12.

Nordamerika, 1863

Es regnete und stürmte den ganzen Tag, auch am nächsten Tag besserte sich das Wetter nicht. Ferdinand war die Flucht aus dem Yankeelager bei Falmouth geglückt, als er zum Zelt gelaufen war. Jetzt ritt er auf seinem Pferd über tief verschlammte Wege nach Norden. Das Wasser sickerte in seinen Kragen und lief ihm den Rücken hinunter. Sein nächstes Ziel war die Stellung der 11. Division, in der vor allem deutsche Einwanderer dienten. Ferdinand hoffte, von den Landsleuten freundlicher aufgenommen zu werden als vom raffgierigen Butterfield.

Mehr als eine Million Deutsche lebten in jenen Jahren in den USA. Viele von ihnen waren nach der niedergeschlagenen Revolution 1848 aus der alten Heimat nach Nordamerika ausgewandert, weswegen man sie Forty-Eigthers nannte: die Achtundvierziger. Hier konnten sie den Kampf für Freiheit und Einheit fortsetzen, und der überwiegende Teil schloss sich den Nordstaaten an. In Amtsstuben wurde ausgerechnet, dass jeder zehnte Soldat im Sezessionskrieg deutsche Wurzeln hatte. Sie fanden sich meist zu deutschen Einheiten zusammen, da waren sie unter ihresgleichen und konnten die vertraute Sprache sprechen, während in den anderen Einheiten Englisch gesprochen wurde. Nicht nur das: Die Deutschen waren überzeugt, dass ihre Offiziere besser

Im Lager der 11. Division legte Ferdinand das Schreiben des württembergischen Königs vor, wodurch er glaubhaft versicherte, im Auftrag von König Wilhelm zu reisen, und der war ja nicht irgendjemand. Tatsächlich lud man ihn zu einem Treffen mit Generalmajor Karl Schurz ein, jenem Schurz also, der in der alten Heimat einen legendären, wenn auch zweifelhaften Ruf genoss. Schurz hatte anno 1850 den Revolutionär Gottfried Kinkel aus dem Zuchthaus Spandau befreit. Beide waren nach Mecklenburg und dann über Rostock mit einem Schiff nach Großbritannien geflohen, von dort aus siedelte Schurz in die USA über und machte als Vertrauter Lincolns in der Unionsarmee Karriere.

Der dunkelbärtige General Schurz – mit Umhang und Fellmütze gewandet wie ein Trapper auf Biberjagd – umarmte Ferdinand zur Begrüßung herzlich im Courthouse von Fairfax, wo er mit deutschen Offizieren zu Tisch saß. Man speiste Schweinshaxen mit Sauerkraut und debattierte über die von Oberbefehlshaber «Fighting» Joe Hooker bevorstehende Großoffensive der Unionstruppen, bei der man die Nord-Virginia-Armee des Südstaaten-Generals Robert Lee vernichten wollte. Die Offensive war jedoch wegen der Regenfälle, die den Rappahannock in einen reißenden Strom verwandelt hatten, aufgeschoben worden.

Nach dem Essen verlangte die Tischgesellschaft zur Verdauung nach einem alkoholhaltigen Magenaufräumer. Schurz bedauerte, der Digestif sei ausgegangen, er erwarte aber jeden Moment eine Lieferung mit Nordstaaten-Whiskey. Die Offiziere blickten zur Wanduhr, trommelten mit

Als Ferdinand sich umdrehte, sah er Rasdingens in der Tür stehen, unter jedem Arm eine Holzkiste, grinsend wie ein Frosch, der eine fette Fliege verschlungen hatte. Als auch Rasdingens Ferdinand erkannte, verging ihm das Grinsen. Ferdinand verspürte den starken Drang, den diebischen Russen auf den Kopf zu stellen, um die Briefe aus ihm herauszuschütteln. Allerdings würden Schurz und die anderen Offiziere dann von dem Brief erfahren, den die Nichte von General Lee geschrieben hatte, der unter den Anwesenden ja beliebt war wie Durchfall.

