18. Kapitel
Jonah
»Laut App kommt die Lieferung in circa vierzig Minuten«, rufe ich Elias zu, der im Wohnzimmer vor der Glotze sitzt. Ich bin gerade auf dem Weg zur Dusche, was ich ihm ebenfalls mitteile.
»Okay.« Er klingt abgelenkt, was wahrscheinlich daran liegt, dass seine Serie läuft – wie jeden Abend, den er zuhause ist. Irgendetwas mit Wikingern, die ständig am Kämpfen sind. Nicht ganz mein Fall, aber ich bin überhaupt nicht so der TV-Typ. Mir ist ein gutes Buch bei weitem lieber. Wieder etwas, was mein voreingenommener Vermieter sicher nicht von mir erwartet, doch das stört mich nun nicht mehr. Weil ich beschlossen habe, das Ganze als eine Art Spiel anzusehen, was ich jedoch keinesfalls abwertend meine. Vielmehr ist es ein Versuch, aber wenn es klappt und er von selbst erkennt, dass ein Bild nicht immer das ist, was es zu sein scheint, haben wir beide gewonnen.
Während das warme Wasser über meinen Kopf rieselt, kommen mir jene Worte in den Sinn, die Nick mir zugeflüstert hat, kurz bevor Elias und ich ins Auto gestiegen sind. ›Ich kann dir das jetzt nicht im Detail erklären, aber wenn du ihn knacken willst, guck mal, dass er so oft wie möglich einen Blick auf dein Tattoo erhaschen kann.‹
Immer noch bin ich vollkommen planlos, was das zu bedeuten hat. Immerhin ist eines der wenigen Dinge, in denen ich mir sicher bin, dass genau diese Körperbemalung eher nicht zu den
Punkten gehört, die Elias an Männern schätzt. Trotzdem sagt mir irgendetwas, dass es kein Fehler ist, auf Nick zu hören. Weil er Elias kennt und außerdem schon fast unheimlich gut in Menschen lesen kann.
Aus diesem Grund benutze ich auch das Duschgel, das ich von Rex zu Weihnachten bekommen habe. Er meint, es riecht nach Sex, aber im positiven Sinn. Ich selbst finde es männlich herb mit einer wohldosierten fruchtigen Note. Der Oberclou dieses Zeugs ist jedoch, dass es ein Creme Gel ist, das die Haut wirklich stundenlang mit einem samtigen Glanz überzieht, ohne den lästigen Schmiereffekt einer Lotion.
Dabei sinniere ich weiter, ob ich Elias überhaupt knacken will, um bei Nicks Ausdruck zu bleiben. Entgegen der Meinung von Herrn Stock-im-Arsch sehne ich mich nämlich sehr wohl nach einer Beziehung, hab aber keinen Bock, darum zu kämpfen. Wenn dieser konservative Idiot sich von Tattoos, Intimschmuck und Ringen in Augenbraue, Zunge und Ohren abschrecken lässt, ist das sein Problem, nicht meines. Ich muss niemanden überzeugen, dass ich ein guter Fang bin!
Dieser Gedankengang bringt mich wieder zu Nicks Ratschlag beziehungsweise zur Frage, warum er das Tattoo erwähnt hat. Ich gehe den Nachmittag noch mal durch, und das bringt tatsächlich etwas Licht in die Sache. Immerhin waren er und Oliver für gute fünfzehn Minuten allein, während Elias und ich den Abwasch erledigt haben. Diese Zeit könnten sie natürlich genutzt haben, um sich gegenseitig auf den neuen Stand betreffend Elias’ und meiner Gefühlslage zu bringen. Ich bin schließlich nicht so naiv zu denken, Oliver und Elias hätten nicht über uns
gesprochen. Vielleicht ist dabei tatsächlich rausgekommen, dass ihm mein nackter Anblick gefallen hat. Immerhin hat er sogar mir gegenüber zugegeben, mich attraktiv zu finden.
