 in Duisburg) in der Pressekonferenz und verstand kaum die Hälfte des Trainer-Statements. Es hatte sich also nichts geändert. Okay, die Fans lachten sich darüber einen Ast; aber der Umgang mit »die Spielers« kann nicht optimal sein, wenn eine inhaltlich bedeutende taktische Anweisung des Übungsleiters oder gar ein Zweiergespräch im schlimmsten Fall nur über einen Dolmetscher in die Köpfe gelangt.
Von den 84 ausländischen Trainern seit der Einführung der Bundesliga 1963 sprachen die allermeisten verständliches Deutsch. Ein paar Ausreißer gab es allerdings. Beispielsweise die augenrollende, radebrechende (»kleines, dickes Miller«) Körperkugel Tschik Cajkovski, der in den 1960er/70er-Jahren Bayern, Hannover, Köln und Offenbach trainierte. »Ich Lehrer für Fußball, nix für Deutsch«, versuchte er sich einmal zu rechtfertigen, und seine berühmtesten Worte waren »Winschte, Maschine stirzt ab« beim Rückflug nach einer 1:8-Niederlage des 1. FC Köln im schottischen Dundee.
Ein besonderer Fall war der Bauernsohn aus der Gegend von Padua, Nevio Scala, der 1997/98 Borussia Dortmund trainierte. Seine deutschen Ausführungen endeten manchmal in skurrilen Sätzen, über deren Bedeutung sie noch heute am Borsigplatz rätseln: »Das Tor ist ein Problem, das jede Mannschaft hat.« Hä? Oder: »Es fiel viel Regen in die nasse Bude.« Kachelmann, hilf!
Die Bayern demonstrierten auch in der Zeit nach Trapattoni, dass es ihnen schnurzegal ist, ob die Trainer mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stehen. Der Spanier Pep Guardiola war sprachtechnisch ein Witz, obwohl vor seinem Amtsantritt kräftig gestreut wurde, er habe intensive Crash-Kurse genossen. Auch Carlo Ancelotti konnte nicht unbedingt als Sprachgenie durchgehen. Wie wohltuend war es da, zwischendurch immer wieder vom niederrheinischen Idiom des Jupp Heynckes verwöhnt zu werden.