Ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann
Geschmeidig bewegt die blonde Frau auf der kleinen Bühne ihren schlanken Körper im Takt der Musik. Gierig verfolgen Mischas Augen jede ihrer katzengleichen Bewegungen. Er leckt sich über die trockenen Lippen und nimmt noch einen Schluck des völlig überteuerten Biers. Schon wieder leer. Die junge Frau beugt sich vor. Ihre prallen Brüste sehen aus, als wollten sie jeden Moment aus der engen Lackcorsage hüpfen. Mischa wüsste zu gern, wie sie sich anfühlen, doch er will sich keinen Ärger einhandeln. Anschauen, nicht anfassen.
Das ist im Dancing Cat
die goldene Regel. Jedenfalls, wenn man nicht zum inneren Kreis gehört, denkt er sich.
»Na? Noch ein Bier, Mischa?« Charlene stellt das leere Glas auf ihr Tablett und setzt ein neues vor ihm ab, ohne seine Antwort abzuwarten. »Sie gefällt dir, unsere Neue, was?«
Mischa nickt eifrig. Seit einer Woche ist er jeden Abend hier, weil er weiß, dass sie tanzt. Eigentlich wäre es besser, eine Weile unterm Radar zu fliegen, bis er das Geld aufgetrieben hat. Aber was soll man machen? Die Kleine hat es ihm angetan. Und schönen Frauen konnte Mischa noch nie widerstehen, schönen Frauen und Glücksspielen. Er seufzt, nimmt noch einen Schluck, versucht, den Gedanken beiseitezuschieben. Das Bier schmeckt.
Charlene beugt sich zu ihm vor, ganz nah an sein Ohr, so nah, dass es kitzelt, als sie leise hineinspricht. »Wenn du willst, kann ich da was für dich klarmachen. Möchtest du das?«
Mischa weiß, dass Charlene und einige der anderen Mädchen sich auch als Escort noch etwas dazuverdienen. Er nickt eifrig und denkt dabei, dass es so sicher nichts werden kann mit dem Geld. Aber was will man da machen? Er hat nun mal echt eine Schwäche für dieses Mädchen. Wegen des Geldes wird ihm schon was einfallen. Er hat bisher noch immer den Kopf irgendwie aus der Schlinge ziehen können. Mischa spürt, wie Charlene ihm etwas in die Jackentasche steckt. Wahrscheinlich eine Visitenkarte oder einen Zettel mit einer Telefonnummer von dem Escortservice.
»Um elf hat sie Schluss. Frag einfach nach Pamela und sag, dass du den Special Service buchen möchtest.«
Mischa nickt und lächelt zufrieden. Sein Blick gleitet hungrig an den langen Beinen aufwärts. Er zwinkert dem Mädchen zu und nimmt noch einen Schluck Bier. Die Vorfreude macht durstig. Wie Pamela sich bewegt! Ungeduldig schaut er auf die Uhr. Bis elf dauert es für seinen Geschmack noch viel zu lange, aber er genießt es, die Auslage schon einmal genau in Augenschein zu nehmen und sich auf später zu freuen.
Er zuckt zusammen, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legt und eine tiefe, ihm nur allzu bekannte Männerstimme neben ihm ertönt.
»Karotte! Na? Pass auf, dass dir die Augen nicht rausfallen.«
»Bruno, alte Granate! Wie geht’s dir?« Mischa versucht sich an einem unbeschwerten Lachen. Doch er beäugt Bruno genau. Der scheint guter Dinge zu sein. Vielleicht muss sich Mischa doch keine Sorgen machen.
»Scharfes Teil, unser Neuzugang, nicht?« Bruno lässt sich auf den Barhocker neben ihm fallen und winkt Charlene heran. Er fasst ihr an den Hintern. »Mach uns noch mal zwei Pils fertig, ja?«
»Ich dachte, du wärst gar nicht in der Stadt.« Mischa versucht, seine Unsicherheit mit betonter Lässigkeit zu überspielen. Hätte er gewusst, dass Witkowsky wieder in Hamburg ist, hätte er das
Dancing Cat
mit Sicherheit gemieden. Bruno und Rocco sind schließlich richtig dicke miteinander. »Schnitzel-Paul sagte, du wärst unterwegs.«
»Richtig. Ich hatte was für den Hengst zu erledigen. Aber jetzt bin ich zurück. Und wen treff ich da? Meinen guten alten Kumpel Karotte.«
»Nenn mich nicht so! Ich kann das nicht leiden.« Mischa denkt, er sollte lieber die Klappe halten, doch den Spitznamen hasst er nun einmal. Was will man machen? In der Schule hat er dafür mal jemandem den Atlas über den Kopf gehauen. Wenn man ihn »Karotte« nennt, sieht er eben rot – und nicht wegen seiner Haare.