Die Luft ausstoßend, lasse ich das Wasser das Duschgel von meinem Körper spülen. Da ich erst vor zwei Tagen – als Vorbereitung auf den dann doch entfallenen Samstag-Trip – meine gesamte Körperbehaarung getrimmt habe, entfällt das dieses Mal. Wobei das heute mit Sicherheit ohnehin kein Thema ist. Sollte ich mich nämlich für die Durchführung meines Plans entscheiden, wird erst mal nur geködert. Wenn der Fisch angebissen hat, bleibt bekanntlich immer noch genug Zeit, die Angel einzuholen.
Fünf Minuten später sitze ich auf meinem Bett und starre auf den kleinen Kleiderberg, den ich vorhin aus den Taschen, aber nicht in den von Elias für mich bereitgestellten Schrankabschnitt geräumt habe. Ich habe mich zwar bereits für eine bequeme schwarze, lange Freizeithose entschieden, schwanke jedoch zwischen zwei Shirts. Beide sind weiß, das eine ist enganliegend und ungefähr bis zu meinem Nabel reichend, das andere eher locker geschnitten, dafür hat es nicht nur keine Ärmel, sondern auch einen extrem weiten Armausschnitt. Das Zweitere würde mein Tattoo zum Teil sichtbar machen, während beim anderen lediglich der Ausläufer zu sehen wäre, und auch das nur, sobald ich mich bewege. Ich entscheide mich dennoch für die Option eins. Vielleicht passiert ja ein Wunder und ihn machen die durchscheinenden Nippelringe doch noch an.
Der abschließende Blick in den Spiegel lässt mich nach meinem Haarwachs greifen. Es ist von der gleichen Marke wie das Duschgel und passt deswegen duftmäßig perfekt. Einige gekonnte Striche bringen meine Naturlocken in Form, danach verteile ich den Rest dünn auf meinem mittlerweile sechs Tage Bart. Rasiert beziehungsweise gestutzt – also oberhalb der Schultern – wird nur alle zwei Wochen. Meine Gesichtsbehaarung ist vom Wuchs her nicht besonders ausgeprägt, weshalb ich bei der aktuellen Hipster-
Vollbartbewegung nicht mithalten kann. Aber in dieser Länge wirkt es, als sollte der Bart genauso sein.
Den letzten Schliff setze ich, indem ich meine Relax Hose tiefer zupfe, bis sie buchstäblich an meinen Beckenknochen hängt. So ist mein flacher, gut trainierter Bauch perfekt in Szene gesetzt, und Elias kann außerdem erahnen, dass ich eben nicht zur Komplett-Haarlos-Fraktion gehöre.
Noch einmal werfe ich einen prüfenden Blick in den Spiegel. Zwischen T-Shirt und Hose ist genug von meiner Haut zu sehen, um das an meiner linken Seite für immer darauf verewigte Kunstwerk nicht vollkommen zu verdecken. Die Ranke, bestückt mit Rosen und Dornen, in wildem Wuchs kunstvoll verdreht, hebt sich von meiner zartgebräunten Haut ab. Das aus einer verlöschenden Flamme bestehende Ende bleibt verborgen, aber vielleicht macht Elias genau das neugierig auf mehr. Möglicherweise stellt er sich die Frage, woher das Wasser stammt, das das Feuer letztendlich besiegt, doch dessen Ursprung wird er vorläufig nicht zu sehen bekommen, und den wahren Hintergrund dieser Geschichte womöglich niemals hören.
Das Summen der Gegensprechanlage reißt mich aus meinen Gedanken. Ich nicke mir durch den Spiegel auffordernd zu, nehme die vorhin bereitgelegte Zwei-Euro-Münze in die Hand, eile aus dem Zimmer und mit einem »Ich geh schon« weiter zur Tür.
Elias’ zustimmendes »Okay« klingt weitaus interessierter als das von vorhin, was mich darauf schließen lässt, dass entweder seine Serie zu Ende ist oder er Hunger hat. Vielleicht auch beides.
