Narzissenkinder und ihre Partner: Den Narzissmuskreislauf erkennen und verstehen

»Jedermann trägt ein Bild des Weibes von der Mutter her in sich. Davon wird er bestimmt, die Weiber überhaupt zu verehren oder sie gering zu schätzen oder gegen sie im Allgemeinen gleichgültig zu sein.«

Friedrich Nietzsche

Kinder von narzisstischen Müttern landen fast immer bei narzisstischen Partnern. Oft sogar mehrfach. Wenn das nicht passiert, haben sie einfach nur außerordentliches Glück gehabt. So entsteht dann schnell für Betroffene der Eindruck, dass alle Menschen, denen sie begegnen, narzisstisch sind. Umso mehr verstärkt sich das Gefühl, dass mit ihnen selbst etwas nicht stimmt. Betroffene müssen sehr, sehr mühselig lernen, narzisstischen Personen aus dem Weg zu gehen, sie zu meiden, aus ihrem Leben auszuschließen.

Ich verwende hierbei gern das Beispiel vom »Frosch im Kochtopf«: Du kannst einen Frosch in einen Topf mit kochendem Wasser werfen. Du würdest das niemals tun, ich weiß. Aber tätest du es, würde der Frosch entsetzt, sofern er es körperlich noch schafft, herausspringen. Der gleiche Frosch allerdings bleibt brav sitzen, wenn du ihn in einen Topf mit kühlem Wasser setzt. Wenn das Wasser langsam erhitzt wird, merkt der Frosch nicht, dass es jetzt gefährlich wird. Vielleicht geht es ihm nicht gut in dem immer wärmer werdenden Wasser, aber er kann sein körperliches Missempfinden nicht der steigenden Wassertemperatur zuordnen. Er bleibt einfach sitzen und möglicherweise hofft er, dass es ihm irgendwann mal wieder besser geht. Wenn das Wasser dann irgendwann zu kochen beginnt, ist er bereits zu geschwächt, um herauszuspringen und sich in Sicherheit zu bringen. Er verkocht.

Die Frage, die ich mir dabei allerdings stelle, ist: Wenn er entdecken würde, dass es ihm wegen der steigenden Wassertemperatur schlecht geht und wenn er sich noch mit einem beherzten Sprung retten könnte – würde er dann in Zukunft warmes Wasser meiden? Ich glaube, das würde er tun!

Aber wie ergeht es Betroffenen von narzisstischem Missbrauch? Wenn die Mutter bereits narzisstisch war, ist es für das Kind wie das warme Wasser, das immer wärmer wird. Man ist diese Dinge gewohnt, die in einem narzisstischen Umfeld passieren. Man ist an Demütigung gewöhnt, an Liebesentzug, an Silent Treatment, emotionale Erpressung. In schweren Fällen ist man an drakonische Strafen und anderweitigen Missbrauch gewöhnt. Man hat irgendwie gelernt, all das auszuhalten, fühlt sich krank, schwach, unwohl, aber man schafft es einfach nicht, aus dem Topf herauszuspringen. Sich zu befreien. Man kennt es nicht anders und hält all das, was da passiert, für vollkommen normal. Natürlich sieht man, dass es in anderen Familien anders zugeht, dass andere Mütter netter und liebevoller sind. Aber man weiß ja auch, dass es an einem selbst liegt. Wäre man selbst nicht so frech, so unverschämt, so faul, so hässlich, so dumm, so undankbar …, dann wäre die eigene Mutter ja auch liebevoll und freundlich. Man harrt also aus. Bei der Mutter. Bei einem narzisstischen Partner. Und irgendwann sitzt man dann in einem Topf mit viel zu heißem Wasser – und mit etwas Glück kann man noch herausspringen. Nach einem solchen Erlebnis beginnt man zu forschen.

