Jürgen Kohler

Ein Fußballgott lässt ManU verzweifeln

Nach einem 1:0-Sieg im Hinspiel hatte der BVB am Mittwoch, dem 23. April 1997 in Old Trafford die Chance, gegen Manchester United den Einzug ins Champions-League- Finale perfekt zu machen – und sie gewannen erneut mit 1:0. Jürgen Kohler trug in einem seiner besten Spiele überhaupt maßgeblich zu dem Erfolg bei:

»Ein 1:0 in einem Hinspiel ist ein Polster, aber kein dickes. Wir fuhren wild entschlossen nach Manchester und wollten unbedingt ins Finale einziehen. Allerdings waren wir stark ersatzgeschwächt, Sammer, César, Sousa und Freund fehlten, und auch ich war zuerst nicht im Kader – offiziell wegen einer Magen-Darm-Grippe. In Wirklichkeit hatte meine Frau aber am Tag zuvor eine Fehlgeburt erlitten, ich war im Krankenhaus, um mich zu verabschieden. Nur Ottmar Hitzfeld wusste davon, alle anderen kannten lediglich die offizielle Version. Meiner Frau ging es körperlich wieder ganz gut, und so sagte sie abends zu mir: ›Das ist ein wichtiges Spiel, flieg nach Manchester und spiel!‹

Mittwoch früh nahm ich also eine Maschine nach Manchester, legte mich noch einige Stunden schlafen, nachmittags ein Stück Kuchen und einen Kaffee – und dann ging’s ins Stadion. Wenn meine Frau nicht ihr Einverständnis gegeben hätte, wäre ich natürlich zu Hause geblieben, insofern hat auch sie ein Stück zum Sieg beigetragen. Ich war nun wild entschlossen, alles zu geben – und das ist eine wichtige Voraussetzung, denn nur wenn man etwas wirklich will, dann schafft man es auch. Eine meiner Stärken ist zudem, dass ich mich gut genau auf den Punkt konzentrieren kann.

Wir waren perfekt auf den Gegner eingestellt, ich kannte meinen Gegenspieler Eric Cantona genau, nicht nur dank Hitzfeld, sondern auch, weil wir Spieler selbst uns mit den Stärken und Schwächen unserer Gegner genau befasst haben. Das ist etwas, was heute im Fußball fehlt: Trotz moderner Analysen kommen die wichtigen, individuellen Informationen häufig nicht bei den Spielern an.

Wir standen gut und spielten eher defensiv, legten einen perfekten Start hin, Lars Ricken erzielte schon nach acht Minuten das 1:0. Danach folgte ein wütender Angriff der Engländer auf den nächsten. So Mitte der ersten Hälfte, als Andrew Cole von rechts zurück an die Fünfmeterraumgrenze passt, an Klos und Feiersinger vorbei und in meinen Rücken, sodass ich das Gleichgewicht verliere. An der Ecke des Fünfers bekommt Cantona den Ball, ich sitze quasi vor dem Tor, versuche mich noch möglichst groß und breit zu machen und hebe aus Reflex mein linkes Bein – und Cantona, frei vor dem fast leeren Tor, schießt es genau an. Danach kann ich noch zwei weitere Male auf der Linie klären, ob Glück oder Können, das sei dahingestellt. Einmal rette ich mit dem Kopf auf der Linie, einmal kann ich den Ball gerade noch vor dem einköpfbereiten Franzosen Cantona klären. Das Spiel muss für ihn wie ein Albtraum gewesen sein. Für mich war es vielleicht das Spiel meines Lebens, und das nach nur wenigen Stunden Schlaf und kaum etwas zu essen. Unsere Fans kürten mich daraufhin zum ›Fußballgott‹.

Auch heute noch fühle ich mich den Dortmunder Fans sehr verbunden, das war eine großartige Zeit beim BVB. Und dieses Spiel war einer der Höhepunkte. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich wusste, dass wir jetzt auch die Champions League gewinnen – wir hatten schließlich den Topfavoriten ManU rausgeschmissen.

v.l. Ryan Giggs, Juergen Kohler, Torwart Stefan Klos (Dortmund), Eric Cantona Champions League Halbfinale Manchester United - Borussia Dortmund 0:1

Wieder kein Tor – Jürgen Kohler und Stefan Klos klären gegen
Eric Cantona und Ryan Giggs.