Ich drücke den Summer und öffne die Tür. Das Aufschnappen der Haustür ist zu hören, danach eilige Schritte auf den Treppen, und gleich darauf steht ein junger Mann vor mir, der so abgehetzt aussieht, dass ich lachen müsste, würde mich nicht
gleichzeitig unendliches Mitleid erfassen. »Schönen Abend«, grüße ich.
»N’Abend.« Er sieht kaum hoch, während er mir einen Plastikbeutel mit angenehm warmem Inhalt überreicht. Nur ein kurzes »Danke« bekomme ich, als ich ihm das Trinkgeld überreiche, was ich ihm aber nicht übelnehme. Ich habe eine Zeitlang als Pizzalieferant gejobbt. Ein schlecht bezahlter und höchst anstrengender Job.
Als ich mit meiner, einen anregenden Duft verbreiteten Beute ins Wohnzimmer komme, sieht Elias auf, doch kaum hat sein Blick mich eingefangen, stockt das erwartungsvolle Lächeln ein wenig, und sein Kehlkopf hüpft auf und ab. Ich versuche, nicht zu grinsen, während ich neben dem Couchtisch auf die Knie sinke und mich daranmache, das Essen auszuräumen. Dabei bewege ich mich so, dass der Spalt zwischen Hose und T-Shirt immer wieder zum Einsatz kommt, und es ist offensichtlich, dass Elias gefällt, was er sieht, und damit meine ich nicht die Essenslieferung.
»Ich hoffe, chinesisch ist okay«, erkläre ich leichthin, schiebe die Aluschälchen mittig zwischen ihn und mich und lege die beiden Packungen Stäbchen bereit. »Oder brauchst du Besteck?«, frage ich weiter, als würde ich nicht bemerken, dass er mich immer noch anstarrt.
»Nein, ist okay.« Seine beinahe gehauchte Antwort beschert mir ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch, und zum ersten Mal beginne ich tatsächlich daran zu glauben, dass Nick recht haben könnte.
Nachdem ich die Deckel von den Boxen abgemacht und die Saucen bereitgestellt habe, wechsle ich auf die Couch, wo ich mich, ein Bein untergeschlagen, sehr eng neben Elias niederlasse. Natürlich nur, um uns beiden einen möglichst guten Zugriff auf die asiatischen Köstlichkeiten zu gewähren
, ergänze ich in Gedanken ironisch. Und das ist selbstverständlich
auch der einzige Grund, warum sich mein Oberschenkel gegen seinen drückt, als ich mich vorbeuge, um mit meinen, frisch aus der Folie befreiten Essstäbchen in die erste Box zu tauchen.
»Mmmm«, summe ich, während ich mir den Bissen in den Mund gleiten lasse. Sehr langsam und auf eine Art, mit der ich normalerweise andere Dinge da hineinschiebe. Dabei fange ich seinen Blick ein, der Verwirrung ausdrückt, also beschließe ich, erst mal wieder einen Gang runterzuschalten. Schließlich möchte ich es eher diskret angehen.
»Das Hühnchen süßsauer ist wirklich gut«, berichte ich daher, lege die Stäbchen zur Seite und befreie den Reis aus seinem Alufoliengefängnis.
Seine Zunge huscht über seine Lippen. »Scheint so«, murmelt er, lächelt jedoch danach. »Na dann. Lassen wir es uns schmecken.«
Ich lächle ebenfalls, bevor ich meine Aufmerksamkeit wirklich den Speisen zuwende. Köder ausgeworfen, jetzt lassen wir ihn mal ein wenig treiben.
Fünfundzwanzig Minuten später ist der Großteil verputzt und wir lehnen gesättigt in den Kissen der Couch. Unsere Tischgespräche waren entspannt. Ein wenig Geplauder über unsere Essensvorlieben, außerdem hat sich herausgestellt, dass wir zumindest eine gemeinsame Vorliebe haben: das Skifahren. Tiefere Themen oder eben solche, die einem von uns – nämlich ihm – unangenehm sind, haben wir gemieden. Somit kam der Abend einem unter Freunden recht nahe, was ja auch der Arbeitstitel hierfür sein soll.
