33. Kapitel
Jonah
»Jonah!«
Ich sehe langsam hoch, obwohl die Lautstärke, in der Nick versucht, auf sich aufmerksam zu machen, wohl etwas mehr Einsatz verlangt. Leider macht mir aber nicht nur der fehlende Schlaf zu schaffen, vielmehr versuche ich gerade, gedanklich alles auf einen Nenner zu bringen, was ich für die nächsten eineinhalb Tage geplant, aber eben noch nicht fertig umgesetzt habe. Und es macht mich ein wenig irre, wie schwer es scheint, meine Ideen auch nur annähernd umzusetzen.
»Was?«, knurre ich entsprechend angepisst, obwohl Nick sicher der Letzte ist, der meine schlechte Laune verdient hat. Ihm habe ich es nämlich zu verdanken, dass ich wenigstens noch die Chance habe, einiges zu arrangieren. Oder eher seinem schmerzenden Knöchel, wobei dieser wohl eher auf eine etwaige Sexverletzung zurückzuführen ist, da gestern beim Tanzen davon noch nichts zu bemerken war. Wie auch immer, jetzt dient er mir als willkommene Ausrede. So konnte ich mich freiwillig melden, um ihm auf der Skihütte Gesellschaft zu leisten, während Oliver und Elias die Pisten unsicher machen.
»Du starrst nur auf dein Handy, dabei dachte ich, du bist hier, um dich um mich zu kümmern.« Seine Beschwerde, im typisch verspielten Schmollton vorgetragen, entlockt mir nicht die sonst übliche amüsierte Reaktion.
»Weil ich dringend auf einige Nachrichten warte«, erkläre ich knapp.
»Hast du gestern nebenbei ein paar Jungs klargemacht?«
Ich runzle die Stirn. »Nein. Natürlich nicht!«
»Dann kommunizierst du mit deinem heimlichen Ehemann?«
»Als hätte ich einen.«
»Organisierst du ein Iss-von-einem-nackten-Toyboy-Sushi?«
»Nein, wer würde so etwas wollen?« Erneut lasse ich meinen Daumen die Anruf- und Nachrichtenliste aktualisieren, selbstverständlich wieder erfolglos.
»Was zur Hölle suchst du dann?« Eine schrille Tonfarbe hat sich nun in Nicks Stimme gemischt – müsste man sie malen, würde ich sie quietschgelb nennen.
»Nichts.«
»Also …« Er streckt sich über den Tisch und reißt mir doch allen Ernstes mein Telefon aus der Hand.
»Was soll der Quatsch?«, frage ich erbost.
»Du wirst jetzt mit mir reden. Denn scheinbar denkst du, ich bin blind. Du bist doch schon seit heute früh seltsam. Was soll denn all die Telefoniererei und glaub nicht, dass ich nicht bemerkt habe, dass du vorhin mit Rolfi gesprochen hast.«
»Mit wem?«, hake ich perplex nach.
»Rolfi. Er ist der Concierge.«
»Ich hab keine Ahnung, wie der heißt.«
»Was gab’s denn mit ihm zu besprechen?«
»Das geht dich nichts an. Also gib mir gefälligst mein Handy zurück.«
»Jonah!« Nick klingt nun ebenfalls anders, und zwar gar nicht mehr belustigt, was erneut Falten auf meine Stirn zaubert.
Er lehnt, den rechten Ellenbogen aufgestützt, auf dem urigen Holztisch und hält einen Cocktail in der Hand – selbstverständlich ist der kleine Finger hoheitsvoll zur Seite
gestreckt. Seine linke Hand hat mein Telefon unter sich begraben. »Würdest du mir bitte sagen, was los ist?«
»Was geht es dich an?«, gebe ich genervt zurück.
»Weil du vollkommen durch den Wind bist und ich nicht verstehe, warum. Ihr wart doch gestern so happy, also rück schon raus mit der Sprache, was passiert ist.«
Ich atme tief ein und aus, entschließe mich jedoch nach kurzer Überlegung tatsächlich dazu, ihm zu antworten. Schließlich hat er bereits bewiesen, dass er ein wirklich gutes Einfühlungsvermögen besitzt. »Elias hat mir gestern gesagt, dass er das mit uns will.«
Nick scheint verblüfft. »Aber das war doch schon klar, oder?«
»Jein. Immerhin hatte er immer noch damit zu kämpfen, dass ich ja vermeintlich nicht die gleiche Zukunft im Auge habe wie er.«
»Was falsch ist, du ihm aber nicht sagen wolltest?« Seine Unzufriedenheit über meine Einstellung ist ihm anzuhören.