Die wahren Gründe für mein Beinahe-Fehlen erfuhren meine Mitspieler erst nach und nach, und sie brachten mir eine unglaubliche Wertschätzung entgegen, die mit Geld nicht aufzuwiegen ist. Das Geld, das man als Fußballer verdient, ist ja schön und gut, aber was zählt, das sind die Erinnerungen.«

Jürgen Kohler: vom »Grobmotoriker« zum »Fußballgott«

Mannis Kommentar

Schiedsrichter Urs Meier pfiff ab, Enttäuschung raunte durch Old Trafford, Borussia Dortmund stand im Champions-League-Finale. Bei uns Radioreportern mischte sich in die Riesenfreude eine Portion Säuernis: Wir mussten das Spiel unter ultraschweren Bedingungen übertragen, eingepfercht in enge Sitze fummelten wir ständig an unseren ISDN-Übertragungskästen herum, weil wegen der Kinderkrankheiten der ISDN-Technik dreimal die Leitung zusammenbrach. So bekamen wir auch Jürgen Kohlers überirdische Rettungsaktion nur am Rande mit. Tja, der technische Fortschritt macht auch vor einem Halbfinale der europäischen Königsklasse nicht halt!

Plötzlich entstand Bewegung in der Kurve hinter dem rechten Tor: Hunderte von englischen Fans stürmten auf den Block der Dortmunder zu. »Ohje, jetzt gibt’s Randale«, seufzte ich, um dann freudig erstaunt den wahren Anlass der englischen Fan-Aktion zu registrieren. Sie stellten sich tatsächlich an den Zaun vor die Schwarz-Gelben und applaudierten! Nachdem die Dortmunder zunächst vor Schreck vergessen hatten, weiter »Jür-gen Koh-ler, Fuß-ball-gott!« zu rufen, jubelten sie zurück. Wir journalistischen Beobachter waren beeindruckt, ja fast gerührt: Das hatten wir dem harten Kern der Manchester-Fans nicht zugetraut.

Der »Kokser«, wie sie Kohler in Dortmund nannten, hätte die Szene auch genossen. Er war ohnehin ein Mann der Basis, und bei seinem herzerweichenden Tränenabschied vor dem Saisonfinale 2002 trug er nicht zufällig ein T-Shirt mit der Aufschrift »Danke Südtribüne«. Die Fans nahmen ihm ab, wenn er bekannte, Fußball aus Leidenschaft und nicht wegen des Geldes zu spielen. Sein Lieblingssatz war »Keine Sorge, Trainer, den pack ich«, und die Ankündigung setzte er auch meistens in die Tat um. So sind sie eben, die Waldhof-Buben. »Gegen Jürgen Kohler zu spielen, das ist, wie gegen eine Eisenstange zu treten«, schrieb die Welt. Fragen Sie Marco van Basten, Eric Cantona und Preben Elkjaer-Larsen!

Anfangs noch als »Grobmotoriker« verspottet, holte er als zuverlässiger Abräumer fast alle Titel, die im Fußball möglich sind: Weltmeister, Europameister, Champions-League- und UEFA-Cup-Sieger, deutscher und italienischer Meister. Nur auf der Zielgeraden lief es stockend: Matthias Sammer, vorher Mitspieler und dann BVB-Trainer, setzte ihn in der Meistersaison 2001/2002 oft zugunsten des 21-jährigen Christoph Metzelder auf die Bank. Und in seinem allerletzten Spiel für die Schwarz- Gelben, dem UEFA-Cup-Finale in Rotterdam gegen Feijenoord (2:3), holte er sich nach einer halben Stunde wegen einer Notbremse die Rote Karte ab.

Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn versuchte sich Kohler als Trainer. Was mit der deutschen U21 und dem MSV Duisburg durchaus respektabel begann, setzte sich dann aber mehr im unteren Segment – mit Stationen wie Wirges, Hauenstein, Alfter und A-Jugend Viktoria Köln – fort. Der »Kokser« Jürgen Kohler wird wohl nur als legendärer Abräumer auf dem Platz in Erinnerung bleiben.