Bruno lacht. »Du musst dringend gechillter werden. Wenn dich so ein blöder Spitzname schon aus der Fassung bringt …« Er lehnt sich zu ihm, sodass Mischa seinen Arm an der Schulter spüren kann, und setzt etwas leiser hinzu: »Unser gemeinsamer Freund hat nach dir gefragt. Er vermisst dich im
Horseshoe
, sagt, du bist einer seiner besten Kunden.«
»Ja, ich … ähm, brauchte mal eine Auszeit, weißt du?«, stammelt Mischa verunsichert. »Habe es in letzter Zeit wohl etwas übertrieben und eine kleine Pechsträhne gehabt. Aber du kannst Rocco sagen, er braucht sich um das Geld keine Sorgen zu machen, ich krieg das hin.«
»Das glaube ich dir, mein Lieber.« Bruno lächelt und nickt, doch in seinem Blick liegt etwas Bedrohliches. »Aber was würde Rocco wohl dazu sagen, wenn er wüsste, dass du offenbar Geld hast, um in meinem Club hochpreisiges Bier zu trinken und die Mädels anzugaffen und – wenn ich die kleine Tuschelei mit Charlene gerade richtig gedeutet habe – womöglich auch mehr als das?«
»Ich … äh, ich schätze, Rocco wäre ziemlich sauer?«, stottert Mischa und stürzt den Rest seines Biers hinunter, bevor Charlene ihnen jeweils ein neues Glas hinstellt. »Deswegen denke ich, du wirst es ihm nicht erzählen, oder?«
»Hör zu, Karotte, ich mag dich. Bist wirklich ein netter Junge.« Bruno tätschelt in einer fast väterlichen Geste seine Hand. »Trotzdem würde ich deinetwegen keinen Ärger mit Rocco riskieren. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
»Ja, natürlich, sicher, klar. Versteh ich«, nuschelt Mischa. Ein ungutes Gefühl macht sich in seiner Magengrube breit, als hätte er ein Tier verschluckt, das nun verzweifelt versucht zu entkommen. »Sag Rocco, er kriegt das Geld. Ganz bestimmt!« Mit einem Mal denkt Mischa überhaupt nicht mehr an das, was diese Pamela mit ihm veranstalten könnte. Er denkt daran, was Rocco mit ihm tun wird, wenn er erfährt, dass er weit davon entfernt ist, sich das Geld zu beschaffen, das er ihm schuldet. Er denkt an Roccos Männer. An »Rosen-Kalle«, der nicht etwa so heißt, weil er ein Faible für Blumen hat, sondern weil er so geschickt mit der Rosenschere ist. Er denkt an den durchgeknallten Bela, den alle nur den »Chirurgen« nennen. Und an Konstantin,
das
»Plattiereisen« …
Mischa schluckt. Sein Mund fühlt sich an, als hätte er einen Löffel rohen Grieß gegessen, rau und trocken. Der Hals kratzt. Seine Beine haben sich in zwei mit Wasser gefüllte Schläuche verwandelt. Die Angst wühlt sich durch seine Eingeweide, und er hat das Gefühl, dass sie sich gleich einen Weg nach draußen suchen wird. Da klopft Bruno ihm kumpelhaft auf die Schulter.
»Bist ein bisschen blass um die Nase, Karotte.« Er grinst. »Mach dir mal nicht in die Hose. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Kann sein, dass ich dir helfen kann.«
Der Satz ist wie eine leuchtend rote Rettungsboje in diesem tosenden Meer furchterregender Gedanken und Bilder, und Mischa möchte nur zu gern danach greifen. Aber er weiß, nichts ist hier umsonst, mal abgesehen von den Erdnüssen auf dem Tresen. Feine Schweißperlen haben sich über seiner Lippe gebildet. »Ach ja? Wie meinst du das, du kannst mir helfen?«
»Könnte sein, dass ich einen Job für dich habe. Einen ziemlich lukrativen.«
»Klingt gut, ich will mehr hören«, sagt Mischa eilig.
