Kapitel 31
»Das ist irgendein verspätetes demütigendes Einführungsritual, ihr seid als Freunde gefeuert.« Ich taste mich vorsichtig den Gang hinunter. Sakshi hält mir beide Augen zu, Perry führt mich an der Hand.
»Keine Demütigung«, verspricht er. »Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, wundere ich mich eigentlich, dass wir so was hier nicht haben.«
»Dabei wirkt dieser Ort wie der perfekte Schauplatz für Erniedrigungen«, stimmt Sakshi zu. Würden sie mir nicht gerade zugehalten, würde ich jetzt die Augen verdrehen.
Die beiden sind vor ein paar Minuten in mein Zimmer gekommen und haben mir eine »Überraschung« angekündigt. Eigentlich hätte ich klüger sein und ablehnen sollen. Was immer das hier wird, ich habe so ein Gefühl, dass Flora damit zu tun hat. Unsere Diskussion wegen des Flugtickets ist eine Woche her, und sie hat es zwar nicht wieder angesprochen, aber so leicht gibt Flora nicht auf.
Vielleicht bin ich Saks und Perry deshalb so willig gefolgt.
Ich habe ein ungefähres Gefühl, wo wir uns befinden. Wir sind ins Erdgeschoss hinuntergelaufen, ich erkenne das wichtigtuerische Pfeifen von der Heizung neben dem Atelier. Ansonsten habe ich definitiv keinen blassen Schimmer, was wir hier unten vorhaben.
Aber ich bin absolut sicher, wenn wir erwischt werden, heißt es für alle Ewigkeiten nachsitzen.
»Um was immer es hier geht«, warne ich sie. »Es lohnt sich hoffentlich.«
»Tut es«, verspricht Perry, dann rieche ich den Duft von … Süßkartoffeln?
Ja, Süßkartoffeln mit diesem Karamellgeruch von Marshmallows, darüber liegt der würzige Duft von Salbei.
»Leute«, setze ich an, doch dann nimmt Sakshi ihre Hände weg und ich blinzle.
Wir sind im Kunstraum, auf dem Tisch ist ein Miniatur-Thanksgiving-Festmahl aufgebaut. Ich erspähe einen kleinen gebratenen Vogel (kein Truthahn, aber er riecht trotzdem köstlich), einige Porzellanschüsseln, in einer türmen sich Käsemakkaroni, in einer anderen die geliebten Süßkartoffeln mit Marshmallows. Außerdem gibt es ein Pie und einen antiken Silberleuchter, der alles in Kerzenschein taucht. Doch mein Blick wird nur in eine einzige Richtung gezogen.
Zu dem Mädchen hinter dem Tisch, das mich anstrahlt.
»Überraschung!«, trällert Flora und klatscht in die Hände. Sie trägt Jeans und einen Pullover, die Haare fallen ihr offen ins Gesicht und sie lächelt mich aufrichtig an. Ich bin überrascht.
Allerdings nicht wegen des Mini-Thanksgivings, das sie für mich organisiert hat.
Nein, was mich überrascht, ist die plötzliche, erschreckende und nicht zu leugnende Erkenntnis, dass ich mich gegen meinen Willen in eine echte Prinzessin verknallt habe.
Floras Lächeln wird ein weniger schwächer, sie lässt die Hände sinken. »Freust du dich nicht?«, fragt sie und schaut auf das Essen. »Habe ich was falsch gemacht?«
Ich muss erst mal schlucken, bevor ich einen Ton herausbringe. »Nein«, versichere ich ihr und gehe auf sie zu. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass Perry und Sakshi einen Blick wechseln.
»Nein, es ist perfekt«, rede ich weiter. »Na ja, drei Wochen vor dem richtigen Thanksgiving, aber egal. Das ist … Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Auf ihrem Gesicht strahlt wieder ein Lächeln, mein Herz klopft so schmerzhaft in meiner Brust, dass ich kaum glauben kann, dass es niemand hört. Mein Kopf dreht sich und meine Kehle ist so trocken, dass ich die Limodose, die Flora mir in die Hand drückt, genüsslich mit großen Schlucken austrinke.
Als sich eine Art Kaumgummigeschmack auf meiner Zunge ausbreitet, bereue ich diese Entscheidung auf der Stelle. Stirnrunzelnd mustere ich die Dose.
»Brrrrrr.«
»Das ist Irn-Bru, Schottlands Nationalgetränk, Missy«, sagt Flora pseudo-beleidigt und nimmt mir die Dose weg. Als sich unsere Finger berühren, sprühen die Funken nur so.
Doch ich zwinge mich zu einem strengen Blick und dem Kommentar: »Hast du nicht auch den Hirschbock zum schottischen Nationaltier erklärt? Du siehst ja, was uns das eingebrockt hat.«
»Genau, schau dir an, was uns das eingebrockt hat«, kontert Flora. »Wir sind jetzt Freundinnen. Wären wir ohne den blöden Hirschbock nicht.«
Da hat sie recht, aber mein einziger Gedanke ist, dass das der Punkt gewesen sein muss, an dem alles anfangen hat. Es war nicht der Wäschedienst oder der Tanz in der Orangerie oder dass wir uns gemeinsam meine Steine angeschaut haben – es war die Nacht oben auf dem Hügel, die zu diesem Moment hier geführt hat und zu der Erkenntnis, dass ich in sie verknallt bin. Schon damals hätte ich erkennen sollen, dass sich alles zwischen uns verändert hat.
Wir verspeisen das kleine Festmahl ziemlich fröhlich und lassen uns von Flora mit ihrer Geschichte unterhalten, wie sie das ganze Essen überhaupt hergeschafft hat.
»Ich habe keine Ahnung, wie Glynnis es hingekriegt hat, jemanden aufzutreiben, der das zubereiten konnte«, fügt Flora hinzu, und stochert mit dem Löffel in den Süßkartoffeln herum, »aber die Frau ist eine Superheldin.«
Dann wandert Floras Blick zu mir, ihre Zähne drücken sich leicht in ihre Unterlippe.
»Mist. Ist das auch zu viel? Wenn eine königliche Mitarbeiterin Essen organisiert? Ich weiß, du fandest das Flugticket viel zu –«
Ich berühre ihren Arm und schüttle den Kopf. »Nein, das ist bloß … die Nutzung verfügbarer Ressourcen. Das ist was anderes, als mit Geld um sich zu schmeißen.«
Bei dieser Bemerkung wirft sich Flora fast in die Brust, sie reckt mit einem selbstgefälligen Lächeln das Kinn. »Das fand ich auch.«
Auf der anderen Seite des Tisches wechseln Saks und Perry einen Blick, irgendwas läuft zwischen ihnen, aber ich ignoriere es.
Im Moment fühlt es sich … gemütlich an. Schön.
Fast normal.
Doch dann flammt ein Blitzlicht im Fenster auf.