14. Kapitel
Jonah
Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wie das jetzt passiert ist, aber ich bin sicher der Letzte, der sich darüber beschweren würde. Der Spruch mit dem Eis war eigentlich im Scherz gemeint gewesen, genauso das provozierende Ablecken des Löffels. Das habe ich mal in einem Porno gesehen, hätte aber niemals vermutet, dass so etwas gerade bei einem eher konservativen Typen wie Elias anschlagen würde.
Mir entkommt ein Stöhnen als seine, sich unter mein Shirt tastende Hand über mein ausgeprägtes Sixpack streicht. Dafür muss ich mich sicher nicht schämen, ich weiß selbst, wie geil es sich anfühlt, Muskeln zu streicheln. Und Elias’ Berührung fühlt sich genauso geil an. Ich mag den Druck, den er einsetzt – zärtliche Vorsicht ist in manchen Situationen nett, jedoch nicht während des Sex! Und darauf läuft es ja hoffentlich hinaus.
Unser Kuss endet, als Elias’ Finger an meiner Brustwarze angekommen sind. Ich spanne automatisch den Bauch an, weil ich mich auf das irre Gefühl vorbereite, wenn seine Fingerspitzen darüberstreichen oder mit dem Ring darin spielen. Doch leider passiert das nicht. Ganz im Gegenteil!
Ich öffne ungläubig die Augen. Da sitzt er. Aufrecht und starrt mich an, als hätte er mich noch nie gesehen. »Alles okay?«, erkundige ich mich etwas atemlos.
Seine linke Hand knetet den eigenen Nacken, die rechte liegt auf seinem auf der Couch knienden Bein. Ich kann mir einen prüfenden Blick auf seinen Schritt nicht verkneifen. Da zeichnet sich sein erigierter Schwanz ab, und zwar sehr deutlich. Was also genau ist das Problem?
Das frage ich ihn, als er auch einige Sekunden später noch nicht verbal reagiert hat.
Zuerst schweigt er weiter, dann hüpft sein Kehlkopf ein paar Mal auf und ab, ehe er doch etwas sagt oder vielmehr stottert. »Ich … ähm … Du hast …« Er bricht ab, schluckt erneut hart.
»Okay.« Obwohl sich meine eigene Erregung unangenehm gegen den engen Jeansstoff drückt, setze ich mich ebenfalls auf. »Was läuft hier? Ich meine, du hast mich geküsst.«
»Du hast vorhin nicht geantwortet. Auf die Frage, ob du einen Freund hast.« Sein Vorwurf trifft mich reichlich unvorbereitet, vor allem, weil er unbegründet ist. »Du hast nicht gefragt«, gebe ich daher stirnrunzelnd zurück.
»Doch. Hab ich.«
»Nein. Hast du nicht.«
»Doch. Hab ich.«
Die erneute Wiederholung seiner Behauptung macht die Sache nicht besser. Ich kann förmlich fühlen, wie sich meine Miene verdunkelt. »Nein. Ich hab erzählt, dass mein T-Shirt vom Electric Love Festival bei einem Freund liegen geblieben ist. Und du hast gefragt, ob das ein Ex-Freund ist. Worauf ich geantwortet habe: Wie man es nimmt.« Ich passe nämlich sehr genau auf, was jemand sagt beziehungsweise macht. Weil es für mich nichts Schlimmeres gibt als Ignoranz oder Unaufmerksamkeit Menschen gegenüber. Das habe ich zu oft selbst erlebt.
Er stockt kurz, nickt aber schließlich. »Okay. Dann frage ich dich jetzt.«
»Was?« Natürlich weiß ich, was er meint, doch ich bin sauer. Weil mein verdammt harter Schwanz in meiner Jeans um Erlösung jammert und ich Elias grad echt eine Erektionsstörung an den Hals wünsche.
»Was was?« Er ist nicht minder echauffiert, womit er meinen Zorn jedoch nur verstärkt, was sich deutlich in meinem Tonfall widerspiegelt. »Was willst du wissen?«
»Hast du einen Freund?«
»Nein.«
»Und war dieser Typ dein Ex-Freund?«
»Ich weiß zwar nicht, was dich das angeht, aber nein. War er nicht.«
»Sondern?« Seine Wangen glühen.
Mir ist nicht ganz klar, was hier im Moment abgeht, doch ich weiß eines: Nämlich, dass ich darauf keinen Bock habe. »Das geht dich nichts an«, blaffe ich ihn daher an, springe auf und verlasse das Zimmer.
Mein Herz klopft wie verrückt in meiner Brust. Das Gefühl, das mich erfüllt, kann man wohl am besten mit Übelkeit aus Wut betiteln.
»Was genau hat der Typ eigentlich für ein Problem?« Meine Frage verpufft im leeren Zimmer, während ich mit Schwung das Fenster aufreiße und mir meine Kippen schnappe.
