Der erste Arbeitstag
Am Montag machte Siggi sich nach einer langen Hunderunde bereit für ihren ersten Arbeitstag bei Lenka. Sie trug heute Jeans und T-Shirt. Zum Putzen musste es bequem und pflegeleicht sein. Die Haare hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden und nur ein wenig Wimperntusche aufgelegt. Torsten hatte früher am Morgen Candy schon kurz in den Garten gelassen und war aus dem Haus gegangen, um seinen ersten Arbeitstag in der neuen Firma anzutreten.
Um diese Uhrzeit war auflaufendes Wasser, und Siggi entschloss sich, den Weg am Watt entlang zu nehmen. Es versprach ein sonniger Tag zu werden, der Himmel war blau und beinahe wolkenlos, und die Sonne glitzerte auf dem Wasser zu ihrer Rechten. Am Meer entlang zur Arbeit zu radeln, die Luft würzig und frisch, nicht begleitet von einer Großstadtsoundkulisse aus Baustellenlärm, Motorengeräuschen und dem Rattern der Straßenbahn, sondern von sanftem Meeresrauschen und Möwengeschrei, das hatte definitiv etwas. Vergnügt trat Siggi in die Pedale und hatte bald das Anwesen erreicht.
Offenbar gab es auch auf der Rückseite des Grundstücks einen Zugang, jedenfalls bemerkte Siggi ein Tor und hielt an. Allerdings schien man für diesen Eingang einen speziellen Code zu benötigen, wie sie feststellte. Eine Klingel gab es auf dieser Seite nicht. Also radelte sie noch ein Stückchen weiter, bis sie den von Hecken gesäumten Weg erreichte, der zur Straße hinaufführte.
Heute öffnete ihr Lenka selbst die Tür. »Guten Morgen, Siggi! Hatten Sie ein schönes Wochenende?«
»Ja, sehr. Wir haben eine Radtour nach Kampen gemacht und sind in der Heide spazieren gegangen.«
»Die Heide und die Dünenlandschaft am Kliff sind traumhaft, nicht wahr?«, schwärmte Lenka. »Und wenn man ein bisschen aus dem Ort hinausläuft, hat man selbst in der Hochsaison noch seine Ruhe. Die meisten sind ja zu faul, ein paar Schritte zu laufen. Es ist einfach wunderschön dort. Die raue Landschaft, der Wind, die Weite, das Meer. Genau da habe ich mich verliebt.«
»In wen?«, rutschte es Siggi heraus.
Lenka lachte auf. »In Sylt, Siggi. In Sylt.«
»Aber bestimmt werden Sie doch dauernd angequatscht, wenn Sie spazieren gehen. Nervt das nicht?«
»Ich tarne mich immer, wenn ich rausgehe. Das hat bisher ganz gut funktioniert. In Kampen laufen genug Leute herum, die gern gesehen werden möchten. Da schlüpfe ich quasi unerkannt durch die Maschen. Ich möchte, dass das möglichst lange so bleibt. Deswegen bin ich so darauf bedacht, dass niemand weiß, dass ich hier ein Haus gekauft habe.«
»Von mir wird es keiner erfahren, großes Pfadfinderinnenehrenwort.« Siggi hielt drei Finger zu einer Schwurhand hoch. »Aber ich hör mal auf, Sie vollzuquatschen, und hol mir das Putzzeug raus.« Sie deutete auf die Tür zum Hauswirtschaftsraum.
»Prima. Ich lege mich draußen ein wenig in den Strandkorb und lese, falls jemand nach mir fragen sollte«, verkündete Lenka. »Ich bin in der letzten Zeit immer schrecklich müde und antriebslos.«
»Das verstehe ich. So eine Tournee ist ja auch ungemein anstrengend«, entgegnete Siggi.
»Das können Sie laut sagen. Sie kommen zurecht?«
»Na klar. Ich finde schon alles.«
Siggi machte sich frisch ans Werk und begann im unteren Geschoss des Hauses. Sie war gerade dabei, die Eingangshalle zu wischen, als es an der Haustür klingelte. Unsicher stellte sie den Wischer ab. Sollte sie öffnen? Lieber nicht. Sie ging zur Terrassentür. »Es hat gerade geklingelt«, rief sie hinaus.
»Ich sehe mal nach, wer es ist.« Lenka stand aus dem Strandkorb auf und ging zur Haustür.
