Jürgen Klopp

Mainz und der Aufstieg – aller guten Dinge sind drei

Am 23. Mai 2004 siegt Mainz 05 am letzten Spieltag der Zweiten Bundesliga mit 3:0 gegen Eintracht Trier und macht so nach einem furiosen Endspurt und im dritten Anlauf hintereinander endlich den Aufstieg in die Erste Liga perfekt. Der Trainer Jürgen Klopp blickt zurück.

»Wir haben ein paar Mal geübt, um den Sprung ins Oberhaus zu schaffen, aber dass wir es ausgerechnet 2004 schaffen, hätte ich nicht gedacht. 2002 verspielten wir den Aufstieg am letzten Spieltag durch ein 1:3 bei Union Berlin, in einer derart feindseligen Kulisse, wie ich sie nie wieder kennengelernt habe – und die auf einem Missverständnis beruhte. Ich hatte zuvor gesagt, dass die Berliner ähnlich wie Kaiserslautern spielten: Lange Bälle nach vorne, die dann von Ristic abgelegt werden. Diese Äußerung drehte dann die Berliner Presse so um, dass ich gesagt hätte, Union habe keine Spielkultur. Nach dem Spiel rutschten die Berliner Spieler auf Knien vor unsere Bank und machten obszöne, derbe Gesten. Eine sehr hässliche Erinnerung. Wir scheiterten mit 64 Punkten – nie ist eine Mannschaft mit so vielen Punkten nicht aufgestiegen, ein toller Rekord.

2003 war es noch enger. Wir kämpften mit Frankfurt und Fürth um den dritten Aufstiegsplatz, Fürth war mit einer Niederlage schnell aus dem Rennen. Wir gewannen deutlich mit 4:1 in Braunschweig, ließen sogar viele gute Chancen für einen noch höheren Sieg liegen. Bei Abpfiff waren wir wegen des besseren Torverhältnisses bereits aufgestiegen. Aber in Frankfurt wurde noch gespielt, und durch zwei Tore in der Nachspielzeit zog die Eintracht noch vorbei. Wieder scheiterten wir in einem unfassbar spannenden Finale. Und wie schon im Vorjahr wurden wir in Mainz trotzdem gefeiert wie die Helden, das war sensationell.

In der Saison 2003/2004 waren wir hingegen fast nie in der Spitzengruppe dabei. Am 29. Spieltag verloren wir klar in Fürth, der Aufstieg schien gelaufen. Doch in den letzten fünf Saisonspielen liefen die Jungs noch einmal zur Hochform auf und blieben bis zuletzt in Reichweite des dritten Platzes, trotz eines mageren 0:0 gegen Regensburg am vorletzten Spieltag. In der Mannschaft wurden SMS verschickt: ›Wenn die anderen nicht wollen, dann eben wir!‹ Und tatsächlich schlugen wir Trier dann mit 3:0, während die Aachener gleichzeitig eine 0:1-Niederlage beim KSC kassierten. Ich weiß noch, wie ich die letzte Viertelstunde des Spiels mit leerem Blick am Spielfeldrand stand und gar nichts mehr mitbekam. Ich wartete nur noch auf das Ergebnis aus Karlsruhe. Ein Bild, das sich mir eingebrannt hat, ist ein Junge mit einem Radio am Ohr am Tribünenzaun, der schließlich in Zimmermann-Manier ›Aus! Aus! Aus!‹ rief – Aachen hatte tatsächlich verloren, wir waren aufgestiegen!

Kurios war, dass Michael Thurk zwei Tore für uns schoss. Er hatte nämlich bereits bei Energie Cottbus unterschrieben und schoss sich somit quasi selbst aus der Bundesliga, denn auch Cottbus war im Aufstiegsrennen mit dabei gewesen. Aber ein halbes Jahr später kehrte er zu uns zurück und durfte dann doch noch Erste Liga spielen.«

Nur ein Karnevalsverein?

Mannis Kommentar

Es gibt blinde Fußballfans, die können ein Fußballstadion an der Kulisse erkennen. Im Falle des FSV Mainz 05 fällt das nicht besonders schwer; denn die Määnzer sind bekanntlich, ähnlich wie der 1.FC Köln, ein Karnevalsverein. Das Stadion-Liedgut trägt dem in beiden Fällen Rechnung. Während die Kölner sich den Klassikern der Höhner und der Bläck Fööss verschrieben haben (»Kölle, do ming Stadt am Rhing«), schmettern die Mainzer inbrünstig die alten Gassenhauer der Mainzer Fastnacht: »Humba, humba, täterä«, »Rucki, zucki«, »Am Rosenmontag bin ich geboren«. Wenn einer verletzt am Boden liegt, klingt es »Ui-jui-jui-jui-jui-jui-jui, au-wau-wau-wau-au!«, und der Torjubel wird mit dem Mainzer Narhalla-Marsch untermalt. Fußball und Fastnacht sind eben stimmungsmäßig Geschwister.

Die Mainzer sind aus dem Nichts zu einem der wenigen deutschen Kult-Clubs geworden. In den Achtzigern spielten sie noch gegen Duttweiler und Saarwelling, in den Neunziger­jahren vegetierten sie im Niemandsland der Zweiten Liga, drei- bis viertausend ganz Abgebrühte kamen zu den Heimspielen. Das änderte sich am Rosenmontag (!) 2001, als der Verteidiger Jürgen Klopp zum Trainer gemacht wurde. Es gab im Fußball selten eine so perfekte Liaison. Mit Klopp ging es nur noch aufwärts, nach zwei schweren Frustrationen sogar für drei Jahre in die Bundesliga und in den UEFA-Cup. Mit zweijähriger ­Unterbrechung spielt Mainz seit 2004 erstklassig. Nach dem Aufstiegstrainer Klopp kam noch zwischen 2009 und 2014 der ehrgeizige Thomas Tuchel. Beide sind mittlerweile bei Weltklasse-Clubs gelandet, Tuchel in Paris und Klopp in Liverpool. Auch darauf können die Meenzer stolz sein.

Bis 2011 fanden die Mainzer Karneval-Fußballfeste 72 Jahre lang in einem Stadion statt, das einmal auf der Mainz-05-­Homepage als »wunderschönes Schmuckkästchen« beschrieben wurde. Ein hübscher Beleg dafür, dass der Mainzer Internetauftritt offensichtlich unter dem Einfluss von rheinhessischem Riesling entsteht. Wettgemacht wurde der rustikale Barackencharme des Bruchweg-Stadions durch ein sensationelles Publikum. Nur an wenigen Orten gibt es eine vergleichbare Identifikation mit einem Fußballclub. »Das ist wie mit dem Glauben«, sagte ein Fan, »man bleibt dabei, in guten und in schlechten Zeiten.« So muss es sein in einer Domstadt! Von der christlichen Grundhaltung gespeist ist wohl auch die wenig aggressive Stimmung gegenüber dem Gegner und seinen Fans; die werden nämlich mit Beifall begrüßt.

Die neue 34 000-Zuschauer-Arena wird den Ansprüchen des modernen Fußballs gerecht. Und das Wichtigste: Das Mainz-05-Feeling ist in dem sehr britisch wirkenden Stadion nicht verloren gegangen. Die Mainzer mit ihren Höhen und Tiefen gehören immer noch zu den erfreulichen, weil bodenständigen Erscheinungen im aufgeblasenen Bundesliga-Showbusiness.