»Ja. Aber das hat er ja nicht gewusst, und trotzdem hat er mir gestern gesagt, dass er eine Zukunft mit mir möchte.«
Nicks Mund klafft auf, dann stößt er ein entzücktes Quietschen aus. »Nein, wie zauberhaft. Also hast du das Herz unseres Docs richtig geknackt. Ich gratuliere, und er ist sicher völlig aus dem Häuschen, weil du ihm dann natürlich auch erzählt hast, dass du ein heimlicher Ehe- und Kinderfan bist. Oder? Nein? Warte mal. Dann würdest du nicht grad so belämmert dreinsehen!« Eine tiefe Falte hat sich über seiner Nasenwurzel gebildet. »Na, das glaub ich ja nicht. Du hast ihn im Unklaren gelassen. Sag mal, geht’s noch?« Mittlerweile sehen alle Personen im Umkreis von fünf Tischen zu uns herüber, so laut ist er geworden.
»Geht das auch leiser?«, bitte ich ihn daher, die Augen verdrehend.
»Nein, weil du ein Sadist bist. Das darf doch nicht wahr sein, dass mein süßer Doc sich in so einen fiesen …«
»Nick!«, unterbreche ich ihn sanft, was tatsächlich bewirkt, dass er verstummt. »Ich möchte es ihm sagen. Und zwar heute Abend. Bei einem romantischen Essen und/oder einer Kutschenfahrt. Aber irgendwie komm ich bei der Planung nicht weiter, weil hier alles für das Gay-Snowhappening reserviert ist.«
Kaum habe ich fertig gesprochen, breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Sag mal, hast du immer noch nicht kapiert, wer ich bin?«
»Inwiefern?«
»Ich …«, er lässt den Cocktail los und legt die flache Hand an seine Brust, so als stünde er kurz davor, den Fahneneid zu leisten, »… bin Eventmanager, Süßer. Und zwar der beste.« Nun zieht er sein Glas wieder näher und saugt demonstrativ genüsslich an dem Strohhalm, bis ein hohles Pfeifen erklingt. Dann entlässt er ihn mit einem leisen Plopp aus der Gefangenschaft seiner Lippen und grinst noch breiter. »Und du bekommst meine Dienste für einen unglaublichen Schnäppchenpreis. Bestell mir einen neuen Cosmo und du wirst sehen, noch ehe der ausgetrunken ist, haben wir die romantischste Nacht arrangiert, die die Regenbogenwelt jemals gesehen hat.«
Ab dem Moment, in dem Nick und ich uns per Handschlag auf seine Mithilfe geeinigt haben, läuft dann auch tatsächlich alles wie am Schnürchen. Man soll eben doch manchmal auf die Hilfe anderer vertrauen!
Während ich mich um die letzten Vorbereitungen kümmere, lenken unsere beiden Freunde meinen Schatz ab, indem sie
ihn kurzerhand zur Rosa-Kuschel-Jause
im Restaurant neben unserem Hotel entführen. Ich bin mir sicher, Elias ist ein bisschen sauer, weil ich mich – ohne großartig ausgeschmückte Ausrede – verdrückt habe, doch ich gehe davon aus, dass er mir verzeihen wird. Spätestens in einer halben Stunde, denn da startet unser Perfect-Love-Date
.
Bis dahin gilt es aber noch einiges zu erledigen, also eile ich auf unser Zimmer, um für Elias und mich zu packen. Obwohl Nick meinen Plan mit seinem schon beinahe unwirklichen Genie nahezu perfekt gemacht hat, will meine Nervosität einfach nicht weichen. Zusätzlich quält mich mein knurrender Magen, doch dem helfe ich mittels Schokoriegel zumindest vorläufig ab.
Als die beiden Reisetaschen gefüllt sind, schnappe ich mir das Telefon und ziehe mich für eine ruhebringende Zigarette auf den Balkon zurück. Nicht zum ersten Mal wird mir bewusst, dass mein Zigarettenkonsum ohnehin bereits auf ein absolutes Minimum geschrumpft ist. Aber jetzt brauche ich Nikotin, dementsprechend gierig sauge ich den Rauch in meine Lungen.
