»Nein! Nein! Und nochmals: Nein!«
Die Stimme des jungen Königs war den hellen Tönen der Kindheit bereits entwachsen. Trotzdem überschlug sie sich, während er aus Leibeskräften schrie und dabei mit der flachen Hand auf das Akazienholz des Tisches schlug, bis sie schmerzte.
»Ich denke nicht, dass Ihr eine Wahl habt«, entgegnete Walther von Pagliara, seines Zeichens Kanzler des Königreichs von Sizilien, Verweser im Auftrag Papst Innozenz’ des Dritten, der noch immer Friedrichs Vormund war.
Der Gedanke daran, dass dieser Zustand der Bevormundung durch den Heiligen Stuhl schon in wenigen Wochen enden würde, nämlich dann, wenn er sein vierzehntes Lebensjahr vollendete und nach dem normannischen Recht die Mündigkeit erreichte, hatte Friedrich davor bewahrt, im Elend der Verzweiflung zu versinken – vor allem in den letzten beiden Jahren, seit er sich für die Regierungsgeschäfte zu interessieren begonnen hatte und mehr oder weniger hilflos hatte zusehen müssen, wie Pagliara und andere leichtfertig mit der Herrschaft spielten, die Friedrichs Vorfahren so wacker errungen hatten.
Nicht nur die Sarazenen, die sich im Inneren der Insel in ihren Bergfestungen verschanzten, stellten eine Bedrohung dar; auch die deutschen Ritter forderten die Königsmacht heraus. Von der Insel hatten sie sich zwar zurückgezogen, doch hatten sie sich auf dem süditalienischen Festland festgesetzt und bereicherten sich dort ruchlos an Land und Leuten. Zudem war Friedrichs Onkel Philipp von Schwaben, der römisch-deutsche König aus dem Geschlecht der Staufer, jenseits der Alpen ruchlos ermordet worden – und dem Welfen Otto von Braunschweig, der ihm nachgefolgt war, wurden nicht nur Ambitionen auf die Kaiserkrone nachgesagt, sondern auch auf das Reich Sizilien.
Gefahren drohten also von überall, und der Papst, dessen Mündel Friedrich war, obschon er ihm noch nie persönlich begegnet war, agierte in dieser bedrohlichen Situation höchst ungeschickt, wie Friedrich fand. Nicht genug damit, dass der Nachfolger Petri dem Welfen Otto Hoffnungen auf die Kaiserkrone machte, hatte er nun auch noch eine Sache eingefädelt, die Friedrich höchstselbst betraf – und die all seine hochfliegenden Pläne, seine Mündigkeit betreffend, jäh vereiteln mochte …
»Ich will nicht, dass es so kommt!«, rief er. Zornesröte war ihm ins Gesicht geschossen, das nun beinahe die rote Färbung seines Kopfhaars hatte. »Ich weigere mich, dieser Übereinkunft zuzustimmen.«
»Das steht Euch frei, junger Herr«, gestand Wilhelm Francisius ihm zu, der bei der Unterredung im königlichen Arbeitszimmer ebenfalls zugegen war – gleichermaßen zur Unterstützung Pagliaras und um Friedrich zu besänftigen. »Nur fürchte ich, dass es nichts an der Situation ändern wird, in der Ihr Euch befindet. Die Hochzeit wurde von langer Hand vorbereitet und arrangiert. Die päpstlichen Legaten haben keine Mühen gescheut, um …«
In einem weiteren Ausbruch, der bildhaft beschrieb, wie er den Inhalt seines Darmes auf die päpstlichen Legaten entladen wollte, machte mein Herr seinem Zorn Luft. Seine sehnige Gestalt, die trotz ihrer Jugend nichts Kindliches mehr an sich hatte, bebte von Kopf bis Fuß, seine Hände zitterten.
»Warum jetzt?«, schrie er, dass es von der getäfelten Decke widerhallte. »Warum ausgerechnet jetzt?«
»Ich denke, dass wisst Ihr sehr gut«, entgegnete Walther von Pagliara, und Friedrich nickte nur.
