Wie gewonnen, so zerronnen
Mit fliegenden Fingern wählt Mischa die Nummer auf der Visitenkarte und fragt nach Pamela. Er bucht den Special Service. Das hat er sich verdient. Dieses Wochenende wird er es krachen lassen.
Es war gar nicht so schlimm, wie er gedacht hat. Eigentlich war es sogar erschreckend einfach. Sie hat ihn nicht einmal bemerkt, hatte die Augen geschlossen. Alles lief wie geplant. Einen kurzen Augenblick hat er gezögert, weil sie so friedlich aussah, wie sie da so in der Wanne lag. So ein hübsches Mädel. Verdammt schade drum, hat er gedacht. Aber was sein muss, muss nun einmal sein. Mitleid muss man sich leisten können. Und wenn man Rocco Messina Geld schuldet, kann man sich keine Gefühlsduselei erlauben.
Also hat er es genau so angestellt, wie Dariusz es ihm gesagt hat. Er hat gestaunt, wie schnell es gegangen ist. Knöchel packen, natürlich mit Handschuhen und nicht zu fest. Es darf keine Druckstellen geben. Und dann ein Ruck. Ist der Kopf erst einmal unter Wasser, setzen die Reflexe ein. Sie hat sich nicht gewehrt, nicht gezappelt, nicht versucht, sich festzuhalten. Genau, wie Dariusz gesagt hat. Dariusz weiß so was. Er liest viel. Psychologie, Kriminalgeschichte, Medizin, insbesondere Anatomie und Rechtsmedizin. Er interessiert sich für so ein Zeug und hat echt Ahnung. Dariusz kennt wahrscheinlich tausend Arten, einen Menschen auszuknipsen. Der ist eben ein Profi. Mischa hätte nicht gedacht, dass es wirklich so leicht sein würde. Trotzdem, noch mal übernimmt er so einen Auftrag nicht. Er wird in Zukunft besser aufpassen, keine Schulden mehr machen. Schon gar nicht bei jemandem wie Rocco.
Jetzt freut Mischa sich auf seine Verabredung mit Pamela. Um Rocco muss er sich keine Gedanken mehr machen. Er zieht sich aus und geht ins Badezimmer, um zu duschen. Seine Laune ist bestens, und während er sich einschäumt, singt er den Refrain zu
Pamela
von Toto. Mischa verteilt eine großzügige Portion Shampoo in den Haaren, massiert sie ein und streicht mit den Handflächen das Haar zu einer Irokesenfrisur. Er prustet und reibt sich mit den Fingerknöcheln etwas Schaum aus den Augen. Als er sie wieder öffnet, gellt ein hoher Schrei durch das Badezimmer. Ein Teil seines Bewusstseins weiß, dass es sein eigener war. Der andere ist damit beschäftigt zu begreifen, warum es auf einmal so dunkel ist in der Dusche. Die Silhouette einer hochgewachsenen Gestalt zeichnet sich durch den milchig weißen Duschvorhang ab und wirft einen unheilvollen Schatten auf Mischa, der hektisch das Wasser abstellt und aus der Dusche klettern möchte, als auch schon jemand den Vorhang beiseitezieht.
Mitten im Badezimmer steht ein großer, schlanker Mann in einem taillierten schwarzen Ledermantel. Er erinnert an eine altertümliche Militäruniform mit einem kurzen Stehkragen und Schnallen über der Brust. Glänzende dunkelbraune Haare fallen dem Mann wie ein Vorhang über die Schultern, die schwarz umrandeten Augen funkeln sirupbraun. Ein schmales Bärtchen ziert Oberlippe und Kinn und erinnert entfernt an einen Musketier. Wie ein dunkler Engel sieht er aus, wie er da so steht, breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt, ein ironisches Lächeln auf den schmalen Lippen, während sein Blick amüsiert an Mischas entblößtem Körper entlangwandert, kurz auf seiner Mitte verweilt, dann seine verletzliche, zitternde Nacktheit und die kindische Schaumfrisur mit einem kurzen Kopfschütteln quittiert.
Obwohl er ihn noch nicht persönlich getroffen hat, weiß Mischa genau, wer da vor ihm steht, und es rumort gewaltig in seinen Eingeweiden.
»Wie … wie sind Sie hier reingekommen?«, fragt er unsinnigerweise. Als könnte er darauf eine Antwort erwarten. Soweit er gehört hat, macht Bela, der »Chirurg«, ohnehin nicht viele Worte. Tatsächlich greift er auch jetzt nur kommentarlos nach einem Handtuch und wirft es Mischa zu, der es sich hektisch um die Hüften schlingt.
Langsam öffnet Bela die Schnallen an seinem Mantel, schlägt erst die eine Hälfte zur Seite, dann die andere. In den Innentaschen blitzen chirurgische Instrumente: Skalpelle, Klemmen, Pinzetten, Scheren, Haken, Zangen, Messer, etwas, das wie eine Säge aussieht. So genau will Mischa gar nicht hinsehen.
»Ich … ich hab das Geld!«, ruft er. Er kämpft gegen den Drang, sich zu übergeben, und mit dem Inhalt seiner Eingeweide, der fluchtartig seinen Körper verlassen möchte. Kalter Schweiß bildet sich auf seiner Stirn. »Ich hab Rocco gesagt, dass ich ihm das Geld zurückzahle, und ich halte Wort!« Seine Stimme klingt ungewohnt hoch, beinahe piepsig. »Es ist drüben im Wohnzimmer. Ich muss es nur holen.«
Mischa lächelt entschuldigend und drängelt sich an Bela vorbei, der noch immer dasteht wie eine Statue und keinen Millimeter zur Seite weicht. Dabei stolpert Mischa beinahe über den Badvorleger und taumelt ins Wohnzimmer, wo der Umschlag auf dem Tisch liegt. Er greift danach und beginnt eilig, die Scheine abzuzählen.
Bela, der »Chirurg«, ist ihm gefolgt und streckt den Arm aus. In einer auffordernden Geste krümmt er mehrfach die Finger der behandschuhten Hand. Mischa legt die abgezählten Scheine hinein. Bela nickt und steckt sie in die Innentasche des Mantels. Dann streckt er wieder den Arm vor und wiederholt die Geste, mit der er Mischa offenbar bedeuten will, auch den Rest des Geldes herauszurücken.
»Aber ich schulde Rocco nur zehntausend!«, protestiert Mischa, und seine Stimme klingt nun wieder etwas mehr nach seiner eigenen.
»Inkassogebühren«, knurrt Bela knapp und greift nach dem Umschlag, den er ebenfalls in einer Innentasche seines Mantels verschwinden lässt.
Mischa will Widerspruch erheben, doch sein Blick fällt erneut auf die glänzenden Instrumente in den Taschen. Er schluckt. »Klar, natürlich, ich verstehe«, stammelt er.
Bela schließt langsam die Schnallen des Mantels, dann nickt er, lächelt kurz. »Rocco lässt dir seinen Dank ausrichten. Er freut sich, dass du in Zukunft pünktlich bezahlen möchtest.«
Dann verlässt er ohne weitere Worte die Wohnung. Die Tür fällt ins Schloss.
Zitternd lässt Mischa sich aufs Sofa fallen. Die Irokesenfrisur sackt in sich zusammen wie sein Ego. Er weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. »Inkassogebühren.«