Das Luxusweibchen in seinem natürlichen Lebensraum
Als sich das Tor öffnete und Siggi mit ihrem Köfferchen die lange Zufahrt zum Haus entlangrollerte, war sie froh, dass sie für die heutige Party bei Tatjana von Gnietschfleth das Kleid und die Stiefeletten angezogen hatte, die ihr Gräfin von Eulenwitz bei ihrem Bummel durch Kampen geschenkt hatte. So fühlte sie sich wenigstens nicht vollkommen fehl am Platze. Der Rasen sah aus, als hätte jemand mit Lineal und Nagelschere jeden einzelnen Halm exakt auf dieselbe Länge gebracht. Unkraut, Klee oder gar Löwenzahn suchte man in diesem vollkommenen Teppich aus plüschigem Grün vergebens. Büsche und Bäume waren mit derselben Präzision zu wolkenähnlichen Formschnittgebilden modelliert worden, die Siggi an einen japanischen Garten erinnerten. Zur Straße hin wurde das Grundstück von einer dichten, hohen Mauer dieser grünen Wolken von Blicken abgeschirmt. Siggi folgte dem gepflasterten Weg zwischen Beeten mit Rosen und Ziergräsern, die wie kleine Inseln in der geordneten Botanik wirkten, bis zu dem großen, reetgedeckten Backsteinhaus, das direkt aufs Meer hinausblickte.
Weiß beschürzte Mitarbeiter eines Catering-Unternehmens kamen ihr entgegen. Siggi hatte den Transporter an der Straße bemerkt, wo sie den altersschwachen Passat abgestellt hatte. Auf dem weißen Van hatte sie das Logo eines ziemlich exklusiven Ladens in Kampen entdeckt, den sie von ihrem Rundgang dort kannte. Frau von Gnietschfleth ließ sich diese Party offenbar einiges kosten. Hoffentlich war sie ebenso spendabel, wenn es darum ging, ihr die Produkte abzunehmen.
Die Hausherrin empfing sie an der Tür.
»Frau Pizolka, wie schön, Sie persönlich kennenzulernen!«, flötete sie, reichte Siggi die Hand und hauchte je ein Küsschen links und rechts an ihrem Gesicht vorbei.
Siggi war von dieser affektierten Geste so überrascht, dass sie fast ins Stottern geriet. »Ach, sagen Sie doch ‘Siggi' zu mir.«
»Siggi. Herrlich!« Tatjana von Gnietschfleth lachte auf, als hätte Siggi einen besonders guten Witz gemacht. »Sie sind wohl so ein richtiges Original, nicht?«
»Äh … na ja, fast alles echt«, antwortete Siggi irritiert lächelnd und deutete an sich herab.
»Köstlich! Meine Liebe!«, rief Tatjana von Gnietschfleth. »Ich sehe schon, das wird ein äußerst amüsanter Abend werden. Oh, Sie
müssen
mich ‘Titi' nennen. So nennen mich alle meine Freundinnen.«
Siggi wusste noch immer nicht, was sie so Amüsantes gesagt hatte, und war sich nicht sicher, ob sie allen Ernstes eine erwachsene Frau »Titi« würde nennen können, ohne einen Lachkrampf zu bekommen. Sie überlegte, ob es zu schaffen war, einen ganzen Abend lang zu vermeiden, die Gastgeberin mit Namen anzusprechen.
»Dann kommen Sie mal herein in die gute Stube, Siggi.« Tatjana von Gnietschfleth stöckelte durch die Eingangshalle voran. Die Stiletto-Absätze ihrer Schuhe waren halsbrecherisch hoch. Siggi trug selbst gern und oft hohe Schuhe und konnte sich sicher damit bewegen, aber bei diesen hätte sie passen müssen. Tatjana von Gnietschfleth jedoch schien den sicheren Gang auf diesen Stelzen nicht nur zu beherrschen, er wirkte auch elegant und geschmeidig. Vermutlich hatte sie diese Trittsicherheit ihrer Modelkarriere zu verdanken. Sie trug ein violettes Cocktailkleid, das eine Schulter frei ließ und locker ihre schmale Figur umspielte. Das blonde – wie Siggi mit ihrem Expertinnenblick gleich erkannte – mit Extensions verdichtete und verlängerte Haar wallte in glänzenden Locken über ihre Schultern. Durch einen Türbogen führte Tatjana sie in ein elegantes Wohnzimmer mit dunklem Parkettboden und einer weiß getäfelten Decke. Der Raum war spärlich möbliert mit einer großzügigen Polstersitzgruppe in Sand- und Erdtönen und einem Konsolentischchen mit einer Designerlampe darauf. Dominiert wurde das Wohnzimmer von einem glatt verputzten, deckenhohen Raumteiler, in den der Kamin eingelassen war. Das einzige andere Möbelstück war ein schmales Sideboard, auf dem der Catering-Service ein kaltes Büffet aufgebaut hatte. In einem großen Kühler daneben erkannte Siggi mehrere teuer wirkende Flaschen mit goldumrankten weißen Blüten darauf, offenbar der Champagner, den Tatjana von Gnietschfleth am Telefon angekündigt hatte.
