In späteren Jahren wurde erzählt, dass Otto von Braunschweig, der als Vierter seines Namens in jenen Tagen noch die Kaiserkrone trug, einst einen Traum gehabt hätte – einen Traum von zwei Bären, einem großen und mächtigen und einem sehr viel jüngeren kleinen Bären, und dass in diesem Traum der kleinere Bär den älteren verjagt habe.
Man mag von Träumen halten, was man will – sind sie nur Launen des Zufalls? Oder sind es unsere eigenen Ängste und Befürchtungen, die in Träumen zu uns sprechen? Oder öffnet in ihnen gar die Vorsehung für einen winzigen Moment den Blick auf Dinge, die vielleicht dereinst kommen?
Der Traum des Welfen jedenfalls bewahrheitete sich. Denn noch während sich die Kunde von den Ereignissen in Konstanz in süddeutschen Landen verbreitete, brachen Friedrich und die Seinen nach Basel auf. Dort stellte Heinrich von Vehringen, der Bischof von Straßburg, ihm nicht weniger als fünfhundert bewaffnete Reiter zu Gebote, die die Schar des Staufers sprunghaft anwachsen ließen und seinem Wort gleich ein wenig mehr Gewicht verliehen. Und hier begann er, seine zuvor gefassten Pläne in die Tat umzusetzen und Privilegien und Geldgeschenke an die Fürsten des Reiches zu verleihen, auf dass sie auf seine Seite kämen …
Und sie kamen.
Der Erste, der Nutzen aus den in Basel ausgestellten Bullen zog, war Ottokar von Böhmen, dem Friedrich als Erstem seines Namens die Königswürde verlieh, zudem wurde Ottokars Bruder Heinrich die Markgrafschaft Mähren zuteil. Auch andere weltliche Fürsten wie der Herzog von Lothringen wurden mit Geld oder Reichsgütern bedacht, sodass die Schar derer, die Friedrich folgten, beständig zunahm, während die Zahl jener, die bei seinem Konkurrenten verblieben, beständig sank.
Die wahre Macht jedoch lag vorerst noch immer bei Otto, dem trotz seiner Bannung noch viele deutsche Fürsten folgten – hätte der Welfe in jenen Tagen die Entscheidung auf dem Schlachtfeld gesucht, hätten die Geschicke wohl einen anderen Verlauf genommen. Aber ob es die Vorsehung war, die ihn davon abhielt, die Furcht vor den Folgen des päpstlichen Banns, oder ob es nur einfach der Ruf war, der dem puer Apuliae vorauseilte – Otto von Braunschweig ging dem Kampf aus dem Weg, und Friedrich seinerseits suchte ihn nicht.
Puer Apuliae, so nannte man ihn nämlich inzwischen – den Knaben aus dem fernen Apulien. Allein der Klang dieses Namens schien in den Köpfen der Deutschen Träume zu wecken, Vorstellungen von einem fernen, südlichen Land, in dem die wenigsten von ihnen je gewesen waren und wohin sie auch niemals kommen würden. Wie fremdartige Musik tönte er in ihren Ohren, durchwehte ihre grauen Gedanken mit exotischen Düften und erfüllte sie für Augenblicke mit der Wärme südlicher Sonne.
Der Name Friedrich mochte ihnen vertraut sein, sein Wesen war es nicht. In seiner Jugend, die so anders verlaufen war als die anderer Fürsten und Könige, hatte er nicht nur die Ertüchtigung mit Waffen geübt, sondern war auch in den Disziplinen der Logik, der Philosophie und der Mathematik unterwiesen worden; er beherrschte nicht nur die lateinische Sprache, sondern auch die griechische und mit der arabischen sogar jene des heidnischen Feindes. Die Zunge seiner Väter sprach er hingegen nicht, auch wenn er sich in den Tagen jenes allerersten Aufenthalts jenseits der Alpen redlich mühte, sie zu erlernen. Den Deutschen kam es folglich vor, als wäre dieser junge Mann aus einer anderen, fremden Welt zu ihnen gekommen, und in gewisser Weise war er das auch … doch erst später, in reiferen Jahren, lernte mein Herr, aus dieser Eigenschaft Nutzen zu ziehen, indem er sich als jener Herrscher präsentierte, als den man ihn schon immer gesehen hatte, als stupor mundi … das Staunen der Welt.
