13. Kapitel
Elias
Der Geruch der italienischen Kräuter, mit denen ich die Pizza veredelt habe, hängt noch im Zimmer. Wenn schon der Teig nicht selbst gemacht war, wollte ich doch wenigstens mit dem Belag punkten. Mein Magen ist angenehm gefüllt, meine Geschmacksnerven befriedigt, und auch sonst fühle ich mich rundherum wohl. Ein Empfinden, das ich schon sehr lange nicht mehr verspürt habe.
»Die Pizza war echt fantastisch.« Jonah lehnt sich gegen die Couchlehne und streicht sich über seinen nicht vorhandenen Bauch. »Du bist ein Spitzenkoch.« Das freche Grinsen, das seine Aussage begleitet, spiegelt sich – in allerdings eher dankbarer Weise – auf meinem Gesicht wider.
»Na ja. Oliver würde mich lynchen, wüsste er, dass ich den Teig gekauft habe.«
»Oliver?« Seine rechte Augenbraue zieht sich nach oben.
»Ein Freund.«
»Ein Ex-Freund?«
Er kommt gerne rasch auf den Punkt, das gefällt mir. »Nein«, erkläre ich ihm bereitwillig. »Jemand, den ich aus der Schulzeit kenne. Er lebte für ein paar Jahre in Wien, ist aber vor einem Jahr wieder hierhergezogen.«
»Aus unserem Team?«
Wie leicht er dieses Thema nimmt, ich bin fast ein wenig neidisch. »Ja. Er lebt in einer Beziehung. Einer ernsten. Festen.«
Jonah schmunzelt. »Ich dachte, eine Beziehung bedeutet, dass es eben ernst und fest ist
»Sag ich ja.« Warum kristallisiert sich dieser Punkt in buchstäblich allen meinen Gesprächen unweigerlich irgendwann heraus? Das frage ich mich ernsthaft. Bin ich so sehr auf der Suche nach einem Mann fürs Leben, dass ich vergessen habe, wie es ist, einfach nur zu plaudern?
»Ja, aber du hast es extra betont.« Er stößt einen zufrieden klingenden Atemstoß aus und lässt seinen Kopf entspannt in den Nacken fallen. Seine Schultern hochziehend, seufzt er erneut, wodurch sich sein T-Shirt hochschiebt und ich wieder mal einen kurzen Blick auf die Haut darunter geschenkt bekomme. Dabei will ich das gar nicht. Vorhin habe ich wirklich genug davon gesehen!
»Weil es gerade in unserer Community nicht immer so klar zu sein scheint«, gibt mein vorschnelles Mundwerk ungefragt preis.
»Ach ja. Ich vergaß. Du bist da ja ziemlich festgefahren.«
»Inwiefern?«
»In deiner Einstellung dem schwulen Leben gegenüber.«
»Das stimmt doch gar nicht«, erwidere ich heftiger, als es passend erscheint.
»Vielleicht bist du einfach bis jetzt den falschen Männern begegnet?«
»Dann verstecken sich die Richtigen gut«, maule ich. Oder sie sind bereits vergeben , füge ich im Stillen hinzu. Wie so oft muss ich in diesem Zusammenhang an Eric und David denken, das befreundete Paar von Oliver und Nick.
»Vielleicht drückst du ihnen auch einfach viel zu schnell einen Stempel auf.« Wäre Jonahs Stimme nicht so entspannt und frei jeden Vorwurfs, würde ich wohl erneut mit einer patzigen Erwiderung reagieren, so seufze ich jedoch nur. Aber damit nicht genug – nein, ich schiebe sogar ein »Kann sein« nach.
»Du warst geschockt vorhin, oder?«
»Was?« Seine Frage lässt mich aufsehen.
Er hat seinen Kopf wieder angehoben und mustert mich höchst interessiert. »Vorhin, in meinem Zimmer.«
»Ach so.« Ich presse die Lippen zusammen, um zu verhindern, dass meine Gedanken sich vorschnell verbal nach außen drängen. Weil er dann hören würde, dass Schock keineswegs das Wort ist, was mir dazu einfällt.