»Ich dachte, vielleicht möchten Sie Ihre Produkte hier auf dem Couchtisch aufbauen?«, schlug Tatjana vor. Hinter vorgehaltener Hand fügte sie leise hinzu: »Aber vielleicht warten wir damit noch, bis die Kinder im Bett sind.« Sie lachte abermals laut auf, und Siggi gab sich Mühe, ebenfalls amüsiert zu wirken.
In diesem Augenblick erschien ein äußerst attraktiver junger Mann mit rötlich blonden Haaren im Türbogen und räusperte sich. Siggi dachte gerade, dass er für Herrn von Gnietschfleth reichlich jung aussah, als er die Hausherrin ansprach.
»Frau von Gnietschfleth?«
Tatjana wirbelte herum. »Hendrik! Wie schön, kommen Sie doch herein! Das ist Siggi. Sie veranstaltet meine Party heute Abend.« Dann wandte sie sich wieder Siggi zu. »Siggi, das ist Hendrik, unsere neue Nanny. Ein echter Glücksgriff.«
Hinter Hendrik in der Tür erschienen wie die Orgelpfeifen aufgereiht drei engelslockige blonde Kinder.
»Meine Mäuse!«, säuselte Tatjana. »Ihr habt bestimmt Hunger. Siggi, das sind meine kleinen Engelchen: Die Große ist Gloria Gisèle, sie ist acht. Das daneben ist Grace Giovanna, sie ist gerade in die Schule gekommen, und der süße kleine Hasenpups ist unser Grischa Germain. Er ist gerade drei geworden.«
»Hallo, ihr drei!«, grüßte Siggi.
Der »süße kleine Hasenpups« streckte ihr die Zunge heraus. »Du hast doofe Ohren!«
Siggi lachte bemüht. So ein Engelsgesicht und dann so ein Rotzlöffel.
»Warum können wir denn heute Abend nicht dabei sein?«, quengelte Gloria Gisèle. »Wir wollen noch nicht ins Bett!«
»Ach, Herzchen, das wäre für euch schrecklich langweilig. Ihr könnt oben noch etwas spielen.«
»Ich will aber auch etwas von den
Horsd’oeuvres
«, protestierte Grace Giovanna, und Siggi fragte sich, welche Sechsjährige wusste, was das war.
»Für euch habe ich natürlich auch etwas bestellt, Zuckerschnütchen«, flötete Tatjana. »Ihr könnt in der Küche essen, und danach geht ihr mit Hendrik nach oben. Dann spielt ihr noch ein bisschen, und danach bringt euch Hendrik ins Bett.«
»Natürlich, Frau von Gnietschfleth«, sagte der junge Mann. »Ich habe das im Griff. Viel Spaß bei Ihrer Party!«
»Sie sind ein Goldstück, Hendrik!«, rief Tatjana. »So, dann guten Appetit, meine Mäuse, und schlaft nachher schön.«
Nachdem die Kinder verschwunden waren, begann Siggi, ihre Produkte auf dem Couchtisch auszubreiten.
»Möchten Sie vielleicht schon ein kleines Gläschen Schampus?«, fragte Tatjana.
Siggi war neugierig, wie das teure Zeug schmeckte. »Ein halbes vielleicht. Ich muss ja noch Auto fahren.«
»Ach was, das verdunstet doch!«, wehrte Tatjana ab und machte sich daran, eine der Flaschen zu entkorken. »Heute kümmer ich mich einmal selbst darum. Ich habe die Leute vom Catering-Service weggeschickt. Wir wollen ja ein bisschen Privatsphäre, nicht wahr? Aber in meiner Hamburger Zeit habe ich so viele Champagnerflaschen geöffnet, da wäre es doch gelacht, wenn wir das nicht allein hinbekämen.«
Sie lachte und begann, den Drahtkäfig vom Korken zu lösen. Wenig später öffnete sich die Flasche mit einem eleganten »Plopp«.
