„Ich wiederhole mich nur sehr ungern“, sagte Darius Cabrerra, nachdem Cloutard nicht auf seine Frage reagiert hatte. „Woher haben Sie dieses Artefakt?“
Cloutards Blick wanderte zwischen den beiden Scheiben hin und her. Die zweite wies ähnliche Gravuren und ebenfalls zwei Aussparungen auf. Allerdings gänzlich anders geformt.
„Ach, das alte Teil, das habe ich beim Spazierengehen im Sand gefunden“, antwortete Cloutard schnippisch und hoffte, dass seine gespielte Gleichgültigkeit auch so bei seinem Gegenüber ankam. Cabrerra grunzte und seine sonnengegerbte Haut wurde noch faltiger, als sich sein Gesicht zu einer finsteren Grimasse verzog. Er wandte sich um und legte behutsam die beiden Dublonen in den gepolsterten Koffer. Er sagte nichts, atmete nur tief durch. Seelenruhig, mit einer nervenaufreibenden Theatralik schloss er langsam den Deckel und schnappte die Schlösser zu.
„Ich sehe schon, es wird nicht einfach werden, auf die sanfte Art irgendwelche Informationen aus Ihnen herauszubekommen“, sagte Cabrerra, Cloutard weiterhin den Rücken zugewandt.
„Auf die sanfte Art?“, wiederholte Cloutard und spuckte abermals Blut auf den Boden, das sich wieder in seinem Mund angesammelt hatte. Cabrerra reagierte nicht. Auf den Tisch gestützt, überlegte er für ein paar Augenblicke. Dann ging er zur Tür, öffnete sie, machte einen Schritt um die Ecke und kam mit einer Brechstange wieder zurück. Cloutard schluckte. Seine Situation war im Begriff, eine sehr unangenehme Wendung einzuschlagen. Wie einen Baseballschläger schlug der Mann die Eisenstange immer wieder in seine Handfläche, während er langsam auf Cloutard zuging. Es war erwiesen, dass die Androhung von Schmerzen oft wirksamer war als die Schmerzen selbst. Das wusste Cloutard und musste zugeben, dass es wirklich funktionierte. Ob der Mann das wusste, wagte Cloutard jedoch zu bezweifeln. Es wirkte viel mehr wie ein primitives Machogehabe. Nervös ruckte und zuckte Cloutard in seinen Fesseln herum, während Cabrerra immer näher kam. Die Vorstellung, was er mit dieser Stange vorhaben könnte, ließ seinen ohnehin schon hohen Adrenalinspiegel auf ein neues Hoch ansteigen.
Er baute sich vor Cloutard auf und tippte mit der Eisenstange abwechselnd gegen dessen Schienbeine.
„Ene, mene, muh“, murmelte er und sah Cloutard mit einem Blick, den man nur mehr als erregt bezeichnen konnte, tief in die Augen. Cloutards Panik wuchs. Gebrochene Beine war das Letzte, was er jetzt brauchen könnte.
„Also Monsieur Cloutard, welches Bein soll es denn werden?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, machte Cabrerra einen kleinen Schritt zurück und holte mit der Eisenstange aus.
Cloutard kniff die Augen zusammen und bereitete sich auf den Schmerz seines Lebens vor. Er war zwar schon einmal angeschossen worden, aber irgendwie befürchtete er, dass eine verrostete Eisenstange, die sein Schienbein zerschmetterte, schlimmer war. Doch der Schmerz kam nicht. Ein Mobiltelefon läutete.
„Shit“, entfuhr es dem Mann und er senkte das Brecheisen. Er legte es auf den Tisch und nahm das Telefon zur Hand.
„Hallo?“, rief er genervt in den Apparat.
Augenblicklich wurde seine Haltung aufrechter und er warf einen Blick auf die Kamera, die in der Ecke montiert war. Cabrerra lauschte eine Weile und sah unentwegt zur Kamera nach oben.
„Ist das dein Boss?“ Cloutard starrte jetzt ebenfalls direkt in die Kamera. „Wenn er etwas von mir wissen will, soll er direkt mit mir reden.“
„Ja, Sir. Wie Sie wollen, ich werde es versuchen“, mit diesen Worten beendete er das Gespräch und warf das Handy zurück auf den Tisch. Cabrerra schnaufte. Er war sichtlich aufgebracht, dass er nicht zum Finale gekommen war, schien ihn doch die Vorfreude auf Cloutards gebrochene Beine maßlos erregt zu haben. Er ging auf Cloutard zu, schnitt ihn los und zerrte ihn zum Ausgang.
„Connard irrespectueux!“, keifte Cloutard, als ihn Cabrerra ins Freie stieß, er die drei Stufen der Veranda hinunterstolperte und im Schlamm vor der Baracke zum Liegen kam. Er hob seinen Kopf und spuckte ein wenig Dreck aus.