Siggi nahm ihren Wischer wieder in die Hand und arbeitete weiter.
»Moin! Eine Blumenlieferung von
Stilblüten
für Sie«, tönte eine Stimme aus der Gegensprechanlage.
»Aber ich habe keine Blumen bestellt«, wehrte Lenka ab.
»Wurde bei uns im Laden in Auftrag gegeben. Von einem Herrn«, sagte der Lieferant. »Liegt ein Kärtchen bei.«
»Oh! Ja, sicher, natürlich. Es kommt gleich jemand.« Lenka wandte sich an Siggi. »Könnten Sie bitte zum Tor gehen und die Blumen entgegennehmen?«
»Aber natürlich, gern. Sicher ist sicher, nicht wahr?« Siggi entging nicht das erwartungsfrohe Lächeln auf Lenkas Gesicht, und sie fragte sich, wer denn der ominöse Herr sein mochte, der ihr Blumen schickte.
Sie stellte den Wischer wieder ab und lief hinaus zum Tor, nahm den Strauß entgegen und bedankte sich. Er war recht üppig und geschmackvoll arrangiert: cremeweiße und pfirsichfarbene Rosen und Frauenmantel als Füllgrün. Gewiss von einem Verehrer. Siggi juckte es in den Fingern, das Kärtchen zu lesen, doch das hätte sich nicht gehört.
Lenka strahlte, als sie ihr den Strauß überreichte. Sofort zupfte sie das Kärtchen heraus und begann, es zu lesen. Das Lächeln rutschte von ihrem Gesicht. Eine steile Falte bildete sich über ihrer Nasenwurzel. »Der treibt mich in den Wahnsinn!«, rief sie und drückte Siggi den Strauß wieder in die Hand. »Hier, den dürfen Sie sich nachher mitnehmen. Ich will ihn nicht.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Siggi besorgt. Lenka wirkte verzweifelt.
»Ja, ich kriege mich schon wieder ein. Es ist nur, mein Ex bringt mich noch um den Verstand.« Sie verdrehte die Augen. Dann sah sie Siggi an. »Möchten Sie einen Kaffee mit mir trinken?«
»Aber ich muss oben noch saubermachen«, sagte Siggi zögerlich, obwohl die Aussicht, mit Lenka über einer Tasse Kaffee ein bisschen zu plaudern, nur allzu verlockend war. Allerdings wollte sie auch nicht faul oder unzuverlässig erscheinen.
»Sie haben hier unten doch schon gewirbelt. Ich finde, Sie haben sich eine kleine Kaffeepause verdient.« Sie sah auf die Uhr. »Außerdem ist jetzt Zeit für mein Frühstück. Da können Sie mir ein bisschen Gesellschaft leisten. Es gibt nichts Deprimierenderes, als allein zu frühstücken, finden Sie nicht?«
»Frühstück? Es ist doch schon elf Uhr«, entfuhr es Siggi. Im gleichen Augenblick verwünschte sie sich dafür. Das klang so was von unlocker und bevormundend.
»Ich frühstücke immer erst um elf. Ich mache 16:8, intermittierendes Fasten«, erklärte Lenka und ging voraus in die Küche. »Ich muss aufpassen, dass ich nicht aus der Form gerate. Kaffee ist allerdings ein Laster, das ich mir einfach nicht abgewöhnen kann.«
Sie holte zwei Tassen aus dem Schrank und schaltete den Vollautomaten an, der mit großem Getöse in Betriebsbereitschaft sprang.
»Dabei leide ich oft unter Schlafstörungen. Wahrscheinlich wäre es besser, nur Kräutertee zu trinken.« Sie lachte und stellte die erste Tasse unter die Düse des Geräts.
»Na ja, Sie haben ja auch ein aufregendes Leben. Klar, dass Sie da Schwierigkeiten haben, zur Ruhe zu kommen«, meinte Siggi.
