Einerseits war sie kaum wiederzuerkennen und andererseits war sie wie immer; dieselbe Mischung aus Vertrautheit und Fremdheit, wie sie manchmal bei Wachsfiguren irgendwelcher Berühmtheiten vorkam. Bei dem Gedanken hätte Benjamin sich schlecht fühlen müssen, aber das tat er nicht. Maja lag im Sterben. Sie hatte unzählige Male erbrochen und genauso oft hatte er aufgewischt. Jetzt kamen nur noch Spuren von Blut hoch. Die Kratzer auf ihrem Körper glühten. Das Fieber stieg, sie konnte nicht mehr trinken und verlor langsam das Bewusstsein. Als sie die Augen öffnete, sah er den blinden, milchigen Film.
Über so viele Jahre hatte sie ihn Tag für Tag begleitet – ohne selbst davon zu wissen: beim Zeitungaustragen, im Wald, auf dem Fußballplatz, im Lärmen des Rasenmähers, spätabends im Bett und auf den gelben Steppen seiner Träume. In den Weihnachtsferien in der Hauptstadt, im Sommer bäuchlings im Garten. Als er sich zum ersten Mal betrunken hatte und als er das erste Mal kotzen musste. Als er seine Spange bekam und als er sie wieder loswurde.
Sogar damals, als ein Laster beim Rechtsabbiegen sein Fahrrad übersah und ihn in die Luft beförderte, während das Rad unter einem tonnenschweren Reifen zermalmt wurde, war sie bei ihm. Er lag rücklings auf dem Asphalt und glotzte in einen Himmel, der so unendlich groß und blau und zugleich so nah war, dass er glaubte, die Hand hineinstecken zu können wie in ein Aquarium. Aber als er versuchte, den Arm zu heben, ging es nicht. Er war davon überzeugt, dass er sterben würde – und genau in diesem Moment stellte er sich vor, dass sie sich über ihn beugte, als das Letzte, was er auf dieser Welt sehen wollte.
Jetzt war er es, der neben ihr kniete. Sie konnte ihn nicht länger sehen, aber er hatte trotzdem das Gefühl, zu ihr hochzublicken, als sie starb.