In meinem Leben bin ich von einer narzisstisch geprägten Beziehung in die nächste geraten, ohne mir dessen bewusst zu sein. Alles, was mir passiert ist, kannte ich so – und nicht anders. Es war die mir bekannte Wassertemperatur. Ich hatte zwischendurch auch mal einen Partner, der anders war. Er war freundlich und liebevoll, es gab kein toxisches Verhalten. Ich fühlte mich während dieser Beziehung fortwährend, als würde ich in kaltem Wasser sitzen – und ich fror dabei. Das war alles so fremd. So ruhig und harmonisch. Ich suchte nicht das Drama, aber ich suchte Leidenschaft, ohne zu erkennen, dass das, was ich für Leidenschaft hielt, in Wahrheit Drama war. Diese Beziehung war so »leise«.

Nun sollte man eigentlich glauben, dass sich ein Mensch, der schlimmen narzisstischen Missbrauch hinter sich gebracht hat, in einer so angenehmen Beziehung entspannen könnte, aber das ist leider nicht der Fall. Das ist erst dann möglich, wenn man erkennt, dass das heiße Wasser überhaupt nichts mit Wärme zu tun hat, sondern mit Zerstörung, und dass das, was man als »kaltes Wasser« empfindet, eigentlich die Temperatur ist, nach der man sich sehnt. Und so verließ ich diesen Mann und fiel auf den nächsten toxischen Partner herein – wie die Motte, die stets ins Licht fliegt.

Bis ich eines Tages an einen Mann geriet, bei dem ich gar nicht anders konnte, als mich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob er ein Psychopath ist, ein Borderliner mit psychotischen Tendenzen oder ein Narzisst. Wahrscheinlich würde an diesem Mann auch jeder noch so erfahrene Psychiater verzweifeln, denn diese Menschen zeigen ihrem Umfeld nur das jeweils passende Gesicht und die Eigenschaften, die für sie selbst jeweils nützlich sind. Dieser Mensch konnte sich unglaublich verstellen. Er hat mich sehr geschickt umgarnt und als es für mich kein Zurück mehr gab, fiel die Maske. Er war nicht nett. Er war nicht liebevoll. Er war nicht freundlich und wohlmeinend. Er liebte mich nicht, er hasste mich. Nicht nach längerem Zusammenleben, sondern direkt ab dem Tag, als für ihn feststand, dass ich nicht mehr in mein altes Leben zurückkonnte. Von einer Minute auf die andere hatte ich nicht mehr den Mann vor mir, den ich bis dahin gekannt hatte – sondern etwas völlig anderes. Eine Veränderung um 180 Grad! Gesund denkende Menschen können nicht verstehen, warum sich jemand so verstellt, weil sie automatisch davon ausgehen, dass alle nach einer harmonischen und liebevollen Partnerschaft suchen. Dieser Mann suchte allerdings nicht nach so etwas. Er wusste nur, dass er Frauen genau das vorspielen muss, um sie zu erobern – und ich war nicht die erste Frau, die auf seine Maske reingefallen ist. Er suchte eigentlich eine Art Leibeigene, die er nach Lust und Laune fertigmachen konnte. Nur das gab ihm ein gutes Gefühl.

Ich fühlte mich wie ein Frosch, in dessen Topf das Wasser rasend schnell kurz vorm Siedepunkt war und der es nun sehr schwer hatte, den Sprung heraus zu schaffen, denn ich war fast augenblicklich körperlich und psychisch total erschöpft und geschwächt. Fassungslos, ratlos und voller Angst.

