Kapitel 23
»Wäschedienst?«
Ich lache, als ich es mir auf dem Bett gemütlich mache und das Laptop heranziehe, um Lee besser sehen zu können. »Okay, du sagst das, als wäre es die schlimmste Strafe, die man kriegen könnte.«
Auf dem Bildschirm streicht sich Lee die Haare aus den Augen. »Es ist einfach so krass«, sagt er. »Kannst du dir vorstellen, dass sie dir an der Pecos, wenn du Mist gebaut hast, das Waschen der Sportklamotten aufbrummen würden? Haben sie in Schottland noch nie was von Schulverweis gehört?«
»Es ist eigentlich gar nicht so schlimm«, erkläre ich ihm, was erstaunlicherweise der Wahrheit entspricht. Es war nicht gerade mein Liebstes, die letzten Wochen die Wäsche der anderen zu waschen, aber Zeit mit Flora zu verbringen, war erstaunlich unschrecklich. Was immer dort in den Bergen zwischen uns aufgetaut ist, es ist nicht wieder gefroren. Und ich halte Flora zwar immer noch für eine Hochwohlgeborene Verursacherin von Chaos, aber irgendwie war es nett mit ihr, so nur wir beide.
»Hm, was ziehst du denn für ein Gesicht?«
Ich sehe fragend auf den Bildschirm. »Wie?«
»Du hast gerade ein Gesicht gezogen«, sagt Lee grinsend. »Ein verträumtes Gesicht. Hast du dir einen Highlander geangelt, Mill?«
»Halt die Klappe.« Ich verdrehe die Augen, aber Lee lacht bloß weiter und schüttelt den Kopf.
»Nein, ich kenne das Gesicht der verknallten Millie Quint, und genau das war es. Ich habe es gesehen, ich kenne die Geheimnisse deines Herzens.«
»Ist es nicht, und nein, tust du nicht«, erwidere ich, doch mein Herz klopft ein wenig schneller und ich erröte nicht bloß, ich bin so rot wie Rote Bete. Ich sehe es in dem kleinen Rechteck unten auf dem Bildschirm.
Die Tür fliegt auf und Flora kommt mit wippendem goldenen Pferdeschwanz hereingehüpft.
»Oh, Gott sei Dank!«, ruft sie begeistert und lässt sich mit entschiedenem Mangel an königlicher Anmut auf ihr Bett fallen. Auf meinem Laptop schreit Lee: »Wer ist das? Ist das deine Mitbewohnerin? Ich möchte sie sehen –«
»Okay, ich muss los, hab dich lieb, hab dich lieb, bis dann!«, flöte ich Richtung Bildschirm, dann klappe ich das Laptop zu.
Ich habe Lee nicht von Flora erzählt, beziehungsweise ich habe ihm nicht erzählt, dass meine Mitbewohnerin auch eine Prinzessin ist. Allerdings habe ich das unbestimmte Gefühl, dass er das sowieso ahnen wird, sobald er sie sieht.
Nicht, dass es da irgendwas zu wissen gäbe, denn da ist nichts; ich bin nicht verknallt.
»Mit wem hast du geredet?« Flora stützt das Kinn in eine Hand, mit der anderen hält sie einen schweren Umschlag.
»Mit meinem Vater«, lüge ich. Dann deute ich auf den Brief. »Was ist das?«
Sie schiebt einen Finger unter den Klebestreifen, das dicke Papier gibt ein sattes Geräusch von sich, als es aufgerissen wird.
»Dies, liebste Quint, ist die Freiheit«, sagt sie. Ich versuche, das »liebste« und die komischen Dinge zu ignorieren, die es in meiner Brust auslöst.
Es ist bloß Florasprech. Bei ihr ist jeder ein Darling, ein Sweetheart, meine Liebe. Vermutlich tut sie das, weil sie sich die Namen von Leuten nicht merken kann.
»Hier«, sie wirft mir die dicke Karte zu, die in dem Umschlag war.
Sie enthält so viele Siegel und Wappen und die Kalligraphie ist so verschlungen, dass ich sie kaum entziffern kann. Ich halte die Karte vor mich und kneife die Augen zusammen. »Ist das Englisch?«
Flora schlägt nach mir und schnappt sich die Karte.
»Mach hier nicht einen auf Landei«, sagt sie, aber sie lächelt. »Es ist eine Einladung zu einer Party auf Skye nächste Woche, Gastgeber ist der Lord of the Isles.«
Ich lehne mich auf dem Bett zurück und streife die Schuhe mit den Füßen ab. »Der was?«
»Der Lord of the Isles«, wiederholt Flora, ich wackle mit den Zehen in ihre Richtung.