»Kann ich dich was fragen?« Jonah stützt die Ellenbogen auf seine Oberschenkel, verschränkt seine Finger ineinander und stützt sein Kinn auf die aufgestellten Daumen.
»Klar«, sage ich, obwohl ich mir absolut nicht sicher bin.
»Du hast mich doch schon in eine Schublade gesteckt, als du mich das erste Mal gesehen hast, oder? Weil ich Piercings habe.«
»Nein.« Mein Widerspruch kommt so abrupt, dass er grinst. Und deshalb muss ich auch grinsen. Und zwar ziemlich breit. »Okay. Vielleicht ein wenig«, gestehe ich.
»Das ist okay. Also, was heißt okay. Normal ist wahrscheinlich das bessere Wort.«
»Du hast dich aber auch nicht bemüht, aus dieser Schublade wieder rauszukommen«, gebe ich zu bedenken.
Nun runzelt er die Stirn und sein Lächeln wird schwächer. Trotzdem weiß ich irgendwie, dass er mir nicht böse ist, und gleichzeitig merke ich, wie sehr ich ihn verstehen möchte. Eine Erklärung dafür finden, warum er so ist, wie er ist. Falls es die überhaupt gibt.
»Vielleicht, weil mir nicht bewusst war, dass du das gerne hättest«, sagt er leise.
Um Zeit zu gewinnen, greife ich mir mein Bier und mache einen langen Schluck. Erst danach fängt mein Blick den seinen wieder ein. Seine Iriden sind blau wie meine, nur dass seine viel heller sind. Fast strahlend, egal ob er lacht oder traurig zu sein scheint. Es ist wie ein inneres Licht, das darin flackert. »Kann ich dich auch was fragen?«, bitte ich ihn.
»Klar.«
Nun ist es an mir zu seufzen. »Bist du wirklich nur ausgezogen, weil dein Arbeitsweg zu lange war?«
»Jein. Es war mit ein Grund. Du weißt ja nur zu gut, wie oft ich zu spät zum Dienst erschienen bin.«
»Aber das war ja nicht nur wegen der langen Anfahrt«, entkommt es mir. »Schließlich gibt es Fahrpläne, nach denen man sich richten kann.«
Eine Spur von Verärgerung gräbt sich prompt in seine Züge, ist aber genauso schnell wieder verschwunden. »Ich bin manchmal etwas verplant, wenn ich … Nein, ohne wenn. Ich bin einfach manchmal etwas verplant.«
Er hält etwas zurück, so viel ist klar, doch gleichzeitig fühle ich, dass jetzt nicht der richtige Moment ist, um diesbezüglich nachzubohren. Und zwar nicht nur wegen ihm. Ich will die Leichtigkeit wiederhaben, die vorhin unser Essen begleitet hat. Es war schön, Zeit mit ihm zu verbringen. »Ist schon gut. Also, wenn du nicht darüber reden möchtest«, versichere ich ihm.
»Das ist es nicht. Oder eigentlich schon.« Er zieht eine Grimasse, doch plötzlich hellt sich seine Miene wieder auf. »Was hältst du jetzt von Dessert?«
»Warum nicht?«
»Okay. Ich bin gleich wieder da.« Er hüpft regelrecht von der Couch und eilt aus dem Zimmer.
Ich sehe ihm hinterher, wodurch mir auffällt, wie knackig sein Hintern in dieser Jeans aussieht. Und dieser Gedanke bringt mich wieder zurück zu seiner Frage, die ich eigentlich nicht richtig beantwortet habe. Denn nein, ich war nicht schockiert vom Anblick seines nackten Körpers. Wenn er eine Art Erschrockenheit aus meinen Zügen gelesen hat, dann nur deshalb, weil mir gefallen hat, was ich gesehen habe. Sehr sogar!