»Na? Sehen Sie? Wer sagt es denn? Ich habe es nicht verlernt.« Tatjana schenkte zwei volle Gläser ein und reichte eines Siggi. »
Cincin
, meine Liebe. Auf eine spritzige Party! Die Gäste werden auch jeden Moment kommen.«
»Äh, ja, Prost.« Siggi erhob ihr Glas. »Ich freue mich.« Sie fühlte sich nicht wirklich wohl in diesem Ambiente, doch sie versuchte, sich davon nicht nervös machen zu lassen, und nippte an ihrem Glas. Brr! Was für ein saures Zeugs! Siggi spürte ein Ziehen hinter dem Ohr, und Speichel lief ihr im Mund zusammen. Für so eine Essigplörre hätte sie nicht so ein Heidengeld ausgegeben. »Nun, jedem das Seine«, sagte Siggi immer. Sie war nun mal mehr der Asti-Typ, und sie hatte nicht vor, das zu ändern. Vielleicht mal noch was Halbtrockenes, aber warum Wein teurer wurde, je mehr er nach Essig und Omas Keller schmeckte, war und blieb ihr ein Rätsel.
Nach und nach trudelten auch die Gäste ein, und Siggi kam sich ein wenig so vor, als wäre sie in die große Weltverschwörung der lebenden Barbiepuppen geraten. Alle anwesenden Damen waren extrem schlank, verfügten aber über eine überproportional üppige Oberweite, die trotz ihres Volumens verdächtig der Schwerkraft trotzte, pralle Lippen, lange Haare und auffällig wenig Mimik. Siggi erkannte, wenn jemand etwas hatte machen lassen. Unter Tatjanas Freundinnen gab es keine, die so aussah, als ließe sie sich nicht mindestens hier und da mal ein wenig Collagen, Hyaluronsäure oder Botox spritzen. Diese Party war das reinste Kontrastprogramm zu der gemütlichen und unkomplizierten Runde bei Leevke Cornelissen. Hier fühlte sich Siggi konstant unzulänglich. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass die Damen sie wie eine witzige Kuriosität betrachteten, eine Freakshow-Attraktion: Kommen Sie und staunen Sie über geballte Unbildung! Bewundern Sie das blondierte Wunder aus dem sagenumwobenen Ruhrgebiet, das seinen Lebensunterhalt tatsächlich noch mit Arbeit verdienen muss und nur mit einem Gesamtschulabschluss und einer Ausbildung bis heute überlebt hat. Schauen Sie, wie putzig es mit der deutschen Grammatik und der Aussprache einiger englischer Wörter kämpft und den
Pony Club
für einen Reiterhof hält. Werfen Sie noch ein paar französische Begriffe wie
Horsd’oeuvres
in die Runde, und lassen Sie sich von den verrückten und kreativen Versuchen verblüffen, diese auszusprechen.
Leevke und ihre Freunde hatten auch über ihren Ruhrgebietsdialekt gelacht, aber auf eine andere Weise. Sie hatten ihn für liebenswert gehalten, waren ihr dabei jedoch auf Augenhöhe begegnet. Der Malibu-Barbie-Club ließ aber nur zu deutlich durchblicken, dass er Siggi nicht ernst nahm und sich ihr haushoch überlegen fühlte.
Mit einem gewissen Trotz warf sich Siggi dennoch voll in die von ihr erwartete Rolle. Sie war die, die sie war, und würde nicht damit anfangen, sich dafür zu schämen. Und wenn die Damen sie wie einen Zirkuspudel betrachten wollten, bitte. Wenn es ihr Umsatz bescherte, würde sie sogar noch eine Schippe drauflegen.
Die Rechnung ging auf, und die Damen zeigten sich äußerst kauffreudig. Besonders als Siggi mit der Präsentation der Erotik- und Dessouslinie anfing, zeigten sie sich sehr interessiert.
Tatjana von Gnietschfleth hatte ein Auge auf die Corsage »Feeling Wicked« geworfen. »Dürfte ich die möglicherweise einmal anprobieren?«, wollte sie wissen und hielt die Corsage gegen ihren Körper. »Ich weiß nicht, ob ich da S oder XS brauche.«
»Natürlich. Nehmen Sie sie einfach mit«, entgegnete Siggi.