Schon nach zwei Zügen läutet mein Handy. Es ist ein gewisser Roland, einer der gefühlt tausend Helfer, die Nick innerhalb einer Rekordzeit aufgetrieben hat. Er hat nicht übertrieben, er ist wirklich der beste Eventmanager ever. Er besitzt ein schier unerschöpfliches Kontingent an Kontakten, für jedwede Gelegenheit, und das auch noch landes- oder sogar weltweit. Auf jeden Fall bringt mir dieser Anruf ein weiteres Stück meiner Ruhe zurück, weil nun wahrhaftig alles arrangiert ist.
Fünfzehn Minuten später habe ich unser Gepäck an Roland übergeben und betrete das kleine Café, dessen rosarote Deko Gift für jeden Diabetiker wäre. Elias sieht mich nicht kommen, denn er sitzt mit dem Rücken zur Tür. Man könnte meinen, Nick
hat ihn absichtlich so platziert, und prompt bestätigen seine funkelnden Augen diesen Verdacht.
Zuerst erscheint es mir zu kitschig, aber dann lege ich doch meine Hände von hinten über Elias’ Augen. Der zuckt erst ein wenig zusammen, ehe er danach greift und versucht, sie wegzuziehen.
Schnell beuge ich mich hinunter zu seinem Ohr. »Darf ich dich entführen?«, raune ich heiser.
Er hält in der Bewegung inne, nur der Griff seiner Hände an meinen gewinnt an Zärtlichkeit. »Du immer«, antwortet er, und ich kann das Lächeln darin hören.
Nick malträtiert seine Unterlippe mit den Zähnen, und auch Oliver strahlt wie ein Honigkuchenpferdchen. Schon allein dafür, die beiden nun endgültig meine Freunde nennen zu dürfen, hat sich diese Kurzreise gelohnt, doch was jetzt kommt, macht aus ihr hoffentlich eine unvergessliche Zeit.
Sanft ziehe ich Elias hoch, Oliver reicht ihm seine Jacke und Nick seufzt tief. »Warum seht ihr zwei eigentlich so gar nicht überrascht aus?«, erkundigt sich mein Schatz argwöhnisch.
»Ich wünsch euch viel Spaß«, haucht Nick verzückt und ich schicke ihm einen Luftkuss, weil er sich den redlich verdient hat.
Elias dreht sich zu mir um, ein verliebtes Lächeln im Gesicht. Das tut gut, spiegelt es doch wider, was mir gerade durch den Kopf geht. Er würde mit mir überall hingehen, so wie ich mit ihm!
»Nicht fragen, nicht denken, einfach genießen«, wispert er eine Abwandlung meiner Worte, die ich ihm schon einige Male zugeraunt habe.
Ich nicke, hauche einen Kuss auf seine Lippen, nur um ihm anschließend in meine Arme zu ziehen. »Ich möchte dir zeigen, was mir wichtig ist«, flüstere ich ihm zu, und nun ist er es, der nickt. Ihn umarmend, wende ich mich zum Gehen, sende Nick
und Oliver noch einen dankbaren Blick über die Schulter und setze mich in Bewegung.
Elias’ Arm liegt um meine Mitte, während wir nach draußen gehen. »Mein Herz klopft wie irre«, lässt er mich wissen.
»Meins auch.«
»Aber du weißt wenigstens, was gleich passiert – ich nicht.« Er drückt sich für einen Moment noch enger an mich, und mir wird warm, obwohl die Temperaturen hier draußen eher das Gegenteil bewirken sollten.
»Ich denke, es wird dir gefallen.«
»Da bin ich mir sicher. Egal was – Hauptsache mit dir.«
Seine Worte umhüllen mich gleich einer traumhaft fluffigen Wolke, und das erste Mal seit Monaten – wenn nicht Jahren – habe ich das Gefühl, dass es ungefährlich ist, mein verträumtes Ich endlich wieder freizulassen. Weil er mich nicht verletzen und akzeptieren wird, dass ich nicht vollkommen bin. Denn er liebt mich, trotz der vermeintlichen Unterschiede zwischen uns.
Plötzlich kann ich es kaum erwarten, endlich mit ihm in diesen Nachmittag beziehungsweise Abend zu starten, was mein Tempo antreibt. Elias hält leise lachend Schritt. »Willst du mir nicht wenigstens sagen, wohin wir so eilig unterwegs sind?«
»Gleich!«, antworte ich, mir ist die Aufregung anzuhören.