Der Leser dieser meiner Aufzeichnungen mag für sich selbst entscheiden, ob Friedrichs frühe Erfolge und sein rasches Vorankommen in jenen Tagen nur ein Ergebnis seiner klugen und freigebigen Politik waren oder ob es an der ungewöhnlichen Ausstrahlung lag, die den jungen Mann mit dem langen roten Haar umgab, so als hätten der Allmächtige und seine Vorsehung ein besonderes Auge auf ihn. Vergessen schienen die düsteren Voraussagen, die noch zur Zeit seiner Geburt gemacht worden waren, vorbei die üblen Schmähungen wegen des fortgeschrittenen Alters seiner Mutter: Dieser neue, von jugendlicher Kraft erfüllte Herrscher schien allen blühenden Wohlstand zu versprechen und dem Reich dauerhaften Frieden – und wonach mehr können Menschen verlangen?
Was in Basel geschehen war, verhallte abermals nicht ungehört unter den Adeligen des Reiches, und als sich Friedrich am Tag des heiligen Michael in der Pfalz zu Hagenau einfand und dort seinen ersten großen Hoftag abhielt, gesellten sich weitere Edle zu ihm und wandten sich von Otto ab. Der Welfe, der sich auf seine nördlichen Besitztümer zurückgezogen hatte, mag dort schmollend gesessen und seine Wunden geleckt haben, während ihm in Hagenau eine weitere zugefügt wurde: Kein anderer als sein Reichskanzler Konrad von Scharfenberg fand sich dort ein und schwor Friedrich die Treue.
Ein anderer König, der noch dazu so jung war an Jahren, hätte Konrad vielleicht gezürnt, ihn für die bisherige Unterstützung des Gegners bestraft oder ihn zumindest seines Amtes enthoben; Friedrich jedoch beließ ihn in seinem Amt und übernahm ihn als Kanzler, auch wenn es bedeutete, seinen treuen Gefährten Anselm von Justingen, dem er die Kanzlerschaft versprochen hatte, dadurch zu enttäuschen. Doch das Signal, das Friedrich damit sandte, übertraf das Opfer bei Weitem, sagte es doch seinen Gegnern, dass sie nichts zu befürchten hatten, wenn sie jetzt auf seine Seite wechselten. Und so wuchs die Zahl derer, die Friedrich unterstützten, von Tag zu Tag.
Beinahe einen Mond lang blieb Friedrich in Hagenau, jener Pfalz, die umgeben war von üppigen Wäldern und Jagdrevieren und die seiner südländischen Heimat noch am nächsten kam. Das Wetter hatte sich gebessert und beschied dem jungen König goldene Oktobertage, die er zum Ausritt nutzte und dafür, seiner kaum verhohlenen Leidenschaft zu frönen, der Falknerei.
Mit erkennbarer Freude hatte er festgestellt, dass die Beizjagd auch nördlich der Berge betrieben wurde, und wenn sich auch die Art der verwendeten Vögel unterschied und ihre Abrichtung weniger ausgefeilt war, als er es von den arabischen Falknern Siziliens gewohnt war, fand er hier doch Gleichgesinnte, die seine Leidenschaft teilten und mit Raubvögeln wie Wanderfalken und Sperbern auf die Jagd gingen – und sogar mit dem mächtigen Adler.
Unter den Tieren, mit denen Friedrich jagte, war auch ein Habicht, den sein Gefolgsmann Reinold von Urslingen ihm zum Geschenk gemacht hatte. Alter Tradition folgend, hatte er dem Tier einen Namen gegeben und es »Cupidus« genannt, und tatsächlich machte der Vogel diesem Namen schon bald alle Ehre. Zusammen mit einigen engen Beratern und Gefährten, unter ihnen der unentbehrliche Parceval Doria, war Friedrich von Hagenau aufgebrochen, den Habicht auf der Faust, der in Erwartung der bevorstehenden Jagd bereits mit den Flügeln schlug. Ihr Weg führte sie tief in den Wald, der sich herbstlich verfärbt hatte. Der Geruch von Pilzen erfüllte die Luft, Laub übersäte den Boden, das unter den Hufen der Pferde leise raschelte.
»Eines will mir nicht in den Kopf«, meinte Parceval, der hinter Friedrich ritt und ebenfalls einen Habicht führte. »Warum verbindet man im Süden den Tieren die Augen, indem man ihnen eine Lederkappe über den Kopf stülpt? Warum darf das Tier nicht sehen, was es umgibt?«
»Weil es davon nur abgelenkt würde«, gab Friedrich weiter, was seine arabischen Lehrmeister ihm beigebracht hatten. »Es soll nur das erspähen, was es erspähen soll.«
»Indem du es mit Blindheit schlägst?«
»Indem ich seine Aufmerksamkeit auf jene Dinge lenke, die es sehen soll, damit es tut, was ich von ihm verlange«, erläuterte der junge Staufer bereitwillig, während er sein Pferd weiter durch das Unterholz lenkte.
