Kapitel 51

Schockiert starrte Hugh seinen Meister an, während die Plattform weiter gemächlich in der riesenhaften Halle abwärts schwebte.

„Ich … nein, habe ich nicht, Sir!“, protestierte er.

„Oh doch, allerdings war es dir nicht bewusst. Hexer ohne Vertragsbindung sind besonders anfällig für mentale Beeinflussung durch mögliche Paktpartner. Vor allem Dämonen nutzen das gern aus, um sich den Dienst eines Hexers zu sichern. Seit dem ersten Augenblick, als du Skyhold betreten hast, wurdest du unauffällig von dem Dämon manipuliert, den du im Labyrinth getroffen hast. Er hat große Anstrengungen unternommen, um mit einem Hexer paktieren zu können.“

Hugh wandte den Kopf ab und starrte in die Leere, die den riesenhaften Saal füllte. Auf dieser Ebene überspannte eine breite Brücke den Abgrund zwischen zwei Ecken. Sie war vollständig mit Reihen um Reihen von Bücherregalen gefüllt.

„Der Dämon Bakori war dafür verantwortlich, dass du den Berg nie verlassen hast. Sonst wärest du für seine mentalen Manipulationen außer Reichweite gewesen, und er konnte nicht sicher sein, ob du wieder zurückkehren würdest“, erklärte Alustin. „Er war auch der Grund, warum du dich ständig stärker von deinen Mitschülern abgekapselt hast.“

„Ich war schon immer schüchtern und bin mit anderen Menschen schlecht zurechtgekommen“, sagte Hugh. „Dafür musste kein Dämon sorgen.“

„Vielleicht, aber Bakori hat das Problem entscheidend vergrößert“, sagte Alustin. „Er hat deine negativen Gefühle verstärkt: deine Einsamkeit, deine Verzweiflung darüber, keine richtige Magie wirken zu können, einfach alles. Das Ziel war, dich verletzlicher und angreifbarer zu machen. Es war Bakori, der dich zur Bibliothekstür mit der veralteten Abschirmung geleitet hat. Und danach hat er dich auch zu dem Buch voller verbotener Magie geführt, nicht etwa der Indexport.“

Hugh schaute zu, wie ein Origami-Golem in Gestalt einer Möwe verzweifelt flatternd versuchte, einem Rudel hungriger Zauberbücher zu entkommen, die ihn durch die Luft verfolgten. Ihm wurde ein bisschen schlecht, als er daran dachte, wie oft ihn letztes Jahr sein Bauchgefühl betrogen hatte.

„Sobald du im Labyrinth warst, konnte der Dämon dich noch viel direkter manipulieren. Wann immer du das Gefühl hattest, einen bestimmten Weg einschlagen zu müssen …? Jedes Mal steckte Bakori dahinter“, sagte Alustin.

„Sir, vielleicht sollten Sie seinen Namen nicht so oft in den Mund nehmen. Sonst könnten Sie ihn auf uns aufmerksam machen“, sagte Hugh.

Alustin zeigte lächelnd die Zähne. „Keine Sorge, Hugh. Nur du konntest seinen Namen rufen, sodass er es hörte. Dafür hatte er dich mit spezifischen Zaubern belegt, die schlagartig gebrochen wurden, als du den Hexerpakt mit einer anderen Wesenheit geschlossen hast. Kaum eine Magie kann einen so starken Eingriff überstehen.“

Das blauweiße Glühen aus der Tiefe kam näher und badete die unteren Ebenen der Halle in Licht. Es war schwer zu glauben, dass sie in ihrem Sinkflug schon so weit gekommen waren, aber inzwischen mussten sie sich Meilen tiefer befinden als an ihrem Startpunkt nahe der Saaldecke.

„Bakori war es auch, der dich zu dem Leitungsschacht für Mana-Energie gebracht hat, wo ihr ihm nach dem Absturz begegnet seid“, fuhr Alustin fort. „Rhodes war ebenfalls dorthin gedrängt worden, allerdings durch einen Schwarm von Bakoris Dämonenbiestern. Eigentlich hätte man die Prüfung abbrechen müssen, sobald die ersten Schüler von Zusammenstößen mit Biestergruppen berichteten. Erstaunlich, dass dieses Jahr keine Todesopfer zu beklagen sind. Nun, jedenfalls hat Bakori deine Gefühle von Ausweglosigkeit und Verzweiflung verstärkt, während ihr euch durchs Labyrinth kämpfen musstet, und fast hätte er in der Tropfsteinhöhle damit Erfolg gehabt. Aber stattdessen ...“

Alustin verstummte für einen Moment.

„Stattdessen?“, hakte Hugh nach.

„Hast du erfolgreich gegen ihn angekämpft“, sagte Alustin. „Und zwar schon die ganze Zeit.“

„Ich habe ...?“

„Gekämpft“, wiederholte Alustin.

Im Glühen unter ihnen tauchten schemenhafte Formen auf. Sie wirkten geordnet, strukturiert, und waren konstant in Bewegung.