Einen Augenblick lang lasse ich den Gedanken zu, wie kurz wir eigentlich erst ein Paar sind und wie tief meine Gefühle trotzdem für ihn sind. Nichts als ein zufriedenes Lächeln resultiert daraus, weil es egal ist. Obwohl ich es sicher schon dutzendmal gehört habe, verstehe ich erst jetzt wirklich, was es bedeutet, den richtigen Partner gefunden zu haben. Wenn Zeit und Vernunft sich einfach in Luft auflösen, weil da nur Platz für dieses wundervolle Gefühl ist, das dir voller Überzeugung zuruft: Er ist es!
»Scheiße, da ist was passiert.« Elias sieht sich aufmerksam um, als das Geknatter eines Hubschraubers immer lauter wird.
»Alles gut«, versuche ich ihn zu beruhigen, was mir nur mäßig gelingt.
»Aber das ist doch ein Helikopter«, stellt er nervös fest. »Und die kommen bekanntlich nur, wenn es einen schlimmen Unfall gegeben hat.«
Oder wenn man einen Kuschelchaoten kennt, der wiederum mit jemandem bekannt ist, der normalerweise für die Bergrettung fliegt, aber heute frei hat
, kann ich nur amüsiert denken. Laut wiederhole ich nur: »Alles gut«, und einen Moment später sind wir bei unserem ersten Ziel angekommen. Eine kleine Anhöhe am Rande des Ortes.
»Was zur Hölle?« Elias lässt mich los, geht die nächsten Schritte allein, ehe er sich mit ungläubigem Staunen im Gesicht zu mir umdreht. »Wie hast du das geschafft?«
Ich grinse nur, weil mein Schweigen über die wahren Hintergründe der Planung Teil von Nicks und meiner Abmachung sind. ›Erzähl ihm nicht, dass ich dir geholfen hab. Zumindest noch nicht gleich‹, hat er mich gebeten und so nur ein weiteres Mal sein unendlich großes Herz bewiesen.
Der Helikopter ist seitlich mit einer Folie beklebt, auf der ›Flug ins Glück‹ steht, natürlich mit jeder Menge Herzchen drauf. Gut, allein deshalb sollte Nicks Mithilfe eigentlich schon entlarvt sein. Roland, der Pilot, trägt zu meiner Erleichterung weder rosa noch ist er mit irgendwelchem Glitzerzeug behangen. Was mir zeigt, dass meine Bitte um das Bewahren einer gewissen männlichen Note von meinem herzensguten Wohltäter angenommen wurde.
Ich gehe zu Elias und nehme seine Hand. »Keine Fragen – schon vergessen?«
»Nur genießen.« Seine Augen schimmern im Licht der untergehenden Sonne.
»Komm.« Ich ziehe ihn mit mir.
Roland hilft uns beim Einsteigen. Im hinteren Teil des Hubschraubers sind zwei Sitze nebeneinander angebracht, die Geräte und die Trage, die sich im hinteren Teil befinden, sind mit Laken abgedeckt. So soll wohl verborgen werden, wofür das Fluggerät ansonsten gebraucht wird, nämlich für den Transport von Verletzten.
»Perfekt«, kann ich nur hauchen, und auch Elias scheint verzaubert. Wir nehmen nebeneinander Platz, und kaum ist das Klicken des Anschnallgurtes verklungen, angelt er wieder nach meiner Hand.
»Das ist überwältigend, Jonah. Ich hätte dich niemals für so einen Romantiker gehalten.« Er lacht, wirkt gelöst und glücklich, und ich fühle mich genauso.
»Das heute soll die letzten Missverständnisse zwischen uns beseitigen, und dann starten wir durch.« Ich umschließe unsere Hände mit meiner zweiten und hauche einen Kuss auf Elias’ Handrücken.
»Du hast mich vom ersten Moment an immer wieder überrascht. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich dich niemals richtig aus dem Kopf bekommen habe.« Die aufgrund der nun lauter werdenden Helikoptergeräusche notwendige Lautstärke, in der er mir das zuruft, nehmen seinen Worten zwar ein wenig der Romantik, trotzdem zaubern sie ein zufriedenes Grinsen auf mein Gesicht.
»Es waren nicht immer nur schöne Überraschungen. So oft habe ich mich in meinem ersten Eindruck bestätigt gefühlt, den mir dein jugendlich unbeschwertes Auftreten suggeriert hat.«
»Meine Piercings meinst du?«, witzle ich.
