Die Komplizen im Leben der Narzisse: Flying Monkeys

»In der kleinen Welt, in welcher Kinder leben, gibt es nichts, das so deutlich von ihnen erkannt und gefühlt wird, als Ungerechtigkeit.«

Charles Dickens

Wir alle sehnen uns im Leben nach einem sicheren sozialen Gefüge. Ob in der Familie oder im Freundeskreis, wir wünschen uns Menschen, die hinter uns stehen. Menschen, an die wir uns wenden können, wenn es uns schlecht geht. Die uns beistehen, wenn wir mit verschiedenen Problematiken umgehen müssen. Auch Narzissten wünschen sich ein solches Gefüge. Unter Menschen, die hinter ihnen stehen, verstehen sie jedoch etwas anderes als ein nicht narzisstischer Mensch: Hinter einem Narzissten zu stehen bedeutet Bedingungslosigkeit. Steht man nicht bedingungslos hinter ihm, wird man früher oder später in seinem Ansehen fallen, verstoßen und im schlimmsten Fall folgt noch ein Rachefeldzug. Was unter Bedingungslosigkeit zu verstehen ist, durfte ich häufig beobachten und einige Male am eigenen Leib erleben.

Wenn wir einen Konflikt haben und Beistand suchen, im Freundeskreis oder in der Familie, so erzählen wir normalerweise alle Fakten, die eine Rolle spielen. Narzissten tun das nicht. Wenn sie ihren Komplizen oder den Menschen, die sie dafür halten, von ihren Konflikten erzählen, lassen sie wichtige Fakten weg. So erfahren wir von einer narzisstischen Person in der Regel nur das, was ihr von ihrem jeweiligen Feindbild angetan wurde. Was sie selbst dazu beigetragen hat oder dass der Konflikt möglicherweise sogar von ihr selbst ausging, werden wir nicht erfahren. Narzissten sind ihrer Meinung nach immer unschuldig an all den Dingen, die ihnen widerfahren. Und all das, was ihnen widerfährt, wird meist ausgeschmückt und übertrieben dargestellt.

Wenn man nun irgendeine wilde Geschichte hört, hinterfragt man sie normalerweise. Was hat der Erzählende dazu beigetragen? Was war die Ursache für diesen Konflikt? Wir sind wohlmeinend, stehen voll hinter diesem Menschen, ob es nun eine gute Freundin ist, eine geschätzte Kollegin oder unsere eigene Mutter: Ja, wir stehen hinter ihnen. Dafür sorgt schon die Sympathie, die wir für diese Person haben. Oder die Liebe zu diesem Menschen. Haben wir noch keine schlechten Erfahrungen mit ihm gemacht oder ahnen wir nicht, dass wir bis hierhin bereits kräftig manipuliert wurden, werden wir möglicherweise auch nichts hinterfragen. Je schlechter wir die Gegenspieler kennen, umso niedriger ist die Motivation, die Gegenseite nach ihrer Sichtweise zu befragen. Wenn wir im Anschluss erfahren, dass uns wichtige Fakten vorenthalten wurden und unsere Freundin, Kollegin, Mutter an dieser gesamten Situation nicht nur nicht unschuldig war, sondern sie vielleicht sogar ausgelöst hat, werden wir ärgerlich. Möglicherweise erfahren wir das aber überhaupt nicht.

Narzissten sind generell Meister der Manipulation. Sie brauchen Komplizen. Menschen, die bedingungslos hinter ihnen stehen und ihre Ziele durchsetzen, sich die Finger für sie schmutzig machen, die narzisstische Person selbst aber nicht infrage stellen. In ihrem Fall spricht man von »Flying Monkeys«. Dieser Begriff stammt aus dem Film »Der Zauberer von Oz« und beschreibt die fliegenden Affen, die im Auftrag der bösen Hexe unterwegs sind und für sie die Drecksarbeit erledigen.

