Dieter Hoeneß

Der blutige Turban

Im Pokalfinale 1982 schlug der FC Bayern München den 1. FC Nürnberg im Frankfurter Waldstadion mit 4:2 nach einem 0:2-Rückstand. In Erinnerung geblieben ist aber nicht nur der dramatische Spielverlauf, sondern der schlimm blutende Bayern-Stürmer Dieter Hoeneß, der mit seinem Kopfverband einfach weitermachte. Hoeneß fand das alles nicht so schlimm:

»Es passierte in der 13. Minute: Ein langer Ball flog in die Nürnberger Hälfte, ich sprang hoch und wollte ihn mit dem Kopf verlängern. Bei dieser Aktion prallte ich mit dem Nürnberger Alois Reinhardt zusammen. Dann lagen wir beide blutüberströmt am Boden, Reinhardt haben sie ohne Verband wieder hingekriegt, aber mir verpassten sie diesen Turban.

Es war eine tiefe Wunde auf der oberen Stirn kurz vor dem Haaransatz, das Blut sprudelte fast, und in der ersten Halbzeit versuchte unser Doc Müller-Wohlfahrt immer wieder, die Blutung mit Kompressen und einem blutstillenden Medikament zu stillen. Das funktionierte aber nicht richtig. Wäre es kein Pokalfinale gewesen und hätten wir nicht zur Pause mit 0:2 hinten gelegen, wäre ich wahrscheinlich rausgegangen. Heute ließe der Schiedsrichter nicht zu, dass ein so furchtbar blutender Spieler weiterspielt.

In der Pause sagte mein Bruder, schon damals Manager bei Bayern, zu mir: ›Du darfst dich nicht auswechseln lassen.‹ Ich stimmte ihm zu, spielte mit blutverschmiertem Turban weiter und habe ja dann als Krönung noch kurz vor Schluss per Kopf das entscheidende 4:2 gemacht.

Ehrlich, ich habe keine Schmerzen gespürt, das Schlimmste war noch, wie sie in der Halbzeit die Wunde genäht haben. Das tat richtig weh, aber ansonsten: kein Blackout, keine Gehirnerschütterung, keine inneren Verletzungen. Vielleicht habe ich ja auch das Schmerzempfinden durch die Konzentration auf dieses wichtige Spiel einfach weggeknipst; wenn du so auf ein Ziel fokussiert bist, kannst du belastende Dinge wie Schmerzen auch ausblenden.

HOENESS, Dieter Fussballspieler  FC Bayern Muenchen  Hoeness  FC Bayern Muenchen - 1.FC Nuernberg 4:2

»Das Schlimmste war noch, wie sie in der Halbzeit die Wunde
genäht haben.«

Ich kam mir hinterher nicht wie der große Held vor, ich habe mit Kopfschütteln festgestellt, dass sich alle so aufregten, an der Spitze Dieter Kürten im ZDF, der ständig Vokabeln wie ›lebensbedrohlich‹ und ›unverantwortlich‹ benutzte. Meine Frau saß schwanger zu Hause vor dem Fernseher und drehte fast durch. Noch einmal: Der Vorgang war spektakulär, aber das Risiko war kalkulierbar, ich habe mich hinterher nicht vor mir selber erschrecken müssen.«

Dieter Hoeneß, der Eisenharte

Mannis Kommentar

Das Rumpsychologisieren hat seine Grenzen, aber: Gibt dieser blutende, sich für seine Mannschaft aufopfernde Dieter Hoeneß nicht Hinweise auf wesentliche Charakterzüge? Die Hoeneß-Brüder sind als Ulmer Metzgersöhne wertkonservativ erzogen worden; dazu gehörten Werte wie Freundschaft, Familie, Zuverlässigkeit und Opferbereitschaft. Wenn einer das verinnerlicht hat und dazu noch die nötige Härte gegen sich selbst aufbringt, dann verhält er sich genau wie Dieter Hoeneß im Pokalfinale.

Dieter war immer Kämpfer, Torjäger und Kopfballspezia­list mit entwicklungsbedürftiger Technik. Als Profi wirkte er zwölf Jahre, beim VfB Stuttgart und bei Bayern München; 288 Bundesligaspiele hat er auf dem Buckel, die Torquote lässt sich mit 127 Treffern durchaus sehen. Dieter Hoeneß’ Karriere in der Nationalmannschaft gleicht indes einem Schnupperkurs: sechs Spiele mit vier Toren.

Als Manager schuf Hoeneß die moderne Berliner Hertha, die die Saison 2008/09 mit einem vierten Platz abschloss und zwischendurch sogar reif für die Meisterschaft schien. Danach verlor der Manager aber den schon lange schwelenden Machtkampf gegen den Präsidenten Werner Gegenbauer: Sein noch bis Juni 2010 laufender Vertrag wurde vorzeitig aufgelöst. Dem langen Schwaben wurden sein autoritärer Führungsstil und sein autokratisches Auftreten zum Verhängnis.

Dieter Hoeneß war 1996 nach Berlin gekommen, nachdem er PR-Manager einer Computerfirma und Manager beim VfB Stuttgart gewesen war. Hertha war damals ein angestaubter Traditionsverein, abgesackt in die Zweite Liga, mit amateurhaften Strukturen. Das alles hat der Manager nachhaltig verändert. Es gab auch Rückschläge: Transferflops, einen Sack voller Schulden, noch 2006 akute Abstiegsgefahr. Aber Dieter Hoeneß hatte eben zu Hause gelernt, bei Schwierigkeiten nicht aufzugeben, sondern durchzuhalten. Trainer Lucien Favre, der sich am Ende auch gegen seinen Mentor stellte, war ein Glücksgriff, er bekam sogar ein Übergangsjahr zugestanden, bis die Berliner endgültig einen Platz unter den Top 5 anpeilten.

Nur das graue Image der Hertha stört noch ein wenig, die Stadt lebt und vibriert nur ganz selten mit dem Verein. Es gibt kaum schillernde Figuren auf dem Platz, und die langwährende Insellage inmitten der DDR wirkt noch nach. 2019 stieg der Finanzwunderknabe Lars Windhorst (der allerdings auch schon Erfahrungen als Pleitier hat) mit einem dreifachen Millionenbetrag bei Hertha ein. Jürgen Klinsmann wurde als Trainer verpflichtet, der »schlafende Riese« Hertha sollte jetzt endlich Aufwachen und zum Fußballgiganten mutieren. Klinsmann verließ nach 76 Tagen unter Absingen schmutziger Lieder den Verein. Die Champions League muss weiter auf Hertha BSC warten.

Dieter Hoeneß guckt sich das nach dreizehn Jahren als »Mister Hertha« aus sicherer Distanz an. Er hängte damals noch ein kurzes Intermezzo als Manager beim VfL Wolfsburg dran, beendete dann sein Fußballleben und gründete eine Unternehmensberatung. Sein Pokalfinale mit dem blutenden Turban lebt derweil in der Erinnerung der Fans weiter: In der Wilden Liga Bielefeld spielte sogar mal eine Hobbymannschaft mit dem martialischen Namen »Dieter Hoeneß Hirnverband«.