4.


 

 

Die Ausbildung meines Herrn ging nun seltsame Wege.

Der »große Hauptmann« Capparone wurde im Jahr 1206 von der Insel vertrieben, sodass die Regierungsmacht wieder in die Hände Walther von Pagliaras überging. Dieser verfügte, dass Friedrichs alter Lehrer Wilhelm Francisius wieder dessen Ausbildung übernehmen solle. Zwar nahm Francisius, einigermaßen entsetzt darüber, was sein Schützling in seiner Abwesenheit alles verlernt hatte, den Unterricht wieder auf; doch entging dem milden Gelehrten mit dem inzwischen schlohweißen Haar nicht, dass sein Schüler in der Zwischenzeit Zugang zu anderen Wissensquellen gehabt hatte, die man in Rom wohl als weitaus weniger angemessen betrachtet hätte.

Längst verkehrte Friedrich regelmäßig im sarazenischen Viertel und hatte dort zahlreiche Freunde gewonnen. Und wenn er mir im Alter auch versicherte, dass er trotz aller Anfechtungen, die ihm im Lauf seines Lebens widerfuhren, niemals am christlichen Glauben gezweifelt hätte, lernte er in dieser Zeit doch auch die Lehre des Propheten kennen und las den Koran. Auch in andere Bücher, die sich niemals auf Francicius’ Liste gefunden hätten, steckte er seine neugierige Nase: Er las die großen Epen der alten Zeit, bestand Irrfahrten mit Odysseus und Aeneas und kämpfte mit Hector und Achill vor Trojas Toren; er las arabische Märchen und Bücher über Naturwissenschaften, über Astronomie und Mathematik. Und in einem abgelegenen Teil der Palastbibliothek stieß er auf die lateinischen Gedichte eines gewissen Ovid und die Gesänge eines Catull und begann darüber den Unterschied der Geschlechter zu verstehen.

Ob es diese zeitigen Einsichten in die Tatsachen des Lebens waren, ob es am frühen Verlust der Eltern lag und an den Todesängsten, die er schon in seiner Kindheit ausgestanden hatte, oder ob die Natur bei ihm einfach rascher handelte, weil sie ihn auf sein großes Schicksal vorbereiten wollte – der junge Friedrich reifte schneller heran als andere Knaben seines Alters, in geistiger Hinsicht ebenso wie in körperlicher. Und wie es oft geschieht in jenen Jahren, in denen man die Sandalen der Kindheit gegen die Stiefel des Mannes tauscht, zeigte sich Friedrich gegenüber den vom Papst bestellten Legaten und Erziehern renitent und aufmüpfig. Trotz seiner Jugend hatte er schon manches erlebt, hatte zahlreiche Gefahren gemeistert und war zudem ein König – was also wollten diese hohlwangigen, blutleeren Gesellen ihm noch beibringen, das er nicht schon längst wusste? Er verlachte sie und entzog sich ihrer Aufsicht, wann immer er nur konnte, was einen der päpstlichen Legaten dazu nötigte, sich in seinem schriftlichen Bericht nach Rom lauthals zu beschweren: »Der junge Fredericus«, so hieß es dort, »bedient sich einer höchst unangemessenen Wortwahl und legt zudem ein ungehöriges und für einen zukünftigen König unschickliches Betragen an den Tag. Dies war ihm wohl kaum in die Wiege gelegt, sondern rührt von unpassenden Freunden her, von einer allzu engen Nähe zum einfachen Volk sowie von einem überaus rüden Umgang, den der junge Fredericus mit Objekten außerhalb des königlichen Palastes pflegt.«

Durch einen ihm vertrauten Diener gewann mein Herr Kenntnis vom Inhalt dieses Schreibens – und lachte laut und herzlich.

Was den »rüden Umgang« betraf, den der päpstliche Gesandte kritisierte, so bezog sich dieser auf einen deutschen Söldner mit Namen Andreas. Denn infolge jenes schmachvollen Tages, an dem er von dem Rattenjungen verprügelt worden war, hatte Friedrich sich geschworen, dass dergleichen niemals wieder geschehen würde. Seinem Ersuchen, im Umgang mit der Klinge unterwiesen zu werden, wie es bei anderen Adelssöhnen gang und gäbe war, wurde jedoch nur halbherzig nachgegeben. Die jeweils Mächtigen erlaubten zwar großmütig, Friedrich in Sprachen und Geisteswissenschaften zu unterrichten; in Waffenkunde und auf dem Gebiet der Kriegskunst wurde der junge König jedoch nur unzureichend unterwiesen. Zu sehr fürchteten die Machthaber wohl, dass ihnen ein neuer, gefährlicher Gegner erwachsen könnte.

