Ob es tatsächlich die Tapferkeit meines Herrn war, die den grausamen Markward an jenem Tag davon abhielt, ihn zu töten; ob ihn der Herzog womöglich für ein Kuriosum hielt, für eine amüsante Merkwürdigkeit, die er sich einem Narren gleich an seinem Hof zu halten gedachte; oder ob es nicht vielmehr die Tatsache war, dass Friedrich ein Schutzbefohlener der heiligen Kirche war und Markward fürchten musste, für dessen Ermordung von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen zu werden – wir werden es wohl nie erfahren. Doch an jenem Tag ließ er meinen Herrn am Leben – und schon im darauffolgenden Jahr verstarb der Herr von Annweiler eines plötzlichen Todes.
Unter seinen möglichen Nachfolgern setzte sich ein deutscher Hauptmann mit Namen Wilhelm Capparone durch, der zuvor in Markwards Diensten gestanden hatte und mit ihm zu Reichtum und Ansehen gekommen war. Capparone, der sich selbst der »große Hauptmann« nannte, setzte die Fremdherrschaft der deutschen Eroberer fort. Unruhen und Kämpfe mit anderen Söldnerführern waren an der Tagesordnung, Bündnisse kamen und gingen. Auch solche mit dem vom Papst bevollmächtigten Kanzler Walther von Pagliara, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, das ihm anvertraute Reich zu schützen.
Doch die hohen Herren taten in jenen Jahren das, was sie häufig tun, wenn ihre Interessen auf dem Spiel stehen – sie scherten sich nicht um gegebene Versprechen und taten alles, was nötig war, um ihre Macht und ihren Besitz zu erweitern. Dabei sahen sie nur auf sich selbst und nicht auf andere – und dies kam meinem Herrn zugute. Er musste nicht mehr um sein Leben fürchten, war nicht mehr unmittelbar bedroht. Und so begann eine völlig neue Zeit in seinem Leben, über die er später bisweilen laut und mit vor Stolz geschwellter Brust berichtete, manchmal aber auch schamhaft und hinter vorgehaltener Hand. Denn nicht länger führte er ein geregeltes Leben bei Hofe, genoss nicht länger den Schutz hoher Mauern – aber war auch nicht mehr deren Gefangener.
Der gute magister Francisius war von Sizilien abberufen worden, sodass mein Herr in diesen Jahren keinen festen Lehrer hatte. Folglich gesellten sich der Ausbildung des jungen Friedrich nun Einflüsse hinzu, die die päpstlichen Legaten, alles andere als gern sahen; doch für meinen Herrn sprudelten die Quellen des Wissens ab sofort an vielen Orten, auch an solchen, die sich der Kontrolle der Kirche gänzlich entzogen.
Ihr müsst wissen, dass Palermo – so wie die ganze Insel Sizilien – in jenen Tagen ein bunter Schmelztopf verschiedenster Völker, Kulturen und Zungen gewesen ist. Dies erklärt sich nicht zuletzt durch die bewegte Vergangenheit der Königsstadt, deren Name auf jene Bezeichnung zurückgeht, die die Griechen ihr einst gaben: Panhormos, der »große Hafen«.
Die Phönizier waren die Ersten, die an jener fruchtbaren Bucht am mare Thyrrhenum eine Siedlung gründeten. Und obwohl Sizilien von Griechen kolonisiert und Syrakus deren leuchtendes Zentrum wurde, blieb Palermo in der Hand der Phönizier, bis die Römer es ihnen gewaltsam entrissen. Beinahe sieben Jahrhunderte lang erblühte die Stadt unter der römischen Herrschaft, ehe der Schatten einer neuen Zeit die antike Welt verfinsterte. Sizilien fiel unter oströmische Herrschaft, doch konnte das ferne Byzanz die Insel nicht schützen. Zwei Jahrhunderte lang fielen Barbaren und Piraten immer wieder brandschatzend und plündernd über sie her, ehe die Araber ihr eine ebenso lange Friedenszeit bescherten. Unter ihnen wurde Palermo zu einem Zentrum von Kultur und Wissenschaft, ehe im Jahr des Herrn 1072 der Normanne Roger, Erster seines Namens und Spross des Hauses Hauteville, die Stadt eroberte und wieder unter christliche Herrschaft brachte. Neue Kirchen wurden errichtet und die große Kathedrale zu Palermo erbaut, doch gingen die arabischen und byzantinischen Einflüsse nicht verloren; so wie in den Menschen Palermos vermischten sich auch in der Baukunst die Völker und Kulturen, und so war es eine bunte Welt verschiedenster Einflüsse, die Friedrich in seinen jungen Jahren erkundete – bisweilen unter Aufsicht eines Lehrers, meistens jedoch allein und ohne Schutz.
