Wolfgang Seguin

Magdeburg schlägt Mailand und keiner schaut zu

Der 1. FC Magdeburg gewinnt das Europapokalfinale der Pokalsieger am 8. Mai 1974 in Rotterdam mit 2:0 gegen den AC Mailand und sorgt so für den ersten und einzigen Europapokalsieg einer DDR-Mannschaft. Wolfgang Seguin erzielte dabei das 2:0 und denkt noch einmal zurück:

»Wohl noch nie hat ein europäisches Pokalendspiel vor so einer trostlosen Kulisse stattgefunden wie unser Spiel gegen den AC Mailand. Nur rund 5000 Zuschauer verirrten sich ins Rotterdamer Stadion, darunter eine Handvoll Funktionäre aus der DDR, die keine Stimmung machten. Das war bitter, aber bei uns überwog natürlich die Freude, dass wir überhaupt im Finale standen, dazu noch gegen so eine Weltklassemannschaft wie den AC Mailand mit all den Starfußballern.

Wir waren am Montag – das Spiel fand an einem Mittwoch statt – vorher angereist, wir konnten also noch zweimal in Ruhe trainieren. Unsere Konzentration war voll und ganz auf das Spiel gerichtet, von Kontrollen oder Überwachung haben wir nichts bemerkt. Wir durften uns relativ frei bewegen und haben sogar einen Einkaufsbummel durch die Stadt gemacht.

Unser Trainer Heinz Krügel hatte uns für das Spiel perfekt eingestellt. Und unsere Ausgangslage war ja gar nicht so schlecht, waren wir doch in der Rolle des Underdogs und hatten nichts zu verlieren. Wir konnten also locker ins Spiel gehen. Und tatsächlich erwischten wir den besseren Start. Vielleicht lag es auch am Regen, der den Mailändern nicht so gefiel. Mir hat er zumindest sehr zugesagt, ich spiele gern bei Regen. Ich weiß noch, dass es ein ausgesprochen faires Spiel war. Lanzi sorgte dann mit einem Eigentor für das verdiente 1:0, und als ich in der 74. Minute zum 2:0 einnetzte, wusste ich, dass das die Entscheidung war. Auch danach kam von den Mailändern nicht mehr viel, wir kontrollierten weiterhin das Geschehen – und machten so den einzigen Europapokalsieg der DDR-Fußballgeschichte perfekt.

Im gleichen Jahr gewannen die Münchner Bayern übrigens den Pokal der Landesmeister, es hätte also ein deutsch-deutsches Duell um den Supercup geben müssen. Das Spiel fand jedoch nie statt. Begründung: Es konnte kein Termin gefunden werden. In Wirklichkeit lag es wohl eher daran, dass uns die Teilnahme vom eigenen Verband nicht gestattet wurde.

Diesen großen Sieg feiern wir weiterhin jedes Jahr mit einem Treffen, alle Ehemaligen mit Familien sind eingeladen. Wir machen einen Ausflug, es gibt ein kleines Rahmenprogramm – und im Rahmen unserer verbliebenen Möglichkeiten spielen wir natürlich Fußball.«

Magdeburg Europapokalsieger? Im Westen hat’s keinen interessiert

Mannis Kommentar

5000 Zuschauer bei einem Europacup-Finale – ein paar Jahre später gab es noch eine Steigerung: Das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger 1981 in Düsseldorf zwischen Dinamo Tiflis und Carl-Zeiss Jena sahen ganze 4700 Fußballfans. Die europäischen Höhenflüge der DDR-Clubs fanden unter Ausschluss der westlichen Öffentlichkeit statt. Bei der Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik wurden die Fußballfans zwischen München und Hamburg zwischendurch aber doch, ob sie wollten oder nicht, mit der Nase auf den DDR-Fußball gestoßen. Die Parole lautete: Sparwasser.

Zapf, Pommerenke, Gaube, Raugust? Die Spieler des FC Magdeburg hingegen waren nur einigen Spezialisten im Bundesliga-Land bekannt. Selbst der Name des Meistertrainers Heinz Krügel hätte außerhalb der heutigen neuen Bundesländer nur Achselzucken erzeugt.

Zehn Jahre lang trainiert Krügel die Magdeburger, von 1966 bis 1976. Vorher war er sogar mal zwei Jahre lang Nationaltrainer der DDR gewesen. In Magdeburg wurde er dreimal Meister, dreimal Pokalsieger und – als einziger DDR-Club – Europapokalsieger. Der Sachse Krügel starb im Oktober 2008 mit 87 Jahren, im Osten war er eine Legende, beim FC Magdeburg gehörte er zum Inventar.

Obwohl: 1976 hatte er Riesenärger mit der Partei bekommen. Krügel wurde lebenslänglich gesperrt und zu einem unterklassigen Club abgeschoben. Er habe, so hieß es als Begründung im sozialistischen Bürokratendeutsch, »die Leistungsentwicklung der Olympiakader des 1. FC Magdeburg ungenügend gefördert«. In Wirklichkeit wurde Krügel für seine Aufmüpfigkeit sanktioniert. Der knorrige Übungsleiter hatte es sich immer verbeten, wenn die SED-Bezirksleitung in seine Arbeit hineinregieren wollte. Ganz besonders unbeliebt machte er sich, als bei einem Europapokalgastspiel von Bayern München die Kabine der Gäste verwanzt werden sollte. Krügel sagte Nein und verwies auf die sportliche Gastfreundschaft. Die Antwort der Partei kam postwendend – sie warfen ihn mit einer vorgeschobenen verlogenen Begründung von der Trainerbank.

Zwei Jahre zuvor war der als Analytiker und Motivator geschätzte Fußballlehrer noch der große Held gewesen. »Hast du das verstanden, mein Freund?« war einer seiner Lieblingssätze, und seine Jungs hatten es tatsächlich zu hundert Prozent begriffen, wie die hoch favorisierte Mannschaft von Giovanni Trapattoni – ja, der war schon 1974 Trainer! – zu knacken war. Mit »hohem Tempospiel, mit taktischer Disziplin, mit guten Willensqualitäten, einer soliden Technik, der Zielstrebigkeit, in der Mitarbeit der Aktiven bei der praktischen und theoretischen Ausbildung«, schrieb das Neue Deutschland nach dem Finale.

Die Jenaer, die 1981 mit Hans Meyer ins europäische Endspiel vorstießen, waren nicht so erfolgreich wie der FC Magdeburg: Sie verloren gegen Dinamo Tiflis mit 1:2.