»Das kannst du endlos wiederholen, ich habe trotzdem keine Ahnung, wovon du redest.«
Flora setzt sich auf und zieht die Beine unter sich. Ihre Strumpfhose hat am Knie ein Loch, erschreckend menschlich für eine Göttin. Mit einem Mal habe ich große Lust, meinen Zeh hineinzubohren.
Aber diesem Bedürfnis werde ich natürlich auf keinen Fall nachgeben.
»Für jemanden, der sich freiwillig entschieden hat, hier zu leben, weißt du aber wenig über Schottland.«
Ich rutsche noch ein bisschen höher auf meinem Bett, fort von diesem Loch in ihrer Strumpfhose und diesem kleinen Kreis blasser Haut, das ich nicht aufhören kann anzustarren.
»Ich weiß genug«, verteidige ich mich. »Mary Stuart. Braveheart. Das ganze Zeug.«
»Oh Verzeihung, da bist du ja eine totale Expertin in Sachen Schottland.« Am Ende des Satzes setzt sie noch eins drauf mit ihrem Akzent, die Vokale rollen und grollen in ihrem Mund.
Ich kichere. »Okay, rede nie wieder so mit mir.«
Sie grinst mich an, dann lehnt sie sich auf die Fersen zurück, die Einladung hält sie immer noch in der Hand. »Gut, dann lass es mich dir erläutern. Vor vielen, vielen Jahren, lange vor deiner Mary und deinem Braveheart, waren die Isles mehr oder weniger ein eigenes Königreich, hauptsächlich, weil sie von Edinburgh verdammt schwer zu erreichen waren. Demzufolge hatten sie einen Lord of the Isles, der verantwortlich war für Skye, die Hebriden und du weißt schon … andere Inseln.«
»Richtig«, sage ich, obwohl ich mir da nicht hundertprozentig sicher bin.
»Wiiie dem auch sei«, sagt Flora affektiert. Sie lässt sich aufs Bett zurückfallen und verschränkt die Knöchel. »In den Sechzigern gab es dann diesen großen Aufstand wegen Öl oder so was, und nach einer Abstimmung durften sie wieder ihren eigenen Lord haben. Und nun haben sie einen, und das ist derjenige, der die Party gibt. Lord Henry Beauchamp. Meines Wissens wurden professionelle Genealogen engagiert, um den rechtmäßigen Anwärter für den Titel Lord of the Isles zu finden, es war ja ewig her seit dem letzten. Wie sich herausstellte, war es ein Typ, der auf einer Schafsranch in Australien lebte.«
Draußen hat es wieder zu regnen begonnen, das leise beruhigende Geräusch hüllt uns in unserem dämmrigen und gemütlichen Zimmer ein. »Er ist also so was wie ein Mini-König«, stelle ich fest, »allerdings von den Inseln, nicht von Schottland.«
Flora schnalzt spöttisch mit der Zunge und fächelt sich mit der Einladung Luft zu. In dem goldenen Siegel zwinkert mir das widerspiegelnde Licht der Lampe zu. »Lass das bloß nicht Mummy hören. Er ist eher eine Art überdurchschnittlich wichtiger Aristokrat. Sie dürfen dort draußen keine eigene Armee haben oder sich völlig vom Festland abspalten. Aber sie haben ein paar Gesetze, die sich von unseren unterscheiden, und sie dürfen nun auch den größten Teil ihrer Öleinnahmen behalten. Außerdem sind sie amüsanter.«
Ich sollte eigentlich Mathehausaufgaben machen, aber es ist nett, mit Flora hier im Halbdunkeln zu sitzen. Es ist eigentlich auch nicht so schrecklich, diese ganzen Sachen zu erfahren.
»Amüsanter als du?«, frage ich. »Das klingt nämlich gefährlich und womöglich illegal.«
Flora grinst mich verschlagen an.
