Christoph Biermann

Kleine Haarprobe, große Folgen

Im Oktober 2000 wurde Christoph Daum, dem damaligen Trainer von Bayer Leverkusen und designierten Bundestrainer, der Konsum von Kokain nachgewiesen. Den öffentlichen Anstoß für den Skandal hatte Daums Intimfeind Uli Hoeneß gegeben, den Beweis lieferte eine von Daum selbst eingereichte Haarprobe. Über seine Wahrnehmung dieser bewegten Zeit berichtet der Journalist Christoph Biermann:

»Ich war damals als Regional-Sportkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in einer besonderen Situation: Weil unser Sportchef Ludger Schulze in einem Kommentar die Haarprobe für Daum erst in die Diskussion gebracht hatte, galt unser Blatt zu Unrecht als Zentralorgan des FC Bayern.

Drogengerüchte um Christoph Daum, die es immer gegeben hatte, habe ich nie ernst genommen. Ich dachte mir, dass er von Natur aus auf Speed ist, ein extrem besessener Typ mit einem starken Hang zur Selbstdarstellung. Als Uli Hoeneß mit seinen Mutmaßungen in die Presse ging, fand ich, der Bayern-Manager sei übers Ziel hinausgeschossen, ein typischer Hoeneß eben.

Als die Diskussion kurz vor der Haarprobe richtig heißlief, habe ich es aber auch nicht für ausgeschlossen gehalten. Die ganze Affäre war bizarr, so etwas hatten wir in der Sportberichterstattung noch nicht. Außerdem war der Fall ein Beleg für den Sozialwandel im Fußball: Da ging einer nicht in die Eckkneipe und kippte Bier, Wein und Schnäpse, nein, er zog sich eine Linie Koks rein. Und weil es sich um harte Drogen handelte und zudem ein designierter Bundestrainer beschuldigt wurde, war der Riesenwirbel verständlich und unvermeidbar.

Daum war wieder mal der Undurchschaubare, der Mann mit dem Talent für Chaos. Ich glaube, er würde das zwar nie zugeben, aber irgendwie fühlt er sich im vollkommenen Durcheinander wohl. Nach dem positiven Untersuchungsergebnis tauchte er ab, war von der Bildfläche verschwunden. Es war nicht einmal ausgeschlossen, dass er sich vielleicht etwas angetan hatte, bis ihn die Bild-Zeitung in Florida auftrieb und menschelnde Gespräche mit ihm führte.

Der absolute Tiefpunkt der Affäre war für mich aber die Pressekonferenz nach seiner Rückkehr aus den USA. Ich war wirklich fassungslos, dass Daum kein Verständnis für die Dimension des Skandals zeigte. Er gab zwar den ›gelegentlichen Konsum‹ von Drogen ›im privaten Bereich‹ zu, tat aber alles, um diesen Tatbestand zu relativieren. Daum ging sogar so weit, als Auslöser des Kokaingebrauchs seine Hüft-Arthrose zu benennen, deren Schmerzen er bekämpfen wollte. Bei seinem Vortrag kasperte er herum, grinste ständig und benahm sich so, als würde gerade eine Art Kabarettnummer aufgeführt.

Er verkannte den tiefen Ernst der Situation, in der er sich ja nicht nur selbst beschädigt, sondern auch Bayer-Funktionsträger wie Reiner Calmund und Wolfgang Holzhäuser an den Rand ihrer beruflichen Existenz gebracht hatte. Durch falsche Angaben hatte er diese beiden nämlich animiert, öffentliche Treueschwüre für Daum abzulegen.

Christoph Daum war für mich ein sehr guter Trainer und beileibe nicht nur ein Heißmacher. Aber nicht zuletzt er selbst musste wahrscheinlich immer wieder entsetzt in seine eigenen Abgründe blicken.«

Fußball auf Droge? Daum und andere

Mannis Kommentar

Die Illusion von einer drogenfreien Gesellschaft ist zu absurd, um sie wirklich ernst zu nehmen. Und je nach Definition geht es bei der Abhängigkeit von Drogen nicht nur um irgendwelche Substanzen, sondern auch um Arbeit, Sex, Zocken, Internet – schlicht um alles, was den Menschen auf krankhafte Weise in Besitz nimmt.

Der Fall Daum war nur deshalb so spektakulär, weil es um eine harte Droge ging und weil ein designierter Fußball-Bundestrainer sie schnüffelte; ein Schauspieler oder Rockmusiker wäre nicht so geächtet worden wie der Trainer mit den flackernden Augen.

So mancher Trainerkollege oder Manager ließ sich das nächste Glas Bordeaux oder Pils reichen, während er noch den flammenden Protest gegen den koksenden Christoph formulierte, und Reiner Calmund haute den schärfsten Gag raus, indem er forderte, die Bayer AG dürfe nicht in die Nähe von Drogen gerückt werden.

Auch beim kickenden Personal wird schon lange über den Einsatz verbotener Substanzen diskutiert. Flüssig, als Pille, injiziert oder rauchig inhaliert – es gibt so viele schöne Dinge, die den Druck erträglicher machen oder die Leistungsfähigkeit auf Trab bringen. Aber Doping im Fußball? Vielleicht gibt’s mal hier und da das berühmte schwarze Schaf – oder es passiert eine Panne: Grippetabletten zum falschen Zeitpunkt, versehentlich gesprühtes Asthmaspray etwa. So die gängige Betrachtungsweise.

Trotzdem: Punktuell wird immer wieder Drogenkonsum bei Fußballprofis aufgedeckt. Speziell in der Premier League ist das Freizeitverhalten der Spieler nicht immer sauber. 2017 wurde dreizehn Profis der Gebrauch von Marihuana, Kokain und Ecstasy vorgeworfen, 2019 wurden zwei Spieler mit Kokain erwischt. Nicht nur in England, sondern europaweit sehr beliebt ist der Genuß des oft aromatisierten Kautabaks »Snus«, bei dem das Nikotin direkt in die Blutbahn geht.

Immer noch kommt gerne das alte Standardargument, wegen der komplizierten Abläufe mache Doping im Fußball überhaupt keinen Sinn. Aber es geht auch um Rennen und Kämpfen bis zur letzten Sekunde; die deutschesten aller deutschen Tugenden können durchaus durch Schlucken und Spritzen positiv beeinflusst werden.

Nahmen die 1954er-Helden nur Traubenzucker oder den Schnellmacher Pervitin? Welche Rolle spielte in den Achtzigern das Aufputschmittel Captagon? Was passierte bei Juventus Turin und Olympique Marseille in den Neunzigern? Und heute? Anabolika für eine schnellere Regeneration, Epo für die Kondition und eine Handvoll Schmerzmittel, wenn’s unerträglich wehtut? Ein Dopingexperte sagte mal: »Überall, wo viel Geld verdient wird, kann Doping nicht ausgeschlossen werden.« Die Geschichte von der weißen Dopingwste im professionellen Fußball ist viel zu schön, um wahr zu sein.