32. Kapitel
Elias
»Und, Doc? Wie fühlst du dich?« Oliver legt einen Arm um mich und seinen Kopf an meine Schulter. Wenn man es genau nimmt, hat er mich heute öfter berührt als die restlichen zwei Jahre, die wir nun enger befreundet sind. Dieses Wochenende ist überhaupt anders – ich bin anders. Ich fühle mich befreiter, der Community zugehöriger und vor allem verliebter als jemals zuvor. Hatte Nick recht? Musste ich nur meine – wie er es gerne nennt – versnobten Ansichten entstauben, um endlich dort anzukommen, wo ich doch offensichtlich hingehöre?
»Es ist so seltsam. Einerseits ist es, als wäre ich heute das erste Mal als Schwuler unterwegs und andererseits fühlt es sich schlussendlich wundervoll passend und vor allem normal an.« Ich kippe meinen Kopf zur Seite, sodass er den seinen berührt.
»Dir haben zwei Dinge gefehlt.« Olivers Stimme ist merkwürdig gedehnt, außerdem verschluckt er ein wenig die Anfangsbuchstaben der Wörter. Ein deutliches Zeichen, dass auch er unter der gefährlichen Mischung von Cocktails, Bier und Prosecco zu leiden hat.
Mir geht es ähnlich, wobei das nicht der passende Ausdruck zu sein scheint. Ich spüre den Alkohol in meinem Blut, der mich ein bisschen langsamer macht, sowohl verbal als auch was die Mobilität betrifft, aber es stört mich nicht wirklich.
»Und das wäre?«, hake ich nach.
»Nick und Jonah.«
Ich grinse und kann mir lebhaft vorstellen, wie dämlich ich dabei aussehe. Doch auch das macht mir nichts aus. »Ach, du bezeichnest unsere Männer also als Dinge.«
»Na ja – Männer«, witzelt er, und ich folge seinem Blick zur Tanzfläche, auf der unsere besseren Hälften sich gerade an einem Linedance versuchen. Jonah und Nick sind mittlerweile wohl in den ›Club der Alpen-Obertunten‹ aufgenommen worden – eine Bezeichnung, die zum Glück nicht von mir stammt. Vielmehr handelt es sich um eine Art Gemeinschaft, die von Gay-Event zu Gay-Event zieht und eben solche Gruppenaufläufe wie den um Mitternacht absolvierten ›Dancing Queen Flashmob‹ oder Ähnliches organisiert.
Im Moment ist es eine Coverversion von Country Roads
zu der besagter Linedance aufgeführt wird. Dazu muss erwähnt werden, dass unsere besseren Hälften zwecks perfekter Eingliederung in die Gruppe mittels rosa Glitzer-Cowboyhüten und Lamettafäden aufgehübscht worden sind.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Jonah so gut tanzen kann«, stelle ich fest.
»Du hattest von Einigem keine Ahnung, Doc.« Oliver kichert, was nur noch deutlicher macht, wie viel über den Durst er bereits getrunken hat.
»Ach, wovon denn noch?«
»Sag ich nicht. Das musst du schon allein rausfinden. Aber …« Er lässt mich abrupt los, stellt sich vor mich und versucht, mein Kinn mit zwei Fingern einzufangen. Was – wie ich ziemlich erheitert feststelle – erst beim dritten Versuch gelingt. Er selbst findet das wohl eher nicht schlimm, zumindest lässt er sich nichts anmerken. »Dir ist endlich klar, dass er der Richtige ist, oder?«
»Ja. Ist es.«
»Das ist gut.« Er lässt mich wieder los, nur um mich gleich darauf einhändig zu umarmen. »Wie macht Nick das nur?«,
fragt er, seine Stirn in Falten ziehend. Die Lautstärke der Musik ist seit zwei Uhr Früh etwas gedrosselt, wodurch es nun wirklich deutlich leichter ist, einander zu verstehen.
»Was denn?«
»Wie kann er sich so schnell soooo viele Schritte merken?« Kopfschüttelnd fixiert er die Tanzfläche, und ich lenke meinen Blick ebenfalls dorthin.