»So ein Idiot!« Ein fast knurrendes Stöhnen ausstoßend, greife ich mir in den Schritt, um meinen nur langsam abschwellenden Schwanz zurechtzurücken. Das hab ich nun davon. Blaue Eier!
»Arschloch«, schimpfe ich weiter, natürlich in Zimmerlautstärke, obwohl ich es ihm viel lieber ins Gesicht schreien möchte. Die Glut meiner Zigarette leuchtet auf, während ich den Rauch tief in meine Lunge sauge. Wann werde ich endlich lernen, auf meinen Kopf statt auf mein Herz zu hören? Als wäre es mir andersherum auch nur einmal
zugutegekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Jedes einzelne Mal, wenn ich mich geöffnet habe, ist es letzten Endes nach hinten losgegangen. Meine vermeintliche Schwäche hat sich zum Makel gewandelt, meine Traurigkeit zur Teilnahmslosigkeit.
»Arschloch«, murmle ich erneut, doch dieses Mal gilt das Schimpfwort mir. Es ist oberpeinlich, wie sehr ich nach Verständnis dürste und nach jemandem, bei dem ich mich fallen lassen kann.
Elias ist das aber mit Sicherheit nicht. Seine Bereitschaft, mich hier aufzunehmen, die freundliche, wenn auch zurückhaltende Art, mit der er mich seitdem behandelt, ist mir wohl zu Kopf gestiegen. Da ist nicht mehr! Egal wie sehr ich es mir wünsche.
Die Tränen kommen, doch ich lasse sie nicht frei. Das habe ich gelernt. Weinen kann erlösend sein, aber ebenso gut gefangen nehmen. Wie bei meiner Mutter. Erst war es die Angst, dann die Trauer um Lisbeth, die sie in eine Zelle gesperrt hat. Eine Zelle, deren Stäbe nicht schützen, sondern einfach nur einsam machen. Ich habe es nicht geschafft, sie daraus zu befreien, genauso wenig wie mein Vater. Er hat nur früher resigniert als ich. Ich habe gekämpft, bis zuletzt. Dass ich jetzt aufgegeben habe, indem ich ausgezogen bin, beschämt mich so sehr, dass es wehtut. Tief in mir drin.
»Jonah?« Ich lasse vor Schreck meine Zigarette fallen. Zum Glück hängt meine Hand im Freien, sodass wenigstens der Parkettboden des Zimmers nicht darunter zu leiden hat.
Elias’ Tonfall zeugt von seiner Zerknirschung. »Kann ich reinkommen?« Die Frage ist überflüssig, weil er bereits in der halboffenen Tür steht, trotzdem nicke ich. Danach gebe ich vor, mich darauf zu konzentrieren, das Fenster zu schließen, da ich ihn einfach nicht ansehen möchte. Natürlich beobachte ich ihn dennoch. Heimlich. Aus den Augenwinkeln.
»Es tut mir leid.« In Ermangelung anderer Sitzgelegenheiten lässt er sich am Fußende des Schlafsofas, das mir als Bett dient nieder.
»Schon gut«, sage ich, nur ist mir leider anzuhören, dass es alles andere als das ist. Ich setze mich ebenfalls, allerdings ans Kopfende, und damit so weit wie möglich von ihm entfernt.
»Es ist nur so, dass ich da sehr eigen bin. Also, was Beziehungen angeht.«
Nun stiehlt sich mein Blick doch in seine Richtung, ich bleibe aber stumm.
»Ich hab mich schon vor langer Zeit geoutet, habe aber nie eine Beziehung geführt, weil ich überzeugt war, dass das in der Schwulenszene nicht möglich ist.«
»Warum?«, muss ich nun doch eine Frage stellen.
»Ich wünsche mir eine monogame Partnerschaft. An offenen Beziehungen bin ich genauso wenig interessiert wie an solchen, die zu nichts führen.«
Ich bin regelrecht geschockt von der Überzeugung, die in seiner Stimme mitschwingt. »Das heißt im Klartext, dass du denkst, alle Schwulen sind dauergeile Idioten?«
»Nein. Natürlich nicht. Oliver und Nick, das sind die Freunde, mit denen ich heute unterwegs war, sind zum Beispiel schon sehr lange zusammen, und durch die beiden habe ich ein perfektes Paar kennengelernt. Eric und David, und die beiden leben mit Davids Ex-Frau und ihren gemeinsamen Kindern in einer Art Patchworkfamilie.«
Nun kann ich nur fragend eine Augenbraue hochziehen.
»Aber ich gerate immer an Typen, die das auf keinen Fall wollen.«
»Hast du denn eine Ex-Frau und Kinder?«
Seine Stirn bildet Falten, ehe ein kurzes Schmunzeln seine Lippen erobert. »Nein.«
Wieder zuckt meine Augenbraue.