»Wem sagen Sie das?« Lenka seufzte, während Kaffee in die Tasse blubberte. »Aber ich habe ein absolutes Wundermittel zum Entspannen. Abends zwei Lavendelölkapseln und ein schönes warmes Bad. Danach schlafe ich wie ein Baby. Früher hab ich regelmäßig Schlaftabletten nehmen müssen. Doch das habe ich aufgegeben, weil … na ja, auf Dauer kann so etwas ja nicht gesund sein, nicht wahr? Nehmen Sie Milch oder Zucker?«
»Nur Milch, bitte«, entgegnete Siggi. »Ich versuche, auch ein bisschen auf meine Linie zu achten, und habe mir den Zucker im Kaffee mühevoll abgewöhnt.«
Lenka brühte sich auch eine Tasse Kaffee auf, öffnete dann den Kühlschrank und nahm eine Müslischale heraus, in der sich eine graue gallertartige Masse befand, die Siggi entfernt an Tapetenkleister erinnerte. Lenka nahm eine Banane aus der Obstschale, schälte sie und begann, Bananenstücke in die graue Pampe zu schneiden.
»Chia-Pudding«, erklärte sie lachend. Sie schien Siggis skeptischen Blick bemerkt zu haben. »Chia-Samen mit etwas Mandelmilch, die ich im Kühlschrank quellen lasse. Schmeckt besser, als es aussieht, und soll irre gesund sein.«
Siggi dachte, dass sie Lenka nicht beneidete. Es ging schließlich nichts über ein knackiges Brötchen mit ordentlich Butter und Marmelade oder einer dicken Scheibe Käse.
Lenka betrachtete den Strauß, den Siggi in die Spüle gelegt hatte. »Ich hole mal eine Vase. Die Blumen können ja nichts dafür«, sagte sie, »aber bitte nehmen Sie sie nachher mit, ja? Die sind von meinem Ex. Der will einfach nicht verstehen, dass es endgültig aus ist.«
Sie klappte einen der Oberschränke auf und nahm eine große Glaskaraffe heraus, in die sie den Strauß stellte. Sie betrachtete ihn und seufzte. Dann wandte sie sich ihrem Frühstück und dem Kaffee zu. »Wissen Sie, er macht sich noch Hoffnungen, dass es mit uns noch einmal etwas werden könnte, dabei habe ich längst … also, für mich kommt das überhaupt nicht mehr infrage. Ich habe damit abgeschlossen.« Sie nahm einen Löffel von dem Bananen-Chia-Pudding.
»Haben Sie ihm das klar und deutlich gesagt? Männern muss man die Dinge manchmal mit dem Holzhammer klarmachen. Wenn man höflich sein möchte und sich vorsichtig ausdrückt, um ihre Gefühle nicht zu verletzen …«
»Glauben Sie mir, ich war deutlich!«, unterbrach Lenka sie. »Vor allem nach dem Anruf neulich. Ich ärgere mich jetzt noch, dass ich überhaupt drangegangen bin. Fabi war ziemlich betrunken und hat rumgeschrien und geheult. Er meinte, er könne ohne mich nicht leben und ertrage den Gedanken nicht, ich könnte mit jemand anders zusammen sein. Lauter so ‘n Zeug. Und dann wurde er sogar richtig wütend und sagte, ich hätte meinen Erfolg nur ihm zu verdanken, weil er mich schließlich entdeckt und Udo – also Herrn Karstens, den kennen Sie ja – vorgestellt hätte. Gruselig. Ich hab richtig Angst bekommen, dass sich das bei ihm zu einer regelrechten Obsession auswächst.« Sie löffelte noch etwas von ihrem Frühstück, kaute, schluckte und fuhr dann fort: »Am nächsten Morgen habe ich ihn dann noch einmal angerufen und ordentlich zur Schnecke gemacht. Seitdem schickt er wenigstens nur noch Textnachrichten.«
»Und Blumen«, ergänzte Siggi mit einem Blick auf den Strauß.
»Richtig. Und Blumen.« Lenka lachte. »Irgendwie tut er mir ja auch leid. Wir waren sieben Jahre zusammen, und für Fabi kam die Trennung, glaube ich, ziemlich plötzlich. Ich hätte möglicherweise früher mit ihm sprechen sollen. Bei mir gärte es schon seit einer ganzen Weile.«
»Sie waren ja auch erst einundzwanzig, als Sie sich kennengelernt haben.« Siggi registrierte den erstaunten Blick ihres Gegenübers. »Ich bin ein ganz großer Fan von Ihnen und lese viel. Was ich sagen will, ist, wenn man noch so jung ist, entwickelt man sich ja auch noch sehr stark. Da halten Beziehungen nicht unbedingt für die Ewigkeit.«
»Siggi, versprechen Sie mir, dass Sie Stillschweigen darüber bewahren, ja?«, versicherte sich Lenka.
