Nicht nur das Leben meines Herrn erfuhr an jenem Tag eine entscheidende Wendung, sondern auch das meine. Denn der Tag, an dem Friedrich die Kaiserkrone empfing, war auch der Tag, an dem ich, der bescheidene Chronist seiner Taten, ihm zum ersten Mal begegnete.
Weder hatte ich es erwartet, noch war ich darauf vorbereitet, doch im Lauf der Feierlichkeiten, die sich an die Krönung in Sankt Peter anschlossen und bei denen weltliche wie geistliche Noble dem neuen Kaiser huldigten, wurde ich ihm zum Geschenk gemacht – ein weißer Gerfalke, wie er wohl noch keinen prächtigeren und stolzeren gesehen hatte. Und da jener Edle, der mich dem Kaiser schenkte, aus dem fernen Sachsenland stammte, gab er auch mir diesen Namen: Saxo.
Von diesem Augenblick an wurde ich des Kaisers Gefährte. Ich begleitete ihn, wenn er ausritt zur Beizjagd, schlug manche Beute für ihn und kehrte stets treu zu ihm zurück. Doch war ich meinem Herrn Friedrich, der in der Falkenjagd stets so viel mehr erblickte als bloße Zerstreuung, auch ein enger Freund.
Ich sah ihn in den Stunden seines größten Triumphs und seiner tiefsten Verzweiflung, hatte teil an Gedanken, die er mit niemandem sonst geteilt hätte. Angesichts des Schweigens, das der Schöpfer meiner Art auferlegt hat, konnte mein Herr stets darauf vertrauen, dass auch seine dunkelsten Geheimnisse bei mir gut aufgehoben wären, und ich bewahrte sie bis zu dem Tag, da er selbst mich hieß, sie aufzuschreiben und an jenem Ort zu verwahren, den er sich selbst errichtete, als Denkmal seiner Herrschaft und als Vermächtnis an die Nachwelt.
Doch noch waren derlei Gedanken ihm fremd und fern, und er genoss in vollen Zügen den Triumph, den der Allmächtige ihm beschert hatte.
Der Krönung war ein Umritt durch die Straßen der Ewigen Stadt gefolgt, und anders als bei seinem Großvater hatten die Römer dem neuen Kaiser aus vollen Kehlen zugejubelt. Den ganzen Tag bis spät in den Abend hinein hatten seine Gemahlin und er die Huldigungen des Reichsadels und der römischen Patrizier entgegengenommen und ihre Geschenke empfangen. Doch von Müdigkeit war bei Friedrich nichts zu spüren, die Kaiserkrone, auf deren Besitz er so eifrig hingearbeitet hatte, schien ihn mit unerschöpflicher Kraft zu erfüllen. Kaiserin Konstanze hatte sich längst zur Ruhe begeben, als Friedrich und seine engsten Vertrauten sich in sein prunkvolles Zelt auf dem Monte Mario zurückzogen und dort dem süßen Falerner Wein zusprachen, den einst schon die Imperatoren des alten Rom getrunken hatten. Und da Wein, wie ich erfahren habe, die Zungen der Menschen zu lösen pflegt und mein neuer Herr mich als einziges seiner vielen Geschenke in sein Zelt mitgenommen hatte, wurde ich Zeuge eines Gesprächs, das zu belauschen jeden anderen wohl das Leben gekostet hätte …
»Fürwahr«, sagte Friedrich, wobei er zum ungezählten Mal den Kelch hob, »ihr alle, die ihr hier mit mir trinkt und feiert, habt gute Arbeit geleistet! Auf Euch, meine Freunde«, fügte er hinzu und trank.
»Unser Sieg ist der Eure, Hoheit«, entgegnete Berard, der wie stets zum engsten Kreis gehörte, sich beim Wein allerdings zurückhielt – sowohl aus Rücksicht auf sein fortgeschrittenes Alter als auch auf seine bischöfliche Würde. »Die Kaiserkrone auf Eurem Haupt zu sehen hat mich mit großem Glück erfüllt.«
»Und mich mit Durst!«, plärrte Parceval Doria, Friedrichs Freund seit Jugendtagen. Die halbe Nacht lang hatte der leichtherzige Genueser Lieder zum Besten gegeben, nun war er ruhiger geworden. Die Laute ruhte auf seinen Knien und der Wein beschwerte seine Zunge.
