Samstag, 4. Dezember
Mit dem schlüssigen Argument, dass es im Notfall ungünstig wäre, wenn wir beide im Gebäude sind, gelingt es mir, Cally dazu zu bringen, im Wagen zu bleiben. Sie soll eine halbe Stunde warten und – wenn ich mich bis dahin nicht per Textnachricht gemeldet habe – anschließend die Polizei verständigen. Nur unter diesen Bedingungen erklärt sie sich einverstanden. Zudem muss ich versprechen, die Lagerhalle nicht zu betreten, sondern mich nur auf dem Gelände umzusehen. Aber was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.
Boreham Warehouses ist ein großer Komplex, eher ein kleiner Industriepark als eine Lagerhalle. Es sieht so aus, als hätten hier früher mehrere Firmen ihre Lagerhallen gehabt. Es parken keine Autos auf dem Gelände, kein verräterischer falscher Hermes-Transporter ist in Sicht, und es gibt kein großes Hinweisschild, das verkündet: »HIER ENTLANG ZU DEN BÖSEWICHTEN «. Alles wirkt verlassen. Ich sehe noch mal auf der App nach: Da ist das GPS -Signal – direkt neben meinem Standort. Auch wenn alles verlassen wirkt, ich bin hier richtig.
Ich hole tief Luft, schaue mich um und suche nach einem Eingang. Im Zaun, der das Gelände umgibt, klaffen große Lücken, aber alle scheinen provisorisch geflickt worden zu sein. Doch es muss einen Weg hinein geben, wenn Mitchell meinen Hund hierhergebracht hat.
Auf der Rückseite des Komplexes finde ich schließlich ein Schlupfloch. Der Holzzaun ist verrottet, und der Drahtzaun, der die Stelle sichern soll, ist eingetreten worden und hängt schief herab. Wahrscheinlich wurde er nicht repariert, weil es da drin nichts mehr gibt, was sich zu stehlen lohnt. Der Zaun ist eher eine Art Vorsichtsmaßnahme, damit Jugendliche nicht das Gelände erkunden und dabei zu Tode kommen. Tja, Jugendliche und Hausfrauen mittleren Alters.
Bei den ersten drei Lagerhallen entdecke ich keinen Eingang, doch als ich zum vierten Gebäude komme – es war wohl mal eine alte Teppichlagerhalle –, steht die Tür des Notausgangs ein wenig offen.
Die Luft im Innern ist voller Staub, der in meiner Kehle kratzt, mich zum Husten und Niesen reizt. Die Halle ist immer noch voller Reihen ausgemusterter Teppiche; sie bilden Gänge, die das Lager aussehen lassen wie ein Labyrinth. Ich höre nichts und entdecke keine Spur von Archie, und ich habe jetzt zehn Minuten meiner halben Stunde nur darauf verwendet, überhaupt reinzukommen.
Ich irre durch die Reihen von Teppichen; einige wurden aufgerollt und stehen aufrecht wie Soldaten, die das verlassene Gebäude bewachen, andere hat man übereinandergestapelt. Es sieht aus, als würde der kleinste Nieser sie in einer Lawine aus beigen Farbtönen und Paisleymustern einstürzen lassen. Hier drin ist niemand, so viel scheint offensichtlich. Ganz hinten ist eine Tür, die zu einem Pausenraum führt. Dort sieht es aus wie in der Mary Celeste , jenem geheimnisvollen Schiff, das ohne Mannschaft auf dem Meer treibend aufgefunden wurde. In dem Raum ist ein Becher zurückgelassen worden, auf dessen Rand sich eine dicke Staubschicht gebildet hat und in dem immer noch ein Teebeutel liegt. Die Schränke sind voller Teller und Besteck, und auf einem Tisch stapeln sich Herrenmagazine. Gerade will ich zur letzten Lagerhalle gehen, als ich ein leises Kläffen höre.
Archie.