38. Kapitel
Elias
Das Essen war göttlich. Für mich gilt Johannes, mein Schwiegervater in spe, ab sofort als absoluter Grill-Maestro. Satt und allgemein zufriedener, als ich auch nur zu hoffen gewagt habe, lehne ich in einem gemütlichen Gartensessel und lasse mir die untergehende Sonne auf meine nackten Füße scheinen.
»Johannes wirkt sehr glücklich, dafür möcht ich dir danken. Es war nicht leicht für ihn.« Mein persönlicher Sterne-Grill-Koch zieht an seiner Pfeife und richtet den Blick zum Himmel. »Ich dachte immer, ich schone ihn, wenn ich nicht mit ihm über Lisbeth rede. Dabei war grad das der Fehler.« Ein trauriges, leises Lachen erklingt, ehe er die Pfeife wieder in den Mund nimmt. »Bei Therese hab ich den gleichen Fehler gemacht. Weil sie auch nie darüber geredet hat. Trotzdem hätt ich es besser wissen müssen.« Er seufzt, sieht mich an.
Mittlerweile wundert mich sein Redefluss nicht mehr. Ich hatte einen eher wortkargen Mann erwartet, der mich bestenfalls mit kühler Freundlichkeit bedenken würde. Wie so oft habe ich mich geirrt. Schon vorhin, als Jonah und seine Mutter diesen Spaziergang gemacht haben, lief alles anders, als ich befürchtet habe. Die Hof- und anschließende Hausführung hat viele kleine Anekdoten miteingeschlossen. Über Jonahs Kindheit und seine rebellische Zeit als Teenager, was überaus interessant war, denn wann erfährt man schon mal die berühmte zweite Seite einer Geschichte. Was mich aber am meisten bewegt hat, war das vollkommene Ausbleiben von Vorwürfen. Diese Familie liebt sich – hat es die ganze Zeit getan – auch wenn sie eine Zeitlang dachte, sich verloren zu haben.
Von Lisbeth durfte ich ebenfalls einige Geschichten erfahren. Es ist wundervoll, wie Jonahs Erzählungen und jetzt eben auch die seines Vaters das Mädchen vor meinen Augen lebendig machen. Jonah hat es längst geschafft, seinen schmerzlichen Verlust für mich fühlbar zu machen. Weil er mich in sein Fühlen miteinbezieht, indem er mich praktisch immer an seinen Gedanken teilhaben lässt. Die Zeit, in der er mir absichtlich seine wahren Empfindungen vorenthalten hat, ist lange vergessen und verziehen. Wobei Zweiteres sehr leicht gewesen ist, weil mich dieser Umschwung einfach zu glücklich gemacht hat.
»Wichtig ist, dass ihr jetzt darüber sprecht. Die letzten Wochen waren so wichtig für Jonah … entschuldige, Johannes.«
»Nein, bleib ruhig bei Jonah – ich gewöhn mich dran. Wirst sehen, irgendwann nenn ich ihn auch so.« Wieder erklingt das dröhnende Lachen. Gut, sicher haben die drei Bier, die wir zum Essen genossen haben, ihren Anteil an dieser gelösten Stimmung, aber egal.
»Hallo, ihr zwei!«
Jonahs Stimme lässt mich aufsehen. Er und Therese kommen vom Haus aus auf uns zugeeilt, wohin sie sich nach dem Essen zurückgezogen haben, um – wie Therese es nannte – geschirrtechnisch klar Schiff zu machen. Meine zukünftige Schwiegermutter – ich liebe diesen Begriff, auch wenn wir noch nicht mal verlobt sind – flüstert meinem Schatz etwas zu, was ihn zum Lachen bringt.
»Dürfen wir mitlachen?«, begrüße ich sie, als sie bei uns angekommen sind. So wie ich vorhin gespürt habe, dass sie lieber allein sein möchten, so deutlich fühle ich jetzt, dass es in ihrem Gespräch gerade eben um Jonah und mich gegangen ist. Womit ich recht habe, wie seine Antwort zeigt.