Dieser Mann hat mich dazu gebracht, mich überhaupt mit dem Thema Narzissmus zu beschäftigen. Ich flüchtete regelrecht aus dieser Beziehung und das führte mich direkt in die nächsten Erkenntnisse, denn ich lebte nach dieser Flucht für wenige Wochen mit meiner Mutter zusammen. Ihre Blicke schienen mir genau die gleichen zu sein. Voller Hass, voller Ablehnung, voller Abscheu. Ihre Worte klangen in mir fast identisch, immer nach dem Motto: »Du bist nichts, du hast nichts, du kannst nichts, du bist nichts wert, du bist zu dumm.«

Ich mag diese ganze Geschichte hier nicht weiter aufrollen und erzählen. Das würde den Rahmen sprengen. Dieser Mann war mein persönlicher Topf, in dem das Wasser plötzlich so heiß war, dass ich den Sprung heraus wagen musste, auch wenn ich nicht wusste, ob ich in die totale Vernichtung springe oder in meine Rettung. All die Erkenntnisse, die mir diese Beziehung brachte, wurden noch erweitert durch das wenige Wochen andauernde Gastspiel bei meiner Mutter – und ich erkannte. Ich verstand. Ich sah sie nicht mehr mit den Augen eines hilflosen Kindes, sondern mit denen einer erwachsenen Frau.

Der Psychologe und Sozialpädagoge Robert Betz, Coach und Autor zahlreicher Sachbücher, nennt Menschen wie diesen Expartner »Arschengel«. Es wäre mir lieber, ich hätte diese Erfahrungen mit meinem Arschengel nicht machen müssen. Dennoch bin ich heute auf irgendeine Weise auch dankbar dafür. Dadurch habe ich verstanden, was so deutlich war, was ich aber nicht erkennen konnte, weil ich wie ein kleiner Frosch mein Leben bis dahin in viel zu heißem Wasser verbracht hatte. Bis zu dieser Beziehung war das Wasser aber nie so heiß gewesen, dass ich die Gefahr gespürt hätte. Ich befand mich vor diesem »Arschengel« in einer mir vertrauten, wenn auch ungesunden Lebenstemperatur.

Heute muss ich sagen, um bei meinem Vergleich mit dem Frosch und dem Wasser zu bleiben: Die Wassertemperatur war schon viel zu heiß für mich, als ich noch ein kleiner, ganz junger Frosch war. Sie schwächte mich und lähmte mich, aber sie ließ mich auch Dankbarkeit empfinden in meinen ersten Paarbeziehungen. Die waren zwar auch narzisstisch geprägt, aber da war das Wasser eben nicht ganz so heiß. Es war warm, in einer meiner langjährigen Beziehungen sogar angenehm warm. Das lag daran, dass all diese Beziehungen eher erholsam waren im Vergleich zu meiner Mutter-Kind-Beziehung, zu meiner Art des Aufwachsens.

Viele Frauen äußern im Rückblick eine gewisse Dankbarkeit dafür, diesem einen Menschen in Gestalt eines Expartners begegnet zu sein, der ihnen – wenn auch brutal – die Augen geöffnet hat. Nicht jede Betroffene kann das aber so sehen, denn es gibt leider auch Fälle, in denen sie plötzlich in kochendes Wasser geworfen wurden und nicht mehr rechtzeitig herausspringen konnten. Irgendwie wurden sie gerettet oder retteten sich selbst. Aber sie sind so vernarbt, haben so viel verloren, dass sie solche Zeilen, in denen das Wort »Dankbarkeit« fällt, eher als Hohn empfinden. Diese »Dankbarkeit« darf man ohnehin nicht falsch verstehen. Nein, wir müssen diesen Menschen an sich nicht dankbar sein für diese Erfahrungen. Es wäre besser gewesen, wir hätten uns all das sparen können. Jemandem, der in gesunder Wassertemperatur gedeihen konnte, bleiben solche Menschen auch nicht erspart – aber diese Menschen haben ein Frühwarnsystem, mit dem Kinder narzisstischer Eltern nicht ausgestattet sind.

