1.


Iato

September 1222

Friedrich war bis ins Mark erschüttert.

Ohne Konstanze an seiner Seite fühlte er sich unvollkommen und schutzlos, einem Kämpen gleich, der ohne Helm und Schild in die Schlacht ritt. Doch seine Gegner ruhten nicht, und so ließen ihm die Regierungsgeschäfte kaum Zeit, um angemessen um seine Kaiserin zu trauern. Nachts lag er wach und vergoss bittere Tränen über seinen Verlust, tagsüber war er Kaiser und König, doch in diesen Tagen nur ein Schatten seiner selbst.

Der Kampf um die Festung Iato ging unterdessen unverdrossen weiter. Zwar hatten die Sarazenen unter ihrem Emir ibn Abbad mehrere Ausfälle unternommen und versucht, die Belagerungsmauer zu durchbrechen, doch gelungen war es ihnen nicht. Und so gingen die Vorräte in der Burg zur Neige, und Hunger und Elend griffen um sich.

Es mag dem Starrsinn der Muselmanen zuzuschreiben sein, dass sie noch drei weitere Monde aushielten, bis Muhammad ibn Abbad einen seiner Söhne ins königliche Lager schickte und erklärte, die Festung aufgeben und die Waffen strecken zu wollen. Allerdings, so bedingte er sich aus, wolle er sich nur dem König selbst ausliefern. Vermutlich versprach sich der Emir von eigenen Gnaden dadurch einen Vorteil oder besondere Milde – von der düsteren Stimmung, in der sich mein Herr in jenen Tagen befand, wusste er entweder nichts oder schlug alle Vorsicht in den Wind. Es wurde sein Verhängnis.

Zunächst verspürte mein Herr kein Verlangen danach, an jenen Ort zurückzukehren, an dem ihn die schreckliche Nachricht vom Tod seiner Gemahlin ereilt hatte. Doch schließlich gab er dem Ansinnen ibn Abbads nach, der es gewagt hatte, Friedrichs vom Allmächtigen selbst verliehene Autorität vor aller Welt zu missachten. Das Recht war verletzt worden, nun musste ihm Genüge getan werden.

»Er hat mich die längste Zeit geärgert, dieser dreiste Sarazene!«, donnerte Friedrich, auf dem hölzernen Thron im Zelt des Feldherren sitzend, während er den Emir und seine Söhne erwartete. »Ich werde an ihm ein Exempel statuieren, sodass es kein Heide auf der Insel mehr wagen wird, sich jemals wieder gegen die Krone zu erheben!«

»Herr«, wandte Heinrich von Malta ein, der an seiner Seite war, um gemeinsam mit ihm die Kapitulation entgegenzunehmen »ich weiß, dass Euer Herz voller Trauer ist und dass Ihr allen Grund habt, Fürst ibn Abbad zu zürnen. Dennoch bitte ich Euch, lasst Nachsicht walten.«

Friedrich wandte das Haupt und sah seinen Heerführer mit hochgezogenen Brauen an. »Das sagt ausgerechnet Ihr? Nachdem Ihr so lange und unter so großen Verlusten gegen die Muselmanen gekämpft habt?«

»Eben weil ich gegen sie kämpfte, sowohl hier als auch im Heiligen Land«, entgegnete Heinrich, »fürchte ich, dass ein solches Vorgehen, so gerechtfertigt es auch sein mag, den Widerstand der Sarazenen nur noch bestärken wird. Wenn es wahr ist, was man über Eure Jugendjahre erzählt, so versteht Ihr selbst die arabische Seele noch um vieles besser, als ich es tue, und wisst, dass sie manches ertragen kann, aber keine Kränkung.«

»So?« Friedrich sah ihn auffordernd an. »Was erzählt man denn über meine Jugendjahre?«

»Dass Ihr viel Zeit bei den Sarazenen verbracht habt und sogar Freunde unter ihnen hattet. Und das ist gut so«, beeilte der Admiral sich hinzuzufügen, »denn man weiß nie, wann man einander als Feind begegnet. Und seinen Gegner zu kennen kann manchen Vorteil verschaffen.«

Friedrich nickte nur, und mit einem Anflug von Melancholie blickte er in sich selbst hinein. »In der Tat kenne ich die Sarazenen besser als jeder andere christliche Herrscher vor mir, denn ich spreche ihre Sprache und weiß, wie sie denken. Ich kenne ihre Ängste und ihre Schwächen, aber ich erkenne auch freimütig an, dass ihre Kenntnis der Wissenschaften die unsere um ein Vielfaches übersteigt. Mathematik, Philosophie, Astronomie und Heilkunst – auf all diesen Gebieten wissen sie so viel mehr als wir, ist es ihnen doch gelungen, das Licht der Vergangenheit zu bewahren, während unsere Lande nach dem Niedergang von Rom in Dunkelheit versunken sind …«

Er verstummte, als sich seine Gedanken in den Nebeln der Vergangenheit zu verlieren drohten. Im nächsten Moment betrat ein Hauptmann das Zelt und kündigte das Eintreffen des Emirs und seiner Söhne im Lager an.

»Sie mögen vor mich treten«, verlangte Friedrich. Er bemerkte den flehenden Blick, den Heinrich ihm sandte, reagierte jedoch nicht darauf.

Kurz darauf betraten vier Männer das Zelt, von einer Schar von Waffenknechten bewacht.

