Kapitel 13
»Ich heiße übrigens Millie«, erkläre ich ihm auf dem Weg zum Pub. »Flora nennt mich bloß bei meinem Nachnamen, weil –«
»Weil sie dich auf Abstand halten will«, beendet er den Satz. »Flos Klassiker. Sie freundet sich mit niemandem an, bevor derjenige nicht durch ungefähr hundert Reifen gesprungen ist, und zwar größtenteils brennende Reifen.«
»Das ist nicht … mal ansatzweise, was ich sagen wollte«, erkläre ich ihm und spähe zu Flora hinüber.
Sie stolziert gerade auf den Pub zu. Anders kann man diesen Hüftschwung und ihre lässige Art voranzugehen (weil sie weiß, dass wir ihr folgen) einfach nicht nennen.
Als mir bewusst wird, dass ich Flora anstarre, konzentriere ich mich lieber auf die reichverzierte Holztür vor mir.
Der Pub ist exakt so, wie ich mir einen schottischen Pub immer vorgestellt habe – und glaubt mir, ich habe viel Zeit damit verbracht, mir schottische Pubs vorzustellen. Ich habe sogar ein Pinterest-Board und so was.
Es gibt den dunklen Teppich, dessen Muster nach all der Zeit (und all den verschütteten Pints und all den Füßen, vermute ich mal) zu ausgeblichen ist, um es noch zu erkennen, die gemütlichen Nischen, einige Spiegel, die zugleich Whisky- und Bierreklamen sind, die Marken sind mit abblätternder Farbe auf den Rahmen gemalt. Ich entdecke auch ein paar Gemälde der Highlands, mit Hirschböcken und allem Drum und Dran und dem ein oder anderen Typen im Kilt.
Allerdings habe ich kaum Zeit, das alles richtig aufzunehmen, denn Saks schiebt mich – während sie gleichzeitig Perry die Bar zeigt – bereits in eine runde Nische in der Ecke.
»Hol die erste Runde«, zischt sie ihn an, was ihr einen bösen Blick von Perry einträgt.
»Warum ich?«, flüstert er zurück. »Sie sind doch die Reichen. Na ja, die reicheren.«
»Perry!«
Ich weiß nicht genau, warum diese Art, seinen Namen auszusprechen, eine solche Wirkung auf Perry hat, doch er seufzt und trabt wie befohlen zur Bar.
»Ich nehme eine Limo!«, rufe ich ihm hinterher, obwohl ich bezweifle, dass er es hört.
Die Jungs, die mit Seb nach Gregorstoun gekommen sind, warten bereits in der Nische. Der Blonde zumindest. Die beiden dunkelhaarigen Typen, die wie Zwillinge aussehen, spielen Dart. Saks und ich setzen uns zu ihm. Flora und Seb nehmen wie königliche Buchstützen jeweils an einem Ende Platz.
Saks räuspert sich, dann beugt sie sich mit schief gelegtem Kopf vor. »Und Seb«, sagt sie, »vermisst du Gregorstoun?«
Er grinst sie an. »Hält sich in Grenzen, andererseits war die Kulisse zu meiner Zeit hier nicht so hübsch.«
Sakshi erwidert sein Lächeln und spielt mit ihren Haaren, genau in diesem Moment kommt Perry an den Tisch zurück. Irgendwie schafft er es, mehrere Gläser gleichzeitig zu halten. Vermutlich bringen sie das den Jungs hier oben bei.
»Millie«, sagt er, ich nehme ihm das Limonadenglas ab. Er scheint mich also doch gehört zu haben, denn alle anderen bekommen ein Bier. Jedenfalls alle bis auf Saks, die Birnen-Cider kriegt; als sie das Glas in den Händen dreht, weht der süße Geruch zu mir herüber.
Seb nimmt einen Schluck von seinem Bier und schaudert. »Oh Mann, Kumpel, was ist das denn?«
Perry lässt sich in die Nische fallen. »Örtliche Spezialität, meinten sie.«
»Schafspisse?« Seb schüttelt den Kopf und steht auf. »Mal schauen, ob sie Stella oder so was haben.«
Als er zur Bar geht, beobachtet ihn Saks mit funkelnden Augen.
»Er wirkt nicht mehr ganz so chaotisch wie früher«, setzt sie an, worauf Flora schnaubt und nach ihrem Glas mit dunklem Bier greift.