»Aber ich möchte irgendwann heiraten.«
»Einen Mann?«
»Klar.«
»Dann versteh ich das Problem nicht.«
Er verdreht die Augen. »Die meisten schwulen Männer wollen keine Kinder.«
Das kann ich so nicht unterschreiben, was ich ihm vorerst aber nicht mitzuteilen gedenke. Stattdessen setze ich unser Fragespiel fort. »Also willst du auch Kinder?«
»Ja.«
»Vielleicht bist du zu ungeduldig?«
»Wohl kaum.« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Das Problem ist, dass ich mich immer in Typen verliebe, die keinen Bock auf Familie haben.«
»Also verliebst du dich oft?«, hake ich nach.
»Nein. Warum?«
Ich muss schmunzeln, meine Wut über sein Verhalten vorhin ist fast verschwunden. »Weil es so klingt, als hättest du massenhaft Erfahrung damit gemacht, dich in die Falschen zu verlieben.«
»Mit den meisten war schon nach einer Nacht Schluss.«
»Weil sie dir klipp und klar gesagt haben, dass sie keine Fans der Ehe für alle sind?«, mutmaße ich.
»Nein. Ich hab natürlich nicht alle diesbezüglich gefragt.« Ein Kopfschütteln seinerseits soll mir wohl verdeutlichen, wie abwegig diese Idee ist.
»Woher wusstest du es dann?«
»Sowas spürt man.«
»Und was spürst du bei mir?«
Er errötet ein wenig, zuckt jedoch nur mit den Schultern.
Ich setze mich auf und blicke ihm abwartend in sein überfordert wirkendes Gesicht. »Na los, sag schon.«
»Man hört einiges«, erklärt er mir leise.
»Ach? Und was hört man?«
Er mustert mich skeptisch, aber da es mir gelingt, meine Züge freundlich entspannt zu halten, wagt er es schließlich, weiterzusprechen. »Die Schwestern erzählen manchmal von deinen Ausflügen nach Wien oder München. Und dass du dort Clubs besuchst und dich amüsierst.«
Das stimmt natürlich, nur verstehe ich den Zusammenhang nicht ganz, was ich ihm auch mitteile.
»Na ja. Ich denke, du bist jemand, der gerne Spaß hat.«
»Und deshalb ungeeignet für eine Beziehung. Denn in Beziehungen soll man keinen Spaß haben.« Mein Sarkasmus kommt bei ihm nicht gut an, das zeigt mir die Verärgerung, die über seine Miene huscht.
»Nicht mit anderen Männern.«
»Und das setzt du bei mir voraus?« Okay, die Wut ist zurück, und sie ist sogar noch größer geworden.
»Nein. Aber …« Er bricht ab. »Jonah. Ich finde dich wahnsinnig nett und ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, wie attraktiv ich dich finde. Aber wir passen nicht zueinander. Also ist es wohl besser, wenn wir diese Sache nicht vertiefen.«
Diese Sache!
Mein Zorn brodelt weiter in mir, trotzdem gelingt es mir wohl recht gut, das nicht nach außen zu zeigen. Folgendes glaube ich jedenfalls aus seiner selbstgerechten Ansprache lesen zu können. Er hat kapiert, dass ich auf ihn stehe, und war kurzfristig versucht, darüber hinwegzusehen, dass ich ein tätowierter, gepiercter Playboy bin. Nur ist ihm seine Überzeugung, ich würde als potenzieller Heiratskandidat und/oder künftiger Kindsvater nicht infrage kommen, in die Quere gekommen, weshalb er die sexuelle Anziehungskraft, die er mir gegenüber verspürt, zur Seite drängt und die Vernunft siegen lässt.
Fuck you
, kann ich nur denken, laut sage ich aber: »Das ist sicher sinnvoll.«
»Gut.« Er wirkt so erleichtert, dass ich ihm gerne eine reinhauen würde. Stattdessen lächle ich nur neutral.
»Na dann.« Er steht auf, ebenfalls lächelnd, auch wenn es bei ihm nicht mal halb so verkrampft aussieht, wie es sich bei mir anfühlt. »Ich wünsch dir eine gute Nacht. Und noch mal danke für den Kuchen.«
»Gern geschehen. Schlaf du auch gut.« Die Anstrengung, meine Mundwinkel oben zu halten, verursacht mir regelrecht Schmerzen.
Dann geht er, und kaum ist die Tür hinter ihm zugefallen, kann ich das verdammte Lächeln endlich verschwinden lassen.
»Fuck you!«, wiederhole ich nun hörbar, gleichzeitig kommen mir wieder die Tränen, die ich aber erneut erfolgreich zurückdrängen kann.
Das fehlte noch, dass ich wegen ihm auch nur eine davon vergieße.