»Dürfte ich Sie vielleicht bitten, mir beim Schnüren zu helfen?«, fragte Tatjana. »Ich fürchte, das kriege ich allein nicht hin.«
»Na klar, mach ich gern«, entgegnete Siggi.
Tatjana führte sie ins obere Stockwerk und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Sie blieb abrupt stehen. »Nanu, Gabi!«, rief sie. »Du bist ja noch hier. Ich dachte, du wolltest etwas trinken gehen, damit die Mädels und ich ein bisschen unter uns sind.«
Zu Siggis Erstaunen ertönte eine Männerstimme.
»Oh! Ist es schon so spät? Entschuldige, ich habe noch gelesen und vollkommen die Zeit vergessen. Ich mache mich jetzt auf den Weg, dann seid ihr ganz unter euch.«
»Kommen Sie ruhig herein, Siggi«, säuselte Tatjana. »Lassen Sie sich von meinem Mann nicht stören, der ist gar nicht hier!« Sie wandte sich wieder zu ihrem Ehemann um. »Gabi, das ist Siggi. Sie veranstaltet meine Freundinnen-Party.«
»Dr. Gabriel von Gnietschfleth«, stellte »Gabi« sich mit einem säuerlichen Seitenblick auf seine Gattin vor. Er war ein gut aussehender Mann: groß, mit strahlend blauen Augen und dunkelbraunem Haar. Für Siggis Geschmack allerdings war er viel zu gelackt. Die Haare waren sorgsam geföhnt, gescheitelt und zu einer Art unverrückbarem Helm frisiert, der sie an die Plastiktolle einer Ken-Puppe erinnerte. Ihr kam die gesamte Situation überhaupt äußerst bizarr vor, bei zwei mehr oder weniger Fremden im Schlafzimmer zu stehen, von denen der eine Gabi und die andere Titi hieß.
»Äh … freut mich«, stammelte sie. »Ihre Frau hat mich gebeten, ihr bei der Anprobe zu helfen.« Siggi deutete auf die Corsage in Tatjanas Hand.
»Wenn du artig bist, zeige ich dir dann auch, wie ich darin aussehe«, flötete sie und strich ihrem Mann verführerisch mit dem Zeigefinger ums Kinn, ganz so, als wäre Siggi überhaupt nicht anwesend. Die hatte allerdings den Eindruck, dass Gabriel von Gnietschfleth die Aussicht, »Titi« in dem aufreizenden Wäschestück zu Gesicht zu bekommen, nicht übermäßig verlockend fand. Ein harter Zug spielte um seine Lippen.
»Ich gehe dann mal. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Siggi.« Er nickte kurz in ihre Richtung und verließ das Zimmer.
Für einen Augenblick glaubte Siggi, in Tatjanas weitgehend mimikfreiem Gesicht und den großen wasserblauen Puppenaugen einen Ausdruck von Enttäuschung und Niedergeschlagenheit zu lesen, doch rasch legte sich wieder die Maske fröhlicher Unbekümmertheit darüber.
»Ach, nehmen Sie Gabi nicht so ernst, er kann manchmal ein echter Gniesgnaddel sein.« Sie machte eine wegwerfende Geste mit der Hand und lachte. »Das ist wahrscheinlich eine Nebenwirkung der Politik. Da muss man auf Dauer ja schlechte Laune bekommen.«
In diesem Moment tat Tatjana Siggi aufrichtig leid. Offenbar verbarg sich hinter der sorgsam gestylten Fassade eine verletzliche Frau, die ebenso mit Unsicherheiten zu kämpfen hatte wie die meisten anderen und die letztlich auch nur Liebe und Anerkennung brauchte.
»Ich warte am besten vor der Tür, und Sie rufen, wenn Sie so weit sind. Dann komme ich rein und helfe Ihnen beim Schnüren.«
Siggi trat in den Flur und konnte entfernt die Stimme des Babysitters hören. Vermutlich lagen am Ende des Flurs die Kinderzimmer. Die Tür zu ihrer Rechten stand einen Spalt auf. Neugierig spähte Siggi hinein. Offenbar handelte es sich um ein Arbeitszimmer. Sie betrachtete die Bilder im Flur, Landschaftsaufnahmen in schlichten weißen Rahmen.
»Ich bin fertig«, rief Tatjana, und Siggi betrat das Schlafzimmer, um ihr zu helfen. Nach kurzer Zeit war die Corsage geschnürt.