»Er vertuscht es nur besser«, sagt sie, was Saks mit einem fröhlichen Schulterzucken zur Kenntnis nimmt.
»Trotzdem immer noch einen Versuch wert. Und dann«, fügt Saks hinzu und tätschelt mir die Hand, »suchen wir dir einen netten Jungen von hier.« Sie zwinkert mir zu und klimpert mit den langen Wimpern. »Wolltest du nicht schon immer wissen, was sich unter dem Kilt eines Schotten verbirgt?«
Ich drehe das Glas mit meiner lauwarmen Limo in der Hand und lächle Saks müde an. »So faszinierend die Lösung dieses Rätsels sein mag, ich habe gerade kein Interesse an einer Beziehung.«
»Sie hat ja nicht von einer Beziehung geredet«, meldet sich Flora. Als sie sich vorbeugt, rutscht ihr der Pullover von der Schulter und ein pinkfarbener BH-Träger kommt zum Vorschein. »Aber es kann ja nicht schaden, das vorhandene Material auf einer unverbindlichen Basis auszuprobieren, Quint. Leb ein bisschen.«
Ich verkneife mir einen giftigen Blick, vermutlich tue ich das sowieso schon zu oft, und vielleicht kann ich den Ausdruck dann irgendwann gar nicht mehr ablegen. »Am Rumprobieren habe ich auch kein Interesse. Ich habe gerade eine Trennung hinter mir.«
Genau genommen haben Jude und ich uns ja nicht getrennt, da wir genau genommen nie »zusammen waren«, aber es die einfachste Methode zu erklären, was bei uns gelaufen ist.
Hi?
Ich kann es immer noch auf meinem Laptop sehen, aber ich verdränge den Gedanken.
Sie brauchen nicht alles über diese traurige Geschichte zu wissen. Ich hoffe einfach, es dient als akzeptable Ausrede, warum ich lieber in Ruhe und Frieden meine Limo trinken möchte, als mit irgendeinem dahergelaufenen Dorfbewohner neckische Spielchen zu spielen.
Doch Saks zieht eine übertrieben traurige Miene, die Mundwinkel wandern nach unten, die Unterlippe schiebt sich vor. Bei jedem anderen würde ich denken, sie macht sich über mich lustig, aber da bei Saks alles ein bisschen übertrieben rüberkommt, wird sie es wohl ernst meinen.
»Armes Lämmchen«, sagt sie und tätschelt mir noch einmal die Hand. »Wie hieß er?«
Ah. Alles klar. Bevor ich nach Schottland aufgebrochen bin, habe ich lange darüber nachgedacht, wie ich mit Leuten über mein Bi-Sein reden soll. Ich habe es in Texas nicht wirklich thematisiert. Ich meine, Lee und Darcy wussten Bescheid, Jude wusste offensichtlich Bescheid, aber wir haben nie darüber gesprochen. Vor der Sache mit Jude gab es bloß zwei Jungs, Matt Lawrence in der Neunten (für ganze zwei Monate), und Diego Lopez in der Zehnten (vier ganze Monate). Wenn in Schottland die Rede darauf kommen sollte, hatte ich mir vorgenommen, ehrlich damit umgehen. Locker sogar. Schließlich ist es meine Chance, endlich ganz ich selbst zu sein.
Ich zögere. »Ihr Name war Jude«, sage ich. Flora wirft mir einen kurzen Blick zu, dann wendet sie sich wieder mit dieser sorgfältig einstudierten gelangweilten Miene, die sie so gut draufhat, zu den anderen Gästen.
»Oh, wenn du beschließt, dich wieder umzusehen, müssen wir dir also ein Mädchen klarmachen, keinen Macker, auch gut.« Saks ist nun fröhlich und grinst, als sie sich aufsetzt. Ich schüttle lachend den Kopf.
»Macker sind auch in Ordnung«, erkläre ich ihr. »Im Allgemeinen bin ich pro Mädchen und Macker, aber im Moment habe ich an weder noch Interesse.«
»Du kannst beides haben.« Flora wieder. Sie lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. »Meines Wissens ist Gregorstoun nicht gerade als Nonnenkloster bekannt.«
»Gar nicht so abwegig«, sagt Saks und dreht sich zu Seb um, der immer noch mit einem blonden Mädchen an der Bar steht. Er grinst sie gerade so unwiderstehlich an, dass sein Lächeln eigentlich einen Waffenschein bräuchte.