Annähernd vierzehn Jahre war es her, dass seine Mutter ihn in jenem Zelt auf dem Marktplatz von Jesi unter Schreien und Schmerzen in die Welt gepresst hatte. Am 26. Dezember würde er der Unmündigkeit entwachsen sein – aber noch war es nicht so weit. Noch konnten Innozenz und seine Legaten über ihn verfügen, und das hatten sie ganz offenbar getan …
»Und wenn ich mich weigere?«, fragte Friedrich trotzig.
»Warum wollt Ihr das tun?« Pagliara wiegte das ergraute Haupt und sah ihn forschend an. »Warum Euch einer Absprache entziehen, die nur Vorteil bringt.«
»Vorteil für wen, Herr Kanzler?«, fragte Friedrich scharf dagegen. Er mochte Pagliara nicht. In den Jahren, da Markward von Annweiler, Capparone und andere nach der Herrschaft über Sizilien gegriffen hatten, war er untätig geblieben und hatte sich mehr als einmal mit ihnen gemein gemacht. Es ging sogar das Gerücht, dass Pagliara Steuergelder hinterzog und in die eigene Tasche wirtschaftete. Unter einem Verweser, der das Reich in des Königs Sinn verwaltete, stellte sich Friedrich wahrlich etwas anderes vor! »So will ich es nicht«, schnaubte er mit noch immer zornbebender Stimme, »so wollte ich es nie.«
»Was wolltet Ihr dann?«, fragte Pagliara scharf. »Eine Sarazenin ehelichen, nachdem Euch doch so überaus viel an den Muselmanen zu liegen scheint?«
»Und warum auch nicht?«, knurrte Friedrich. Es war gut, dass sie auf verschiedenen Seiten des massiven Tisches standen, sonst wäre er dem Kanzler womöglich an die Kehle gegangen. »Ich habe dort mehr Freundschaft und Loyalität gefunden als unter meinesgleichen.«
»Ihr seid undankbar.«
»Und Ihr seid ein Feigling«, beschied Friedrich ihm ohne mit der Wimper zu zucken.
Der arme Francisius schnappte ächzend nach Luft. »Hört nicht auf ihn, Walther«, wandte er sich an den Kanzler, »er meint es nicht, wie er es sagt …«
Pagliara schnaubte wie ein wütender Stier. Es war nicht das erste Mal, dass Friedrich und er aneinandergerieten, vor allem seit der junge König von einem hilflosen Kind zum Mann gereift war. Hellen Verstandes und herausragend gebildet, sowohl in den Sprachen als auch in den Wissenschaften, war er dem päpstlichen Verwalter an Geistesgaben weit überlegen und dabei reifer und erfahrener als andere seines Alters. »Rechnet bei ihm nicht die Anzahl der Lebensjahre nach«, hatte ein päpstlicher Legat dem Papst in Rom geschrieben, »und wartet nicht länger darauf, dass er zum Mann heranreift, denn was sein Wissen betrifft, ist er schon jetzt erwachsen. Und was seine Majestät angeht, ist er bereits jetzt ein Herrscher …«
»Seid vorsichtig, junger König«, warnte Pagliara ihn mit loderndem Blick, »noch seid Ihr der Unmündigkeit nicht entwachsen.«
»Aber wenn es so weit ist, seid Ihr die längste Zeit Kanzler gewesen«, sagte Friedrich ihm voraus.
Pagliara lachte auf. »Dazu bedarf es mehr als eines zornigen Knaben Wort.«
»Spottet nur, Ihr werdet es erleben – was Ihr hingegen nicht erleben werdet, ist, dass ich diese Frau heirate.«
»Ihr Name ist Konstanze! Sie ist eine Tochter des Hauses Aragon und die Witwe König Emerics von Ungarn …«
»Eine Witwe«, platzte Friedrich heraus. »Also ist sie alt!«
»Sie zählt vierundzwanzig Winter, gerade zehn Jahre älter als Ihr!«
»Wie ich es vermutet habe.« Friedrich schüttelte angewidert das rote Haupt. »Alt wie ein Stein und vermutlich ebenso hartherzig und kalt!«
»Dergleichen Eigenschaften sind es nicht, nach denen wir den Wert einer königlichen Eheschließung beurteilen«, erwiderte Francisius, im Ton ungleich sanfter als der herrische Kanzler, und kam auf Friedrichs Seite des Tisches. »Aber das wisst Ihr längst, denn ich selbst habe es Euch gelehrt.«
»Dann heiratet Ihr sie doch – ich will sie nicht!«, erklärte Friedrich knapp.