»Sie sind einfach nicht so streng«, sagt sie. »Wie gesagt, Lord Henry kam von der anderen Seite der Welt, und seine Frau, Lady Ellis, war so was wie ein berühmtes Partygirl damals in Swinging London. Alles sehr skandalös, was Mummy so erzählt hat. Gegen ihre Kinder und Enkelkinder sehen Seb und ich wie Bilderbuchbürger aus.«
Die Bemerkung lässt mich lächeln, ich greife endlich nach meinem Matheheft. »Das klingt auf jeden Fall sehr nach deinem Geschmack. Darfst du ein ganzes Wochenende von hier weg?«
»Sie werden mich gehen lassen müssen«, sagt Flora mit der lebhaften Zuversicht, die ebenso sehr zu ihr gehört wie ihre Haarfarbe oder die langen Beine. »Im Grunde genommen ist es eine diplomatische Angelegenheit. Furchtbare Beleidigung, wenn die königliche Familie keine Repräsentantin schickt, vor allem, wenn sie sich in der Nähe aufhält.«
»Das bist du also?« Das Heft liegt schon vergessen auf meinem Bauch. Wie schafft Flora es jedes Mal, mich abzulenken? »Eine Diplomatin?«
»Eine Botschafterin«, verbessert sie mich und hebt leicht die Nase. Doch dann weicht ihr vornehmes Verhalten ihrem typischen albernen Gekicher. »Egal, wird bestimmt lustig, und selbst wenn nicht, immer noch besser als hier.«
»Da hast du vermutlich recht«, brumme ich. Okay, jetzt werde ich mich ernsthaft an meine Hausaufgaben machen.
Doch dann sagt Flora. »Aber es macht solchen Spaß, wenn du mit mir herumdiskutierst.«
Ich blicke auf, weniger wegen der Worte als wegen des Tons, in dem sie es sagt. Er klingt … sanft. Liebevoll.
Zärtlich. Vielleicht.
Doch »sanft, liebevoll, zärtlich« trifft auf Welpen zu, nicht auf Prinzessin Flora von Schottland, vielleicht fange ich ja irgendwann mal damit an, mir das zu merken.
Statt ihr Lächeln zu erwidern, greife ich also lieber zu meinem Stift. »Keine Sorge. Dazu wirst du in Zukunft vermutlich noch oft genug Gelegenheit haben.«
»Könnte dieses Wochenende eine davon sein?«
Ich werde einfach … nie mit diesen Hausaufgaben fertig werden, so viel steht fest.
»Wie?« Meine Augenbrauen hängen irgendwo oben am Haaransatz. Flora schlägt die Beine übereinander.
»Komm mit mir nach Skye. Da warst du noch nie, oder?«
Ich werfe meinen Stift nach ihr, den sie lachend mit der Hand abwehrt.
»Okay, dumme Frage.« Sie sagt es wieder mit diesem übertriebenen Akzent.
»Ich meine bloß, du bist hier an die Schule gekommen, weil du mehr von Schottland sehen wolltest, doch was war das bisher? Ein paar Flughäfen? Ein Bahnhof? Und Dungregor, was einfach zu deprimierend ist, um es überhaupt in Erwägung zu ziehen. Also komm mit und schau dir Skye an. Es wird dir gefallen.«
Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und spähe zu meinem Schreibtisch, der förmlich schon unter dem Gewicht meiner Bücher ächzt. Ich bin in Geschichte mit dem Lesen hinterher, den Englisch-Essay habe ich noch nicht mal angefangen und meine Mathenote wandert vermutlich während dieses Gesprächs auch gerade in den Keller.
Flora dreht sich auf den Bauch und rutscht näher an den Bettrand »Skyyyyyye, Quint«, lockt sie. »Dort wird es sooooooooo viele Steine geben.«
Ich muss unwillkürlich lachen. »Hier gibt es auch viele Steine.«
Flora grinst wieder und zwar auf diese verschmitzte Art mit dem Funkeln in den Augen, das immer Ungutes bedeutet. »Aber keine Zaubersteine.«
»Jetzt hat Skye plötzlich Zaubersteine?«
Sie nimmt ihr Telefon und wirft es mir zu. »Schau dir das Hintergrundbild an.«
Das Hintergrundbild ist ein Foto von Flora, allerdings einer jüngeren Flora, ungefähr vierzehn oder so. Sie steht zwischen ihren beiden Brüdern. Seb ist noch nicht ganz so zeitschriftenattraktiv wie heute, aber der andere Typ, ihr älterer Bruder, Alex, ist definitiv markant. Er ist blond wie Flora, alle drei tragen Sportsachen, die vermutlich sehr teuer waren. Floras Wangen sind rot, sie blickt mit breitem Lächeln in die Kamera, im Hintergrund ragt ein hoher Felsen in den Himmel. Ringsum ist eine Mischung aus grünem Gras und Geröll, mit dem Nebel dazu könnten sie auch auf einem anderen Planeten stehen.
»Das sind wir vor ein paar Jahren am Old Man of Storr. Auf Skye.«
Ich weiß, dass sie mich mit der Felsformation einzuwickeln versucht, doch es ist Floras Gesicht, das mich sagen lässt: »Okay. Ich komme mit.«