Genau das ist der Punkt: Generell sind Kinder von Narzissen sehr leichte Beute für jeden weiteren Narzissten. Sie bewegen sich in einer ihnen bekannten Wassertemperatur. Und das tun sie so lange, bis die Umgebung plötzlich kurz vor dem Siedepunkt ist. Wer dann springen kann, wird verstehen wollen. Sucht nach Literatur, nach Gleichgesinnten, nach Erfahrungsaustausch. Macht eine Therapie, vielleicht mehrere Therapien, und möchte nie wieder langsam zu Tode gekocht werden. Der narzisstische Missbrauch im Elternhaus wird oft erst durch einen hoch toxischen Partner erkannt. Bis zu diesem Zeitpunkt glauben viele Betroffene immer noch, dass sie schlechte Menschen sind, weil sie schlecht behandelt wurden. Doch wenn sie zu suchen beginnen, lösen sich nacheinander immer mehr Zwiebelschalen, bis man am innersten Kern der Zwiebel angekommen ist.

Das Verstehen all dieser Mechanismen und Zusammenhänge ist überlebenswichtig. Ohne die Erkenntnisse, das Verstehen, die Weiterentwicklung würden Betroffene weiterhin mit einem völlig unbewussten Selbsthass durchs Leben gehen. Mit Gefühlen von Wertlosigkeit und dem Zwang, anderen Menschen stets Dankbarkeit zu schulden. Mit Schuldgefühlen überhaupt, mit Verlustängsten, mit Verwirrung und dem ständigen Gefühl, der eigenen Wahrnehmung nicht trauen zu können. Sie würden sich die Welt weiterhin von anderen Menschen erklären lassen, und zwar von solchen, die es in der Regel nur mit sich selbst gut meinen. Sie würden weiter mit absolut fehlender Selbstliebe leben, unabhängig davon, wie selbstbewusst sie nach außen hin erscheinen mögen oder sich in gewissen Dingen des Lebens vielleicht sogar fühlen.

Wer zu verstehen beginnt, weiß einfach irgendwann: »Mit mir ist nichts falsch. Meine Wahrnehmung ist richtig. Ich darf Grenzen haben und sie durchsetzen. Ich darf meine eigene Meinung haben. Ich darf fühlen, was ich fühle. Ich muss mir nicht von anderen Menschen sagen lassen, was ich tun oder nicht tun soll.« Vor allem erkennen Betroffene eines: »Egal, was mir passiert ist und womit ich mich immer schlecht fühlte – es liegt nicht an mir. Ich bin nicht schuld. Ich bin kein schlechter Mensch, nur weil ich nicht geliebt wurde.«

Ich habe meine Gesprächspartnerinnen gefragt, wann und wie sie denn für sich »erkannt und verstanden« haben, wobei sich viele von ihnen aktuell noch im Prozess des Verstehens befinden.

Anita, Anfang sechzig, erzählt dazu: »Bei mir war es zufällig, als ich durch eine Diskussion über das Wort ›Symbiose‹ auf andere Töchter traf, die mir den Link zur Webseite der ›Töchter narzisstischer Mütter‹ zeigten. Es war eine Erleichterung zu erfahren, was da in meinem Leben schieflief und dass ich nicht allein damit war. Ich lernte zu verstehen, woran ich schuld war oder eben auch nicht. Ich konnte beginnen, meine persönliche Geschichte zu sortieren.«

