6. Kapitel
Elias
Etwas aufgebrezelter, als es für ein Feierabendbier mit dem Ex vielleicht üblich ist, komme ich gegen 22:55 Uhr in der Bar an. Tobias steht hinter dem Tresen, die Hände an der Zapfanlage. Sobald ich eingetreten bin, blickt er auf und sein typisches, hinreißendes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Damit hat er mich damals recht schnell verzaubert, nur dass wir eben nicht die gleiche Art von Bindung anstrebten.
Während ich von einer Familie und einem – seiner Ansicht nach – eher langweiligen, konservativen Leben träumte, standen bei ihm Liebe und Genuss auf dem Programm. Auch wenn er bereit war, beides auf mich zu beschränken, erschien es mir trotzdem recht bald als unmöglich, diese Beziehung weiterzuführen. Außerdem ist er um einige Jahre jünger als ich, somit war – zumindest in meinen Augen – das Scheitern vorprogrammiert.
›Hi‹, formen Tobias’ Lippen, was ich natürlich zurückgebe, ehe ich auf einem der leeren Barhocker Platz nehme. Er sieht spitze aus, attraktiver, als ich meinen Ex wahrscheinlich finden sollte, aber was soll’s. Ich bin Single und er auch – zumindest soweit ich unterrichtet bin. Sex mit dem Ex ist nichts mehr, was ich so strikt ablehne wie früher. Vor allem, weil wir den schon hatten. Also miteinander. Nachdem Schluss war. Und zwar öfters.
Irgendwie kommt es mir vor, als würden in Tobias’ Kopf ähnliche Gedanken herumschwirren, während er hinter dem Tresen hervorkommt, um die Getränke zu servieren, die er eben eingeschenkt hat. Zumindest lässt mich das sein Blick vermuten, mit dem er meinen – heute in eine äußerst gut sitzende Jeans gehüllten – Körper scannt. Das erzeugt ein interessantes Gefühl in meinem Bauch – eine Mischung aus Vorfreude und Spannung.
Um mir das nicht zu sehr anmerken zu lassen, sehe ich mich um. Für einen Sonntag herrscht relativ viel Betrieb. Von den anwesenden Männern sind einige sexy bis – für mein Empfinden – fast zu freizügig bekleidet. Immer noch bereitet mir das etwas Unbehagen, doch längst nicht mehr so sehr wie früher, was eindeutig Nicks Einfluss geschuldet ist. Und auch ein bisschen dem von Oliver. Es ist schon fast gespenstisch, wie sehr sich meine Welt verändert hat, seit die beiden dazugehören. Beinahe, als hätte ich mein schwules Leben erst annehmen können, nachdem die zwei ein Teil davon wurden. Was schon irgendwie traurig ist, weil es so spät passierte, immerhin gehe ich mit meinen siebenundzwanzig Jahren langsam, aber sicher auf den berühmt-berüchtigten Dreißiger zu.
»Hi, schöner Mann. Was darf’s sein? Bier?« Der gerade noch gedanklich gehypte Freund mit gewissen Vorzügen steht, kaum hat er seine Runde an den Tischen beendet, einladend lächelnd neben mir.
»Gern«, gebe ich zurück, wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass meine Augen ihm signalisieren, dass Bier nicht das Einzige ist, was auf meiner Wunschliste steht. Und er scheint es zu verstehen, zumindest deute ich das schiefe Grinsen so, das nun auf seinem Gesicht entsteht.
»Wie geht’s dir?«, frage ich ihn, weil ich ihm eigentlich nicht das Gefühl geben möchte, nur deshalb hier zu sein.
»Gut. Ein bisschen stressig, aber du wirst sehen, die sind um spätestens dreiviertel elf alle weg. Jemand schmeißt eine Party …«, er setzt das letzte Wort mit in die Luft gemalten Strichen in Anführungszeichen, »… hier um die Ecke, und da will das wilde Volk später hin. Soweit ich mitbekommen habe, ist sie für elf angesetzt, also haben wir den Laden in spätestens dreißig Minuten ganz für uns.« Er zwinkert mir zu. »Also. Bier?«
»Ja.« Ich strahle, weil ich einfach nicht anders kann, denn Tobias’ Gegenwart lässt irgendwie die ganze Anspannung des Tages von mir abfallen. »Gerne.«
»Kommt sofort!« Er zwinkert noch mal, dann dreht er ab.
Ich riskiere einen Blick auf seinen Arsch. Er ist wahnsinnig ansprechend in dieser engen Lederhose, die er oft hier im Dienst trägt. Ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn ich mit meiner Hand seine Rundungen darunter streichle, und das zwingt mich, den Blick wieder abzuwenden. Schließlich habe ich keine Lust, hier mit einem Rohr zu sitzen.
