So einen stürmischen Sommer hatte es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Sogar die alten Fischer zogen die Augenbrauen hoch. Man sagte, der Wind bliese stärker als sonst, und das sei ein Vorbote von Unglück. Mit den Stürmen würden Chaos und Unordnung zu den zartesten Perlen der Westküste gebracht werden.
Bei den meisten riefen solche Prophezeiungen allerdings nur Kopfschütteln hervor. Wind war Wind, und manchmal war er eben stärker als sonst. Niemand, der mit beiden Füßen fest auf der Erde stand, glaubte, dass mit dem Wind das Böse käme.
Doch der Sommer war nun auch nicht völlig ereignislos gewesen. Im Gegenteil, bereits im Mai wurde man gewahr, dass eine Veränderung vor der Tür stand, und das wie immer ohne Vorwarnung: Eines Tages war es plötzlich eine Tatsache, dass Kungshamns einziges Bestattungsinstitut verkauft werden würde. Das allein hätte im Grunde keine große Aufmerksamkeit erregt, wäre da nicht ein kleines Detail gewesen:
Der Bestatter – ein Mann, der auf die siebzig zuging – war von einer jüngeren Frau um alle seine Ersparnisse gebracht worden.
Deshalb musste er die Immobilie, in der er sein Büro gehabt hatte, nun verkaufen und aus dem Ort wegziehen. Die Scham saß einfach zu tief, der Tratsch war zu erdrückend und die Schulden waren weitaus höher als seine Einkünfte.
Kungshamn ist kein Ort, an dem übertrieben viel passiert, weshalb sich die Geschichte vom betrogenen Bestatter mit der Schnelligkeit eines Waldbrandes verbreitete. Und als das Gerede erst einmal in Gang gekommen war, wurden unzählige ungeklärte Fragen aufgeworfen. Wie lange würde es wohl dauern, bis das Bestattungsinstitut einen neuen Besitzer bekam? In den Schaufernstern herrschte gähnende Leere, und das Schild des Maklers mit der Überschrift ZU VERKAUFEN sah allmählich schon verwittert aus. Zwar traf das bereits in der ersten Woche zu, doch nachdem das Geschäft fast zwei Monate lang unberührt dagestanden hatte, fingen die Leute an zu grübeln, ob jetzt womöglich dem Makler etwas zugestoßen war.
Dieses Gerücht schaffte es jedoch nicht sonderlich weit, denn plötzlich konnten alle, die wollten und des Lesens mächtig waren, der Lokalzeitung Bohuslänning entnehmen, dass das Bestattungsinstitut endlich verkauft war. Der neue Besitzer, ein Mann aus Stockholm, würde das Geschäft Anfang September übernehmen.
Man sah einander verstohlen an. Was das wohl für einer war, dieser Stockholmer? Was führte einen Mann aus der königlichen Hauptstadt Schwedens hinüber an die Westküste? Hatte er womöglich eine Verbindung nach Kungshamn?
Eine Woche nach der anderen verstrich, und es wurde Mitte August. Die Ferienzeit war vorbei, die Touristen packten ein und fuhren nach Hause, die Sommerhausgäste ebenso. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt nahm der Tratsch über den Stockholmer neue Fahrt auf, denn nun hatte ein weiteres Gerücht die Einwohner von Kungshamn erreicht:
Der Mann, der das Bestattungsinstitut gekauft hatte, war kein Bestatter.
Es hieß, seine Pläne mit der Immobilie seien ganz anderer Art. Welcher Art genau, wusste niemand, doch jemand deutete so etwas an, dass der Stockholmer womöglich ein Bordell eröffnen wolle. Viel mehr war nicht nötig, um das Gerede im Umlauf zu halten.
Noch schlimmer wurde es, als herauskam, wo der neue Besitzer wohnen würde:
Er hatte sich gegen Kungshamn und für Hovenäset entschieden, das alte, knapp drei Kilometer entfernte Fischerdorf. Und selbst das könnte ja noch in Ordnung sein, wäre da nicht die Adresse gewesen. Der Stockholmer würde nämlich in Janssons altes Haus einziehen. Das behauptete jedenfalls das Ehepaar Jansson selbst, und die mussten es ja wissen.
Janssons Haus hatte bald dreißig Jahre lang keinen Mieter mehr gehabt, und das aus gutem Grund. So sagte man: Es gäbe gute Gründe , warum niemand auf Dauer dort wohnen wollte. Gründe, die dem neu zugezogenen Stockholmer offenbar unbekannt sein mussten. Und wenn er Kenntnis davon hatte, dann war sowieso irgendwas nicht in Ordnung mit ihm. Niemand, der wusste, was in diesem Haus passiert war, wollte dort wohnen.
Niemand.
Nicht einmal Herr und Frau Jansson selbst, denen das Haus gehörte. Sie begnügten sich damit, es über den Sommer an diverse Leute zu vermieten, und in der Zeit dazwischen stand es leer.
Mitte August begann die Schule.
Der Wind, von dem behauptet wurde, er sei eine Vorankündigung von Veränderung und Dunkelheit, war das Einzige, was vom Sommer noch übrig blieb. Und ganz allmählich, ohne dass jemand erklären konnte, warum, breitete sich die Sorge aus.
Etwas Schreckliches würde geschehen.
Und man konnte nur warten.