»Habt Ihr gehört, was die Leute sagen, Majestät?«, fragte ein Mann, der ein wenig abseits von den anderen auf seinem Scherenstuhl saß. Er war breitschultrig und in eine weiße Robe gehüllt, deren Brust ein schwarzes, mit Tatzen versehenes Kreuz zierte. »Es heißt, eine neue Zeit hätte heute begonnen.«
»Und Ihr, Bruder Hermann?«, fragte Friedrich dagegen. »Was sagt Ihr?«
Der Befragte wiegte nachdenklich das Haupt hin und her. Sein üppig wuchernder Bart war von Grau durchzogen, ebenso wie die buschigen Brauen, unter denen ein graues Augenpaar finster hervorblickte. Sein Verstand jedoch war hell und wach, wie jedes einzelne seiner geschliffenen Worte verriet. Dies war Hermann von Salza, der Hochmeister des Deutschritterordens.
In den Landen jenseits der Alpen war Friedrich ihm begegnet, und vom ersten Augenblick an war etwas zwischen ihnen gewesen, das sich mit bloßem Einvernehmen nicht beschreiben ließ. Anders als viele Ritter, die letztlich nur die Mehrung des eigenen Besitzes im Sinn hatten, hegte Hermann, der wie seine Mitbrüder die Ordensgelübde abgelegt hatte, keine solchen Bestrebungen. Sein ganzes Ansinnen war darauf gerichtet, eine neue Ordnung zu errichten – und just das war es, was letztlich auch mein Herr beabsichtigte und wozu er die Krone errungen hatte.
»Ich denke«, entgegnete der Ordensmeister mit ruhiger, schwerer Stimme, »dass der Allmächtige den Lauf der Zeit bisweilen für einen kurzen Moment innehalten lässt. Dann ist es an den Mächtigen der Welt, den Dingen eine neue Richtung zu geben und die Welt neu zu ordnen. Und Ihr, mein Herr und Kaiser, seid von nun an der mächtigste Herrscher von allen.«
»Möge der Herr Euch die Weisheit geben, stets gerecht und der Wahrheit gemäß zu urteilen«, fügte Berard hinzu, und es war eine der wenigen Gelegenheiten, zu denen auch er seinen Becher erhob. »Und uns, die wir Eure Diener sind, die Kraft, Euren Willen durchzusetzen.«
Diesem neuerlichen Trinkspruch schlossen sich alle Anwesenden an, vom fröhlichen Doria bis zum finsteren Salza – und Friedrich selbst leerte sein Gefäß bis zum Grund. »Wie auch immer«, verkündete er, auch seine Zunge nun schon ein wenig schwer vom Falerner, »wenn Ihr dabei so klug vorgeht, wie Ihr es in diesem Fall getan habt, so mache ich mir keine Sorgen, was die Durchsetzung meines Willens angeht.«
»Wir haben nur getan, was unsere Pflicht war«, beteuerte Berard.
»Ihr habt weit mehr als das getan. Eure Einschätzung, dass die Kurie nach dem gestrengen Innozenz einen milderen Mann zum Oberhaupt der Kirche berufen würde, hat sich in der Tat als richtig erwiesen – ebenso wie Bruder Hermanns Erwägung, dass die Situation im Heiligen Land den Papst unter Zugzwang setzen würde. Er musste der Krönung zustimmen, ob er in Wahrheit nun wollte oder nicht.«
»Die Lage dort ist in der Tat besorgniserregend«, versicherte Bruder Hermann. »Die Versuche Johann von Briennes, Jerusalem und Damaskus von der Herrschaft der Muselmanen zu befreien, sind allesamt gescheitert.«
»Es wäre ein unverzeihliches Versäumnis gewesen, dies nicht zu Euren Gunsten zu nutzen, Herr«, fügte Roffred von Benevent hinzu, einer der führenden Gelehrten der Universität von Bologna, der den jungen Kaiser in Fragen des Rechts beriet.
»Viele Jahre lang«, meinte Friedrich zwischen zwei Schlucken Wein, »hat mein guter Vormund Innozenz dafür gesorgt, dass ich der Knabe aus Apulien bleibe und Sizilien möglichst nie verlasse. Deshalb ließ er mich durch den Verräter Walther von Pagliara bewachen und gab dem Welfen Otto mir gegenüber den Vorzug.«
»Eigentlich«, meinte Parceval Doria, »solltest du dem Welfen dankbar sein, mein Kaiser – denn hätte er sich nicht benommen wie ein Fuchs im Hühnerstall, hätte man dir womöglich nie die Krone angetragen.«
»Das ist wahr«, räumte Friedrich ein. Mit glänzenden Augen und an die Lehne seines hölzernen Throns gelehnt, schien er sich für einen Moment auf jene Tage zurückzubesinnen. »Der gute Innozenz wollte nie, dass sich die Geschichte wiederholt und die Herrschaft über Sizilien und das Reich in den Händen eines einzelnen Mannes liegt, so, wie es bei meinem Vater war. Unzählige Male musste ich geloben, davon Abstand zu nehmen, und dem Heiligen Stuhl den Lehenseid leisten …«
»… doch nun habt Ihr genau das erreicht, wenngleich unter anderem Namen«, befand Konrad von Scharfenberg, der Kanzler des Reiches, der es sich trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht hatte nehmen lassen, Friedrich auf der Reise nach Rom zu begleiten. »Indem Ihr einerseits Euren Sohn Heinrich zum König wählen ließet und die Zusage zum Zug gegen die Heiden von Eurer Krönung zum Kaiser abhängig machtet, habt Ihr die Kurie am Ende überlistet. Man mag es nennen, wie man will, doch die Kronen Siziliens und des Reiches sind nun wieder fest in staufischer Hand, erstmals seit den Tagen Eures Vaters.«
»Bisweilen«, stimmte Berard nachdenklich zu, wobei ein wissendes Lächeln um seine ältlichen Züge spielte, »muss man Umwege in Kauf zu nehmen, um ein Ziel zu erreichen.«
»Ihr meint, so wie damals bei dem Lombarden?«, lallte Doria. »Als wir den Weg durch den Fluss nehmen mussten?« Der Augenblick, da er rücklings von seinem Schemel kippen und sich in seine Bruche erleichtern würde, schien nicht mehr fern.