Bruno wedelt mit der Hand durch die Luft, als wollte er eine Fliege vertreiben. »Nicht hier. Komm mit.«
Mischa folgt ihm in den Flur, der zu den Toiletten führt. Vor einer Tür mit der Aufschrift
Privat
bleiben sie stehen. Bruno schließt auf und führt Mischa in einen kleinen, muffigen Büroraum ohne Fenster. Draußen wummern dumpf die Bässe aus dem Club. Niemand würde es hören, wenn er hier drin schreit. Für einen kurzen Augenblick überlegt Mischa wegzulaufen. Vielleicht hat Rocco Bruno angeheuert, um ihm Druck zu machen. Doch Bruno deutet nur auf den niedrigen Sessel vor dem chaotischen Schreibtisch. Mischa setzt sich und versinkt tief im Lederpolster. Bruno hockt sich auf die Tischkante und ragt nun über ihm empor wie ein Turm. Mischa ist mulmig zumute, er fühlt sich schrecklich klein und verloren.
»Ich hab da was läuten hören. Dariusz braucht jemanden, der schnell und diskret einen Job für ihn erledigt. Ich hab abgelehnt, muss eine Weile die Füße still halten, möchte nicht gleich wieder einfahren. Nach der Sache mit Rapsenhöner haben die Bullen mich auf dem Radar, verstehst du?«
Mischa nickt, auch wenn er nicht weiß, wer dieser Rapsenhöner ist.
»Die Bezahlung ist verdammt anständig. Deswegen musste ich gleich an dich und dein Problem mit Rocco denken.« Bruno pult sich mit dem Nagel des Zeigefingers zwischen den Vorderzähnen. »Ich weiß nicht viel, die Details wird dir Dariusz geben. Nur, dass es wohl ein Job ist, für den es ein bisschen Fingerspitzengefühl braucht. Und jemanden, der nicht zehn Meilen gegen den Wind nach Kiez riecht. So einen wie dich, Karotte. Siehst doch aus wie Schwiegermutters Träumchen.« Er greift mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand in Mischas Wangen und schiebt seine Lippen zu einem Fischmaul zusammen. Dann tätschelt er ihm lachend den Hinterkopf.
»Um was geht es denn?«, fragt Mischa vorsichtig. Ein Job, der viel Kohle bringt, riecht nach Ärger.
»Wie gesagt, Genaues weiß ich nicht. Dariusz hat sich bedeckt gehalten. Nur so viel: Jemand ist seinem Auftraggeber wohl mächtig auf den Schlips getreten, und er soll die Person ausknipsen.«
»Ausknipsen«, wiederholt Mischa. Seine Zunge liegt wie eine betäubte Nacktschnecke im Mund, will nicht recht gehorchen. »Okay. Und wen?«
»Das weiß ich nicht genau. Nur, dass die Zielperson wohl nicht ganz unbekannt ist. Alles Weitere musst du mit Dariusz besprechen.«
»Ich weiß nicht …« Mischa kratzt sich am Unterarm. »Über wie viel Kohle reden wir denn?«
»Fünfzehntausend Schleifen«, verkündet Bruno und grinst. »Fünf direkt bar auf die Kralle und noch mal zehn, wenn du den Job zur Zufriedenheit des Kunden erledigt hast.«
»Fünf…fünfzehntausend?«, entfährt es Mischa. Damit wären alle seine Probleme auf einen Schlag gelöst, und er hätte sogar noch Geld übrig. Mit dem Vorschuss könnte er Rocco und seine Leute vielleicht noch etwas hinhalten.
»Und du wärst Rocco für eine Weile aus den Haaren«, ergänzt Bruno. »Raus aus Hamburg, weg vom Kiez, das ist vielleicht ja auch nicht verkehrt.«
»Aha. Wo muss ich denn hin?«, will Mischa wissen.
Bruno lässt sich mit der Antwort Zeit, pult sich erst noch einmal genüsslich zwischen den Zähnen. Mischa mag nicht hinsehen, hängt aber an seinen Lippen, bis er endlich wieder spricht.
»Sylt. Du müsstest nach Sylt.«