»Mama meint, ich habe einen tollen Geschmack, was im Klartext heißt, sie findet dich heiß.«
Meine Atmung setzt kurzzeitig aus und auch Therese erweckt nicht den Eindruck, als wäre sie besonders glücklich über die Offenheit ihres Sohnes. Aber sie fängt sich erstaunlich schnell, beginnt ebenfalls zu lachen und schlägt Jonah mit dem Handrücken gegen die Brust. »So hab ich das sicher nicht gesagt«, beschwert sie sich, doch in ihren Augen schimmert der Schalk.
»Das hoffe ich, immerhin sitze ich neben Elias, also hättest du wenigstens das gute Aussehen von uns beiden ansprechen können«, mischt Johannes sich amüsiert ein. Immer noch habe ich mich nicht an die Lockerheit meiner Schwiegereltern in spe gewöhnt, aber vielleicht sollte ich das nun langsam tun.
»Ihr seht beide toll aus, Papa.« Jonah und Therese tauschen noch einen kurzen, sehr vertrauten Blick, ehe sie sich loslassen.
»Alles klar?« Jonah beugt sich zu mir herunter. Es ist zwar kein Kuss, den er mir aufdrückt, aber die Bewegung seines Kopfes erinnert daran. Ganz sanft meine ich, seinen Atem an meinem Hals zu spüren, ehe er auf den Gartenstuhl neben meinem sinkt.
Auch Therese nimmt Platz, natürlich an der Seite ihres Mannes. »Das war ein toller Tag und …«, liebevoll legt sie ihre Hand auf den Oberschenkel von Johannes, »… ein vorzügliches Essen, zubereitet von einem äußerst attraktiven Mann, dem die Grillschürze großartig steht.«
»Wow – Mama!«, lacht Jonah. »Du solltest öfters ein Glas Wein zum Essen trinken. Ich mag es, wenn du so locker bist.«
Johannes nickt zustimmend und auch meine Mundwinkel wandern nach oben. Natürlich kann ich nur danach gehen, was mir Jonah erzählt hat, trotzdem meine ich regelrecht zu spüren, wie groß der Unterschied zwischen heute und früher ist. Sie sind endlich wieder eine Familie, und es ist kaum auszumachen, wer sich darüber am meisten freut.
»Gut, dann schenk mir noch ein Glas ein, Sohn, denn ich möchte noch ein bestimmtes Thema besprechen.«
»Ich mach schon«, kommt Jonahs Vater ihm zuvor. Dabei ist er so vorausschauend, für uns drei Männer Bier mitzubringen. So viel ist sicher: Ich fahre heute nirgends mehr hin, dafür herrscht in meinem Kopf schon zu viel Leichtigkeit.
»Na dann, Frau. Schieß los«, fordert Johannes, kaum dass er wieder Platz genommen hat.
Therese zögert, nimmt dann einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas. Jonah und ich mustern sie überaus gespannt, denn zumindest ich habe keine Ahnung, was sie auf dem Herzen haben könnte.
Sie sieht zwischen uns hin und her, bevor sie tief durchatmet und die Frage regelrecht ausspuckt, so als wolle sie sie schnellstmöglich loswerden. »Wollt ihr eigentlich vielleicht mal heiraten?«
Sowohl Jonah als auch ich sind erst mal zu baff, um zu antworten. Was mich betrifft, kommt außerdem noch eine gewisse Unsicherheit dazu. Schließlich sind Jonahs Eltern strenggläubig, es könnte also genauso gut nach hinten losgehen, wenn ich beziehungsweise wir in diesem Punkt ehrlich sind.
Zu meiner Überraschung scheint Jonah eher weniger Skrupel zu kennen. Den Blick seiner Mama einfangend, nickt er erst, spricht es dann aber sogar laut aus. »Ja.«
Während Johannes zwar nicht ablehnend, aber etwas überrumpelt wirkt, bleibt Therese völlig entspannt. »Und Kinder? Ich meine, ihr könntet ja eines adoptieren oder ein Pflegekind bei euch aufnehmen. So viele Kinder haben keine Eltern. Da muss es doch eine Möglichkeit geben.«
Nun bin ich endgültig baff, mein Schatz hingegen lächelt völlig gelassen. »Noch nicht in den nächsten Jahren. Aber irgendwann hätte ich schon gerne Kinder.«
»Und du, Elias?«, wendet sie sich an mich.