»Doch sollten wir bei alldem nicht vergessen, dass wir diesen Erfolg letztlich der Zustimmung Seiner Heiligkeit verdanken«, gab Erzbischof Berard zu bedenken.
»In der Tat«, stimmte Friedrich zu. »Honorius ist aus einem anderen Holz geschnitzt als sein Vorgänger.«
»Einem sehr viel weicheren Holz«, fügte Scharfenberg hinzu.
»Er ist ein Mann des Glaubens, nicht der Macht«, drückte Berard es freundlicher aus, »was bedeutet, dass die Führung der Christenheit nun in Euren Händen liegt, mein Kaiser. Die Frage ist, was ihr morgen und an allen Tagen, die folgen, damit anfangen wollt.«
»Ein Heer muss ausgerüstet werden, um unseren Brüdern in Outremer zu Hilfe zu kommen«, warf Hermann von Salza voller Überzeugung ein, »und der Deutsche Orden wird treu an seiner Seite stehen.«
»Es wird geschehen, wie ich es gelobt habe«, beteuerte Friedrich. »Doch ehe ich meinem Reich den Rücken kehren kann, muss ich meine Herrschaft sichern. Acht Jahre bin ich von meiner Heimat Sizilien fort gewesen – eine lange Zeit, die manch einen dazu ermutigt hat, sich erneut zu nehmen, was ihm nie zustand. Gesetzlose Zustände herrschen mancherorts, das Recht des Stärkeren regiert.«
»Was wollt Ihr tun?«, fragte Scharfenberg.
Friedrich streckte den Kelch von sich und ließ sich nachschenken. »Ich habe Tage wie diese in meiner Kindheit erlebt«, berichtete er, »und ich habe mir geschworen, dass sie niemals wiederkehren.«
»So lasst uns ein Heer aufstellen und jene niederwerfen, die sich gegen Euch erdreisten, seien es aufständische Edle oder freche Muselmanen«, meinte Berard. »Nun, da nicht mehr nur ein König, sondern ein vom Herrn gewollter Kaiser über die sizilischen Lande herrscht, wird jeder, den ihr zu den Waffen ruft, Eurer Aufforderung Folge leisten.«
Weiter an das mit reichen Schnitzereien verzierte Rückenholz seines Throns gelehnt, nickte Friedrich, den Blick, wie es schien, jedoch in weite Ferne, in die Zukunft gerichtet. »Zurückkehren werde ich«, stimmte er zu, »und mir zurückholen, was mein ist, und ich werde jene bestrafen, die sich in meiner Abwesenheit gegen mich erhoben haben. Jedoch wird dazu kein großes Heer vonnöten sein, schließlich bin ich kein fremder Eroberer, sondern ein König, der nach langer Abwesenheit in seine Heimat zurückkehrt.«
»Nach langer Abwesenheit«, wiederholte Berard. »Aus diesem Grund würde ich dringend dazu raten …«
»Nein«, sagte Friedrich entschieden, sein Blick jetzt wieder im Hier und Jetzt.
»Aber Herr«, wandte Roffred ein, »wenn Ihr kein Heer aufstellen möchtet, wie wollt Ihr den Aufständischen dann entgegentreten? Wie ihrem Treiben ein Ende setzen?«
»Seltsam, dass ausgerechnet Ihr mich das fragt, werter Meister Roffred«, erwiderte mein Herr mit listigem Lächeln. Er führte den Kelch zu den Lippen und leerte ihn bis auf den Grund. »Die Ordnung, an die ich denke, wird nicht allein mit Waffengewalt errungen«, erwiderte er dann, »denn das Recht wird ihre Grundlage sein.«