Er hat nicht unrecht – die Choreo ist tatsächlich nicht ohne. »Vielleicht kannte er sie schon. Oder …« Ich hebe meinen Zeigefinger, um meinen eben aufgekommenen Geistesblitz mittels Geste zu untermalen. »Das sind sicher immer wieder die gleichen Schritte, und die haben dann auch Namen, und so kann man das schnell und einfach kombinieren.«
»Man
ist gut. Ich war drei Mal in einer Tanzschule und bin froh, wenn ich zu Silvester den Donauwalzer hinbekomme.«
Johlen erklingt, als das Lied endet. Jonah winkt mir zu, und ich winke zurück. »Nick sieht heute mega aus … zumindest sah er gut aus … also, vor dieser Cowgirlverwandlung. Er sollte öfters so normale
Klamotten tragen.«
»Für ihn ist alles normal. Er wählt nach Stimmung, und heute ist ihm eben nach sexy und männlich.« Oliver grinst erneut. »Wow, ich werde ihn nachher so was von …«
»PIEP«, unterbreche ich ihn gespielt erbost. Obwohl ich mit meinem Lover Ähnliches vorhabe – das müssen wir wirklich nicht detailliert besprechen.
Außerdem bekommen wir endlich wieder Gesellschaft von unseren wahnsinnig attraktiven, wenn auch sehr verschwitzten Partnern. Unser Kuschelchaot trägt noch den Glitzerhut, mein Schatz zum Glück nicht.
»Ach, ihr Süßen«, begrüßt uns Nick. »Das ist eine der besten Partys, die ich seit langem feiern durfte. Die Tunten sind ein Hit, ich hab mir schon ihre Nummern geben lassen. Ich hab sie schon fix bei drei meiner nächsten Feiern eingeplant. Und Jonah?«
Er legt die Spitzen von Zeigefinger und Daumen aneinander und haucht einen Kuss darauf. »Den musst du ganz festhalten, Doc. Der ist nicht nur heiß wie die Hölle, sondern extrem wandlungsfähig und vielseitig einsetzbar.«
»Ach«, lache ich, angle nach meinem flexiblen Lover und ziehe ihn rücklings an mich. »Extrem heiß also«, raune ich ihm ins Ohr.
»Er sagte heiß wie die Hölle und extrem wandlungsfähig – soweit ich mir das gemerkt habe«, korrigiert er mich amüsiert, drückt sich gleichzeitig wundervoll willig in meine Umarmung.
»Unterschreib ich beides.« Ich sauge mich gierig an seinem Hals fest. Wie gut er schmeckt, auch wenn er verschwitzt ist. Ich kann nicht genug davon bekommen.
»Na, da ist aber jemand spitz.« Nick schüttet ein Glas Prosecco auf ex hinunter. Genauso wie bei Jonah scheint der Alkohol an ihm spurlos vorüberzugehen, was wohl daran liegt, dass die beiden ihn sofort wieder mittels Bewegung aus ihrem Blut spülen.
»Ich auch, aber ich bin ja uninteressant«, beschwert sich Oliver prompt.
»Ach, Schneckchen.« Schon ist er in bester Boa constrictor-Manier von Nicks Armen umschlungen. »Vielleicht sollten wir es für heute wirklich gut sein lassen?«
»Ja, genau. Ich will ins Bett«, unterstützt Oliver ihn prompt.
»Und du?« Jonah ist herumgewirbelt und schmiegt sich nun Angesicht an Angesicht an mich. »Willst du auch schon ins Bett?« Zeit für eine Antwort lässt er mir nicht, stattdessen erobert seine Zunge meinen Mund. Ich gehe auf den Kuss ein, zeige ihm so, wie bereit ich bin – zwar nicht wirklich fürs Bett, aber dafür, was man da so treiben kann.