Man nahm Rasdingens die Kisten ab. Darin lagen die bernsteinfarbenen Schätze: je ein halbes Dutzend Flaschen ohne Etiketten. Whiskey wurde ausgeschenkt, und schnell hob sich die Stimmung in dem Maße, in dem sich die Flaschen leerten. Ein Lied, das Ferdinand schon in Falmouth gehört hatte, wurde angestimmt: But now I vas a sojer been, to save de Yankee eagle, to schlauch dem Tam secession volks, I’m going to fight mit Sigel … Bei jeder Erwähnung des Namen Sigel stießen die Offiziere die Becher zusammen. Sigel war ebenfalls ein Forty-Eighter. Unter Präsident Lincoln hatte er eine steile militärische Karriere hingelegt und war bis zum Kommandierenden General aufgestiegen. Sigel hatte Zigtausende deutsche Einwanderer als Freiwillige für das Heer angeworben, die – vermutlich unter dem Einfluss

Ferdinand hielt sich beim Whiskey zurück und nahm Rasdingens, den man zum Mittrinken nötigte, in den Blick. Der Russe, eingeholt vom schlechten Gewissen, schielte zur Tür, vermutlich um den günstigsten Moment zur Flucht abzupassen. Und dann, als fast alle Flaschen leer und die Offiziere unter den Tisch gesunken waren, sprang Rasdingens auf und sprintete zur Tür wie ein Ladendieb. Doch Ferdinand war schneller, packte Rasdingens am Kragen und verlangte die Herausgabe der Briefe. Rasdingens versuchte gar nicht, die Tat zu leugnen, sondern warb um Verständnis: Er sei mit den Briefen über den Rappahannock rüber und habe den Grauröcken den Whiskey zu einem Spottpreis abgeluchst; der Brief der Lee-Nichte habe ihm Tür und Tor geöffnet, ebenso der Brief Lincolns, als Rasdingens mit dem Whiskey – die Etiketten habe er zur Verschleierung der Herkunft abgelöst – rechtzeitig vor dem großen Regen wieder auf diese Seite des Rappahannock gewechselt sei. Natürlich habe er Ferdinand die Briefe gleich im Anschluss an den Whiskeyschmuggel zurückgeben wollen.

Ferdinand glaubte ihm kein Wort.

Rasdingens trug die Briefe unterm Mantel bei sich. Sie waren zerknickt und von Feuchtigkeit gewellt, die Worte aber noch zu entziffern. Er bot Ferdinand an, einen

«Wie bitte – blöde Yankees?», rief eine Stimme. Hinter dem Tisch ploppte General Schurz’ Kopf hoch wie ein Steinpilz im warmen Herbstregen, seine Mütze war verrutscht, der Bart mit Spuren von Whiskey, Schweinefett und Sauerkraut verklebt. «Der verdammte Russe dreht uns das Zeug von den Südstaatlern an. Das heißt ja im Umkehrschluss: Wir finanzieren die Waffen, mit denen sie uns abknallen. Und Sie, Oberleutnant von Zeppelin, stecken mit dem Halunken unter einer Decke. Ihr kommt beide vors Kriegsgericht. Wachen!»

Die Tür flog auf. Zwei blutjunge Soldaten stürmten herein, und Schurz befahl ihnen, die Verbrecher ins Loch zu stecken. Als sie abgeführt wurden, gelang es Ferdinand, die letzte noch ungeöffnete Whiskeyflasche unbemerkt einzustecken. Das Durcheinander war nüchtern ja nicht zu ertragen.

 

Für den Whiskey sollte sich aber noch ein anderer Verwendungszweck finden. Die beiden Soldaten, die Rasdingens und Ferdinand hinter eine schwere Eisengittertür im Jailhouse sperrten, waren nämlich bestechlich. Sie waren jung und unerfahren und vom Warten aufs Kampfgeschehen zermürbt. Auch waren sie nicht gut auf ihre Heeresleitung zu sprechen, die im Courthouse Whiskey trank und Schweinebraten und Sauerkraut speiste, während die beiden Soldaten im Regen Wache schieben mussten. Sie waren übrigens Brüder, Knut und Heinz Burwitz; ihre Eltern waren vor

Ferdinand erzählte ihnen von seinen eigenen Vorfahren, die aus einem mecklenburgischen Kuhkaff namens Zepelin stammten. Trinkfeste Herrschaften seien das gewesen, die alten Zepeliner, es würde ihn wundern, wenn Vorpommern wie Knut und Heinz Burwitz mehr Schnaps vertrügen als Mecklenburger. Das konnten Knut und Heinz nicht auf sich sitzen lassen. Aufbrausend und von jugendlicher Hitze durchströmt, berichteten sie, wie sie von ihren Eltern mit Schnaps und Bier aufgezogen worden seien wie andere Kinder mit Muttermilch. Das Trinken liege ihnen also im Blute, sie würden es mit jedem lausigen Mecklenburger aufnehmen. Nur leider säßen sie, was den Alkohol betreffe, derzeit auf dem Trockenen.