Der Sturm hatte deutlich an Kraft verloren, doch der Regen peitschte weiter erbarmungslos zu Boden. Cloutard sah sich um und rappelte sich wieder auf. Ringsum befanden sich weitere Baracken. Mehrere Männer, mit AK47-Gewehren bewaffnet, schlenderten unter den Vordächern auf und ab.
Was zum Teufel treiben die hier?, fragte sich Cloutard. Das Ganze hier erinnerte ihn an ein Guerilla-Drogen-Camp in Kolumbien. Die niedrigen Baracken waren mit Tarnnetzen überspannt und die Männer selbst trugen Tarnhosen, grüne T-Shirts oder nur verdreckte Unterhemden. Darüber ein taktisches Gurtzeug mit einem Pistolenholster und einem großen Messer. Wie sollte er hier nur wieder herauskommen? Hätte ich doch nur auf Fabio und Adalgisa gewartet, bis ihr Job erledigt war. Warum mussten die beiden auch ausgerechnet jetzt ihr eigenes Ding drehen?, dachte Cloutard. Er hatte sich etwas anderes einfallen lassen, doch seine jetzige Situation lief auch nicht ganz nach Plan. Ein Hoffnungsschimmer blieb ihm aber. Da er sich seit Tagen nicht gemeldet hatte, bestand die Möglichkeit, dass van Rensburg in der Zwischenzeit Tom dazu überreden konnte, nach ihm zu suchen. Aber im Moment fragte er sich, ob er noch so lange leben würde. Auf seinen Backup-Plan konnte er jetzt nicht mehr vertrauen.
In Jamaican Patois, der Sprache der Jamaikaner, eine Abwandlung von Englisch, die sich im 17. Jahrhundert unter den Sklaven entwickelt hatte, rief Cabrerra ein paar Anweisungen über den Platz.
Sofort liefen zwei bewaffnete Männer los und verschwanden in einem Gebäude. Wenig später kamen sie mit vier Frauen zurück, die zu Cloutards Entsetzen mit Fußfesseln aneinandergekettet waren. Durch Schläge mit ihren Gewehrkolben trieben sie die sichtlich erschöpften und geschundenen Frauen in die Mitte des Platzes. Mit weiteren Schlägen wurden die vier auf die Knie gezwungen. Wie ferngesteuert, fast schon wie Zombies, fügten sich die vier, deren Lebenswillen bereits vor langer Zeit gebrochen worden war. Cabrerra trat hinaus in den Regen, ließ sich von einer der Wachen eine Pistole reichen und baute sich hinter den Frauen auf.
„Oh mon Dieu“, murmelte Cloutard. „Was soll das werden, was haben Sie vor?“, wandte er sich mit aufkeimender Verzweiflung an Cabrerra.
„Monsieur Cloutard, ich weiß, dass diese Frauen Sie nichts angehen, aber wenn das stimmt, was mir mein Boss gerade über Sie erzählt hat, dann weiß ich, dass Sie es nicht zulassen werden, dass Unschuldige ihretwegen sterben müssen, also frage ich Sie ein letztes Mal …“ Cabrerra spannte demonstrativ den Hahn der Pistole und drückte ihn gegen den Hinterkopf einer Frau.
„Ich zähle bis drei. Eins …“
„Okay, stopp, trou du cul fou, ich sage Ihnen, was ich weiß“, sagte Cloutard resigniert.
„Na bitte, geht doch.“ Cabrerra nahm die Waffe wieder runter. „Schafft sie wieder weg, und macht den Hubschrauber startklar“, befahl er seinen Männern und ging auf Cloutard zu.
„Jetzt muss mein Boss wenigstens nicht auf das Kopfgeld verzichten, das die Mafia auf deinen Kopf ausgesetzt hat. Ich glaube, die Bedingung war lebend und unverletzt.“
Cloutard zuckte zusammen. Er glaubte, sich verhört zu haben. Warum ließ die ‚Familie‘ nach ihm suchen? Die Sache mit dem gefälschten Klimt hatte van Rensburg doch in Ordnung gebracht. Aber vermutlich hat das dem Capofamiglia nicht ausgereicht. Geld interessierte den Don nicht. Er war in seiner Ehre gekränkt worden. Und so pochte der Don vermutlich auf eine Vendetta. Cloutard wusste nur zu gut, wie die Oberhäupter der ‚Familien‘ tickten. War er doch selbst in so einer ‚Familie‘ aufgewachsen.
Cabrerra baute sich vor Cloutard auf, blickte ihm hasserfüllt in sein mit Schlamm bedecktes Gesicht und zurrte seine Hände mit einem Kabelbinder zusammen.
„Wir beide machen einen kleinen Ausflug. So wie es aussieht, wurde Ihr Wunsch erhört. Mein Boss will mit Ihnen reden.“