Hermann Gerland

Mehr geht nicht – das Bayern-Triple 2013

Nicht jeder Trainer möchte Chef sein. Dem Bochumer Hermann Gerland bereitete das – im Wortsinne – Bauchschmerzen. Also feierte er als Co-Trainer die großen Triumphe. 2013 holte er an der Seite von Jupp Heynckes mit Bayern München das Triple. Mehr Erfolg geht als Vereinstrainer nicht. Hansi Flick wiederholte als Trainer in der Corona-Saison 2019/20 das Kunststück. Auch da war Hermann Gerland mit an Bord. Der »Tiger« erinnert sich an die »Erstauflage« 2013:

»Dieses Triple 2013 war für uns alle wirklich das Allergrößte. Da geht doch im europäischen Vereinsfußball nichts drüber. Diese Erfolge waren aber nur deshalb möglich, weil wir in der Saison das aus uns herausgeholt haben, was drinsteckte. Und weil wir von größerem Verletzungspech verschont blieben. Schon die Meisterschaft war ja eine Demonstration der Stärke von Neuer, Lahm, Dante, Müller, Schweinsteiger, Ribéry, Robben und Co. Die Ergebnisse waren teilweise unglaublich: 9:2 gegen den HSV, jeweils 6:1 gegen Stuttgart, Bremen und Hannover, 5:0 gegen Düsseldorf und noch mal Hannover 96. In dem Jahr haben wir nur einmal verloren, gegen Leverkusen, und viermal unentschieden gespielt, der Rest waren lauter Siege. Kein Wunder, dass wir schon am 28. Spieltag durch waren. Keine Rolle hat bei diesem Triumphmarsch gespielt, dass wir im Vorjahr dreimal Vize geworden sein, inklusive einer deprimierenden 2:5-Klatsche gegen Dortmund im Pokalfinale. Was mich aber bis heute ärgert, ist die Niederlage im Champions-League-Finale 2012 in München gegen Chelsea. Wir wollten gerade zu Hause nach elf Jahren mal wieder Champions-League-Sieger werden, waren drückend überlegen und mussten uns dann den Engländern im Elfmeterschießen beugen. Wenn es eine Gerechtigkeit im Fußball geben würde, hätten wir dieses Ding gewonnen.

Aber noch mal: Der Ärger über diese suboptimale Saison 2011/12 war nicht die Grundlage für das Triple. 2013 passte einfach alles. Und Jupp Heynckes war der ideale Trainer für diese Truppe. Der Teamgeist stimmte sowieso, was für ein solches Star-Ensemble ja nicht immer selbstverständlich ist. Und der Josef, wie ich ihn oft nenne, hat mit seiner Detailversessenheit die Basis für die Riesenerfolge gelegt. Er ist auch ein Weltmeister der Kommunikation und besitzt die seltene Fähigkeit, jedem im Team und im gesamten Stab das Gefühl zu geben, wichtig und unersetzlich zu sein. Jedem Physio, jedem Arzt, jedem Koch. Und nicht alle Gespräche waren einfach, wenn Arjen Robben mal nicht spielen durfte zum Beispiel.

Jupp Heynckes hat mich ja 1990 nach München geholt, und ich muss sagen, er hat permanent dazugelernt und ist im Laufe der Jahre auch wesentlich souveräner geworden. Ganz früher hatte er ja eine gewisse Verkniffenheit. Ich hab’ das bei der Party nach dem Champions-League-Sieg gegen Dortmund angesprochen, als ich ihn aufgefordert habe, locker zu sein, und habe hinzugefügt: ›Irgendwann kommt der Sensemann, du kommst in den Himmel, ich in die Hölle, aber heute müssen wir unbedingt die Sau rauslassen.‹

Schon nach dem Halbfinale gegen Barcelona, als wir die Katalanen in zwei Spielen insgesamt 7:0 weggehauen haben, hatte ich den Auftrag von der Mannschaft, ihn spätabends zum Feiern aus dem Hotelbett zu holen. Aber da sagte er mir: ›Ich bin kaputt, Hermann, ich muss schlafen.‹ Aber nach dem Finale gab’s keine Ausreden mehr.