Vielleicht war diese Nachlässigkeit der tiefere Grund dafür, dass mein Herr später, als er große Macht errungen hatte, die Lösung von Konflikten nur selten auf dem Schlachtfeld suchte, jedoch stets in Verhandlungen; damals allerdings, als Heranwachsender und gekränkt von der Schmach, die man ihm angetan hatte, wollte er keine friedliche Übereinkunft suchen, sondern lediglich erreichen, dass die Nase seines Gegners blutete.

Es dauerte eine Weile, bis er jemanden fand, der bereit war, ihn gegen eine gewisse Bezahlung in der Kunst der Verteidigung zu trainieren. Der Söldner Andreas, ein Deutscher, der mit Capparone auf die Insel gekommen war und leidlich Volgare sprach, war schließlich dazu bereit: Heimlich und an verborgenen Orten lehrte er Friedrich im Lauf dreier Jahre sowohl die Verteidigung mit bloßen Fäusten als auch den Einsatz von Schild und Schwert und anderen Waffen. Auch hier kam meinem Herrn seine schnelle Auffassungsgabe zugute; er erwies sich als talentierter Schüler, der die Lektionen seines Waffenmeisters bereitwillig annahm und anwandte. Nur für Pfeil und Bogen hatte er kein rechtes Geschick – so redlich er sich auch mühte, die Ziele zu treffen, die Andreas ihm benannte, die Geschosse gingen meistens fehl, und wenn sie den Ort ihrer Bestimmung doch einmal fanden, dann nur aus reinem Zufall. Irgendwann warf Friedrich den Bogen frustriert von sich und erklärte, fortan nur noch der Falkenjagd frönen zu wollen.

Nicht jede Art der Kampfeskunst konnte Andreas seinem Schüler vermitteln – der Tjost mit der Lanze war zum Beispiel etwas, das den Kämpfern des Adelsstandes vorbehalten war. Auch war es nicht unbedingt Finesse, die er Friedrich vermittelte. »Ich kann dich nicht lehren, wie ein Ritter zu kämpfen«, pflegte er zu sagen, »aber ich kann dich lehren, wie man gewinnt.«

Damit war Friedrich zufrieden, und indem er stundenlang mit Klinge und Axt trainierte, stählte sich sein bislang noch schmächtiger Körper, wurde breit an den Schultern, was ihm, wenn er in den Gassen unterwegs war, nun auch manchen verstohlen bewundernden Blick von Seiten des weiblichen Geschlechts eintrug.

Als Friedrich im dreizehnten Sommer stand, forderte sein Lehrer ihn zu einem direkten Duell heraus. Dergleichen war bis dahin nicht vorgekommen, bislang hatten sie, wenn überhaupt, nur mit Attrappen aus Holz oder stumpfen Klingen gefochten. Doch nun trat Andreas seinem Schüler in voller Rüstung und Bewaffnung entgegen, und auch Friedrich trug Gambeson und schweren Kettenharnisch, dessen Gewicht allein schon dazu angetan war, einen Dreizehnjährigen zu Boden zu ziehen und nicht wieder auf die Beine kommen zu lassen.

Andreas griff an, und Friedrich, sich der Lektionen entsinnend, wehrte die Hiebe nicht nur mit dem Schild ab, sondern ging, wann immer sich die Gelegenheit bot, auch zum Gegenangriff über. Ein schneller Schlagabtausch setzte auf diese Weise ein, der den Jungen natürlich sehr viel mehr Kraft kostete als den erfahrenen Landsknecht – also sann Friedrich darauf, den Kampf möglichst rasch zu beenden. Die Gelegenheit ergab sich, als Andreas, einem Hieb Friedrichs ausweichend, einen Schritt zurück machte und dabei gegen einen Eimer mit Pferdemist stieß.

Der Söldner geriet ins Taumeln, und Friedrich setzte ohne Zögern nach, nicht unbedingt ritterlich, aber dafür wirkungsvoll: Ein Stoß mit dem Schild brachte den Gegner noch mehr ins Wanken, ein anschließender Fußtritt schickte ihn zu Boden – und im nächsten Moment hatte Andreas die Spitze von Friedrichs Schwert an der Kehle.