»Na dann!« Nick lacht und drückt seinem Schatz ebenfalls einen Kuss auf. »Ab in die Federn!«
Meine Zungenspitze zeichnet die kleine Quelle nach, die unterhalb der Wolken auf der Schulter den Beginn von Jonahs Tattoo bildet. Sie bedeckt sein Brustbein, und das Flüsschen, das von hier aus weiter südlich fließt, umspielt die gesamte Zeichnung, bis es am Ende auf die Flammen trifft. Obwohl ich bereits megahart bin, muss ich kurz stoppen, als mir etwas bewusst wird. »Das Wasser aus Bettys Quelle löscht deine Ängste – so ist das gemeint.«
Jonah sieht träge auf, Erstaunen dominiert seinen Blick, der dennoch etwas verschleiert wirkt, was wohl daran liegt, dass ich bis eben damit beschäftigt war, seinen gesamten Körper abzulecken. »Ja. Aber ist jetzt wirklich die richtige Zeit für philosophische Erkenntnisse?«
»Nein. Ist mir nur eben eingefallen.« Ich höre selbst, wie begeistert ich klinge. Und das bin ich tatsächlich. Ich habe das Gefühl, ständig ein weiteres Stück seiner Seele freizulegen, was mich ihm auf wundervolle Weise immer näherbringt.
Leider scheint ihm im Moment eher nicht nach Romantik zu sein. »Warum begutachtest du nicht mal meinen Prinzen genauer?«, schlägt er scherzhaft vor.
Ich grinse zu ihm nach oben, mache mich aber umgehend daran, seinem Wunsch nachzukommen, auch wenn offenbleibt, ob damit nur der Ring in seiner Eichel oder sein Schwanz gemeint war. Ich widme mich erst mal dem kleinen Schmuckstück und natürlich auch dem empfindlichen Fleisch, in dem es verankert ist. Es mit meiner Zungenspitze umspielend, schließe ich die Augen, genieße blind die erregenden Laute, mit denen Jonah mir zu verstehen gibt, wie gut ihm das gefällt.
Seine Hand ist unterdessen nicht untätig, sondern stiehlt sich auf meinen Hintern, was möglich ist, weil ich seitlich neben ihm
auf der Matratze knie. Sie verwöhnt meine Backen mit festen Strichen, die dennoch voller Zärtlichkeit sind.
Meine Finger kommen ebenfalls zum Einsatz, denn ich lasse sie über Jonahs Seite tanzen, als würden sie die Rosenranke abtasten. Ein elektrisierendes Gefühl prickelt unter meinen Fingerspitzen. Fast so, als wäre das Tattoo lebendig und ich könnte seine Bewegungen fühlen. Ich liebe es, so wie ich ihn liebe. Was früher nicht in meine Vorstellung gepasst hat, zeigt mir nun deutlich, wie perfekt es sein kann, Grenzen zu überschreiten.
Einmal noch umkreise ich seine Eichel mit meiner Zungenspitze, ehe ich seitlich am Schaft entlang lecke. Meine zweite Hand wagt sich vor und seine Hoden erhalten eine Massage, während ich seinen Schwanz endlich tief in den Mund nehme.
»Ich will dich, Elias.« Jonah klingt nicht ungeduldig, aber sehr bestimmend, was meinen Unterleib prickeln lässt. Bei früheren Partnern wäre mir das eher ein Dorn im Auge gewesen, doch bei ihm finde ich es einfach nur irre sexy. Das ist auch der Grund, warum ich seinem Wunsch augenblicklich nachgebe. Ich will ihn ebenfalls spüren, was mir meine eigenen Worte von vorhin in Erinnerung ruft.
»Dann mach, mein Liebling. Hatte ich nicht darum gebeten, mich den hier …«, ich lecke noch einmal über sein Intimpiercing, »… richtig spüren zu lassen?«
»Jederzeit, Baby«, verspricht er heiser, schnappt sich ein Kondom, und nur ein paar Minuten später hab ich buchstäblich vergessen, wo oben und unten ist.
Sex mit Jonah ist nicht nur wahnsinnig befriedigend, er überrascht mich auch immer wieder aufs Neue. Diese Nummer, eher kurz und von geradezu ekstatischer Lust getrieben, bringt mich ein weiteres Mal an meine Grenzen. Aber das macht nichts, weil diese Grenzen einfach nach mehr
verlangen.