Die Machthaber achteten nicht auf ihn, vermutlich wäre es ihnen nur recht gewesen, wäre der junge König eines Tages nicht von seinen Ausflügen zurückgekehrt. Gelegenheiten, eines unerwarteten Todes zu sterben, gab es in einer Stadt, in der sich hunderttausend Menschen drängten, zuhauf, zumal in den Gegenden, in denen sich Friedrich vornehmlich herumtrieb: Er liebte es, durch die Säulenhallen der Basare und Märkte zu streifen, auf denen Waren aus aller Welt feilgeboten wurden: Gewürze und Rauchwerk aus dem Orient, Elfenbein aus Ägypten, Wein aus Aquitanien, Tuche aus Flandern und England und Seide aus dem fernen Osten. Unzählige verschiedenste Gerüche tränkten die schwülwarme Luft, der Nase bald schmeichelnd, sie bald beleidigend, von den Düften ätherischer Öle bis zu den Ausscheidungen der Esel und Pferde, die auf dem schmutzigen Pflaster landeten. Von den Händlern, die ihre Waren anpriesen, hörte man die verschiedensten Sprachen, vom Volgare des Volkes über Arabisch und Griechisch bis hin zum Lateinischen. Auch die harten Laute des Deutschen waren hin und wieder zu hören, der fremden Herren wegen, die sich der Insel bemächtigt hatten. Und so unterschiedlich wie ihre Sprachen waren auch die Menschen, denn wahrlich alle Augen-, Haar- und Hautfarben, die sich der Schöpfer ausgedacht hat, waren hier vertreten, und Friedrich hatte keine Scheu, mit ihnen zu verkehren. Der junge König war offen für alle Einflüsse, sah sich mit Vorliebe in den Vierteln der Griechen, der Juden und der Sarazenen um, und in jedem davon fanden sein neugieriger Blick und sein wacher Geist neue interessante Dinge zu entdecken und zu lernen.
Am liebsten jedoch trieb er sich am Hafen herum, wo Schiffe sowohl aus der Levante als auch von Westen her festmachten, um ihre Ladung zu löschen. Friedrich mochte das geschäftige Treiben, das an den Kais herrschte, wo sich Esel, Kamele und Ochsenkarren drängten und es von Kaufleuten, Seemännern, Tagelöhnern und Bettlern wimmelte. Er liebte es, sich auf einen Stein oder ein altes Fass zu setzen und so lange zu warten, bis ein Schiff neue Ladung aufgenommen hatte und dann wieder in See stach – und jedes Mal, wenn die Matrosen die Leinen lösten und das Segel setzten, träumte er von einem Leben, das weit von hier stattfand und ihn an ferne Gestade führte, an die entlegenen Orte der Welt.
»He, du!«
Als er auf den Ruf reagierte und den Kopf drehte, bekam er etwas Warmes, Übelriechendes mitten ins Gesicht.
Es war Kamelmist, eine ganze Handvoll.
Derbes Gelächter war die Folge. Von wem es stammte, konnte der junge Friedrich zunächst nicht sehen, weil er noch damit beschäftigt war, sich das Zeug aus den Augen zu wischen. Dann jedoch wurde ihm klar, wer den Mist nach ihm geworfen hatte.
Es waren Gassenjungen.
Eine ganze Blase, Waisen vermutlich, die sich ebenso in den Gassen herumdrückten wie er – mit dem Unterschied, dass sie kein Bett hatten und kein Kissen, auf das sie abends ihre Häupter legen konnten. Sie waren allein und auf sich gestellt, und so sahen sie auch aus.