Der Missstand könne behoben werden, verkündete Ferdinand und zauberte die Whiskeyflasche hervor: «Dreht mal ’ne Runde um die Häuser, Jungs, und lasst den Schlüssel hier in dieser Eisentür stecken.»

Der Regen hatte nachgelassen, sogar der Mond schaute zwischen Wolkenfetzen hervor. Als die Brüder Burwitz nach einer Weile zurückkehrten, stand die Zellentür offen und auf dem Boden der leeren Zelle die Whiskeyflasche, lockend wie eine Dirne im bernsteinfarbenen Unterrock.

 

Eigentlich wollte sich Ferdinand sofort von dem Russen trennen. Als sie die Straße hinunterliefen zu dem Stall, in dem sein Pferd stand, bat Rasdingens jedoch, ihn begleiten zu dürfen, und bot an, ihn nach Minnesota zu führen.

«Was soll ich in Minnesota? Das ist doch fast schon in Kanada, Hunderte Kilometer weg von hier.»

«Fahren! Man sagt: in einem Ballon fahren.»

«Meinetwegen. Also, ich habe mal gehört, dass in Minnesota ein Professor lebt, ein berühmter Aeronaut, der Ballone fürs Militär erfindet.» Am anderen Ende der Straße war Lärm zu hören. Ferdinand sah einige Gestalten aus dem Gefängnis kommen, deren Schatten im Mondschein auf der Straße umherhuschten. «Aha, und würde mich dieser Professor in einem Ballon mitfahren lassen?»

«Aber selbstverständlich! Mir wird bestimmt etwas einfallen, ihn zu überzeugen, dass er Sie mitnimmt.» Der Lärm wurde lauter. Die Gestalten kamen jetzt in ihre Richtung gerannt, und Ferdinand musste schnell eine Entscheidung treffen.

 

Ferdinand schreckte aus dem Traum hoch, der ihn verfolgte, seit er und Rasdingens nach der Flucht aus Fairfax in den Wäldern und Sümpfen am Mississippi zwischen Arkansas, Iowa und Wisconsin unterwegs waren. Sein Herz raste, das Hemd klebte ihm schweißnass auf der Haut. Er lag auf dem Fußboden in einem Zimmer des Hotels International, weil er schon wieder aus dem Bett gefallen war. In seinem Traum war er in einem Ballon über endlose grüne Urwälder geschwebt, ein Spielball der Launen des Windes, mal hierhin, mal dorthin, bis mit einem Mal über einem breiten Fluss die Ballonhülle platzt. Der Ballon taumelt vom Himmel herab wie ein toter Vogel, stürzt auf die Steine zu, die aus den Fluten ragen. Der Korb streift Baumwipfel und über den Fluss hängende Äste, der Korb kippt – und dann wird Ferdinand hinausgeschleudert und fällt ins Wasser … und an der Stelle

 

Allmählich glitt der Albtraum von ihm ab. Er saß auf dem Fußboden des Hotelzimmers in der Stadt Saint Paul in Minnesota, in dem er vor ein paar Tagen abgestiegen war. Es war ein schlichtes, aber effektiv eingerichtetes Zimmer: Schrank, Stuhl, Tisch, Waschschüssel und ein Bett, in dem man versank wie in einer mit Morast gefüllten Grube.

Durch die von der Sonne ausgebleichten Vorhänge schimmerte Tageslicht. Ferdinands Herzschlag beruhigte sich, und die Gedanken an den abstürzenden Ballon verloren ihre Dramatik, als er sich erinnerte, welcher Tag heute war. Er machte ein paar Dehnübungen, um seine steifen Glieder zu lockern, und wusch sich über der Wasserschüssel den Schlaf aus dem Gesicht.