»Und wenn es nicht tut, was du verlangst?«
»So ist mehr Erziehung vonnöten.«
»Keine Bestrafung?«
Friedrich zügelte sein Pferd und drehte es halb herum, sodass er dem Gefolgsmann ins Gesicht sehen konnte. »Du magst es mit deinem Tier halten, wie du willst, aber wenn du es zu oft bestrafst, wird es sich von dir abwenden und irgendwann das Weite suchen, sich womöglich sogar einen neuen Herrn erwählen. Behandelst du es dagegen gut und erweist ihm genügend Fürsorge, so wird es jederzeit auf deine Faust zurückkehren und alles tun, was du von ihm verlangst.«
»Hm«, machte Parceval und schnitt eine Grimasse, »sprichst du wirklich noch von der Beizjagd? Irgendwie habe ich nicht den Eindruck …«
»Du hast recht«, gab Friedrich zu. »Hätte Otto der Welfe die Regeln der Falknerei berücksichtigt, hätte ich es sehr viel schwerer gehabt, ihm seine Gefolgsleute abzujagen – so jedoch ließ er einen Falken nach dem anderen ziehen, auf dass er sich eine neue Bleibe suche …«
»… die er dann bei dir fand«, ergänzte Parceval grinsend. »Der König als ein Falkner.«
»In der Tat«, stimmte Friedrich zu – als sich im Unterholz plötzlich etwas regte. Von den Hufen der Pferde aufgeschreckt, sprang ein Kaninchen aus dem Dickicht und setzte durch das hohe Laub davon.
Die Kappe von seinem Haupt zu ziehen und den Habicht freizugeben kostete Friedrich nur einen Augenblick. »Fliege!«, rief er dann und entließ das prächtige Tier von seinem Arm. Das Glöckchen am Bein des Habichts klingelte, als er die Flügel ausbreitete und sich flatternd in die Lüfte schwang – doch statt dem Kaninchen zu folgen, stieg er steil zu den Kronen der Bäume auf und war einen Herzschlag später bereits darin verschwunden. Noch einen Augenblick lang hörte man das Glöckchen, dann verstummte es.
Einen Moment lang war Friedrich wie erstarrt vor Überraschung. Das Kaninchen freilich hatte sich längst aus dem Staub gemacht und war im Wurzelwerk einer alten Eiche verschwunden, doch auch von dem Habicht fehlte jede Spur.
»Nanu«, meinte Parceval, der als Dichter um Worte nie verlegen war. »Wohin ist das prächt’ge Tier entschwunden?«
Friedrich starrte noch immer an dem Baum empor. Schon oft war er zur Beizjagd ausgeritten, hatte mit diesem Habicht und mit anderen gejagt, doch dergleichen war ihm noch nie passiert. »Mir will scheinen«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »dieser Untertan weiß nicht recht, wohin er gehört.«
»Woran mag es gelegen haben?«, feixte Parceval. »Zu wenig Fürsorge?«
Mit einem Seitenblick gab Friedrich ihm zu verstehen, dass es nun genug war mit den Scherzen. Dann ließ er die Zügel schnalzen und trieb sein Tier noch tiefer in das dunkle Geäst.
»Verzeih, mein Freund«, rief Parceval ihm hinterher, »ich wollte nicht …«
Aber Friedrich reagierte nicht, seine Aufmerksamkeit war ganz auf die unmittelbare Umgebung gerichtet. War da nicht für einen kurzen Moment wieder ein leises Klingeln zu vernehmen gewesen? Und war es nicht von dort drüben gekommen, von jenseits der moosbewachsenen Felsen?
Ohne Zögern lenkte Friedrich sein Pferd in die entsprechende Richtung. Er passierte die Felsen und tauchte in das grüne Halbdunkel eines Hohlwegs ein. Steil führte er bergab, abermals raschelte Laub unter den Hufen. Dann wieder war das Glöckchen des Habichts zu hören, jedoch nur ganz kurz.
Was war geschehen? War dem Tier etwas zugestoßen? War es verletzt und brauchte Hilfe?
Die Sorge um Cupidus war so groß, dass Friedrich alles andere darüber vergaß. Nach weiteren Lebenszeichen lauschend, dirigierte er sein Pferd durch ein Labyrinth eng stehender und von Moos überwucherter Bäume. Dichter Efeu hing wie ein Vorhang herab, sodass Friedrich seine Klinge ziehen und das Gewirr teilen musste. Bald nach links und bald nach rechts schlagend, hieb er sich hindurch – und stand unvermittelt auf einer Lichtung.
Helles Sonnenlicht blendete ihn, und für einen Moment konnte er nichts sehen. Doch als er endlich wieder etwas erkennen konnte, wollte er seinen Augen nicht trauen: Vor ihm, inmitten der von Sonnenschein durchfluteten Lichtung, stand eine junge Frau.