Flora folgt ihrem Blick und verzieht verächtlich den Mund, als sie den Pint an die Lippen hebt. »Du kannst was Besseres kriegen als meinen Bruder«, sagt sie, nachdem sie ein Drittel des Glases hinuntergekippt hat. Beeindruckend, aber auch ziemlich unprinzesslich.
»Besser als ein Prinz?«, fragt Saks spöttisch, worauf Flora nickt.
»Besser als ein Prinz, der ein Trottel ist, ja. Ich liebe Seb wirklich, aber ich wünsche ihn keiner Frau.«
Irgendjemand hat gerade die Musik im Pub aufgedreht, ein alter Kylie-Minogue-Song schwebt durch die dunkle Bar.
Ich nehme einen Schluck von meiner Limo und frage mich, wann wir gehen können, da taucht plötzlich ein Junge vor unserer Nische auf.
Und schaut mich an.
Er sieht ziemlich süß aus mit den dunklen Haaren, die ihm in die Stirn fallen, und streckt mir die Hand entgegen. »Willst du tanzen?«
Ich blicke mich um.
Er kann doch nicht mich meinen? Ich sitze mit zwei Göttinnen am Tisch, und er will ausgerechnet mit mir tanzen, der kurz geratenen Brünetten in einem T-Shirt mit der Aufschrift: QUARZ MICH NICHT VOLL?
Ich lächle ihn verlegen an und schüttle den Kopf. »Nein danke.«
Doch offensichtlich geben die Jungs hier nicht so schnell auf, er greift nach meinem Arm. »Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht!«, erwidere ich und blicke mich wieder um. Da Saks und Perry miteinander flüstern, bekommen sie überhaupt nichts mit, und Flora beobachtet mich vermutlich nur aus Langeweile.
»Na, komm schon«, bettelt der Junge, und ich will gerade aufstehen, echt jetzt, wahrscheinlich ist es einfacher, mit ihm zu tanzen, als lange mit ihm herumzudiskutieren. Doch zu meiner Überraschung beugt sich Flora über den Tisch.
»Ist ›Nein‹ irgendein fremdländisches Konzept hier in Schaffickerland?«
Sie stellt die Frage mit weit aufgerissenen Augen und gespielter Neugier, aber ihre Worte haben eine Bissigkeit und in ihrem Blick liegt ein Funkeln, das selbst dem Typen nicht entgeht. Plötzlich hat er rote Flecken auf den Wangen.
Er nimmt seine Hand von meinem Arm und tritt einen Schritt zurück. »Immer schön locker bleiben, Schätzchen«, sagt er und hält die Handflächen vor. »Ich habe sie bloß gefragt, ob sie tanzen möchte.«
»Schon richtig, aber du hast weitergefragt, nachdem sie Nein gesagt hat, vermutlich hat mich das irritiert.«
»Flora«, sage ich, aber nun sehen Sebs Freunde zu uns herüber, die beiden dunkelhaarigen Typen und der Blonde, Gilly, und da ist dieses … Funkeln in ihren Augen, das mir nicht gefällt.
»Ich möchte keinen Stunk«, sagt der Junge, er hat Sebs Freunde nun auch bemerkt.
Doch nun beobachte ich Flora, deren Lippen sich kräuseln, als sie sagt: »Dann hast du dich mit den falschen Leuten angelegt, Bürschchen.«
Sie steckt zwei Finger in den Mund und lässt den durchdringendsten Pfiff los, den ich je gehört habe. Als ich zusammenzucke, schnellen meine Schultern bis zu den Ohren hoch, mein Blick wandert zur Tür. So komisch es klingt, ich warte fast darauf, dass gleich irgendwelche königlichen Wachhunde hereingestürzt kommen und diesen unglücklichen Jungen wegzerren. Wolfshunde vielleicht.
Doch der Pfiff hat keinen Ärger der hündischen Kategorie zur Folge. Stattdessen stehen plötzlich die drei Freunde von Seb vor uns. Sie haben leicht gerötete Gesichter und sehen definitiv ein wenig zerknitterter aus als beim Hereinkommen.
