Günther Koch

»Ich melde mich vom Abgrund.«

Am 29. Mai 1999 wurde das wohl größte Abstiegsdrama der Fußball-Bundesliga aufgeführt: Hansa Rostock, Eintracht Frankfurt und der 1. FC Nürnberg waren beteiligt, die Nürnberger stiegen am Ende ab. Ein Interview mit Günther Koch, der das Spiel Nürnberg gegen Freiburg im ARD-Radio übertrug:

Breuckmann: »War dieser Abstiegskrimi der emotionale Tiefpunkt Deiner Karriere?«

Koch: »Ja, auch wenn ich knappe drei Tage zuvor in Barcelona das Champions-League-Finale FC Bayern München gegen Manchester United mit dem Bayern-K. o. in der Nachspielzeit übertragen hatte. Über Mangel an Emotionen konnte ich mich in jenen Tagen also nicht beklagen.«

Breuckmann: »Hast Du böse Vorahnungen gehabt?«

Koch: »Zumindest theoretisch war ich auf alles vorbereitet. Dennoch hielten mich vor allem die Kollegen neben mir und eine Reihe vor mir für durchgeknallt, weil ich frühzeitig, also noch vor der Halbzeitpause, von einem möglichen Club-Abstieg orakelte.«

Breuckmann: »War Deine Verzweiflung am Mikrofon echt?«

Koch: »Ja, und ich denke, die Hörer haben das gespürt.«

Breuckmann: »Ich hab mir zwischendurch Sorgen um Deine Gesundheit gemacht.«

Koch: »Meine Gesundheit wird es schon nicht zu sehr angegriffen haben – schließlich war und bin ich als Club-Reporter bis heute einiges gewöhnt. Aber eine Viertelstunde nach dem Abpfiff – da bin ich heimlich und leise in mein Auto geflüchtet und habe geheult. Da war’s mit meiner Fassung vorbei.«

Breuckmann: »Wussten denn die Zuschauer und die Spieler immer, wie die Situation gerade war?«

Koch: »Von wegen. Im Stadion wurden keine Ergebnisse gezeigt, und die Club-Spieler waren die ärmsten Schweine. Sie glaubten am Ende, sie hätten zwar schlecht gespielt, seien aber nicht abgestiegen. Einige wollten feiern und Sekt aufmachen, bis sie in der Kurve von dem Desaster erfahren haben. Andi Köpke zum Beispiel hat’s total kalt erwischt.«

Breuckmann: »Wie lange hat Dich dieses Spiel noch verfolgt?«

Koch: »Ich hatte noch Monate später Probleme, am Stadion vorbeizufahren. Eine Einladung zu einem Leichtathletik-Länderkampf im Frankenstadion habe ich abgesagt. In der ersten Betroffenheit wollte ich keine Spiele des Clubs mehr übertragen. Das habe ich mir dann aber doch noch anders überlegt.«

Die Mutter aller Abstiegsdramen

Mannis Kommentar

Günther Koch, der bedauernswerte Clubberer, der strahlende Frankfurter Dirk Schmitt und ich, wir drei waren die Krimireporter, die in Nürnberg, Frankfurt und Bochum die irrsinnige Antwort auf die Abstiegsfrage 1999 am Radiomikro begleiteten. Dafür bekamen wir im Jahr darauf bei der ARD-Sportgala »Victoria« den Sonderpreis, eine hammerschwere Metallplastik, die mich noch heute in meinem Wohnzimmer anguckt. Wir haben aber auch hart gearbeitet an diesem warmen Maitag. Das Allerschlimmste für mich: die ständige Rechnerei, wen es denn gerade erwischt hatte. Ich war Reporter, kein Rechenschieber!

Schon die Ausgangslage schien nicht unspannend: Gesucht wurde der dritte Absteiger, Bochum und Mönchengladbach waren schon weg; fünf Kandidaten gab es für die Fahrt in die Hölle: Frankfurt (34 Punkte), Hansa Rostock (35), Freiburg (36), Stuttgart (36) und der ruhmreiche 1. FC Nürnberg mit 37 Punkten.

Die Nürnberger hatte also die komfortabelste Startposition für den 34. Spieltag: Sie mussten nur einen Punkt gegen Freiburg holen und wären aller Sorgen ledig gewesen. Im direkten Vergleich mit Frankfurt hätte sich der FCN sogar eine knappe Niederlage bei gleichzeitigem dünnem Sieg der Eintracht gegen Lautern erlauben können.

Zur Pause war Frankfurt weg vom Fenster: 0:0 stand es im Waldstadion, die anderen Kandidaten führten (Stuttgart, Frei­burg, Rostock), Nürnberg musste sich trotz eines 0:2-­­Rück­standes (noch) keine Sorgen machen.

Der VfB Stuttgart hielt sich im zweiten Durchgang aus dem Drama raus; die 1:0-Führung gegen Werder Bremen war gleichzeitig der Endstand. (Deswegen bekam der Reporter auch nicht die »Victoria«; die Welt ist ungerecht!)

In den letzten 20 Minuten boxt der Papst: Frankfurt führt nach 70 Minuten mit 2:1, und als die Bochumer kurz danach innerhalb von drei Minuten aus einem 0:1 ein 2:1 machen, ist Rostock abgestiegen! Die Nürnberger halten sich immer noch für sichere Erstligisten.

In der 77. Minute gleicht Rostock aus, die Frankfurter führen 4:1 und haben Nürnberg wegen der Tordifferenz überholt, aber Rostock ist immer noch Sechzehnter, braucht zur Rettung einen Sieg! In Nürnberg wächst die Unsicherheit. Die letzten Minuten:

83. Minute: 3:2 für Rostock, plötzlich ist der FCN in Liga 2!

85. Minute: Frankfurt ist Absteiger, weil Nürnberg das 1:2 gelingt.

89. Minute: 5:1 für die Eintracht, sagenhaftes Tor von Jan-Aage Fjörtoft, Nürnberg ist nicht mehr erstklassig.

Kurz danach noch ein Nürnberger Pfostenschuss, Baumann fällt der Ball vor die Füße, aus kurzer Distanz versagt der Clubberer. Der Vorhang fällt! Die Nürnberger sind fassungslos, am letzten Spieltag vom scheinbar sicheren Platz 12 auf Abstiegsplatz 16 gerutscht. Frankfurt und Nürnberg mit gleicher Punktzahl und gleicher Tordifferenz, nur: Die Eintracht hat vier Tore mehr geschossen.