Siggi nickte. »Unbedingt. Da können Se sich auf mich verlassen. Ich bin ein Plappermaul, aber wenn mir jemand ein Geheimnis anvertraut, kann ich auch die Klappe halten.«
»Das glaube ich Ihnen.« Lenka lächelte ihr zu und nahm einen Schluck Kaffee. »Sie haben so etwas Mütterliches. Haben Sie Kinder?«
»Eine Tochter, Denise. Die ist jetzt ungefähr in dem Alter wie Sie damals, wird im September zwanzig und ist auch gerade mit ihrem Freund zusammengezogen. Wobei – den beiden trau ich sogar zu, dass sie zusammenbleiben. Die sind wie füreinander gemacht.«
»Das klingt schön. So etwas gibt es, nicht wahr? Menschen, die füreinander geschaffen sind.« Einen kurzen Augenblick erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das Siggi schwer deuten konnte. »Na ja, bei Fabian hatte ich anfangs auch das Gefühl, aber ich war wirklich noch sehr jung und leicht zu beeindrucken. Er war für mich ein toller Typ. Gut aussehend, erfolgreich, zehn Jahre älter – anscheinend habe ich einen Hang zu älteren Männern.« Lenka schüttelte den Kopf und lachte. »Wie dem auch sei, ich hoffe, Fabian begreift irgendwann, dass es mit uns wirklich aus und vorbei ist.«
»Bestimmt wird er das. Ich drücke Ihnen jedenfalls die Daumen.« Siggi nahm noch einen Schluck Kaffee. »Aber ich sollte mich langsam wieder an die Arbeit machen.«
»Richtig, es tut mir leid. Sie haben bestimmt noch etwas vor, und ich halte Sie auf«, entschuldigte sich Lenka. »Doch es tat gut, sich mal ein bisschen auszusprechen.«
»Gern«, entgegnete Siggi. »Und seien Sie ganz beruhigt: Ich werde mit niemandem darüber sprechen.«
»Das ist lieb, danke.«
Siggi begann im oberen Stockwerk mit dem Arbeitszimmer, das allerdings den Namen kaum verdiente, denn es sah nicht aus, als würde darin viel gearbeitet. Dafür war es viel zu ordentlich. Von ein paar sorgfältig ausgewählten Dekorationsobjekten und Schreibutensilien abgesehen, die eher stylish als praktisch wirkten, war der Schreibtisch leer und aufgeräumt. Darin unterschied sich dieser Raum deutlich von Siggis kreativem Chaos und ihrer Zettelwirtschaft, die ein Fremder kaum überblicken konnte. Sie wischte über die gläserne Schreibtischplatte und entstaubte die Regale, in denen, ordentlich beschriftet, eine Reihe Aktenordner standen. Doch auch sie konnten nicht den Eindruck von viel Büroarbeit erwecken. Mit einem gewissen Neid schloss Siggi, dass Lenka es sich wohl leisten konnte, ihre Ablage und Buchhaltung anderen zu überlassen, vermutlich Udo Karstens.
Danach machte sich Siggi an Schlafzimmer und Bäder, die ihr ähnlich farblos und unpersönlich vorkamen wie das Wohnzimmer. Die Einrichtung war chic und modern, Details und Farben perfekt aufeinander abgestimmt, doch gerade diese Perfektion hätte es Siggi unmöglich gemacht, sich hier wohlzufühlen. Sie brauchte ihre chaotische Gemütlichkeit und ihren zusammengewürfelten Nippes. Hier erinnerte sie alles eher an ein Musterhaus oder eine Möbelausstellung. Sie konnte nicht anders, als ein bisschen Mitleid mit der jungen Schlagersängerin zu empfinden. Vermutlich gab es in ihrem Leben wenig Zeit für Privates, wenig Raum, einfach nur sie selbst sein zu können, und keine schrägen Freunde und Verwandten, die ihr Dinge schenkten, die zwar nicht zum Einrichtungsstil passten, ihr dafür aber am Herzen lagen und den persönlichen Charakter der Wohnung ausmachten. In diesem Haus war offenbar alles von einer Person ausgesucht worden, die viel Sinn für Farben und Stil hatte, die aber nicht selbst hier wohnte. Irgendwie war das schon ein wenig traurig.