Danach liegen wir uns in den Armen, genießen einander. In mir singt etwas, und ich bin mir ziemlich sicher, es ist mein Herz, das nicht fassen kann, dass wir endlich den Mann unseres Lebens gefunden haben. Mich an Jonah schmiegend, schließe ich die Augen, treibe ein wenig in dem wundervollen Vakuum, das nur postkoitale Zufriedenheit erzeugen kann. »Versteh das jetzt nicht falsch, aber ich könnte wirklich den Rest des Urlaubs einfach nur hier verbringen. Mit dir.«
»Also hat es dir heute gar nicht gefallen?«
Warum klingt er plötzlich wieder unsicher? Das ist auf jeden Fall das Letzte, was ich beabsichtigt habe. Meine Hand bewegt sich streichelnd über seine Seite, sein Tattoo hat mittlerweile eine fast magnetische Wirkung auf meine Finger. »Ich fand’s super heute. Ich hatte Spaß und hab wohl auch endlich die Scheu gegenüber meiner eigenen Community abgelegt. Ein großer Schritt für mich. Auch wenn das für dich wahrscheinlich lächerlich klingt.«
»Tut es nicht.« Er küsst mein Haar, eine wundervoll intime Geste, die mir sofort wieder einen beschleunigten Herzschlag beschert. »Ganz im Gegenteil. Ich freue mich sehr darüber. Nicht für mich, sondern für dich. Weil es dir Türen öffnet – jede gedankliche Sperre, die du ablegst, macht deine Welt größer und schöner. Davon bin ich überzeugt.«
»Das stimmt sicher.« Obwohl mich das Gespräch absolut nicht langweilt, entkommt mir ein Gähnen. Müdigkeit kennt eben keine Romantik.
»Schlaf einfach. Wir haben noch genug Zeit, um zu reden.« Jonahs Umarmung nimmt ein wenig an Kraft zu, und auch ich schmiege mich enger an ihn.
»Ich freu mich so wahnsinnig auf unsere Zukunft. Jetzt, wo ich dieses starre Denken endlich abgelegt habe, bin ich einfach nur mehr neugierig, was sie für uns bereithält.«
»Und du denkst nicht, dass du es bereuen könntest? Was, wenn unser Weg am Ende doch in verschiedene Richtungen führt?« Tastend klingt er bei diesen Worten, so als würde er mich prüfen.
Innerlich seufzend wird mir bewusst, wie sehr ich ihn mit meinem ewigen Zweifeln getroffen habe. Daher bemühe ich mich wirklich, die richtigen Worte zu finden, um seine Unsicherheit zu verscheuchen. »Dann werde ich furchtbar traurig sein, aber ich werde es niemals bereuen, es versucht zu haben. Dessen bin ich sicher, Jonah.«
Sein tiefer Seufzer fühlt sich wunderbar an, weil ich spüre, was für eine riesige Erleichterung er durch meine Worte empfindet. Das wiederum macht mich unendlich happy. Zu wissen, wie sehr er sich das hier gewünscht hat, erfüllt mich mit wohltuender Zufriedenheit.
»Ich kann’s kaum erwarten, unser Leben miteinander nun richtig zu starten, Elias. Und ich verspreche dir eines – es wird noch ein paar Überraschungen für dich geben.«
Meine Augenlider fallen immer wieder zu, ich schaffe es kaum, sie offen zu halten. Auch ein weiteres Gähnen kann ich nicht verhindern. »An diesem Wochenende?«, murmle ich.
Er lacht leise. »Eigentlich würde es genügen, wenn wir erst Dienstag mittags zurückfahren, oder? Du hast erst Mittwoch wieder Dienst.«
Jonahs Frage schreckt mich auf, weil ich gerade dabei war, wegzudösen. »Na ja, wenn dir das nicht zu knapp ist.? Immerhin hast du Dienstag Nachtdienst, oder?«
»Hey, ich bin ein junger, vor Kraft strotzender Mann, das ist ein Klacks für mich.«
»Dann ja.« Ich seufze behaglich. So schwer ich mich anfangs mit diesem Kurzurlaub anfreunden konnte, so sehr genieße ich ihn jetzt. Somit hätte ich nichts gegen einen Tag mehr einzuwenden.
»Das heißt, wir müssten erst noch klären, ob wir das Zimmer um eine Nacht verlängern können. Nick und Oliver haben ja nur inklusive Montag gebucht, soweit ich weiß.«
Auch wenn die Verlängerung eine wundervolle Idee ist – sein plötzlich furchtbar geschäftiger Tonfall passt mir grad gar nicht. Ich will schlafen. »Ja, morgen«, murre ich daher nur.
Ehe ich jedoch recht weiß, wie mir geschieht, hat Jonah sich aus unserer Umarmung befreit und ist aus dem Bett gesprungen.