»Fürwahr«, stieß der Landsknecht keuchend hervor, »nun habe ich dir alles beigebracht – mehr kann nur noch das Schlachtfeld selbst dich lehren. Dann möge der Herr dich beschützen und geben, dass du dich an das erinnerst, was du gelernt hast.«

»Ist das ein Abschied?«, fragte Friedrich, während er seinem Meister die behandschuhte Rechte hinhielt, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Sein empfindsamer Geist hatte die Endgültigkeit gehört, die in Andreas’ Worten mitschwang. »Willst du etwa nicht mehr mein Lehrer sein?«

»Wir ziehen ab«, erwiderte der Söldner kopfschüttelnd, und sein hängendes Haupt ließ erkennen, dass er selbst nicht glücklich war über den Befehl. »Mein Haufen wurde ins Innere der Insel befohlen.«

»Ich weiß, es gibt dort Aufstände.« Friedrich nickte. »Die Sarazenen.«

Andreas entblößte sein bereits lückenhaftes Gebiss zu einem Grinsen. »Auf dieser Insel gibt es immer Aufstände, mein König. Deshalb laufen die Geschäfte für meinesgleichen hier so gut.«

Friedrichs Gesichtszüge verhärteten sich. Wieder einmal war er gezwungen, von jemandem Abschied zu nehmen, der ihm ans Herz gewachsen war und dessen Nähe er schätzte. Aber anders als früher ließ er es sich nicht mehr anmerken.

»Aber ich will nicht gehen, ohne dir dies hier zum Geschenk zu machen«, sagte Andreas und zog hinter dem breiten Rücken einen Gegenstand hervor, den er Friedrich hinhielt.

Es war ein Schwert.

Keines von der Art, wie Ritter es benutzten, sondern ein Säbel nach Sarazenenart, kurz und gekrümmt, mit einem schlichten Futteral aus Metall.

»Ein Geschenk?« Friedrich machte große Augen.

»Für den besten Schüler, den ich je hatte. Mitunter habe ich dich hart rangenommen, aber du hast dich niemals beklagt, kleiner König, und wolltest immer nur noch mehr lernen.«

»Ich war auch der einzige Schüler, den du je hattest«, gab Friedrich lächelnd zurück. Er nahm das Geschenk entgegen und betrachtete es, zog dann die Klinge blank. Sie war solide gefertigt und noch völlig makellos. Andreas musste den Sold mehrerer Monate dafür ausgegeben haben.

»Ich dachte mir, so eine Waffe passt zu dir, wo du dich doch so gern bei den Muselmanen herumtreibst und sogar ihre Sprache sprichst – ihr Name ist al-Sadiq.«

»Das bedeutet ›Freund‹«, übersetzte Friedrich.

»Der Sarazene, der mir die Klinge verkauft hat, sagte mir, dass sie ihren Besitzer niemals verraten wird«, bestätigte der Söldner nickend. »Gib immer gut auf dich Acht, kleiner König. Und vergiss den alten Andreas nicht.«

»Werde ich nicht«, versicherte Friedrich und schob die Klinge in das Futteral zurück. »Danke für das Geschenk. Und für alles andere.«

Der Söldner nickte, und für einen Moment schienen Tränen in seinen Augen zu glänzen. »Dann bliebt uns beiden wohl nur noch eins zu tun«, verkündete er schließlich.

Friedrich sah ihn fragend an. »Nämlich?«

Jede Melancholie verschwand von den bärtigen Gesichtszügen des Deutschen und wich einem schelmischen Grinsen. »Du weißt jetzt, wie man ein Schwert führt und einem Feind das Fell über die Ohren zieht – aber das allein macht dich noch nicht zum Mann. Da ist auch noch etwas anderes, weißt du …«

Und er sprach dies und führte seinen Schützling noch am Abend desselben Tages in eines der Freudenhäuser der Stadt.

Die Sünde wohnte damals ganz ungehemmt in Palermos Straßen, und nicht nur Söldner gaben sich abends und des Nachts gern fleischlichen Gelüsten hin. Zunächst war mein Herr, wie er mir einmal erzählte, von großer Angst erfüllt, da er nun aus erster Hand erfahren sollte, worüber er bislang nur in den Gedichten der frivolen Römer gelesen hatte. Doch die Dame, die ihm schließlich vorgestellt wurde – eine Sarazenin mit dunklen Augen und üppigen Rundungen – empfing ihn in aller Freundlichkeit und nahm ihn bereitwillig unter ihre Fittiche.