Wochenlang waren Rasdingens und er dem Lauf des Mississippis stromaufwärts durch Nordamerika gefolgt. Rasdingens hatte in Fairfax die Wahrheit gesagt. In Saint Paul lebte tatsächlich ein Aeronaut, und zwar ein gewisser Professor John H. Steiner. Als Rasdingens erfuhr, dass der Professor russische Vorfahren hatte, stellte er sich ihm als entfernter Verwandter vor. Das sei, behauptete Rasdingens, nicht außergewöhnlich, denn in Russland sei fast jeder irgendwie mit jedem verwandt. Der Professor war zunächst einmal ziemlich sprachlos: «Rasdereshin? Rasdereshin? Nie gehört.» In einem Exkurs blätterte Rasdingens schnell einen Katalog mit namhaften Persönlichkeiten der russischen Historie auf – vom ersten ostslawischen Großreich über die Mongolenherrschaft bis hin zu Zarentum und Kaiserreich. Dabei dröselte er die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihm und dem Professor so

Leider war Rasdingens wenig später ein Opfer des modernen amerikanischen Verkehrswesens geworden. Ferdinand trauerte sehr um den Russen, der ihm während der Reise ein treuer Freund geworden war. Sie waren durch vor Feuchtigkeit dampfenden Dschungel gekrochen, waren von Krankheit und Auszehrung gezeichnet, von Bären, Wölfen und Raubkatzen gejagt, von giftigen Insekten gestochen und von Indianern mit Pfeil und Bogen angegriffen worden. Sie waren bis zum Hals in stinkenden Sümpfen versunken, waren von rauschenden Stromschnellen mitgerissen und von oberschenkeldicken Würgeschlangen fast zerquetscht worden. Sie hatten sich von Ratten und behaarten Spinnen ernährt und wären vor Hunger beinahe wahnsinnig geworden. Ja, alle diese Torturen hatten sie zusammen durchgestanden. Sie waren füreinander da gewesen, und dann war Rasdingens wenige Tage nach ihrer Ankunft in Saint Paul während der Hauptverkehrszeit auf einer belebten Straße über ein Gleis gestolpert und von den Rädern einer Pferdebahn überrollt worden. Dabei war er nicht mal betrunken gewesen, sondern im dichten Gewühl der Kutschen, Bahnen, Karren, Reiter, Fußgänger und herumlaufenden Schweine mit dem Fuß hängen geblieben. Das war’s. Er hatte einen Ozean überquert, hatte Whiskey geschmuggelt, war Nord- und Südstaatlern entwischt, hatte die Hölle des Urwalds überlebt und einen Professor von ihrer angeblichen Verwandtschaft überzeugt. Und nun: Ende. Aus. Vorbei.

Ferdinand trocknete seine Augen, zog sich an und machte sich auf den Weg zum ersten Ballonaufstieg seines Lebens.

 

Ferdinand schob sich durch die Menge vor bis zum Professor, der die Befüllung des Ballons überwachte. Er war ein kleiner, dicklicher Mann mit krummer Nase, runden Wangen und großen Händen. Sein langes graues Haar hatte er zu einem Schwänzchen gebunden, und obwohl er aussah, als schlafe er gleich ein, waren seine Augen scharf und strahlend. Ferdinand überlegte, an wen ihn der Aeronaut erinnerte. Vielleicht an den Blasebalgflicker Hans Pfaall, so wie er ihn sich in seiner kindlichen Fantasie vorgestellt hatte?

Professor Steiner sprach Ferdinand sein Beileid für den Tod des Freundes aus, den er selbst gerne besser kennengelernt hätte. Schließlich begegne man nicht jeden Tag einem unbekannten Verwandten, und dann noch einem aus dem russischen Kaiserreich. Dann wuselte der Professor, eine qualmende Pfeife im Mundwinkel, um den Ballon, erteilte den Helfern an den Halteseilen Anordnungen, drängte Schaulustige zurück, prüfte den Füllstand der Ballonhülle und hantierte mit Geräten zur Messung von Windstärke und Windrichtung. Ferdinand vermisste sein Vidie-Barometer, mit dem er nachher in der Luft die Höhe hätte bestimmen können, und wünschte Butterfield die Krätze an den Hals.

Als der Ballon bereit war, kletterten Professor Steiner und Ferdinand in die Gondel. Die Seile wurden gelöst, und der Ballon stieg majestätisch empor. Die Menge auf der Wiese verstummte in Andacht und Ergriffenheit, und als der Ballon sich einmal um die eigene Achse drehte und dann höher in die Luft hinauffuhr, wurde unten Geschrei laut, das zu Gekreische anschwoll.

Professor Steiner warf Ballast ab, dann zog er an einer Schnur, die mit einem Ventil am Ballon verbunden war, und verkündete, sie hätten nun eine Höhe von siebenhundert Fuß erreicht.