Als Siggi schließlich im oberen Stockwerk fertig war, wollte sie ihrer Arbeitgeberin Bescheid sagen, dass sie jetzt gehen würde. Sie schickte sich schon an, nach unten zu gehen, doch dann hörte sie ihre Stimme aus dem Arbeitszimmer.
»… jedenfalls sehr merkwürdig. Ich werde mir das noch einmal genau ansehen. Ich weiß, ich habe dir viel zu verdanken, aber ich muss mir wirklich überlegen, ob das mit uns so noch funktioniert, Udo.«
Siggi blieb unschlüssig im Flur stehen. Sie wollte nicht lauschen, aber wenn sie weiterging, würde sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken, und dann könnte Lenka erst recht glauben, sie belausche sie. Siggi schlich vorsichtig ein paar Schritte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war, und hatte gerade die Schlafzimmertür erreicht, als sich die Bürotür am anderen Ende des Flurs öffnete und Lenka erschien.
»Oh, hallo, Siggi!«, rief sie. »Jetzt habe ich mich aber erschreckt. Ich hatte fast vergessen, dass noch jemand im Haus ist.«
»Ich bin hier oben fertig. Liegt noch etwas an, oder kann ich dann gehen?«, fragte Siggi. Obwohl es vollkommen unbeabsichtigt gewesen war, hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie das Telefonat mitgehört hatte. Sie konnte sich denken, worum es dabei ging. In
Deine Welt
hatte sie neulich gelesen, dass Lenka angeblich darüber nachdachte, sich von ihrem Management zu trennen. Sie hatte deutlich den Namen
Udo
aufgeschnappt. Der Gesprächspartner war also mit einiger Sicherheit Udo Karstens gewesen, und was Lenka gesagt hatte, klang ganz so, als bestätigten sich die Gerüchte.
»Wunderbar«, sagte Lenka. Offenbar hatte sie nicht bemerkt, dass Siggi nicht aus dem Schlafzimmer gekommen war. »Bis Mittwoch dann. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Siggi. Haben Sie noch etwas Nettes vor?«
Das war eigentlich eine gute Frage.
»Ich habe noch nichts geplant, vielleicht radel ich heute mal nach Westerland oder zum Strand nach Wenningstedt.«
»Das klingt hevorragend. Viel Spaß dabei!«
Zu Hause angekommen, widmete Siggi sich ausführlicher dieser Frage. Sie hätte Lust gehabt, Denise anzurufen, aber die war bestimmt noch auf der Arbeit. Törtchen würde auch frühestens um fünf nach Hause kommen. Siggi beschloss, zunächst einmal eine Runde mit Candy zu drehen, und lief hinunter zum Watt und an der Wasserkante bis zum Hünengrab Harhoog. Dabei dachte sie darüber nach, wie sie am besten ihr Geschäft ins Rollen bringen könnte. In Kampen hatte sie jede Menge Cafés, Restaurants und Boutiquen gesehen, in denen ein bunt gemischtes Publikum verkehrte, von stinknormalen Touristen über Promis bis hin zu exzentrischen Gestalten wie der seltsamen Gräfin. Siggi hatte sich extra Flyer und Kärtchen drucken lassen, die konnte sie möglicherweise dort auslegen.
Ihr kam eine hervorragende Idee: Wenn sie sich ein bisschen aufbrezelte und das neue Kleid anzöge, würde sie dabei gleich einen exklusiveren Eindruck machen. Vielleicht waren dann die Inhaber eher gewillt, ihre Werbeflyer auszulegen. »Durch den Schein zum echten Sein«, das hatte sie schließlich auch im Kosmetiksalon immer Kundinnen geraten, denen es an Selbstbewusstsein mangelte. Wenn man sich ein bisschen aufdonnerte und so tat, als fühlte man sich unglaublich kompetent, selbstbewusst und sexy, wurde man ganz anders wahrgenommen. Nicht selten führte das zum Erfolg und damit am Ende tatsächlich zu mehr Selbstbewusstsein.
Genau so würde sie es machen. Sie musste überzeugend so tun, als wäre sie schrecklich wichtig und vielbeschäftigt. Das würde sie schon hinkriegen. Mit Hildes altem Hollandrad konnte sie da aber nicht aufschlagen, das würde den Eindruck gleich wieder zunichtemachen. Sie würde Ingeborg fragen, ob sie sich für diese Mission deren BMW ausleihen durfte.
»Candymaus, ich fürchte, du musst dann aber zu Hause bleiben. Komm, wir drehen um.«