»Ein Bier für einen Kuss!« Schneller als erwartet steht Tobias wieder neben mir, in der Hand mein Getränk.
»Sagst du das zu allen Gästen?«, erkundige ich mich schmunzelnd.
»Nur zu denen, die ich so heiß finde, wie dich.« Bevor ich noch reagieren kann, haben seine Lippen die meinen berührt. Der Kuss ist kurz, dennoch spüre ich seine Auswirkungen im ganzen Körper. Ich genieße ihn, versuche, ihn auszudehnen, doch zu meinem Bedauern zieht Tobias sich viel zu schnell zurück. »Sollte ich deine Blicke fehlinterpretiert haben, tut es mir leid. Aber ich hatte da so ein Gefühl, schon als du mich angeschrieben hast.« Wieder dieses schiefe Lächeln, das nur umso verspielter wirkt, weil er immer noch diesen kleinen Spitzbart trägt, der mich ein wenig an die drei Musketiere erinnert.
»Nein, das siehst du schon ganz richtig«, gebe ich gerne zu.
»Ich bin gleich wieder bei dir«, raunt er mir zu, seine Augen fangen mich ein, lassen meinen Magen und meinen Unterleib kribbeln.
Doch ehe ich irgendetwas erwidern kann, egal ob verbal oder per Mimik, hat er sich abgewandt und steuert erneut auf die Tische zu. »Habt ihr noch einen Wunsch, Jungs?« Seine Stimme klingt nun wieder vollkommen normal, was Bewunderung in mir auslöst, aber auch ein wenig Skepsis. Wie kann er, trotz der acht Jahre, die er mir an Lebenserfahrung hinterherhinkt, so cool mit unserer speziellen Beziehung umgehen? , stelle ich mir gedanklich die Frage, die ich natürlich auch sofort beantworte. Weil ich wahrscheinlich nicht der Einzige bin, mit dem er so eine Vereinbarung hat.
Diese ewigen Zweifel und Fragen waren es auch, die letzten Endes unsere Trennung einleiteten. Irgendwann war ihm wohl endgültig die Lust daran vergangen, sich meinen ständigen Eifersüchteleien zu stellen, und ich der Angst, ihn früher oder später an einen anderen zu verlieren.
Tobias ist bereits dabei, eine neue Runde Bier zu zapfen. Ich beobachte ihn, weil ich es mag, wie er sich bewegt. Selbst in der größten Hektik bleibt er ruhig. Seine Finger, die sich ansprechend um den Zapfhahn gewickelt haben, suggerieren mir ein anderes Bild, das jedoch eher mit meinem Schwanz zu tun hat. Mit einem stummen Seufzer reiße ich meinen Blick los und sehe mich lieber wieder im Lokal um.
Auch wenn wir diese Art von Arrangement ab und zu praktizieren, überrascht mich ein wenig, wie stark und vor allem, wie rasch ich in diese Richtung vorpresche. Es ist nämlich nicht so, dass wir automatisch auf Sex aus sind, wenn wir uns sehen, doch heute war es irgendwie klar, und zwar schon ehe ich hier hergekommen bin. Kaum habe ich diesen Gedanken zugelassen, poppt ein Bild in mir auf. Eines von einem anderen jungen Mann, der in Wahrheit bereits eine Weile ständig darin herumschwirrt. Und das macht mich erst recht ein wenig nervös. Bin ich hier, um meine verwirrten Gefühle für Jonah zu verscheuchen?
»Hast du Pläne, wo wir nachher noch hinwollen?« Tobias’ Worte unterbrechen meine Überlegungen, wofür ich ihm recht dankbar bin. Er eilt mit einem Tablett voller Biergläser an mir vorbei, was gut ist, weil so ein etwaiger Blickkontakt ausbleibt, der ihm verraten könnte, womit ich eben gedanklich beschäftigt war.
Mir ist natürlich klar, dass es sich eigentlich um die ›Zu mir oder zu dir ‹ Frage handelt, und ich nehme mir Zeit, darüber nachzudenken, bis er zurückkommt. Gehen wir zu ihm, hätte das den Nachteil, dass ich danach noch mal raus muss oder spätestens morgen früh in Hektik verfalle, um mich vor meinem Dienst zuhause noch umzuziehen. Eine Nummer bei ihm würde mir jedoch die schmutzige Bettwäsche ersparen.
»Und? Schon eine Idee?« Tobias ist zurück, beugt sich über die Theke und stellt das leere Tablett dort ab.