»Ich wollte schon immer eine Familie«, beeile ich mich, ihr zu versichern. Schließlich ist das nichts als die Wahrheit, und obwohl ich immer noch nicht ganz nachvollziehen kann, wie es gekommen ist, sitzt meine Zukunft gerade neben mir. Ein Mann, den ich fast verloren hätte, nur weil ich mich zu sehr auf sein äußere Erscheinungsbild konzentriert habe.
»Natürlich habt ihr noch jede Menge Zeit. Aber ich freu mich drauf. Das wird sicher ein phänomenales Fest. Ich nehme mal an, Nick wird die Hochzeit planen, oder?«
»Seit wann seid ihr so dicke, du und Nick?«, erkundigt sich Jonah amüsiert.
»Ich mochte ihn schon früher, aber bei den letzten Besuchen von ihm und Anna habe ich ihn nun richtig ins Herz geschlossen.«
»Das kenn ich. Das passiert praktisch jedem, der ihn näher kennenlernt«, erkläre ich lässig, schließlich habe ich das am eigenen Leib erlebt.
»Dann werdet ihr euch freuen, zu hören, dass er, Oliver und Anna später noch vorbeikommen.« Thereses Stimme klingt jedenfalls so, als wäre sie sehr begeistert davon.
»Super. Aber dann werden wir auf jeden Fall hier schlafen müssen.« Jonah hebt sein Bier und stößt die Luft aus. »Ich glaube, es wäre jetzt schon unklug, noch zu fahren.«
»Ich dachte, das wäre ohnehin fix. Ich hab euch dein altes Zimmer hergerichtet. Für Elias hat Papa die Gästematratze aufgeblasen.«
Ich presse die Lippen zusammen, um mein aufkommendes Lächeln zu unterdrücken. Hoffentlich ist diese Maßnahme auf Jonahs schmales Jugendbett zurückzuführen. Was jedoch ohnehin egal wäre, ich würde so oder so im Haus seiner Eltern keinen Sex mit ihm haben wollen.
»Wirst du das jetzt eigentlich rausnehmen? Immerhin bist du jetzt erwachsen und in einer Beziehung.« Thereses Zeigefinger deutet auf Jonahs Piercing in der Braue, was ihn die Augen verdrehen lässt.
»Das hat doch nichts mit dem Alter zu tun«, mault er.
»Aber Elias hat so was schließlich auch nicht.«
»Aber ihm gefällt, dass ich es habe.« Ein auffordernder Blick trifft mich.
»Ich mag Jonah genauso, wie er ist«, zeige ich schnell meine Solidarität.
»Okay, ich bin ja schon ruhig.« Therese lässt sich einen weiteren Schluck Wein schmecken.
»Danke für deine Unterstützung«, raunt Jonah mir zu.
»Gerne.«
»Ist auch besser so. Sonst hätte ich gleich alle Piercings entfernen müssen.« Besagtes Schmuckstück in seiner Braue wackelt, als diese auf und ab zuckt.
Ich antworte nicht, beiße nur kurz auf meine Unterlippe, weil ich plötzlich daran denken muss, wie es sich anfühlt, wenn ein ganz bestimmtes Piercing für mich tanzt.
Jonah grinst – ein äußerst dreckiges Grinsen. Er hat wohl eine gute Ahnung, was mir grad durch den Kopf geht. Doch bevor wir dieses Thema noch vertiefen können, ertönt ein Hupen und eine Minute später taucht ein quietschgelber Beetle in der Auffahrt auf.
»Schau mal, Johannes, es kann nicht jeder Rosa tragen, aber Glitzer geht immer. Und wenn es nur eine kleine Krawattennadel oder so ist.« Nick mustert Jonahs Vater ernsthaft und zieht dann an dem grell-pinken Strohhalm, der in seinem Cocktail steckt. Begleitet von einem melodiösen »Mhhmmm« saugt er so kräftig, dass sich seine Wangen unnatürlich stark nach innen ziehen, was den Anschein erweckt, er wäre er in einen Windkanal geraten.