Dennoch finde ich, es ist Zeit, wieder ein wenig nachzulegen, vor allem, weil er verdächtig ruhig geworden ist. Die Hände in den Nacken legend, dehne ich mich also erst mal, versuche dabei aus den Augenwinkeln zu erfassen, ob Elias mich beobachtet. Was er macht, zwar versteckt, aber doch.
»Mann, bin ich voll«, stöhne ich schließlich und lasse meine Hand einen Kreis über meine, schön angespannten Bauchmuskeln beschreiben. Dass ich dabei mein T-Shirt immer wieder hochschiebe, geht hoffentlich als Zufall durch.
»Ich auch«, erwidert er, seine Hände liegen in seinem Schoß, seine Finger spielen miteinander, fast so, als müsse er ihnen etwas zu tun geben.
Das kann meinem Wunschdenken entsprechen, doch irgendwie glaube ich das nicht. In mir festigt sich immer mehr die Überzeugung, dass es lediglich an der vermeintlichen Inkompatibilität der Zukunftsvisionen liegt, dass er eine Vertiefung unserer Beziehung ablehnt. Nicht an meinem Aussehen. Dass ihm tatsächlich gefällt, was er sieht, es ihm aber schwerfällt, das zuzugeben.
»Alles okay?«, erkundige ich mich neutral. Natürlich wäre es ein Leichtes, ihm zu erzählen, wie ich wirklich gestrickt bin, doch so einfach will ich es ihm eigentlich nicht machen.
Er mir aber anscheinend auch nicht, denn es folgt ein knappes »Klar«, ehe er von mir wegblickt, übertrieben gähnt und sich danach sogar die Augen reibt. »Ich bin etwas erledigt, vielleicht sollten wir für heute Schluss machen.«
Innerlich muss ich schmunzeln – da ziert sich aber jemand. Gut, wenn er es so spielen möchte, bin ich dabei. »Kein Ding«, erwidere ich also, gleichzeitig auf meine Uhr blickend. Wow, zweiundzwanzig Uhr
, denke ich ironisch. Hörbar gebe ich mich da diplomatischer. »Dann mache ich noch schnell klar Schiff und verzieh mich in mein Zimmer.«
Im Grunde ist es vollkommen okay, wenn ich mich jetzt geschlagen gebe. Ich habe den Fisch angefüttert und somit meine erste Teilmission erfüllt. Nun kann ich nur hoffen, es hat für ein paar heiße Träume gereicht.
»Lass nur. Ich mach das schon.« Elias wirkt mittlerweile etwas angestrengt.
Sein Anblick sowie das leichte Zittern seiner Hände, das er so verzweifelt zu verbergen versucht, lassen in mir ein anregendes Kopfkino aufsteigen. Elias, wie er die Beherrschung verliert, über mich herfällt und mir mit einem Ruck das T-Shirt vom Körper reißt.
Der Gedanke lässt mich leise seufzen, erst danach hake ich nach, und zwar mit einer sanften, rauchigen Note in der Stimme. »Sicher?«
»Klar.« Nun schwingt da bereits etwas Ungeduld mit.
Das ist wohl mein Stichwort. Vielleicht hätte ich mich doch mehr zurückhalten sollen – schließlich möchte ich kein Misstrauen in ihm wecken! »Okay. Dann schlaf gut.« Ihm noch ein tiefes Lächeln schenkend, erhebe ich mich und verlasse das Zimmer. Dabei kann ich mir es jedoch nicht verbeißen, mich ein weiteres Mal zu strecken, sodass mein Shirt angehoben wird. Nur für den Fall, dass er bisher nicht gesehen hat, dass das Tattoo bis auf meinen Rücken reicht.