Ferdinand beugte sich vor, die Hände am Rand der Gondel festgekrallt, und blickte zur Erde hinab. Die Dächer und Kirchtürme von Saint Paul waren Spielzeugklötzchen, die Schaulustigen ein pulsierender Fleck aus Ameisen, und in der Ferne war das Land unendlich.

«Eine gute Höhe zum Rekognoszieren», erklärte der Professor im sachlichen Ton eines Aeronauten, der schon Dutzende Male aufgestiegen war.

Ferdinand zeigte auf einen Höhenzug. «Zwischen den Hügeln könnte eine Armee ihre Truppen in Stellung bringen, um das Tal zu verteidigen. Die Angreifer würden die Truppen nicht sehen und in die Falle marschieren.»

«Ja, kein Turm und kein Berg wären hoch genug, um die versteckte Batterie rechtzeitig auszukundschaften», bestätigte der Professor.

«Dies wäre nur vom Ballon aus möglich. Kein feindliches Manöver, keine Finte, bei der Frontlinien umgangen werden

«Aber die Lufthoheit wird man nur haben, solange der Wind mitspielt», gab Professor Steiner zu bedenken.

«Der Wind ist der Unsicherheitsfaktor. Er kann eine Rekognoszierung unmöglich machen, wenn er den Ballon in die falsche Richtung treibt, bevor man dem eigenen Heer Meldung machen kann …»

«Jawohl», rief der Professor. «Und deshalb wird nicht derjenige, der den Ballon hat, den Krieg gewinnen, sondern derjenige, dem es zuerst gelingt, dem Ballon seinen Willen aufzuzwingen. Wer ihn lenkbar macht, indem er einen Antrieb erfindet, der den Ballon in die gewünschte Richtung treibt, der wird die Luft beherrschen.»

«Die Frage ist – womit könnte man einen Ballon antreiben? Mit Motor und Schraube wie beim Dampfschiff? Sollte man also den Ballon zu einem Luftschiff machen?»

Der Professor schüttelte den Kopf. «Nein, nein, derartige

Ferdinand starrte den Professor an, als wüchsen ihm Pfauenfedern aus den Ohren. «Sie meinen ernsthaft, der Mensch wird eines Tages fliegen wie ein Vogel? Wie Störche oder Möwen oder Ikarus? Mit Flügeln, Schwanzfedern und so? Entschuldigen Sie bitte, Herr Professor, das erscheint mir recht unwahrscheinlich.»

«Natürlich wird der Mensch nie fliegen wie ein Vogel, werter Freund, da haben Sie mich falsch verstanden. Was ich meine ist: Der Mensch wird mit den Vögeln fliegen.»

«Ähm, aha …», machte Ferdinand irritiert. Für einen Moment befürchtete er, der Ballon wäre bereits in so hohe Sphären aufgestiegen, in denen die Luft sehr dünn war, dass der Professor fantasierte. Aber nein, ein Blick zum Erdboden bestätigte, dass sie nach wie vor in einer Höhe von etwa siebenhundert Fuß schwebten.

«Ich bin kurz nämlich davor, dieses Problem zu lösen – und zwar mit dressierten Weißkopfseeadlern», erklärte der Professor. «Genauso wie Pferde eine Kutsche ziehen, werde ich meine Adler in einem Joch aus Leder und Fischbein vor den Ballon spannen. Den Adlern werde ich Schnüre am Kopf befestigen, mit denen ich ihnen wie mit Zügeln die gewünschte Flugrichtung diktiere.»

Der Professor beschrieb mit der Hand eine ausholende Bewegung, als umfasse er die ihnen zu Füßen liegende Welt: «Glauben Sie mir, junger Graf, durch meine von Adlern gelenkten Ballone wird dieser Krieg bald beendet sein – und die Zukunft der Luftfahrt, sie gehört den

Aber da hörte Ferdinand schon nicht mehr zu. In seinem Kopf war nur Platz für einen Gedanken: Er sah sich selbst in einem Ballon durch die Luft fahren, und der Ballon wurde angetrieben durch eine gewaltige Schiffsschraube. Und so fuhr er dahin unter einem blauen Himmel über grüne Wälder und übers blaue Meer; es war eine Symphonie der Farben, ein prächtiges Gemälde der Welt, dieser schönen, von oben betrachteten Welt.