»Ist da noch immer dieses Mädchen, in das du verliebt warst? Wie war doch gleich ihr Name?«
»Yara«, sagte Friedrich nur.
Allein ihren Namen zu nennen gab seinem Herzen noch immer einen Stich. Vergeblich hatte er versucht, ihren Vater und sie ausfindig zu machen, aber seit jener Nacht im Turm des alten Weisen waren sie unauffindbar. Es hieß, sie hätten Palermo verlassen, allerdings hatte niemand Friedrich sagen können, wohin sie gegangen waren oder ob sie jemals wiederkommen würden. Es war, als hätte es das Mädchen mit den dunklen Augen und dem blauschwarzen Haar nie gegeben. Ein dunkler Abgrund hatte seine Liebe verschlungen, und es schmerzte noch immer …
»Auch eine reife Frau hat durchaus ihre Reize«, versicherte Francisius, worüber Friedrich nicht wenig erstaunt war. Nie zuvor hatte er den Gelehrten über derlei Dinge sprechen hören, er schien auch nicht eben beschlagen auf diesem Gebiet zu sein.
»Glaubt mir, die habe ich schon alle kennengelernt«, schnaubte Friedrich. »An anderen Orten.«
»Es ist gut, dass weder Seine Heiligkeit der Papst noch die edle Konstanze diese Worte vernehmen können«, entfuhr es Pagliara, »denn es sind die Worte eines ungehobelten Burschen mit den Manieren eines Ziegenbocks.«
»Diese Manieren, Kanzler, hat mich mein Volk gelehrt«, hielt Friedrich scharfzüngig dagegen. »Jenes Volk, das Ihr nicht aus der Nähe kennt und dessen Sprache Ihr nicht einmal sprecht!«
»Euer Volk, wie Ihr es nennt, besteht aus Muselmanen, aus Dirnen und Taugenichtsen wie diesem Söldner, der Euch kämpfen lehrte«, konterte der Kanzler und lachte, als er sah, wie der junge König zusammenzuckte. »Habt Ihr gedacht, ich wüsste nicht, dass jener Euch im Umgang mit der Klinge unterwies? Natürlich wusste ich es, denn als von Seiner Heiligkeit beauftragter Verweser ist es meine Pflicht, solche Dinge zu wissen! Aber ich habe darüber hinweggesehen und es geduldet, so wie ich im Lauf der Jahre manches geduldet habe … Aber da wir davon sprechen – habt Ihr Euch nie gewundert, warum Euer deutscher Söldnerfreund nie zurückgekehrt ist?«
»Andreas?«, fragte Friedrich. »Ich nahm an, sein Haufen wäre aufs Festland entsandt worden …«
»Keineswegs«, versetzte der Kanzler und schien es zu genießen. »Seine Einheit geriet in den Bergen in einen Hinterhalt der Sarazenen und wurde bis auf den letzten Mann niedergemacht – deshalb habt Ihr nichts mehr von ihm gehört.«
»Das … ist nicht wahr«, stieß Friedrich hervor und sah Hilfe suchend zu Francisius, der jedoch zustimmend nickte.
Der junge König sah an sich herab, auf den Sarazenensäbel, den sein Waffenmeister ihm zum Abschied geschenkt hatte und den er seither an seiner Seite trug.
»Warum habt Ihr mir nichts gesagt?«, erkundigte er sich bei Francisius, leise und vorwurfsvoll.
»Nun, weil ich nicht wollte, dass …«
»Weil Ihr Euch einbilden mögt, kein Knabe mehr zu sein«, fiel Pagliara dem Lehrer barsch ins Wort, »aber dennoch die bittere Wahrheit nicht vertragt! Wäre es Euch wirklich ernst mit dem Wunsch, erwachsen zu werden, so würdet Ihr Euch der Verantwortung stellen. Entsagt dem trotzigen Kind, das Ihr im Augenblick seid, und fangt an, der Wirklichkeit ins Auge zu blicken. Ihr seid Fredericus Rogero, der zukünftige Herrscher Siziliens, sie ist Konstanze von Aragonien, eine Tochter aus hohem Hause. Die Heirat mit ihr wird Eure Macht und Euer Ansehen schlagartig mehren – und Euch überdies fünfhundert Ritter eintragen!«
»Fünfhundert Ritter?«, hakte Friedrich nach.
