Kapitel 22

Was Strafen anbelangt, hätte sie definitiv schlimmer ausfallen können. Fußblock lässt sich wohl nicht durchsetzen – bei mir vielleicht, aber auf keinen Fall bei Flora –, aber wer weiß, was ihnen hier in den Highlands alles Schräges einfällt? Man hätte uns zum Schafehüten zwingen können oder zum Aufsammeln von schweren Steinen auf den Feldern oder dergleichen. Okay, die Steine hätten mir nicht so viel ausgemacht, trotzdem.

Der Wäschedienst ist jedenfalls ein geringer Preis für alles, was bei der Challenge vorgefallen ist.

Flora ist da anderer Meinung.

»Das ist barbarisch.« Sie zieht naserümpfend eine Ladung nasser Laken aus der Maschine. »Genau genommen mittelalterlich.«

Die Waschküche befindet sich im Untergeschoss, vermutlich war dort früher ein Keller, vielleicht wurden früher aber auch hochnäsige Frauen hier eingesperrt. Der Steinboden ist uneben, das Licht, das durch die uralten Fenster fällt, grau und fahl. Es regnet. Wieder mal.

»Geschichte ist mein zweitliebstes Fach.« Ich kippe gerade einen Becher stark riechendes Waschmittel in die andere Maschine. »Und ich kann mich nicht erinnern, im Mittelalter schon mal was von schicken Waschmaschinen gehört zu haben, aber wer weiß, vielleicht täusche ich mich da.«

Flora sieht mich finster an. Sie hat die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, doch ein paar herausgerutschte Strähnen kringeln sich in der Feuchtigkeit der Waschküche um ihr Gesicht. Obwohl sie kleine Schweißperlen auf der Stirn hat, sieht Flora selbst bei sprichwörtlicher Schufterei im Keller unübersehbar wie eine Prinzessin aus.

»Klugscheißer nerven, Quint«, erwidert sie, aber ihre Mundwinkel verziehen sich zu einem leichten Lächeln.

Womöglich lächle ich sogar zurück, als ich sage: »Weißt du, deine Angewohnheit, mich beim Nachnamen zu nennen, lässt mich wie deine Dienerin klingen.«

Darüber lacht Flora nur. Sie schlägt den Trockner zu und dreht an den Knöpfen. »Oh Gott, du wärst so eine scheiß Dienerin.« Der Trockner beginnt zu rumpeln und zu wackeln. »Wahrscheinlich würdest du mir, bloß um auf deine verdrehte Art Spaß zu haben, Tee überkippen.«

Ich gehe grinsend zu dem niedrigen langen Tisch in der Mitte des Raums, wo Körbe voll kratziger Handtücher darauf warten, gefaltet zu werden. »Übrigens, wenn ich mit der Schule fertig bin, werde ich mich vielleicht wirklich für diesen Job bewerben. Und mich lebenslangen Racheakten an dir widmen – wegen allem, was bei der Challenge vorgefallen ist.«

Ich mache Witze, aber als Flora zu mir an den Tisch kommt, ist ihr Lächeln ein wenig schwächer. Sie greift nach einem Handtuch und mir fällt auf, dass ihr Nagellack abgeblättert ist, und zwei Nägel sind eingerissen, weil sie an ihnen herumgekaut hat.

Prinzessin Flora, eine Nägelkauerin? Wer hätte das vermutet?

»Es tut mir leid«, sagt sie schließlich und sieht mich an. »Wirklich.«

Ich räuspere mich und zucke mit den Schultern. Ich mag keine ernste Flora. Mit einer launischen, nervigen Flora komme ich wesentlich besser klar. »Das weiß ich«, versichere ich ihr. »Und wir sind ja auch nicht gestorben, das zählt schon mal als Pluspunkt.«

»Vielleicht sind wir doch gestorben, das hier fühlt sich eindeutig wie die Hölle an oder zumindest wie die Vorhölle«, gibt Flora zurück, während sie ein Handtuch zu falten versucht. Im Wesentlichen knüllt sie es bloß zusammen, ich stöhne und nehme es ihr aus der Hand.

»Da könntest du recht haben. ›Bringe einer Prinzessin Wäschewaschen bei‹ fühlt sich nämlich definitiv wie eine Strafe der Götter an.«

Flora verdreht kurz die Augen. »Ach, arme missbrauchte Quint.«

Ich hebe einen Finger. »Nein, jetzt werden wir das ordentlich machen. Schau her.«

Ich nehme das Handtuch, schüttle es aus und fasse es an zwei Ecken. »Eines nach dem anderen – wir halten das Handtuch so. Dann bringen wir die beiden Ecken zueinander.«

Ich zeige es ihr, sie nimmt ein anderes Handtuch und ahmt meine Bewegungen nach. Keine Ahnung, ob sie tatsächlich nicht weiß, wie man ein Handtuch zusammenlegt, oder ob sie bloß mitmacht, weil es eine nette Ablenkung von der schmutzigen Wäsche ist. Sie ahmt jedenfalls brav meine Schritte nach, bis wir beide ein kleines Viereck von Handtuch vor uns auf dem Tisch liegen haben.