»Nicht wirklich«, flunkere ich, darauf hoffend, dass er diese Wahl trifft. Was er auch tut – guter Junge!
»Dein Bett ist größer, oder?« Wieder dieses hinreißende Lächeln. »Ich kassier schnell ab, dann müssen wir nur mehr warten, bis sie raus sind und klar Schiff machen.«
»Cool«, stelle ich fest, mein Herzschlag legt vor Aufregung ein paar Takte zu. Wir sind beide aufgeregt, also ich und mein Herz. Obwohl das blöde Ding sich immer noch nicht ganz sicher ist, ob es tatsächlich wegen Tobias so heftig klopft. Mein Hirn sieht da weit klarer, oder auch nicht, denn die Gedanken, die darin umherschwirren, sind schon sehr wirr. Das mit meinem Ex ist vorbei – zumindest gefühlstechnisch – das weiß ich sicher, und in Wahrheit war mein Herz auch niemals so stark eingebunden. Etwas, wofür ich mich schäme, und zusätzlich bedrückt mich, dass ich wohl nicht davor gefeit bin, diesen Fehler zu wiederholen. Wieder interessiert sich mein verräterischer Körper offensichtlich für einen Mann, der weder vom Alter noch von der Lebenseinstellung zu mir passt.
»Alles okay?« Tobias runzelt ein wenig die Stirn. »Dein Mienenspiel zu deuten, ist manchmal echt eine Herausforderung.«
»Ja, alles klar!«, versichere ich ihm rasch. »Ich könnte ja schon mal die Gläser spülen, wenn du möchtest?« Mein spontaner Einfall findet einen dankbaren Abnehmer, immerhin ist es ja nicht das erste Mal, dass ich mit ihm den Schlussdienst mache. Während unserer Beziehung war ich mindestens dreimal die Woche hier, um ihn abzuholen. Auch etwas, was ihm – wie er mir leider erst im Nachhinein gestanden hat – zu viel war.
»Das wäre cool, umso schneller sind wir fertig.« Sein Lächeln verlagert sich ein bisschen nach links, was absolut süß aussieht. »Ich vermisse es, dich hier zu haben.« Kaum sind die Worte raus, sieht er aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Wohl ein Anzeichen der Reue wegen seiner vorschnell entschlüpften Aussage.
»Es ist okay, wenn wir uns vermissen, Tobias«, gebe ich leise zurück, weil ich spüre, wie wahr es ist. »Trotzdem wissen wir, warum es besser war, uns zu trennen.« Ich lächle, während ich das sage, behalte jedoch genügend Ernst in der Stimme, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wie das gemeint ist.
»Wir waren leider die klassische Fehlbesetzung, oder?«
»Ja. Das waren wir.«
»Zahlen!«, tönt es von irgendwo.
»Bin gleich wieder da.« Tobias verpasst mir einen kleinen Schmatz, bevor er schmunzelnd abdreht.
Ich sehe ihm hinterher, während ich mich hinter den Tresen begebe, um mein Versprechen einzulösen. Der Gläserspüler steht offen und der Korb darin ist erst halb voll. Also packe ich beherzt zu, räume Glas um Glas hinein. Einen Knopfdruck später läuft er auch schon und ich schnappe mir den Lappen aus der Spüle, um die Arbeitsfläche und die Zapfanlage zu reinigen.
Zwischendurch sehe ich immer wieder auf, um die Lage zu checken. Wie von Tobias vorausgesagt, herrscht tatsächlich allgemeine Aufbruchsstimmung. Ein Tisch nach dem anderen verlangt die Rechnung, und Tobias eilt durch die Bar, ganz in seinem Element. Immer wieder greift er sich an die Gesäßtasche, weil dort einer dieser kleinen Drucker angebracht ist, mit denen die Kassenbons für die Gäste gedruckt werden. Eine moderne Errungenschaft, die die Registrierkassenpflicht mit sich gebracht hat.
Als Nächstes beginne ich die Theke abzuwischen, und kaum bin ich damit fertig, springen plötzlich, wie auf ein Signal, alle Gäste auf und verlassen das Lokal. Kichernd und sichtlich bester Laune. Nachdem sich die letzte Menschentraube durch die Tür nach draußen geschoben hat, habe ich endlich freie Sicht auf Tobias, der kopfschüttelnd mitten im Raum steht. »Jedes Mal das Gleiche«, stellt er fest, danach lacht er so herzlich, dass ich einfach mitlachen muss.
Noch immer kichernd schnappe ich mir zwei leere Tabletts, schlendere zu ihn hinüber und halte ihm eines hin. »Na dann. Klar Schiff machen war die Devise, oder?«