»Befehligt von Konstanzes Bruder Alfonso«, bestätigte Francicius nickend. »Sie sind ein Teil der von den Legaten vereinbarten Mitgift, die sie in die Ehe einbringt.«
Friedrich dachte nach.
Sein Brustkorb hob und senkte sich noch immer unter wütenden Atemzügen, aber allmählich gewann der Verstand über das Herz die Oberhand. Vielleicht, sagte er sich, hatte Pagliara dieses eine Mal recht. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich von der Schwärmerei der Jugend zu befreien und neue, andere Wege zu beschreiten …
Fünfhundert gepanzerte Reiter – nicht Waffenknechte oder gedungene Söldner, sondern auf Ehre und Boden verpflichtete Ritter stellten eine nicht zu verachtende Streitmacht dar. Ein solches Heer, schlagkräftig und beweglich, würde es ihm ermöglichen, die aufständischen Sarazenen niederzuzwingen und damit zu erreichen, was zuvor keinem Kanzler und keinem Hauptmann gelungen war, nämlich dauerhaften Frieden auf der Insel durchzusetzen.
Freiheit allein, das wurde Friedrich in diesem Augenblick klar, nützte nichts, hielt man dazu nicht auch die Macht in Händen, etwas zu verändern …
Eine endlos scheinende Weile dachte er nach.
Und schließlich nickte er.
»Ich bin einverstanden«, erklärte er. »Teilt den Legaten Seiner Heiligkeit mit, wie ich mich entschieden habe.«
»Dessen bedarf es nicht.« Pagliara schnaubte abermals. »Wie ich bereits sagte, bedurfte es Eurer Zustimmung nicht, um …« Er unterbrach sich, als Francisius ihm einen warnenden Blick zuwarf.
»Nun gut«, fuhr er dann fort, »doch sollt Ihr wissen, dass die Ehe bereits rechtskräftig geschlossen wurde – ein päpstlicher Bevollmächtigter hat sich nach Aragon begeben und der Zeremonie an Eurer Stelle beigewohnt. Im Frühjahr, wenn die Stürme sich gelegt haben, wird die Königin in ihrer Heimat ein Schiff besteigen, das sie sicher hierherbringen wird.«
Friedrich nickte.
Für einen Moment drohte ihn erneut der Jähzorn zu übermannen, die ohnmächtige Empörung über den goldenen Käfig, in dem er gefangen war und aus dem es vorerst kein Entkommen gab. Doch war ihm klar geworden, dass er im Augenblick keine andere Möglichkeit hatte als die, sich seinem Schicksal zu stellen.
»Ich verstehe«, sagte er schließlich nur, die Stimme bebend vor nur mühsam beherrschter Wut. »Wie überaus vorausschauend von Seiner Heiligkeit.«
»Es ist zu Eurem Besten«, versicherte Pagliara ungerührt.
»Natürlich – und es hat nichts damit zu tun, dass die deutschen Fürsten mit Otto von Braunschweig einen Welfen auf den Thron gewählt haben und man mich von jenen Landen fernhalten möchte, indem man mich mit einer Tochter Aragons vermählt, nicht wahr?«, fragte Friedrich und sah ihn forschend dabei an.
Walther von Pagliara erwiderte nichts, aber es war deutlich zu sehen, wie seine Kieferknochen mahlten. Er sah zu Francicius, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. Offenbar hatte er ihn zuvor gewarnt, dass der junge König keinesfalls unterschätzt werden durfte – doch der päpstliche Verwalter hatte nicht auf ihn gehört …
»Ich hasse Euch, Herr Kanzler«, sagte Friedrich, wobei er Pagliara fest in seinen Blick nahm, nicht länger wütend, sondern jetzt ruhig und beherrscht, mit jedem Zoll ein König. »Seht Euch das alles hier noch einmal gut an, genießt die Wärme der Sonne und den Blick auf das Meer – denn bald schon werdet Ihr Sizilien für immer verlassen.«
»Ihr droht mir?«
»Oh nein.« Friedrich schüttelte den Kopf. »Ich sage Euch lediglich Eure Zukunft voraus – so wie Ihr mir gerade die meine vorausgesagt habt.«