»Et voilà!«, sage ich überschwänglich und werfe ihr das nächste Handtuch vom Stapel zu. »Jetzt wollen wir mal schauen, ob die Schülerin etwas gelernt hat.«

Nach einem scharfen Blick nimmt Flora das nächste Handtuch und schüttelt es vor sich aus. »Ist ja nicht so kompliziert, Quint.«

Danach liefert sie beim Falten totalen Pfusch ab. Es lässt sich nicht einmal beschreiben, weil es gegen jeden gesunden Menschenverstand und alle Regeln des Handtücher-Zusammenlegens verstößt. Ich schüttle lachend den Kopf und gehe zu ihr hinüber.

»Oh mein Gott, Eure Königliche Hoheit«, ziehe ich sie auf. »Sie sind ein wahrhaft königliches Desaster.«

Ich greife um sie herum und lege ihr das Handtuch wieder in die Hände. Hinter ihr stehend, führe ich ihre Arme in den richtigen Bewegungen.

»Ecken zusammen«, wiederhole ich und lege ihre und meine Hände aneinander.

Erst in diesem Moment merke ich, wie nahe ich ihr bin, wie golden ihr die Haare über den Rücken und fast in meinen Mund fallen.

Wie … vertraut es sich anfühlt, wie wir gerade dastehen.

Ich räuspere mich und trete so ruckartig zurück, dass Flora das Handtuch fallen lässt. »Na ja, irgendwann hast du den Dreh raus«, brumme ich und kehre zu meinem eigenen Stapel zurück.

Flora beobachtet mich mit leicht geröteten Wangen.

Aber das liegt bloß daran, dass es hier unten warm ist, die großen Profi-Waschmaschinen und -Trockner machen alles heißer und dampfiger, als es einem Kellerraum in einem schottischen Anwesen zusteht.

Wir beenden das Falten der Handtücher mehr oder weniger schweigend. Ich will gerade nach einem Korb mit Laken greifen, als mir etwas unter dem am weitesten entfernten Korb an der Tischecke auffällt. Es ist eine ältere Zeitschrift, schon zerknittert und verblasst von der Feuchtigkeit der Waschküche, vermutlich die Lektüre des letzten Schülers, der zu Wäschedienst verdonnert worden ist. Mehr aus Neugier als sonst irgendetwas ziehe ich sie unter dem Korb heraus. Auf dem Cover ist Flora abgebildet.

Über ihrem Kopf schreit eine große gelbe Überschrift: DIE LAUNENHAFTE FLORA SCHLÄGT WIEDER ZU! Auf dem Foto trägt sie eine große Sonnenbrille und geht eine kopfsteingepflasterte Straße hinunter, ein Arm ist fest um ihre Taille geschlungen, mit der anderen Hand wehrt sie die Fotografen ab.

Hilfe.

In der Hoffnung, dass Flora damit beschäftigt ist, nicht noch mehr Wäsche zu zerstören, und mich nicht bemerkt, will ich die Zeitschrift gerade wieder unter den Korb schieben. Doch sie bekommt es natürlich mit, und bevor ich das Heft verstecken kann, steht sie auch schon neben mir und reißt es mir aus der Hand.

»Ah«, sagt sie. »Da liest wohl jemand über mich nach. Wie schmeichelhaft.«

»Die ist nicht von mir«, erwidere ich. »Ich habe sie gerade gefunden –«

»Oh, ich habe auch nicht angenommen, dass sie von dir ist.« Flora mustert – mit gestrafften Schultern und leicht gerecktem Kinn – ihr Foto. Allmählich ist mir diese Haltung vertraut. »Vermutlich von irgendjemandem aus unserer Klasse. Aber es ist ein guter Schnappschuss. Meine Haare sahen diesen Sommer super aus.«

Ich starre sie an. Mehr sieht sie nicht in diesem Foto? Sie wird praktisch die Straße hinuntergejagt, die Überschrift bezeichnet sie als heißes Chaos und ihr fällt bloß »Meine Haare sehen super aus« dazu ein?

Flora geht wieder zu ihrem Wäschestapel zurück, die Zeitschrift bleibt zwischen uns liegen. Fast wie eine Giftschlange. Ich beäuge sie misstrauisch.

Dann blicke ich wieder zu Flora, die bereits gefaltete Handtücher von Neuem zusammenlegt, ihre Bewegungen sind steif. »Worum ging es da?«, frage ich schließlich. »Von wegen ›wieder zuschlagen‹?«

Flora zieht die Nase hoch und wirft das frisch gefaltete Handtuch in einen leeren Korb, was ihre Arbeit auf der Stelle zunichtemacht. »Ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht mal. Ich habe diesen Sommer viele Fehler begangen.« Sie lächelt mich an. »Zum Glück gibt es so viele Artikel, die sie für mich dokumentieren.«

Als Flora an mir vorbeigeht, um den Korb zur Tür zu bringen, stößt sie mit der freien Hand die Zeitschrift auf den Boden, wo sie in einer Pfütze landet, die die nassen Laken hinterlassen haben.

»Huch«, sagt sie leichthin und geht zur Tür. »Wie ungeschickt von mir.«