Ich habe zu Jupp sowieso ein ganz besonderes, vertrauliches Verhältnis. Wir frotzeln uns auch gerne gegenseitig an. Als Abwehrspieler beim VfL Bochum war ich ja kein Kind von Traurigkeit. Der Schiri Ahlenfelder aus Oberhausen hat mal gesagt: ›Der Hermann, der tritt nicht nur auf alles, was sich bewegt, der tritt auch gegen Bahnschwellen.‹ Deshalb hab ich später bei den Bayern jedes Mal, wenn Heynckes in kurzen Hosen rumlief und man die Narben seiner Knieoperationen sehen konnte, charmant darauf hingewiesen, dass das Souvenirs von mir wären. Aber, ganz ehrlich, ich war schon unerbittlich als Verteidiger, aber nie bösartig und unfair.

Das Champions-League-Finale gegen Dortmund im Wembley-Stadion gewannen wir durch das Tor von Arjen Robben zwei Minuten vor Schluss mit 2:1. Die Dortmunder waren ein wesentlich stärkerer Gegner als Chelsea 2012, aber wir hatten eben das nötige Glück, sie kurz vor Schluss zu besiegen. Zum Triple fehlte dann noch der Pokalsieg. Den holten wir uns eine Woche später gegen den VfB Stuttgart. Das Endergebnis von 3:2 sieht eng aus, aber wir führten ja schon souverän mit 3:0 und haben am Ende etwas die Zügel schleifen lassen.

So bin ich also als Bochumer Junge mit den Bayern durch die großen Stadien gezogen und war bei legendären internationalen Spielen dabei. Ich bin ja ein Bergarbeiterkind und komme aus kleinen Verhältnissen. Ich weiß noch, wie ich im Fernsehen 1960 die erste Europapokal-Finalteilnahme eines deutschen Vereins gesehen habe. Eintracht Frankfurt verlor gegen das große Real Madrid mit 3:7. Und dann habe ich mir den Traum erfüllen können, mit dem besten deutschen Verein unmittelbar dabei zu sein. Ich bin und bleibe einer aus dem Ruhrpott und freue mich, dass ich jetzt wieder mit Leon Goretzka einen ›Gleichgesinnten‹ in der Mannschaft habe.

Ich habe in München mit zwei Dingen gepunktet: Erstens habe ich schon immer ein Auge für Talente gehabt. Das hat sich für die Bayern ausgezahlt, man kann sie gar nicht alle nennen, Müller, Schweinsteiger, Lahm, Alaba und und und. Und zweitens hab ich von Anfang an immer gesagt, was ich gedacht habe, immer geraderaus. Das gab manchmal Ärger, auch mit Uli Hoeneß, aber am Ende haben mir die Erfolge bei meinen Einschätzungen Recht gegeben. Ich habe jetzt noch einen Vertrag bis Mitte 2023. Ich möchte ja gerne wieder zurück nach Bochum, aber meine Frau sieht das anders – mal gucken, wer sich durchsetzt, es bleibt spannend.«

Hermann Gerland – ein Ur-Westfale bei den Bayern

Mannis Kommentar

Ich weiß noch, wie im Ruhrgebiet ein Geraune anhob, als Hermann Gerland 1990 als Trainer der zweiten Mannschaft zu den Bayern ging. »Wat will der Hermann bei dem Schickimicki-Club?«, regten sich alle auf. Und dokumentierten damit, dass sie die DNA der Bayern nicht in Gänze verstanden hatten. Selbstverständlich ist der »Branchenführer« eine Mischung aus Weltclub, Erfolgsfans, Schicki, CSU und elitärer Arroganz. Aber es kommt eben noch ein Schüppchen Bo­denständigkeit obendrauf. Die zwar manchmal durch die Millionenberge verschüttet scheint, dann aber immer wieder durchschimmert. Verkörpert auch durch manches, was der ansonsten durchaus kritikwürdige Uli Hoeneß dem Erscheinungsbild der Bayern hinzugefügt hat. Deshalb überrascht keineswegs, dass es Hoeneß war, der den Ur-Bochumer Gerland nach München geholt hat. Das hat er aber ganz bestimmt nicht in erster Linie deshalb getan, weil der Hermann so ein geerdeter Typ ist. Wichtigstes Kriterium dürfte eine Eigenschaft Gerlands gewesen sein, die sich damals schon in der Branche herumgesprochen hatte: Hermann Gerland hat ein nahezu unglaubliches Auge für Nachwuchsspieler, und er ist in der Lage, die jungen Spieler optimal zu fördern und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Neuerdings fällt ihm auf, was für ein »wahnsinniger Linksfuß« sein Enkelkind Paul (geboren 2016) ist. Da geht’s aber garantiert noch nicht um eine Karriere im Profifußball.