Wieder erwacht in mir Erstaunen über meine eigene Reaktion von vorhin, bei seiner unfreiwilligen Peepshow. Geschockt war ich überhaupt nicht, vielmehr hat es mich buchstäblich erschreckt, wie anziehend und erregend ich seinen Anblick gefunden habe und noch immer finde. Trotz dem auf ewig in seine Haut gestochenen Bild, das sich über seinen halben Oberkörper zu ziehen scheint. Oder vielleicht sogar gerade deshalb. Bis jetzt hatte ich niemals die Möglichkeit, einen tätowierten Mann nackt zu sehen. Weil ich es nie soweit hab kommen lassen, da diese Art des Körperschmucks für mich bisher ein Ausschlusskriterium darstellte, genauso wie … Piercings. Und die hat er – wie ich jetzt aus erster Quelle weiß – nicht nur im Gesicht und an den Ohren. Was ich deutlich gesehen habe, weil er außerdem beschnitten ist – auch eine Premiere für mich!
»Ich hab die Brownies in der Mikrowelle warm gemacht und dachte, wir gönnen uns das hier dazu.« Jonah ist zurück, zwei Teller in der einen Hand und eine Packung Vanilleeis in der anderen.
Ich nicke zustimmend. »Da zeigt sich wieder mal, wie kreativ du bist.«
»Bin ich das?« Er lässt sich nieder, stellt alles ab und öffnet dann die Box, um das Eis auf die Teller zu verteilen.
»Ich kann mich erinnern – du warst erst ein paar Wochen bei uns. Da hast du dein T-Shirt einfach verkehrt rum getragen, weil du dein offizielles Shirt vergessen hattest.«
»Das hast du bemerkt? Fuck, jetzt schäm ich mich nachträglich.« Er grinst frech, was ich als Indiz gegen allzu ausgeprägte Reue deute.
»Ja. Man hat den Schriftzug durchgesehen.« Nun muss ich ebenfalls grinsen, weil ich mich daran erinnere, dass ich Helga fragen musste, was er bedeutet. »Ich hatte keine Ahnung, was ein Electric Love Festival ist«, lasse ich ihn an meiner gedanklichen Rückblende teilhaben.
»Hmm?«
»Das stand auf dem Shirt.«
Nun lichtet sich seine Miene. »Oh. Ja, da bin ich jedes Jahr. Da kommen die geilsten DJs der Welt. Fuck, dem Shirt traure ich nach, ich hab es nämlich irgendwann bei einem Freund liegen lassen.«
»Einem Ex-Freund?«, wiederhole ich seine Frage von vorhin.
Nun wirkt er erstaunt. »Wie man es nimmt.«
Mir entschlüpft ein »Oh!«, weil mir in genau diesem Moment klar wird, dass er nach meinem Beziehungsstatus gefragt hat, ich jedoch nicht. Und der einfache Grund dafür ist, dass ich insgeheim rigoros ausgeschlossen habe, es gäbe da jemanden.
»Hier.« Er schiebt mir einen der Teller rüber, sticht ein Stück von seinem eigenen Brownie ab und löffelt ein wenig Eis dazu. »Hmmm«, summt er, nachdem er gekostet hat. Dabei verzieht er das Gesicht, als durchlebe er gerade die größte Wonne. »Ich liebe heißen Schokikuchen mit Eis.«
Meine Irritation über seine Aussage vorhin ist ihm wohl entgangen, was mir nicht gefällt. Lieber wäre mir gewesen, er hätte es als Aufhänger genommen, mir von selbst Details von seinem Liebesleben zu verraten. Statt nun jedoch nachzufragen, koste ich ebenfalls den Kuchen. Er mundet vorzüglich, doch irgendwie ist da auch der Geschmack meiner Feigheit.
Wir verputzen unsere Desserts ohne ein weiteres Wort. Jonah, weil es für ihn offensichtlich einem Höchstgenuss gleicht, und ich, um mir selbst einen Grund zu liefern, nicht zu hinterfragen, was ich doch so dringend wissen möchte.
Kaum hat Jonah seine Portion aufgegessen, deutet er mit flehendem Blick auf die halbleere Eisbox. »Kann ich?«, erkundigt er sich.
Ich nicke nur, mir haben schon die beiden Kleckse Eis auf dem Teller genügt, um mich frösteln zu lassen. Ich bin ein Sommer-Gelati-Tiger, im Winter brauch ich das Zeugs nur auf dem Eislaufplatz.