»Was wird das?«, frage ich verwundert und klinge dabei nicht halb so erbost, wie ich eigentlich bin. Dafür fehlt mir die Energie. Verdammt – es ist vier Uhr Früh, wenn mich mein müder Blick zum altmodischen Radiowecker auf dem Nachttisch nicht trügt.
»Besser ich erledige das jetzt. Die Rezeption ist rund um die Uhr besetzt.« Er angelt bereits nach seiner Jeans und schlüpft hinein.
»Weil du denkst, dass in den nächsten fünf Stunden alle Zimmer ausgebucht sein werden? Die nächsten Gäste reisen sicher erst eher Donnerstag oder Freitag an.« Ich versuche es mit Diplomatie, und für einen Moment denke ich sogar, ich hätte gewonnen und er würde endlich zurück in die Federn kommen. Aber weit gefehlt. Mit einem geschäftigen »Jetzt bin ich doch schon auf« kniet er sich nur auf die Matratze und greift über mich hinweg nach seinem Handy. Dabei wird mir etwas bewusst, was ich ihm auch gleich grinsend mitteile. »Du riechst nach Sex.«
»So wie neunzig Prozent aller Gäste«, witzelt er, ehe er sich ein T-Shirt überzieht. Es ist meines, was ihn aber nicht zu stören scheint. »Ich komm gleich wieder.«
Warum wirkt er plötzlich so aufgekratzt? Ich selbst möchte nur mehr schlafen, und das vorzugsweise in Jonahs Armen. »Mir ist echt schleierhaft, wieso du nicht bis morgen warten kannst«, brumme ich, ein weiteres Mal ausgiebig gähnend.
»Ich möchte einfach, dass das erledigt ist.«
»Ist ja schon gut.« Ich habe keine Lust, mit ihm zu diskutieren. Dafür bin ich zu happy. »Sollte ich inzwischen einschlafen, sei aber nicht sauer, ja?« Wirklich scheinen meine Lider mit jeder Sekunde schwerer zu werden.
»Schlaf nur, ich kuschle mich nachher wieder zu dir.« Sein Kuss landet sanft auf meinen Lippen, danach lausche ich seinen Schritten, die ihn aus dem Raum führen. Die sich schließende Tür ist das Letzte, das ich höre.
Am nächsten Morgen – eigentlich ist es bereits Mittag, aber egal – erwache ich, weil kalte Luft auf meinen entblößten Hintern trifft. Mein einäugiger Blick sucht den Grund dafür und entlarvt die nur angelehnte Balkontüre als Täter beziehungsweise Jonah, der draußen steht und telefoniert. Murrend ziehe ich die Decke wieder vollständig über mich, als auch schon ein Klopfen erklingt.
»Wer stört?«, maule ich laut, was der Störenfried an der Zwischentür wohl als Einladung versteht. Wie fast zu erwarten, handelt es sich dabei um Nick, in einen gelben Pyjama gehüllt. Sofern meine übermüdeten Augen das richtig erkennen, sind kleine Feen auf den Stoff gedruckt.
»Morgen, Doc. Wo ist denn …« Er hält auf halbem Weg ins Zimmer an und schlingt die Arme um seinen Oberkörper. »Was ist denn hier los? Auf meinen Zehen wachsen gleich Eiszapfen!« Er blickt erbost erst auf seine nackten Füße, dann zur geöffneten Balkontür. »Ist das Jonah? Was macht er denn da draußen?«
»Telefonieren«, brumme ich genervt. Ich bin noch lange nicht ausgeschlafen und dementsprechend verwünsche ich gerade sowohl den spontan aufgetauchten Kuschelchaoten als auch meinen an der Frischluft telefonierenden Lover.
»Und warum macht er das da draußen?« Nick kommt zum Bett herübergetänzelt und nur ein paar Sekunden später liegt er doch glatt neben mir.
»Was soll das?«, frage ich, nun endgültig wach und vor allem wirklich gereizt.
»Na, es ist doch saukalt hier!« Nick zieht Jonahs Decke bis zur Nasenspitze hoch und ich verdrehe die Augen. »Du könntest auch einfach wieder in euer Zimmer gehen.«
»Ich wollte doch nur fragen, ob ihr dann gleich mit zum Skihasen-Brunch kommt.« Nick mustert mich unschuldig.