Tatjana betrachtete sich kritisch im Spiegel. Auch ohne die Schnürung hatte sie schon über ein beachtliches Dekolleté verfügt, doch der feste Stoff der Corsage presste die silikongepolsterten Rundungen so nach oben, dass sie noch deutlich üppiger wirkten. »Was meinen Sie, Siggi?«, fragte sie. »Ob ich damit dem kleinen Brummbärchen die schlechte Laune austreiben kann?«
Der erste Gedanke, der Siggi durch den Kopf schoss, war, dass »Titi« gar nicht so ein unpassender Spitzname war. Sie musste sich ein Lachen verbeißen und sagte stattdessen nur: »Also, ich denke, beschweren wird er sich wohl nicht.«
Ihr Blick fiel auf das Buch auf dem Nachttisch, in dem vermutlich Herr von Gnietschfleth gerade noch gelesen hatte. Siggi stutzte, denn der schwarz-weiße Umschlag mit der rückwärtigen Ansicht einer Frau im Kleid kam ihr nur allzu bekannt vor. Möglicherweise war das so ein Buch, das auf der Bestsellerliste stand und das man unbedingt lesen musste, wenn man mitreden wollte.
»Nein, vermutlich nicht.« Tatjana betrachtete sich weiter im Spiegel. »Aber wir sollten meine Gäste nicht so lange warten lassen. Danke für Ihre Hilfe, Siggi. Schreiben Sie mir die Corsage in S auf. Es ist normalerweise nicht so mein Stil, aber sie hat ein bisschen etwas Verruchtes, und man muss ja auch mal etwas Neues wagen, finden Sie nicht?«
»Richtig. Experimentieren macht Spaß und hält die Liebe lebendig«, entgegnete Siggi, nun ganz professionelle
Girlfriendz
-Beraterin. Alles in allem lief der Abend für sie doch recht gut. Vor allem, wenn sie an den Umsatz dachte. Da konnte sie gut darüber hinwegsehen, dass die Damen sie anscheinend für geistig minderbemittelt hielten. So ähnlich wie Hornhaut hobeln und Hautunreinheiten entfernen, nicht gerade angenehm, aber wenn am Ende des Arbeitstages die Kasse stimmte, konnte man es getrost ignorieren.
Als Siggi wieder ins Wohnzimmer kam, bestürmten Tatjanas inzwischen reichlich angeheiterte Freundinnen sie mit neugierigen Fragen zu den verschiedenen Vibratoren und Erotikspielzeugen. Siggis Bestellzettel füllten sich in rasantem Tempo, und sie begann zu hoffen, dass diese Party bei Tatjana von Gnietschfleth ihr Durchbruch auf der Insel gewesen sein könnte. Die Politikergattin war immerhin sehr einflussreich, und ihre Freundinnen waren zumeist Ehefrauen wohlhabender und einflussreicher Männer, die nichts lieber taten, als deren Geld großzügig unter die Leute zu bringen. Genau so hatte Siggi sich ihren Start als erste
Girlfriendz
-Beraterin auf Sylt vorgestellt.
Als sie schließlich zu später Stunde zusammenpackte, konnte sie sich über einen stolzen Umsatz freuen. Tatjana von Gnietschfleth und ihre Freundinnen waren offenbar fest entschlossen, den Abend noch fortzusetzen, sodass es Siggi einige Mühe kostete, sich loszueisen, ohne unhöflich zu sein.
Tatjana begleitete sie noch zur Tür. »Das war ein höchst amüsanter Abend, Siggi. So etwas müssen wir unbedingt bald einmal wiederholen.«
»Gern, Sie haben ja mein Kärtchen. Für alle Fälle hab ich es Ihnen noch mal zu Ihrem Gastgeberinnengeschenk gelegt.«
»Wundervoll, Sie denken einfach an alles!«, rief Tatjana.
»Dann noch einen schönen Abend«, wünschte Siggi und wandte sich zum Gehen.
»Ach, Siggi, warten Sie noch einen Augenblick.«
Sie drehte sich um und sah Tatjana fragend an.
»Ich habe in Ihrem Flyer gelesen, dass Sie auch Kosmetikbehandlungen machen.« Sie senkte die Stimme. »Machen Sie auch Haarentfernung? Brazilian Waxing?«
»Waxing, Sugaring, alles kein Problem«, entgegnete Siggi.
»Würden Sie dafür auch ins Haus kommen?«
»Natürlich, da können wir gern einen Termin vereinbaren«, sagte Siggi.
»Das ist ja fantastisch. Ich rufe Sie dann an«, flötete Tatjana und hauchte wieder zwei Luftküsse an Siggis Gesicht vorbei.