Narzissten sind charismatisch. Sie verstehen sich darauf, Menschen für sich einzunehmen. Entweder tun sie das durch ihre Fähigkeit zu glänzenden Auftritten – oder sie überzeugen durch ein besonders liebes Wesen, wirken bescheiden, engagiert, haben edle Ziele oder können ihre Ziele zumindest als edel verkaufen. Bei einer narzisstischen Mutter sind in diesem Sinne nicht mal klare Ziele zu erkennen. Nach außen hin wirkt es, als täte sie alles für ihre Familie, für ihre Kinder, als würde sie sich regelrecht aufopfern. Narzissen verstehen sich sehr gut darauf, dieses Bild aufrechtzuerhalten und ihre Verbündeten brauchen sie zumeist, um eine ungeliebte Person loszuwerden, Kritik im Keim zu ersticken oder Frieden zu bewirken. Verbündete sind alle, die auf ihrer Seite sind. Wenn die Narzisse nun irgendwelche Angriffe erlebt oder sich auch nur angegriffen fühlt, werden die Verbündeten aktiviert. Damit das funktionieren kann, ist noch mehr Manipulation nötig: Die Komplizen einer narzisstischen Person kennen sich untereinander entweder nur flüchtig oder haben kein besonders gutes Verhältnis zueinander. Oft auch, weil das von der narzisstischen Person selbst verhindert oder untergraben wird. Nicht selten finden regelrechte Intrigen statt, die zwar alle Freunde und Familienmitglieder untereinander entzweien – aber jeder Einzelne für sich steht noch immer hinter der narzisstischen Person, weil keiner der Beteiligten eine Chance hat herauszufinden, welches Spiel da eigentlich gespielt wird. Irgendwann kommt alles ans Tageslicht, aber das kann auch zehn Intrigen später der Fall sein. Bis dahin wurde jeder der Beteiligten in der Regel äußerst effizient für die Zwecke der Narzisse eingespannt.

Ist man in so einem Fall schon ein Flying Monkey? Nein. Dazu wird man erst, wenn man das Spiel kennt, das die narzisstische Person spielt. Wenn man weiß, dass es ein dreckiges Spiel ist, dass man gebraucht wird, um die Drecksarbeit zu erledigen, während die narzisstische Person ihre Hände in Unschuld wäscht. Wenn man weiß, dass man anderen Menschen mit seinem Verhalten schadet, das aber zugunsten der narzisstischen Person in Kauf nimmt. Dann, und nur dann kann man von einem Flying Monkey sprechen. Gutgläubig und ahnungslos eine Rolle in einer Intrige gespielt zu haben, ist eine Erfahrung, die viele Menschen im Umfeld einer narzisstischen Person irgendwann machen. Ein »guter Mensch« zieht sich dann zurück und entschuldigt sich da, wo es angebracht ist, für sein Reden oder Handeln. Ein Flying Monkey hingegen macht unbeirrt und wider besseren Wissens weiter.

Aber warum? Nun, das hat unterschiedliche Gründe. Entweder aus völliger Verblendung, weil er diese narzisstische Person einfach liebt. Manchmal auch aus einer Abhängigkeit heraus, wie es beispielsweise bei Kindern der Fall ist, die von einem Elternteil als Flying Monkey missbraucht werden. Abhängigkeit kann auch der Fall sein, wenn solche Spielchen am Arbeitsplatz gespielt werden – da gilt dann das Recht des Stärkeren und der Zweck heiligt die Mittel. So mancher Flying Monkey ist auch selbst hochgradig toxisch, sonnt sich gern im Glanz des Narzissten und nimmt deswegen alles Mögliche in Kauf. Dann findet gegenseitiger Missbrauch statt.