Ihre Kleider bestanden aus wenig mehr als stinkenden Lumpen, Gesichter und Hände waren schmutzig, das Haar lang und verwahrlost. Den meisten fehlten Zähne – ob sie ihnen noch nicht gewachsen oder bereits wieder ausgeschlagen worden waren, ließ sich nicht sagen. Sie sahen älter aus als Friedrich, auch wenn sie es wahrscheinlich nicht waren. Der tägliche Kampf um das Überleben hatte sie hart und gemein werden lassen, grundloser Hass sprach aus ihren Augen.
»Dein Hemd«, sagte einer von ihnen, der an einem Strick eine getrocknete tote Ratte um den Hals trug, wohl eine Art Trophäe, das Zeichen des Anführers. Er deutete auf Friedrichs Tunika. »Was willst du dafür haben?«
Friedrich sah an sich herab. Auch wenn er einfach gekleidet war, unterschied sich sein Aufzug doch sehr von dem der Jungen – schon allein dadurch, dass seine Tunika nicht in von Motten zerfressenen Fetzen hing. »Das ist nicht zu verkaufen«, gab er kopfschüttelnd bekannt.
»Hab ich mir fast gedacht.« Der Junge mit der Ratte bleckte das lückenhafte Gebiss. »Ich will es aber trotzdem haben. Mein Hemd hat Löcher, wie du siehst.«
»Nein.« Friedrich schüttelte den Kopf.
»Was soll das heißen?«
»Warum sollte ich dir mein Hemd geben?«
»Weil ich es dir sage, du verzogenes Kaufmannssöhnchen. Deshalb!«
Friedrich nickte – der Junge hielt ihn also für den Sohn eines Kaufmanns. Sollte er ruhig.
»Nein«, sagte er noch einmal und rutschte von dem Fass, auf dem er gekauert hatte. »Wenn du mein Hemd haben willst, wirst du es dir holen müssen«, stellte er klar und ballte die weißen Hände dabei zu Fäusten.
Der Rattenjunge musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Dein Ernst?«
»Mein voller Ernst«, bekräftigte Friedrich – was er schon im nächsten Moment bedauerte.
In der Erwartung, der Anführer der Bande würde sich ihm zu einem wenn schon nicht ritterlichen, so doch zumindest fairen Zweikampf stellen, trat er auf den Jungen mit der Ratte zu – doch der gab seinen Kumpanen ein Zeichen, die ihrerseits vorsprangen und Friedrich von beiden Seiten zugleich angriffen. Und da er nicht darauf gefasst war, hatten sie ihn schon im nächsten Moment fest gepackt und drehten ihm die Arme auf den Rücken, dass es in seinen Schultergelenken knackte und er vor Schmerzen nur so winselte.
»Nun, wie steht es?«, erkundigte sich der Rattenjunge, höhnisch jetzt und mit vor der Brust verschränkten Armen. »Willst du mir dein Hemd noch immer nicht geben?«
»Scher dich … zum Teufel!«
Es war nicht Mut, der Friedrich solches zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpressen ließ, es war der blanke Zorn. Doch die Jungen ließen sich davon nicht beeindrucken. Sie lachten nur, während ihr Anführer vortrat und ihm einen Schwinger in die Magengrube versetzte, der ihm das Gefühl gab, in seiner Mitte zu zerreißen.
Die Jungen ließen ihn los, und er sackte in die Knie, fand sich auf dem Boden wieder, auf den er sich keuchend erbrach. Die Sinne drohten ihm zu schwinden, sein dürrer Körper war ein einziger Schmerz.
Die Burschen der Rattenbande lachten nur, während sie ihm den Leibgürtel abnahmen, das Hemd vom Körper und die Sandalen von den Füßen rissen. Dann ließen sie ihn liegen, in der schmutzigen Gosse am Rand des Kais, inmitten morscher Fässer und Pfützen aus Eselpisse.