Johannes’ Blick ist nicht recht zu deuten, aber noch bevor wir uns entschließen können, ob ein verbaler Einsatz unsererseits notwendig ist, dringt sein dröhnendes Lachen durch den hereinbrechenden Abend. Ich mag dieses Geräusch. Wahrscheinlich, weil ich von Jonah weiß, wie lange es her ist, dass er es vernommen hat, genauso wie das leise Glucksen, das aus Thereses Richtung zu uns dringt. Auch Tante Anna kichert mit, Oliver und Nick sowieso, nur mein Schatz und ich begnügen uns mit einem stillen Lächeln.
Meine Hand, die es ohnehin nie sehr lange aushält, Jonah nicht zu berühren, stiehlt sich auf seinen Oberschenkel. Die erste offensichtlich schwule Berührung, die ich wage, seit wir angekommen sind. Nicht, dass Jonahs Eltern uns das Gefühl geben würden, es wäre nicht in Ordnung, trotzdem ist es seltsam, was nicht unbedingt nur auf unsere Homosexualität zurückzuführen ist. Wer will schon vor den Eltern oder Schwiegereltern Zärtlichkeiten austauschen?
Okay, dank unseres Gespräches vorhin, wissen sie nun, dass meine oder besser unsere Absichten ernsthaft sind. Ich wurde also als zukünftiger Schwiegersohn akzeptiert. Wieder ein Punkt unserer Liste, der sich praktisch in Luft aufgelöst hat. Jetzt sind wir beide geoutet, in der Arbeitswelt und im familiären Bereich, und jegliche Befürchtungen bezüglich negativer Reaktionen sind umsonst gewesen.
»Aber ich brauch so einen Firlefanz nicht«, erklärt Johannes, immer noch lachend. »Tragt nur, was ihr wollt, aber ich bleib bei meinem Stil, wenn’s euch nicht stört.«
»Bei welchem Stil?«, neckt Therese ihn. Sie hat rote Wangen, weil Anna und Nick sie zu einem Cocktail überredet haben, und ich muss sagen, sie stehen ihr ganz fantastisch.
»Ich weiß nicht, ob mir dein neues, freches Ich gefällt.« Dass Johannes dabei breit grinst, zeugt vom Gegenteil.
»Also, ich finde es zauberhaft!« Nick tätschelt, sich umständlich vorbeugend, Thereses Knie, während Oliver, der selig lächelnd neben ihm sitzt, mir zuzwinkert.
Wir haben vorhin beim Getränkenachschubholen kurz Resümee gezogen, was unsere Männer angeht. Fazit daraus ist, wie happy wir mit ihnen sind. Natürlich habe ich mich auch ausdrücklich bedankt – nicht zum ersten Mal. Ich bin schließlich nicht dumm und weiß, wie viel ich ihm und Nick zu verdanken habe. Ich war leider ein sturer Idiot, aber zum Glück haben die beiden mich nicht aufgegeben, genauso wenig wie Jonah.
»Hättest du erwartet, dass der Tag heute so toll wird?« Mein Schatz lehnt sich an mich, legt seinen Kopf an meiner Schulter ab.
Ein tiefer Seufzer, der einfach raus muss, lässt meinen Körper erzittern. Ich bin erfüllt von einem derart guten Gefühl, dass ich schnurren könnte. »Nein. Aber ich bin megahappy darüber«, wispere ich zurück.
»Ich auch. Über alles. Es ist, als wären wir jetzt alle eine große Familie.« Seine Hand, die ohnehin die meiste Zeit der letzten halben Stunde auf meinem Oberschenkel gelegen ist, reibt auf und ab. Eine absolut natürliche Geste, obwohl seine Eltern hier sind.
Plötzlich hält er in der Bewegung inne und der Druck wird stärker, also drehe und neige ich den Kopf, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie haben diesen eigenen Glanz angenommen, den Alkohol gerne in Blicke zaubert, doch das macht nichts – selbst so ein bisschen angetrunken finde ich ihn einfach nur bezaubernd.
»Was?«, brumme ich fragend.
Er grinst abenteuerlich. »Ich will dir was zeigen.«
»Okay«, gebe ich zurück. Denn ich würde mit ihm buchstäblich überall hingehen. Und zwar zu jeder Zeit!