Gabriele, Anfang fünfzig, erzählt: »Meine Mutter war nach allen Seiten immer so ein Opferlämmchen. Sie meinte es immer mit allen nur gut, das verkaufte sie sehr überzeugend. Aber wehe, sie bekam keine Beachtung oder Anerkennung. Mein Vater hat immer viel gearbeitet, er war abends müde. Meine Mutter versuchte alles Mögliche, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, und wenn die dann nicht so kam, wie sie das wollte, wurde sie sauer. Das schaukelte sich hoch und alle paar Monate gab es dann richtig Stress. Sie und mein Vater brüllten sich tagelang nur an, wenn sie sich sahen. Meine Mutter pfiff uns dann schon zu Beginn eines solchen Streits zusammen, erzählte uns Kindern, wie gemein unser Vater zu ihr gewesen ist, und verlangte von uns, dass wir hinter ihr stehen. Wir sollten ihm aus dem Weg gehen und am besten gar nicht mit ihm sprechen. Sie sagte immer, er hätte das verdient für das, was er gemacht hätte. Wehe, eine von uns – wir sind drei Schwestern – stand nicht hinter ihr. Ich habe mich mal irgendwann gegen sie aufgelehnt und ihr gesagt, dass ich es nicht gut finde, was sie da macht, aber da war ich auch schon älter, so dreizehn oder vierzehn vielleicht. Daraufhin verbot sie meinen Schwestern, mit mir zu sprechen. Zu meinen Schwestern war sie dann völlig überzogen liebenswürdig, zu mir total gemein, wenn sie überhaupt mit mir sprach. Meist ignorierte sie mich.

Und dann kam der Tag, an dem mein Vater ihr eine geklatscht hat. Ich kann mich noch erinnern, dass sie in der Küche saß und furchtbar weinte. Ich fragte sie bestürzt, was denn passiert sei, ich kam ja gerade von der Schule nach Hause. Und sie erzählte, mein Vater hätte sie verprügelt. Sie schilderte mir und später auch meinen zwei Schwestern, wie brutal mein Vater sie geschlagen hätte. Und verlangte natürlich wieder, dass wir uns voll hinter sie stellten. Wir durften nicht mehr mit ihm sprechen, aber das wollten wir auch gar nicht. Ein Vater, der unsere Mutter verprügelt, das war das Letzte! Sie telefonierte tagelang und war auch oft unterwegs. Ich habe später erfahren, dass sie mit der ganzen Familie gesprochen hatte und auch mit gemeinsamen Freunden. Mein Vater wurde überall zur Persona non grata erklärt. Sie drohte ihm mit Scheidung. Mein Vater musste richtig buckeln vor ihr, sie um Verzeihung anwinseln, tagelang. Auch er telefonierte oft und manche Gespräche habe ich belauscht. Es waren Familienmitglieder und Freunde, die ihn da anriefen. Sie alle sagten ihm, wie furchtbar sie sein Verhalten finden, und ich kann mich noch erinnern, dass er sehr verzweifelt sagte: »Aber es war doch ganz anders!« Er erklärte und erklärte und ich entnahm diesen belauschten Gesprächen, dass es eigentlich umgekehrt gewesen ist. Meine Mutter muss unglaublich wütend auf ihn losgegangen sein, hat ihn beschuldigt, er würde fremdgehen, für sie würde er sich überhaupt nicht mehr interessieren. Sie hat ihm in ihrem Zorn eine runtergehauen und er hat wohl reflexartig zurückgeschlagen. Er hat sich sofort entschuldigt, aber sie erzählte danach eben überall herum, er hätte sie verprügelt.

Sie haben es noch ein paar Jahre miteinander ausgehalten, aber irgendwann ließen sie sich scheiden. Da waren wir Kinder aber schon erwachsen. Eine furchtbare Zeit war das, sie intrigierte zwischen uns Schwestern, zwischen uns und unserem Vater, und sie tat das so leise, so lieb, so bescheiden, dass man ihr trotz allem, was man über sie wusste, irgendwie glaubte. Es hat Jahre gedauert, bis wir Schwestern uns untereinander und mit unserem Vater wieder zusammengerauft hatten. Sie macht uns heute noch Vorwürfe, wenn sie mitkriegt, dass wir Kontakt zu unserem Vater haben, und redet dann oft monatelang nicht mit uns.«

Gabriele meint, ihre Mutter habe sie und die Schwestern manipuliert. Flying Monkeys seien sie möglicherweise gewesen, aber aus Unwissenheit. Später, als sie älter waren, nicht mehr. »Wir haben uns dann rausgehalten, wo immer es ging, aber das war wie ein Tanz auf einem dünnen Seil.« Die Freundinnen der Mutter allerdings hätten sich als Flying Monkeys betätigt, erzählt sie. »Eine hat meinem Vater die Reifen am Wagen platt gestochen. Aber meine Mutter konnte ihre Hände in Unschuld waschen. Sie ist es ja nicht gewesen.«