Eine endlos scheinende Weile lag er dort, sich vor Schmerzen krümmend, und niemand nahm von ihm Notiz außer ein paar echten Ratten, die aus den dunklen Nischen zwischen den Fässern krochen und ihn neugierig beäugten.
»Packt euch fort! Schhht!«, sagte schließlich jemand. Die Nager stoben mit entsetztem Quieken davon.
Friedrich drehte den Kopf und blinzelte gegen den Schatten, der auf ihn fiel. Die Silhouette eines jungen Mädchens zeichnete sich gegen den Himmel ab, das ebenfalls in seinem Alter sein mochte.
In der Erwartung, noch einmal ausgeraubt und nun auch noch des Rests seiner Kleidung beraubt zu werden, warf sich Friedrich herum und hob in einer abwehrenden Geste die Hände – doch das Mädchen hatte offenbar nichts dergleichen im Sinn.
»Wie geht es dir?«, wollte sie wissen. »Kannst du aufstehen?«
Genau wusste er es nicht, aber er nickte.
Sogar das tat weh.
Sie hielt ihm die Hand hin, und er ergriff sie und kam wackelig auf die Beine. Dabei drehte sie sich, sodass Licht auf ihr Gesicht fiel und er es sehen konnte – und selbst in seinem elenden Zustand ging ihm auf, wie wunderschön sie war: Ihr Gesicht war sanft von der Sonne gebräunt, dabei ebenmäßig wie das eines Engels; ihre Augen dunkel und geheimnisvoll, das glatte, im Nacken gebundene Haar von blauschwarzer Farbe.
»Wird es gehen?« Ihre Stirn war von Falten zerfurcht, sie schien sich ehrlich um ihn zu sorgen.
Friedrich nickte abermals. Halbnackt stand er vor ihr, verdreckt von Kopf bis Fuß und noch immer leicht gebeugt, weil sein Magen derart schmerzte. Aber zu seiner eigenen Verblüffung empfand er vor ihr keine Scham.
»Wie heißt du?«, wollte sie wissen.
Er überlegte kurz. Seinen wahren Namen wollte er nicht preisgeben, zumal alles Deutsche in Palermo einen schlechten Klang hatte. »Ro-Rogero«, sagte er deshalb.
»Ich bin Yara«, stellte sie sich vor. »Willst du mitkommen?«
»Wohin?«
»An einen Ort, wo du dich ausruhen kannst. Und dir ein neues Hemd besorgen«, fügte sie lächelnd hinzu – seine nackten Füße hatte sie gar nicht zur Kenntnis genommen, sie trug selbst keine Schuhe.
Im ersten Moment wollte er ablehnen, aber er konnte ja noch nicht einmal aufrecht stehen, wie also sollte er zum Palast zurückgelangen? Prüfend sah er das Mädchen an. Wollte sie ihm Böses? Ihn in eine Falle locken womöglich?
»Einverstanden«, hörte er sich selbst sagen, noch ehe er bewusst zu einer Entscheidung gelangt war.
Etwas in ihm vertraute ihr.
Sie nickte und bot ihm einen Arm an, um ihn zu stützen. Er lächelte dankbar und legte seinerseits einen Arm um ihre Schultern, und so verließen sie den Kai – sie wie eine barmherzige Samariterin, er wie ein geprügelter Hund.
Obwohl er oft allein in den Straßen und Gassen Palermos unterwegs gewesen war, verlor er schon nach kurzer Zeit die Orientierung – denn die Gegend, in die sie ihn führte, hatte er wohlweislich noch nie betreten. Es war das Armenviertel der Stadt, von Tagelöhnern und Unfreien bevölkert, von Bettlern und Dieben. Vermutlich hatten auch der Rattenjunge und seine Bande irgendwo hier ihren Unterschlupf.
Yara brachte Friedrich zu den Ruinen dessen, was einst, zur Zeit der Römer, eine Villa gewesen sein mochte. Inzwischen standen nur noch die Wände davon, das Dach war zum größten Teil eingestürzt. Dennoch lebten Menschen hier, in den Trümmern der großen Vergangenheit.