Statt in einen der kleinen Verschläge, in denen die Dirnen gewöhnlich ihre Arbeit verrichteten, führte sie ihn in den ersten Stock des Hauses, in eine Kammer, die nicht nur ein schäbiges Lager, sondern eine Bettstatt hatte.

Dort bat sie ihn, sich zu setzen, und stellte sich auffordernd vor ihn hin. »Was, junger Herr, möchtest du, dass ich für dich tue?«

Friedrich musterte die Frau von Kopf bis Fuß. Er wusste nicht, wie alt sie war, aber ihre Brüste, die man durch die dünne Seide des Kleides zwar nicht sehen, deren Form man aber erahnen konnte, waren nicht mehr reif und frisch wie bei den Tänzerinnen, die die deutschen Hauptleute bisweilen in den Palast geholt hatten. Sein Interesse war dennoch geweckt.

»Zieh dich aus«, sagte er, »ich möchte dich ansehen.«

Die Frau tat, wie er es von ihr verlangte, und er beobachtete sie dabei. Ob es die natürliche Neugier eines jungen Mannes war oder jene Wissbegier, die meinen Herrn von Kindesbeinen an begleitete: Er studierte jeden Fingerbreit ihres reifen, jedoch noch immer anziehenden Körpers – besonders jene Regionen, die er bislang noch nie aus der Nähe zu sehen bekommen hatte –, und im Gegenzug half sie ihm dabei, den seinen zu entdecken.

Wie auf allen Gebieten der Naturwissenschaft kannte Friedrich auch hier weder Scheu noch Scham. Er fragte, wo andere schwiegen, und die Dirne, die nie einen Gast wie diesen gehabt hatte, lehrte ihn, was viele Männer nicht wissen und bisweilen ihr Leben lang nicht erfahren, sei es aus Eigensucht oder Selbstüberschätzung. Noch viele Male kehrte er nach dieser Nacht zu ihr zurück, und so wie Francisius ihn im Wissen der Antike unterrichtete und Amir und die Seinen ihn die morgenländische Philosophie und Denkweise lehrten; wie Andreas ihn im Umgang mit Waffen trainiert hatte, so wurde diese Sarazenin Friedrichs Lehrerin in der hohen Kunst der Liebe und in der Kenntnis der weiblichen Anatomie.

Doch was auch immer sie ihn lehrte und was sie in schwülen Sommernächten auch gemeinsam taten – er empfand dabei nicht das, was er für eine andere empfand.

Für ein Mädchen, das ihn bereits bezaubert hatte, als er sie zum allerersten Mal erblickte, gleichermaßen ihrer inneren wie ihrer äußeren Schönheit wegen …

Damals war Yara bint Amir gerade elf Sommer alt gewesen, inzwischen waren es vierzehn, und ihr Körper begann in einer Weise zu erblühen, die Friedrich auf eine ganz neue und durch und durch unwissenschaftliche Weise faszinierte.

Wann immer sich die Gelegenheit bot, suchte er ihre Nähe – so kam er, wenn Amir ihn zum Gespräch geladen hatte, grundsätzlich zu früh, um Yara zu sehen und sich mit ihr zu unterhalten. Natürlich musste dies mit der Zeit auffallen, aber weder Yara noch ihr Vater ermahnten ihn deswegen, und so fühlte er sich ermutigt, sie möglichst oft in ihrem Haus im sarazenischen Viertel zu besuchen. Längst schon wohnten sie nicht mehr in den Ruinen jener schäbigen Villa – eine Anstellung in der örtlichen Kanzlei, die Yaras Vater überraschend und aus unbekanntem Grund angeboten worden war, hatte ihn wieder in Lohn und Brot gebracht und ihm und seiner Tochter ein gutes Auskommen beschert.

Oftmals fragte sich Friedrich, ob Amir ihn hinter der Sache vermutete … klug, wie er nun einmal war, ahnte Yaras Vater vermutlich längst, dass der Junge, der ihn seit jenem denkwürdigen Tag besuchte, in Wahrheit sehr viel mehr war als nur der Sohn eines Magistraten, wie Friedrich ihm irgendwann erklärt hatte. Aber Amir stellte keine Fragen, und er bedrängte Friedrich nicht, was dieser ihm hoch anrechnete.