Gerlands Blick für Details beweist die Geschichte, wie er einmal gemeinsam mit seiner Frau Fernsehen schaute und diese beiläufig fragte: »Ist dir bei Kai Pflaume was aufgefallen?« Frau Gerland war nichts aufgefallen. »Dem fehlt die Fingerkuppe am rechten Zeigefinger.« Der Hermann sieht so was. Dieser präzise Blick hat den Bayern-Bossen gefallen. Aber sie mochten ihn auch als Typen.

Gerland stammt aus einer Bergarbeiterfamilie mit vier Kindern, in der der Vater schon früh mit 39 Jahren nach einem Herzinfarkt starb. Hermann war damals neun, sein jüngster Bruder zwei Jahre alt. In Gerlands Leben ging es danach viel ums Kämpfen und Sich-Durchschlagen. Mit brennendem Ehrgeiz verfolgte er den Plan, Profifußballer zu werden. Vieles auf dem steinigen Weg nach oben spielte sich damals auf den roten Ascheplätzen im Ruhrrevier ab. Was unter anderem nach manchen Spielen dazu führte, dass seine Oma in der Badewanne mit der Nagelbürste die hartnäckige Asche abschrubben musste, die sich unter der Haut festgesetzt hatte. Ein Aufsteiger aus dem Revier, eine ehrliche Haut, die mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berge hält, einer, der die alten Tugenden wie Höflichkeit und Ordnung pflegt – aus solchem Holz sind Menschen geschnitzt, die Uli Hoeneß besonders schätzt. Immer vorausgesetzt, sie bringen überragende fachliche Qualitäten mit, und daran gab es nie Zweifel bei Hermann Gerland. Zwar nicht als Cheftrainer; bei den Führungsjobs in Bochum, Nürnberg und Bielefeld handelte er sich Magenprobleme und schlaflose Nächte ein. Aber immerhin: Mit dem VfL Bochum erreichte er 1988 das Pokalfinale. Seine wahre Bestimmung fand er erst bei den Bayern: in der zweiten Reihe mit starkem Bezug zum Nachwuchs, seit 2017 auch als Leiter des piekfeinen, 70 Millionen Euro teuren Nachwuchsleistungszentrums.

Zurückhaltend reagiert Hermann Gerland auf die Frage, ob München denn in all den Jahren nicht sowas wie seine Heimat geworden ist. »Es fehlt mir hier an nichts«, lautet dann seine Standardantwort, »aber meine Heimat ist Bochum. München ist mein jetziges Zuhause.« Wahrscheinlich käme eine solche Aussage auch von vielen eingeschworenen Kölnern, Leipzigern oder Hamburgern. Es kann aber auch sein, dass die Bindung zum Ruhrgebiet und seinen Menschen für den gebürtigen »Ruhri« noch eine Ecke ausgeprägter ist als in anderen Gegenden. Das mag mit dem großen Zusammenhalt der Kumpels zusammenhängen, der im Bergbau sogar lebenserhaltend war und der sich über die Generationen fortgesetzt hat. Vielleicht hat auch der Niedergang von Kohle und Stahl die Menschen zwischen Rhein und Ruhr enger zusammenrücken lassen. Vielleicht ist das alles aber auch nur ein übertrieben sentimentaler Zugang zum Thema Heimat. Fest steht allerdings, dass die Menschen im Ruhrrevier eine besondere Chemie verbindet: beide Füße auf dem Boden, die Direktheit in der Ansprache, eine gewisse Schlitzohrigkeit, keine Vertrauensseligkeit »aus dem Stand« und die Abneigung gegen alles Falsche und Aufgesetzte. Ausnahmen und Arschlöcher gibt es selbstverständlich auch hier.

Den Ruhrgebietler zieht es immer wieder nach Hause. Hermann Gerland verbrachte bei einem weihnachtlichen Besuch in der Heimat drei Stunden in einer Metzgerei, um dem herzlichen und vertraulichen Umgang miteinander und mit dem 75 Jahre alten Seniorchef zuzuschauen. Und beinahe hätte er es geschafft, seine Frau kurz vor der Entbindung einer der drei Töchter von Nürnberg nach Bochum zu chauffieren, damit später der »richtige« Geburtsort im Ausweis steht. Vielleicht findet der Bochumer ja irgendwann wieder auf Dauer nach Hause. Dort befindet sich ja auch der Bauernhof mit Pferdezucht, mit dem sich Hermann Gerland einen Herzenswunsch erfüllt hat. Leider sterben die Kumpels von früher allmählich weg, und das ist nun mal der wesentliche Kitt, der den Westfalen im Dienste der Bayern mit Bochum verbindet.