Der Mann, zu dem Yara Friedrich brachte, schien mit ihr eng verwandt zu sein – die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Im Schatten eines Säulengangs, der sich einst um einen kleinen Lichthof erstreckt haben mochte, hatte er sich eine Wohnstatt eingerichtet, die auch Yaras Bleibe zu sein schien. Soeben war er dabei, über offenem Feuer eine Suppe zu kochen.
»Nanu«, machte der Mann mit den dunklen Augen und dem spitzen Kinnbart, als er Yara und ihren elenden Begleiter erblickte. »Was hast du denn da gefunden? Was für ein seltsames Tier mag dies wohl sein?«
»Das ist Rogero«, stellte Yara vor.
»Möge Friede mit dir sein, Rogero«, erwiderte der Mann prompt und mit mildem Lächeln.
»Rogero«, setzte Yara die Vorstellung fort, »dies ist der große Gelehrte Amir ibn Esat al-Mazara – mein Vater.«
»E-ein großer Gelehrter?«, fragte Friedrich mit einem Seitenblick auf all das Elend, das sie umgab.
»Mein Vater war Hüter der Schriftrollen an der Schule des Koran, ehe sie im Zuge der Kämpfe zwischen den Christen in Flammen aufging«, fügte Yara erklärend hinzu. »Seither leben wir hier.«
»Das … tut mir leid«, versicherte Friedrich. Vorhin hatte er keine Scham empfunden – jetzt schon.
»Gräme dich nicht, Rogero«, meinte Amir ibn Esat, wobei er von seinem Suppentopf aufsah und den jungen Gast flüchtig musterte. »Wie ich sehen kann, bist du doch kaum besser dran als wir. Es sind schwere Zeiten, in denen wir leben.«
»Richtig«, konnte Friedrich nur zustimmen. Mehr zu sagen wagte er nicht, aus Sorge, sich zu verraten.
»Willst du zum Essen bleiben? Wir haben nicht viel, aber was wir haben, teilen wir gern mit dir.«
Friedrich sah zu Yara, die ihm ermunternd zunickte. »Aber … ihr seid Sarazenen, und ich bin …«
»… ein Junge, der offenbar allein ist und Hunger hat«, fiel der Gelehrte ihm ins Wort, »alles andere ist in diesem Augenblick nicht von Belang, mein junger Freund. Nicht nur euch lehrt der Glaube, sich der Bedürftigen anzunehmen und die Regeln der Gastfreundschaft zu achten, weißt du.«
»Ich … verstehe«, stieß Friedrich hervor und war abermals beschämt.
»Oder ist es ein Problem für dich, mit uns zu speisen?«, fragte Yaras Vater und sah ihn prüfend dabei an.
Friedrich brauchte nicht zu überlegen.
»Nein«, erwiderte er schnell. »Ich denke, dass alle Menschen Gottes Kinder sind.«
Amir ibn Esat warf den Kopf in den Nacken und lachte laut und voller Freude. »Mein Freund«, sagte er, »gemessen an deiner Jugend, spricht bereits sehr viel Weisheit aus dir!«
Friedrich blieb nicht nur zum Essen, er kehrte noch viele Male zu Yara und ihrem Vater zurück. Und da schon bald deutlich wurde, was für ein aufgeweckter und interessierter Junge er war, begann Amir, ihn in Gespräche zu verwickeln – über Gott und die Menschen, aber auch über die Wissenschaften, über Kunst und Musik, Mathematik und Philosophie. Und Friedrich, der über seinen Lehrer Francisius und die Legaten aus Rom bislang nur die abendländische Sichtweise gekannt hatte, hörte aufmerksam zu und sog alles in sich auf wie ein trockener Schwamm.
Schon bald wurde er mit weiteren sarazenischen Gelehrten aus dem Kreis Amir ibn Esats bekannt, und indem sie sich mit ihm unterhielten, lernte er nach und nach auch ihre Sprache und bekam Einblick in eine andere, neue Welt. Eine Welt, die seinen bisherigen Lehrern völlig unbekannt war und die er mit großem Eifer erkundete.
Und zum allerersten Mal in seinem noch jungen Leben verlor er hier auch sein Herz.