„Auch wenn dir nicht bewusst war, dass du manipuliert wurdest, hat dein Unterbewusstsein es wahrgenommen – und du hast dich so heftig dagegen gewehrt, dass du sogar instinktiv Schutzzauber auf deine Tür gezeichnet hast, um Bakori aus deinen Träumen herauszuhalten. Tatsächlich könnte es sein, dass deine ungewöhnliche Begabung für Schutzmagie direkt damit zusammenhängt – ich habe jedenfalls noch nie zuvor von einem Hexer gehört, der Abwehrzauber mit seinem Willen auflädt. Ein Talent für Willensübertragung ist bei Hexern nicht unüblich, aber die meisten nutzen sie für andere Zwecke, vor allem Kampfzauber, Fesselmagie oder die Verbannung dunkler Kräfte. Vermutlich hat dein Unterbewusstsein dich dazu gebracht, die volle Macht deiner Willensübertragung auf das Ziel zu richten, deine Schutzzauber zu verstärken und dich vor dem Dämon abzuschirmen.“

Hugh dachte daran zurück, wie er mit Talia in Streit geraten war, als sie sein Geheimquartier im Archiv aufgespürt hatte, und welche Albträume ihn daraufhin verfolgt hatten, bis die Schutzzauber wieder hergestellt waren. Nachdenklich nickte er. Dann kam ihm ein Gedanke.

„Woher wissen Sie das alles, Sir?“

„Das meiste habe ich mir zusammengestückelt, aus Indizien und Augenzeugenberichten. Ich muss allerdings zugeben, dass ich dich schon eine Weile … nun ja, ausspioniert habe. Eine meiner Vollbindungen ist Fernsicht.“

Überrascht starrte Hugh seinen Meister an. Bisher hatte er nie durchblicken lassen, was seine Bindungen waren. Die Lehrlinge waren davon ausgegangen, dass er mehr als eine besitzen musste, aber Fernsicht war ein seltenes Talent für einen Gefechtsmagier. Es war eng verwandt mit Licht-Affinitäten, nur dass es dem Besitzer keine direkte Manipulation von Licht erlaubte, sondern stattdessen seine Sehschärfe unnatürlich verbesserte oder sogar einen Blick auf weit entfernte Orte ermöglichte. Fernsicht war ein sehr wertvolles Talent, doch gleichzeitig auch extrem schwer zu erlernen und anzuwenden.

„War Bakori der Grund, warum Sie uns nicht verraten wollten, was Ihre Bindungen sind? Welche haben Sie denn noch?“

Alustin lächelte nur und wies über den Rand der Plattform hinweg. „Jetzt sind wir im Index.“

Sie versanken in einem blau schimmernden Nebel. Hugh war überzeugt, dass sie unmöglich so schnell hier angelangt sein konnten, aber die Luft um sie herum glühte und waberte bereits.

Eigentlich war es nicht der Nebel selbst, der das farbige Licht verströmte. Im Grunde sah er ganz normal aus, nur ungewöhnlich dick. Das blaue Schimmern stammte von den Formen, die sich darin bewegten. Als Hugh nah genug war, streckte er eine Hand aus und ließ sie durch den Dunst gleiten. Er spürte einen leichten Widerstand, der allerdings so gering war, dass er sich darauf konzentrieren musste, um ihn zu bemerken.

Als sie ganz und gar davon eingehüllt waren, begann Hugh die nebulösen Formen besser zu erkennen. Zahnräder, Achsen, Antriebsketten und Ähnliches erhoben sich aus dem Dunst. Überall um sie herum drehten, stampften, pendelten Maschinenteile, die alle aus strahlend blauem Licht zu bestehen schienen. Hugh konnte durch den Nebel keine Einzelheiten wahrnehmen, aber er sah winzige blaue Funken herumschwirren. Wann immer er versuchte, einen davon mit Blicken zu verfolgen, wirkte seine Flugbahn rein zufällig. Doch sobald er die ganzen Funken als einen Schwarm betrachtete, ließ sich ihr Verhalten nur als strukturiert und geordnet beschreiben, auch wenn Hugh dafür keine Erklärung hatte. Im Index war es sehr viel stiller als erwartet. Das Rumoren der Maschinerie klang schwach und weit entfernt, nur die Funken sorgten für ein Hintergrundgeräusch, ein ständiges sanftes Zischen.

„Hallo?“, rief Hugh. „Index? Ich bin es, Hugh.“

Niemand antwortete.

„Hallo?“, versuchte Hugh es erneut. „Ich habe durch die Port-Seiten einen Pakt mit dir geschlossen?“

Auch diesmal kam keine Antwort.

Schließlich ergriff Alustin wieder das Wort. Er wirkte sichtlich nervös. „Ich habe dich noch über etwas anderes belogen.“

Hugh warf ihm einen scharfen Blick zu.

„Der Index ist nicht lebendig. Er hat nicht den Hauch eines Bewusstseins, sondern ist nur eine Masse von Informationen. Tatsächlich wurde er absichtlich so entworfen, dass er kein Bewusstsein entwickeln kann. Seine Schöpfer sahen darin ein zu großes Risiko. Stattdessen gaben sie dem Index die Fähigkeit, sich jeweils mit einem einzelnen mächtigen Individuum zu verbinden, durch dessen Geist er gelenkt wird und ein eingeschränktes Maß an Intelligenz bekommt.“

Hugh schaute ihn mit offenem Mund an. „Was … was wollen Sie damit sagen, Sir?“

Der Nebel lichtete sich, während sie noch tiefer sanken.

„Du hast keinen Vertrag mit dem Index geschlossen, Hugh. Sondern mit dem Individuum, das ihn kontrolliert. Dein Paktpartner ist die Erzbibliothekarin Kanderon Crux.“