Betti, Mitte vierzig, berichtet: »Ich habe als Kind schon gemerkt, dass sich alles nicht echt anfühlt. Natürlich hatte ich keinen Schimmer von Narzissmus und als Erwachsene lange auch nicht. Dass es Misshandlung war, was mir passiert ist, habe ich erst im Kontakt mit meiner damals im Studium befindlichen besten Freundin erfahren. Sie ist bis heute meine beste Freundin. Ihre erschrockenen und mitfühlenden Reaktionen waren das beste Mittel, um zu erkennen und heilen zu können. Ich habe immer lange Kontaktpausen mit meiner Mutter gehabt, manchmal ein halbes oder ein Dreivierteljahr, dann habe ich mich wieder bei ihr gemeldet, weil mein Vater mir ein schlechtes Gewissen machte. Beim vorletzten Kontaktabbruch drohte sie mit Suizid, weil sie wollte, dass ich mich mehr um sie kümmere. Und da war ich sofort raus! Dann starb mein Vater vor drei Jahren. Meine erste Reaktion war, sofort hinzufahren, trotz all ihrem Narzissmus, aber das war ja schließlich eine Ausnahmesituation. Aber sie hielt mich tagelang hin. Sie sagte, meine Schwester und sie hätten so viel zu erledigen und zu arrangieren, ich würde mich mit den Blumen ja nicht auskennen, da ich mich ja nie um so was gekümmert hätte. Sie nutzte sogar diese Situation, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Nachdem ich dann jeden Tag dort anrief und wie eine Bettlerin um Audienz bat, wurde es mir irgendwann zu blöd. Ich bin nicht mehr hingefahren, erst zur Beerdigung meines Vaters. Danach habe ich den Kontakt zu ihr abgebrochen, auch zu meiner Schwester, die immer das Goldkind war.«

Viola, Mitte vierzig: »Ich habe den Kontakt zu meiner Mutter seit Anfang Oktober dieses Jahres stark zurückgefahren. Der Auslöser war diesmal eher ein kleiner Streit, der aber das Fass zum Überlaufen brachte. Meine Mutter zeigte sich fordernd, uneinsichtig, abwertend und manipulativ. Es waren bis dahin gefühlt eine Milliarde Streitgespräche, in denen ich immer versuchte, die Dinge zu klären. In den Wochen davor habe ich mich sehr viel mit dem Thema Narzissmus beschäftigt. Durch das viele Lesen zum Thema ist mir klargeworden, dass es auch bei meiner Mutter keine Hoffnung geben kann und ich da nicht mehr auf so was wie Liebe warten muss. Zum ersten Mal wurden mir die Endgültigkeit und die Hoffnungslosigkeit zu 100 Prozent bewusst. Mir wurde auch klar, dass mich jeder weitere Kontakt zu ihr nur weiterhin und immer wieder triggert und somit meine Heilung regelrecht verhindert. Ich habe mit meinem neuen, angelesenen Wissen auch ganz deutlich alle Symptome, alle Red Flags (Warnsignale) identifizieren können. Ich habe festgestellt, dass der permanente Kontakt mit ihr der Nährboden für alle sonstigen narzisstischen Menschen ist, die ich so in mein Leben gelassen habe. Es war ein Suchtverhalten. Ich will keine narzisstischen Beziehungen mehr in meinem Leben. Auch in Freundschaften möchte ich so etwas nicht mehr erleben. Ich bin jetzt Mitte vierzig und möchte in meiner zweiten Lebenshälfte meine eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Wer sich da integrieren kann, ist in meinem Leben willkommen, wer nicht, muss leider draußen bleiben.«

Es muss nicht immer heftig sein. Es gibt leichtere und schwerere »Fälle«. So erzählt mir Martha mit ihren Ende dreißig: »Ich habe erkannt, dass meine Mutter viele narzisstische Züge hat, nachdem ich mich von meinem Mann getrennt habe, der eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat. Das war vor etwa zwei Jahren, und es war meine Psychologin, die mich dahin führte. Zuerst wollte ich es nicht wahrhaben, dann war ich kurz davor, den Kontakt abzubrechen. Heute habe ich einen ganz guten Kontakt zu meiner Mutter. Gott sei Dank wohnt sie nicht so nah bei mir und mischt sich daher nicht zu sehr in mein Leben ein. Auf der anderen Seite bekomme ich Unterstützung von ihr in meinem nicht enden wollenden Kampf gegen meinen Exmann, der mich materiell und finanziell vernichten will. Sie leidet da sehr mit mir und den Kindern. Meine Mutter hat manchmal ganz schreckliche Seiten an sich und es fällt mir dann sehr schwer, ruhig zu bleiben. Aber es geht besser, wenn ich gewisse Dinge einfach mit Humor nehme oder erst gar nicht darauf reagiere. Letztlich hat meine Mutter immer hinter mir gestanden und ich konnte mich auf sie verlassen. Daher werde ich keinen Kontaktabbruch vornehmen. Ich glaube schon, dass sie mich immer geliebt hat und das hat sie mir auch schon mehrmals bewiesen. Aber dass sie als Tochter einer geistig völlig kranken Frau (meiner Oma) selbst so viele krankhafte Züge hat, wundert mich nicht. In meiner Oma sehe ich allerdings eine sehr ausgeprägte Narzisse. Als sie noch lebte, hatte ich den Kontakt zu ihr abgebrochen. Ich wollte von dieser Frau nichts mehr wissen. Mit meiner Tante, der Schwester meiner Mutter, will ich auch nichts mehr zu tun haben, weil sie so ist wie meine Oma. Wenn ich sie auf Familienfeiern treffen muss, halte ich mich von ihr fern.«