»Ich steh voll auf Eis.« Seine Augenbrauen wackeln anzüglich. »Ist vielseitig einsetzbar.«
Noch während ich spüre, wie sich die obligatorische Falte zwischen meinen Augenbrauen bildet, fängt er an zu grinsen. »Na, du weißt schon.« Seine Zunge leckt einmal über den Löffel, bevor der verdammt tief in seinem Mund verschwindet. »Hmm«. Das Summen, das sein Tun begleitet, geht mir unter die Haut, und noch mehr das sinnliche Stöhnen, als Jonah den Löffel langsam wieder herauszieht.
Es kostet mich einige Mühe, zu verhindern, dass sich meine Kinnlade in Richtung Boden verabschiedet. Nur die typische Hitze steigt mir unweigerlich in die Wangen, dagegen bin ich machtlos.
Meine Reaktion lässt ihn erst innehalten, dann sinkt seine Hand mit dem Löffel nach unten. »Was?«, haucht er. Seine Stimme klingt rau, was eventuell an dem vielen Eis liegen könnte, das er zuvor schon verspeist hat.
Nur dass ich das nicht so empfinde. Für mich ist es sinnlich heiser, wie er spricht. Mein verdammtes Herz klopft plötzlich wie wild, denn das macht die Sache wahrlich nicht leichter. Und auch nicht, dass ein kleines Eis-Rinnsal eine Spur von seinem Mundwinkel zum Kinn gezogen hat. Nein, das ist nicht gut. Weil der Anblick in mir den unbändigen Wunsch weckt, es von seiner Haut zu lecken … und mehr!
»Elias?«
Jonahs Stimme dringt nur langsam zu mir durch, denn eigentlich summt das Echo seines Stöhnens noch immer in meinen Ohren. »Hmm«, mache ich daher nur und stelle gleichzeitig fest, dass ich meinen Blick einfach nicht von seinem bekleckerten Mundwinkel abwenden kann. Genauso wenig wie von den sinnlichen Lippen, die übrigens schon wieder meinen Namen formen, allerdings eingebettet in irgendwelche anderen Worte, die mir jedoch verborgen bleiben.
»Was denn?«, bringe ich irgendwie heraus, was Jonah ein spöttisches Schmunzeln entlockt.
»Du siehst mich grad an …« Nun kräuseln sich seine Augenbrauen. »Du sendest verdammt gegensätzliche Signale, muss ich dir sagen.«
Vor allem seine zweite Aussage weckt mich zumindest oberflächlich aus meiner kleinen erotischen Krise – aber eben nur oberflächlich. »Sorry«, sage ich, dabei ist mir nicht ganz klar, ob ich mich bei ihm entschuldige, oder bei mir selbst.
Denn in mir findet eine Art Meuterei statt. Irgendjemand hat meinem Hirn die Steuerung entrissen und alles scheint plötzlich auf Autopilot zu laufen. Ehe ich weiß, wie mir geschieht, habe ich meine Hand um Jonahs Nacken geschlungen und küsse ihn. Dabei hängt mein Arsch halb in der Luft, weil der Abstand zwischen uns nur so zu überbrücken ist.
Das ist mir allerdings egal, zumindest ab dem Moment, in dem er beginnt, den Kuss zu erwidern. Als meine Zunge jedoch tief in seinen Mund taucht, ist da etwas, das ich noch nie gespürt habe. Die metallene Kugel in seiner Zungenspitze. Für einen Augenblick konzentriere ich mich nur auf den Geschmack, den ich zu schmecken glaube, doch dann umschlingen mich Jonahs Arme und seine Hand landet auf meinem Arsch. Der Druck seiner Finger ist angenehm fest durch den Stoff meiner Jogginghose zu spüren. Fuck, er weiß definitiv, wie Mann zugreifen muss, aber ich auch! Und das mache ich!
Wieder schiebe ich meine Zunge in seinen Mund, gleichzeitig packe ich beidhändig seine Hüfte, ziehe ihn näher und dränge uns dann beide nach hinten, bis Jonah nachgibt. Mein Denken setzt aus, zumindest der Teil davon, der für rationale, vernünftige Entscheidungen zuständig ist. Ob er nun ein Kollege ist, zu jung für mich, unsere Zukunftsperspektiven sich nicht decken – egal!