Bei Yara war es schwieriger.

Wollte er ihr irgendwann gestehen, was er für sie empfand – in der Hoffnung freilich, dass sie seine Gefühle erwiderte – so würde er früher oder später auch mit der Wahrheit herausrücken müssen … mit der ganzen Wahrheit um seine Herkunft, seine Eltern und die Krone, die unsichtbar auf seinem Haupt ruhte. Und schlagartig würde dann alles kompliziert werden …

»Wer bist du, Rogero?«, fragte sie ihn eines Nachts, als sie auf dem Dachgarten von Amirs Haus saßen und in das von Sternen übersäte Firmament blickten.

Bemüht, sich sein Erschrecken über die Frage nicht anmerken zu lassen, erwiderte er ihren Blick. »Was meinst du?«

»Mein Vater sagt, dass die Sterne alles wissen«, erwiderte sie. »Dass die Wahrheit über jeden einzelnen Menschen dort oben in den Sternen verborgen sei. Und immer, wenn ich zu ihnen hinaufsehe, dann frage ich mich, wer ich eigentlich bin … und wer du bist. Wer wir alle sind.«

»Ich verstehe.« Friedrich atmete innerlich auf, während auch er zum nächtlichen Himmel hinaufsah. In die Grundzüge der Astronomie hatten Yaras Vater und seine gelehrten Freunde ihn inzwischen eingeweiht, und deshalb wusste er auch, welche Bedeutung sie den Gestirnen beimaßen.

»Glaubst du auch daran?«, wollte sie wissen.

»Dass die Sterne unser Schicksal kennen?« Er nickte langsam. »Ich denke ja. Ich glaube, dass nichts, sei es im Himmel oder auf Erden, aus Zufall geschieht, im Großen wie im Kleinen.«

»Also war es auch kein Zufall, dass wir einander an jenem Tag begegnet sind?«

»Sicher nicht.«

Er sah sie abermals an. Blasser Mondschein fiel auf ihr schwarzes, von einem seidenen Tuch bedecktes Haar, Sternenlicht spiegelte sich in ihren dunklen Augen.

»Du bist schön, Yara«, sagte er leise.

Abrupt wandte sie den Blick von ihm ab und wieder hinauf zu den Sternen. »Du solltest so etwas nicht sagen.«

»Warum nicht?«

Als sie ihn diesmal ansah, hatte der Ausdruck in ihrem Gesicht sich verändert, wirkte jetzt traurig, beinahe wütend. »Du weißt, warum.«

»Weil ich Christ bin und du eine Tochter des Propheten?«

»Ist das nicht Grund genug?«

»Nicht in meiner Welt.« Friedrich schüttelte den Kopf.

»In deiner Welt?« Sie verzog spöttisch die Mundwinkel. »Wer bist du denn schon, Rogero, als dass die Welt auf dich hören würde? Kannst du dafür sorgen, dass es zwischen uns keine Unterschiede mehr gibt? Kannst du bewirken, was offenbar nicht einmal der Schöpfer selbst bewirken konnte, und uns einander gleich machen?«

Friedrich hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme und sah das furchtsame Leuchten in ihren Augen, und für einen Moment erwog er, es ihr einfach zu sagen … dass er in Wahrheit der König dieses Eilands war und von allem, was dazugehörte, und wenn es im Augenblick auch unter fremder Herrschaft stehen mochte, so beabsichtigte Friedrich doch, es sich eines Tages zurückzuholen und dann alle Gesetze abzuschaffen, die die Menschen einander ungleich machten oder dafür sorgten, dass Liebende einander nicht haben konnten …

Einen endlos scheinenden, quälenden Moment lang lag ihm die Wahrheit auf der Zunge … aber er sprach sie nicht aus. Stattdessen beugte er sich zu ihr, den Mund halb geöffnet, und trotz der Furcht in ihren Augen wich sie nicht zurück. Ihre Lippen begegneten sich in einem Kuss, der zunächst noch scheu und zaghaft war, dann drängender wurde und verlangender, und schließlich voller Leidenschaft.

Die Dirne, nach deren Namen mein Herr niemals fragte und den er auch niemals erfuhr, lehrte ihn alles über den Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau.

Aber es war Yara, die ihn Liebe lehrte.