Susanne, Ende fünfzig, erzählt mir zu ihrem Prozess des Erkennens und Verstehens: »Was die anderen Frauen hier so erzählen, so extrem ist meine Mutter nicht. Sie hatte Brustkrebs und jetzt Knochenmetastasen. Ich kann sagen, dass sie die ganzen letzten Jahre schon an sich arbeitete. Jetzt, im Alter und in ihrer Krankheit, fängt sie an, sich rauszuhalten. Sie lobt sogar ganz sachte und beginnt mich anzunehmen, wie ich eben bin. Mir wurde oft geraten, zieh da weg, denn ich wohne im gleichen Wohnblock wie meine Eltern, und sie betreuten früher meinen Sohn, während ich arbeitete. Das war für mich aber eine nicht machbare ›Lösung‹. Nicht die Distanz der Kilometer, sondern die innere Distanz brauchte ich. Ein Kontaktabbruch kam für mich nicht infrage, es wäre mir wie ein Versagen vorgekommen. Bei meinem Ex dachte ich oft, er verkörpert meine Mutter. Er fiel mir ständig ins Wort, so wie sie immer. Er ließ mich nie ausreden und noch so viel mehr. Er erinnerte mich auch an meinen Vater, weil er wie er höchst aggressiv und cholerisch war. Und an meinen Bruder, wegen des gemeinen, abwertenden Tonfalls. Ich merke, wenn ich in meiner Mitte bin, nehme ich es lockerer. Wir gehen zusammen ins Heilsingen, das ist sehr schön. Ich hatte auch immer das Gefühl, sie liebt mich oder uns. Sie ist sehr zuverlässig und viel zu opferbereit.«

Mein ganz persönliches Fazit ist: Man kann die Folgen des narzisstischen Missbrauchs überwinden. Ein ganz wichtiger Faktor dabei ist es, die Störung, die Eigenschaften, die Verhaltensweisen der Mutter – was auch immer es sein mag – zu erkennen. Sie zu verstehen, nicht um Verständnis für die narzisstische Mutter zu entwickeln, sondern für sich selbst, die eigenen Reaktionen, Befindlichkeiten, Bedürfnisse und vor allem die eigenen Verletzungen. Zu erkennen, wie sehr man ausgeliefert war und dass man es nicht hätte ändern können. Erkennt man die Störung bei der wichtigsten Bezugsperson, kann man all seine Erlebnisse differenzierter sehen. Rein von der Logik her wissen wir irgendwann, dass all die negativen Botschaften, mit denen wir bombardiert wurden, nicht der Wahrheit entsprechen. Und trotzdem reagieren wir in Konflikten oft so hilflos wie das kleine Kind damals, das beschimpft und verachtet wurde und sich nicht wehren konnte. Um all die Dinge, die beim weiteren Aufarbeiten helfen können, wird es im vorletzten Kapitel »Narzisstischen Missbrauch überwinden« gehen.