Am Arm trug sie einen ledernen Handschuh – und darauf saß kein anderer als Cupidus und gurrte wie eine Taube, während sie ihm das gestreifte Brustgefieder streichelte und dabei ebenso leise wie beruhigend auf ihn einsprach.
Furcht schien sie nicht zu kennen, weder vor dem Tier selbst noch vor seinem Besitzer, der doch jeden Moment auftauchen und es zurückfordern mochte. Tatsächlich schien sie Friedrichs Eintreffen noch nicht einmal bemerkt zu haben, nur sie selbst und der Vogel schienen in diesem Augenblick auf der Lichtung zu existieren. Entsprechend unwirklich war der Anblick, der sich Friedrich bot, zumal das einfallende Sonnenlicht ihr waldgrünes Kleid dergestalt durchleuchtete, dass sehr viel mehr von ihrer jugendlichen Erscheinung zu sehen war, als schicklich gewesen wäre …
»Steckt Euer Schwert weg, mein König«, sagte sie unvermittelt. Dabei hob sie den Blick und sah ihn aus Augen an, deren Farbe ihn an Türkise erinnerte. Sie mochte in seinem Alter sein und hatte ein hübsches, wenn auch ein wenig blasses Gesicht und einen kleinen Mund, in dem schneeweiße Zähne blitzten. Ihr blondes Haar trug sie offen, wie pures Gold fiel es auf ihre schmalen Schultern.
»Wa-was?«, fragte er wenig geistreich – sie hatte deutsch gesprochen, das er zwar halbwegs verstand, jedoch vermochte er es kaum zu erwidern.
»Euer Schwert«, wiederholte sie, mit der freien Hand auf die Klinge in seiner Rechten deutend. »Ihr werdet es nicht brauchen – weder meinetwegen noch wegen des Habichts.«
In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sie kannte. Vor einigen Tagen war sie ihm vorgestellt worden, und schon an jenem Abend war sie ihm ihrer Schönheit wegen aufgefallen. Adelheid war ihr Name, und sie war eine Schwester ebenjenes Reinold von Urslingen, der ihm den Habicht geschenkt hatte. Was wohl erklären mochte, warum das kluge Tier so bereitwillig auf ihrem Arm gelandet war – aber noch längst nicht, warum sie hier im tiefen Wald verweilte.
Friedrich stieß die Klinge ins Futteral zurück, dann schwang er sich aus dem Sattel.
»Ich danke, Fräulein«, sagte er, während er langsam auf sie zutrat.
»Wofür?« Sie kicherte, wohl seines schweren Akzents wegen.
»Dass Vogel gefangen«, erwiderte er, auf den Habicht deutend.
»Ein prächtiges Tier«, bestätigte sie. »Welchen Namen habt Ihr ihm gegeben?«
»Cupidus«, entgegnete er.
Sie lachte hell, ein Lachen voller Heiterkeit und Lebensfreude, wie man es selten hier im kühlen Norden hörte. »Wie passend«, befand sie und errötete dabei ein wenig. »So hat Euer Cupidus mich also gefunden. Was, mein König, werdet Ihr nun mit Eurer Beute anfangen?«, fügte sie hinzu und sah ihn dabei herausfordernd an. Er konnte sehen, wie ihre jungen, festen Brüste sich unter ihren Atemzügen hoben und senkten, und konnte nicht verhindern, dass seine Begehrlichkeit erwachte.
»Es gibt eine Königin«, wandte er dennoch ein, zu mehr reichte seine spärliche deutsche Eloquenz nicht aus.
»Das weiß ich«, versicherte die schöne Adelheid, »doch wurde mir gesagt, dass sie weit entfernt von hier weilt – ich jedoch bin hier, und Euer Habicht hat mich gefunden.«
»Das ist wahr«, stimmte er zu, während er den Gurt um seine Hüften löste und zu Boden fallen ließ.
Sie wandte sich dem Vogel zu und schien ihm etwas zuzuflüstern, dann stieß sie die Faust hoch in den Himmel, worauf er die Flügel ausbreitete und flatternd in dem Stück blauen Herbsthimmels verschwand, das zwischen den rotgoldenen Baumkronen leuchtete.
Friedrich sah dem Habicht nach, bis er jenseits der Bäume verschwunden und das Klirren des Glöckchens nicht mehr zu hören war. Als er seinen Blick wieder auf Adelheid richtete, hatte diese ihr Kleid bereits geöffnet und ein Stück herabgezogen, sodass ihre Brüste nicht länger gegen den Stoff des Kleides drängten, sondern ihm keck entgegenblickten.
Braver, guter Cupidus.