»Nein. Ich meine wirklich dein Auftreten. Du warst so locker, so fröhlich …« Nun ist er es, der einen Kuss auf meine Hand haucht. »Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, wie viel Trauer du damit versteckt hast.«
»Das musste ich. Anders hätte ich es nicht ausgehalten.« Das zuzugeben tut so gut.
»Ich dachte, du bist ein zwar netter, aber furchtbar oberflächlicher Kerl. Hübsch, ein wenig ausgeflippt – so wie die üblichen Sternchen der Community, der ich mich damals noch nicht recht zuzuordnen wusste.«
Unser Gespräch wird vom Start des Helikopters unterbrochen. Wir lassen uns nicht los, sehen nun aber beide zum Fenster hinaus. Die untergehende Sonne malt einen orangen Schimmer auf die Anhöhe, von der wir gestartet sind, und genauso auf die umliegenden Pisten. Ich entdecke einige kleine Grüppchen von Leuten, die, ihre Augen abschirmend, zu uns hoch starren.
»Und dann stellt sich heraus, dass hinter diesem vermeintlichen Szenenhengst
ein sensibler, wundervoller Mann steckt, der noch dazu – obwohl ich es immer noch nicht glauben kann – auf mich steht.«
Ich luge zu Elias hinüber, der jedoch weiter aus dem Fenster sieht, während er weiterspricht. »Ich wusste plötzlich, ich muss mich drauf einlassen, und Nick und Olivers Zuspruch hat mich darin bestärkt.«
»Ich fand, dass du ein engstirniger Idiot bist«, gebe ich zu. Natürlich bemühe ich mich dabei um eine möglichst positive Stimmfarbe, doch ich weiß ohnehin, ihm ist klar, wie das gemeint ist. »Zumindest bis ich deinen Blick gesehen habe, als du plötzlich in meinem Zimmer gestanden hast. Ich nackt.«
»Wow. Ich sag dir, das war wie eine Offenbarung.«
»Übertreib mal nicht«, erwidere ich peinlich berührt.
»Nein, ernsthaft. Ich war früher der Meinung, nur asoziale oder beschränkte Idioten lassen sich Tattoos machen.«
»Nett!« So ausgedrückt verschafft mir seine Offenheit nachträglich noch Magendrücken.
»Du weißt schon, wie ich das meine.« Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, ehe er wieder die Welt unter uns fixiert. Wir fliegen gerade über einen Berggipfel, den man gefühlt mit der ausgestreckten Hand zu erreichen scheint. Der unberührte Schnee, der die Felsen dort umspielt, glitzert in der rötlichen Abenddämmerung.
»Ich wollte nie hinterfragen, ob es auch andere Gründe haben könnte, sich tätowieren zu lassen. Doch bei dir … spätestens, als du bei mir eingezogen bist, habe ich gespürt, wie sehr du mich anziehst. Oder vielleicht habe ich diese Anziehung erst ab da zugelassen.«
Ich seufze tief. Erinnere mich an diese Mischung aus Faszination und Abscheu in seinem Blick.
»Und ich war verwirrt, weil das Tattoo mich genauso angezogen hat wie du. Weil ich dich – weil ich es berühren wollte. Und weil ich so sehr wissen wollte, was es bedeutet. Dir bedeutet!«
Der Gurt macht es mir schwer, aber ich schaffe es, mich zu ihm zu beugen, und als er mir entgegenkommt, können wir sogar einen kleinen Kuss tauschen. »Lass uns später weiterreden«, bitte ich.
»Okay.« Er schenkt mir ein Lächeln, ehe wir wieder beide nach draußen blicken.
Die Abwechslung zwischen unberührter Natur und den Skigebieten wirkt wie ein unwirkliches Spiel. Letztere liegen im abendlichen Ruhemodus, Pistenraupen kriechen darüber, die Seilbahnen und Lifte stehen still. Nur auf den Ski-Hütten herrscht reger Betrieb, doch um Details zu erkennen, fliegen wir nicht tief genug. Ich würde Elias gerne im Arm halten, da wir aber ohnehin bald landen werden, hält sich mein Bedauern innerhalb erträglicher Grenzen. Stattdessen linse ich immer wieder zu ihm hinüber. Erfreue mich am glücklichen Glanz in
seinen Augen und spüre den Druck seiner Hand als wohltuenden Ersatz.
Seine Begeisterung lässt mein Herz vor Vorfreude hüpfen. Es wird nicht die letzte Überraschung heute sein, und ich bin von Euphorie erfüllt, wenn ich nur daran denke.