»Wann ist dann gleich
?«, erkundige ich mich.
»Von der Zeit her wäre es nicht eilig, der geht bis fünfzehn Uhr, aber Oliver hat schon Hunger.«
»Okay. Also, wenn Jonah auch möchte«, stimme ich zu, weil mein Magen diese Idee ebenfalls ganz anregend findet und gleich mal leise knurrt.
»Wenn ich was möchte?« Das Telefonat scheint wohl beendet, denn mein Schatz kommt eben zurück ins Warme. Er trägt Jeans, einen dicken Pulli und Schuhe, was darauf schließen lässt, dass a) er schon geduscht hat und b) es sich wohl um kein spontanes Gespräch gehandelt hat.
»Wie lange bist du schon wach?«, maule ich, doch er lächelt nur. unglaublich bezaubernd, was es fast unmöglich macht, ihm böse zu sein.
»Guten Morgen, Baby.« Er kommt herüber, küsst mich auf den Mund und setzt sich dann an den Rand der Matratze.
»Morgen«, gebe ich nach bester Brummbär-Manier zurück.
Jonah grinst nur und vergisst selbstverständlich auch nicht auf unseren Bettgast. »Dir wünsche ich natürlich ebenfalls einen guten Morgen, Nick!«
»Morgen, Süßer.« Besagter Matratzenbesetzer erwidert zuerst Jonahs Grinsen und zieht dann eine seltsame Schnute. »Ach, wie niedlich«, säuselt er daraufhin. »Ihr seht so perfekt
zusammen aus. Das ist so zauberhaft. Ich hab gestern schon zu meinem Schneckchen gesagt, wie perfekt ich euch als Paar finde.« Nun, da die kalte Luft keinen Nachschub mehr bekommt, befreit er sich wieder aus seinem Daunenversteck und klettert aus dem Bett.
»Und was machst du schon hier, so früh?« Jonah lehnt sich neben mich und mustert Nick gespannt.
»Mein Schneckchen hat Hunger.«
»Ich auch«, melde ich mich ebenfalls zu Wort, weil ich mich übergangen fühle.
»Na dann.« Damit scheint es für Nick beschlossene Sache zu sein und er schlendert zur Verbindungstür. »In zwanzig Minuten geht’s los.« Und schon sind er und sein Feenpyjama wieder weg.
»Was hab ich versäumt?«, fragt Jonah erstaunt.
»Wir gehen zum Schneehasenbrunch, oder wie der heißt.«
»Skihasenbrunch nennt sich der, soweit ich das Programm im Kopf habe.« Jonah küsst mich erneut.
»Seit wann bist du wach?«
»Eine Stunde oder so.«
»Du warst duschen?« Meine Frage ist eigentlich eine Feststellung, außerdem kann ich nicht ganz unterdrücken, wie wenig erfreut ich darüber bin.
»Ja, sorry, aber ich wollte nicht ohne Dusche in die frischen Klamotten. Aber …« Wieder küsst er mich, schenkt mir danach ein weiteres hinreißendes Lächeln. »Heute steht noch einiges auf dem Programm, was wir zu zweit tun werden. Und ich denke, das wird dich über die versäumte Dusche hinwegtrösten.«
»Zu zweit?«, hake ich skeptisch nach. »Ich denke, beim Snow-Happening geht es darum, möglichst viel Spaß mit allen hier zu haben?«
»Jetzt geht’s erst mal zum Brunch, danach will ich noch mal auf die Piste. Und später …« Noch ein Kuss, dieses Mal ein längerer, etwas intensiverer, der mir ein wohliges Gefühl in den
Bauch zaubert. »Aber das verrat ich nicht. Wie schon heute Nacht angekündigt – das wird eine Überraschung.«
»Was?«
»Geh duschen.« Ein liebevoller Befehl, der jedoch ein gewisses Maß an Ernsthaftigkeit innehat.
»Aber …«
Er stoppt meinen Protest mit seinen Lippen. »Ich dachte, du hast Hunger?«, neckt er mich.
Nun muss ich grinsen. Das gute Gefühl von gestern hält also heute auch noch an. Ich bin superhappy – eigentlich mit allem.