Seb schaut von der Bar herüber, verzieht kurz verächtlich den Mund, doch dann zuckt er die Achseln, kippt den Rest Bier herunter und tippt der Blondine mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.
Statt den Finger wegzuschlagen, wie sie eigentlich sollte, kichert Blondie allen Ernstes, verlagert das Gewicht und legt den Kopf schief, bis ihr die Haare ins Gesicht fallen.
»Herrgott noch mal«, murmelt Saks, als sie die beiden beobachtet, doch dann kommt Seb, die Hände in den Hosentaschen, zu uns herübergeschlendert.
»Ernsthaft?«, fragt er und deutet mit einem Kopfnicken auf den Jungen. »Bloß ein Kerl?«
»Er hat uns belästigt«, erklärt Flora. Ich schaue zwischen den beiden hin und her.
»Er hat uns nicht wirklich –«, setze ich an, aber Gilly fällt mir ins Wort.
»Vier gegen einen ist echt unsportlich, Flo.«
»Und wie«, sagt einer der dunkelhaarigen Jungs. »Das ist unter unserer Würde.«
Ich schaue mich völlig verwirrt am Tisch um. »Moment, worum geht es hier?«
Aber ich könnte ebenso gut Luft sein. »Unter eurer Würde?«, wiederholt Flora. »Dons, du hast Hausverbot im Balmoral Hotel, weil du deine Unterwäsche am Fahnenmast hissen wolltest.«
»Ich habe es nicht nur versucht«, erwidert Dons mit allem Ernst, den er aufbringen kann. »Ich habe es geschafft. Oder war zumindest nahe dran. Spiffy war dabei, und –«
»Sorry, aber kann ich jetzt einfach gehen?«, fragt der Typ, der alles ins Rollen gebracht hat und deutet mit dem Daumen zu seinem Tisch. »Ich bedaure nämlich sehr, hergekommen zu sein.« Er deutet auf mich. »Nicht beleidigt sein, aber so heiß bist du auch wieder nicht.«
»Ach so, das ist keine Beleidigung?«, erwidere ich. Flora und Sakshi mustern den Kerl mit finsterem Blick, Floras Finger umklammern ihr Pintglas.
Fast gleichzeitig drehen sich Spiffy, Dons, Gilly und Seb zu dem Tisch, auf den der Typ deutet.
»Ah, da sind ja deine Kumpels!«, sagt Gilly fröhlich und klatscht in die Hände. »Tja, in diesem Fall …«
Und mit diesen Worten schlägt er zu.
Der Typ taumelt rückwärts, sein Bier fliegt auf den Boden, die anderen Kerle an seinem Tisch springen auf, doch Seb und seine Freunde grinsen bloß.
Seb zwinkert mir sogar noch einmal zu. »Tut mir leid, Schätzchen«, sagt er und dann geht die Schlägerei los.
Der Typ hat sich nach Gillys zugegebenermaßen ziemlich schwachem Schlag wieder aufgerappelt, packt nun Spiffy um die Taille und schubst ihn unter dem Protest des Barkeepers gegen einen unbesetzten Tisch.
»Oh Gott«, wimmert Perry, während Sakshi mich vorwärts schiebt.
»Schnell, wir müssen hier raus!«, ruft sie. »Bevor irgendjemand sein Telefon rausholt!«
Bin ich hier im Dorf der Irren gelandet? Ich starre Sakshi nur verblüfft an. »Es wäre gut, wenn jemand sein Telefon herausholen würde«, erkläre ich ihr. »Und die verdammten Bullen anrufen würde.«
Doch Saks schiebt mich weiter. »Nein, sie werden Bilder machen, du dummes Schaf!«
Auf der anderen Seite des Pubs versucht Spiffy gerade, ein paar dekorative Dudelsäcke von der Wand zu reißen, während Seb vermutlich als erster Mensch einen Bierdeckel als Waffe einsetzen will.
Ich drehe mich mit offenem Mund zu Sakshi. »Das ist gerade deine größte Sorge?«
»Quint!«
Als ich mich umdrehe, sehe ich Flora auf Saks’ anderer Seite, sie hält grinsend ihr Pintglas hoch, ihre Augen funkeln fast.
Als sie mit dem Arm ausholt, liegt das leere Pintglas schräg.
»Zieh den Kopf ein.«