Muhammad ibn Abbad war ein Mann von würdevollem Äußeren. Er mochte in den Fünfzigern seines Lebens stehen, sein nach arabischer Art geschnittener Kinnbart war grau, und das sonnengebräunte Antlitz hatte die Anmutung gegerbten Leders. Doch trotz der Niederlage, die er erlitten hatte, lag ungebrochener Stolz in seinem Blick.

Die beiden jungen Männer, die ihn begleiteten, trugen denselben Stolz in ihren Zügen und waren fraglos seine Söhne. Der Vierte im Bunde war ein Mann mittleren Alters, ein wahrer Hüne, der alle anderen um eineinhalb Köpfe überragte und dessen Augen glühenden Kohlen glichen – vermutlich ein Leibwächter, der seinen Herrn auf diesem bitteren Gang begleitete. Seine Klinge hatte man ihm allerdings abgenommen, ebenso wie dem Emir und seinen Söhnen. Und auch ihre Schärpen trugen sie nicht mehr, denn allzu leicht mochten diese dazu dienen, Dolche und anderes Mordwerkzeug zu verbergen. So hatte es fast den Anschein, als wären die Muselmanen im hellen Büßergewand vor ihren Bezwinger getreten.

»Friede sei mit Euch«, entbot der Emir Friedrich den traditionellen Gruß, den dieser jedoch nicht erwiderte.

»Ihr habt mir etwas zu sagen, Fürst ibn Abbad?«, erkundigte sich Friedrich stattdessen mit kaltem Blick.

»Was kann ich sagen, Herr?«, fragte der Emir dagegen, ohne dass zu erkennen war, was hinter seinen zur Maske erstarrten Zügen vor sich ging. »Was, das Euren Zorn besänftigen würde?«

»Mein Zorn, Fürst ibn Abbad«, entgegnete Friedrich mit bebender Stimme, »ist so gerecht, wie er nur sein kann. Ihr habt es gewagt, Euch an meinem Reich zu vergreifen und an meinem Erbe. Bekennt Ihr Euch dessen schuldig?«

»Schuldig, Herr?« Der Sarazenenfürst sah ihn seltsam an. »Ich habe lediglich getan, was auch meine Vorväter taten und was, Allah möge es bezeugen, meine heilige Pflicht ist.«

»Es ist Eure Pflicht, das Recht Eures Königs zu missachten? Euch nach Gutdünken aus meinem Erbe zu bedienen und Euer bärtiges Antlitz auf Geld zu prägen, das Ihr in Umlauf bringt? Kraft welcher Befugnis habt Ihr diesem Metall Wert verliehen?« Friedrichs Brustkorb hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen, nur ein warnender Blick Heinrichs ließ ihn wieder ein wenig zur Ruhe kommen. »Dennoch«, sagte er, wobei es den Anschein hatte, als müsse er sich zu jedem einzelnen Wort überwinden, »werde ich Gnade walten lassen und ein gutes Beispiel geben. Nicht, weil ich es muss«, fügte er hinzu und fühlte einen Stich im Herzen, da er in diesem Moment an die Frau denken musste, von der jene weisen Worte stammten, »sondern weil ich es kann.«

»Euer Großmut übertrifft noch Eure Macht«, entgegnete ibn Abbad mit jener Neigung zu schmeichlerischer Übertreibung, die zur arabischen Lebensart gehörte.

»So geht vor mir auf die Knie, Fürst ibn Abbad«, verlangte Friedrich ungerührt. »Werft Euch vor mir in den Staub und bittet mich um Vergebung für Eure Vermessenheit.«

Die Söhne des Emirs empörten sich lautstark, und da Friedrich ihrer Zunge mächtig war, konnte er hören, wie sie ihrem Vater energisch davon abrieten, sich derart vor einem Christen zu erniedrigen. Doch Muhammed ibn Abbad schüttelte beharrlich das Haupt und gebot ihnen zu schweigen.

»Ihr, Herr«, wandte er sich daraufhin wieder an Friedrich, »habt mich in meiner Festung bezwungen, daher will ich Eure Herrschaft als König über diese Lande anerkennen und mich und die Meinen Eurem Urteil ausliefern. Aber wenn Ihr von mir verlangt, dass ich wie ein Hund vor Euch im Staub liegen soll, kann ich dieser Aufforderung nicht entsprechen.«

»Könnt Ihr es nicht? Oder wollt Ihr es nicht?«

»Als Sohn meines Vaters will ich es nicht. Als Sohn Allahs kann ich es nicht.«

Friedrich nickte nur. »So werdet Ihr den Sonnenuntergang nicht sehen.«

»Ich bin ein alter Mann, Herr.«

»Und Eure Söhne? Soll Eure ganze Blutlinie an diesem Tage enden, nur weil Ihr zu hochmütig wart, Euren Nacken zu beugen? Schon einmal habt Ihr mich herausgefordert – ich rate Euch wohl, tut es kein zweites Mal.«

Unbewegt stand Muhammad ibn Abbad vor ihm.

Wiederum war nicht zu erkennen, was der Fürst dachte. Doch nachdem er zuerst einen Blick auf den einen und dann auf den anderen Sohn geworfen hatte, senkte er das Haupt und machte Anstalten, auf die Knie zu gehen.

»Nein, Vater!«, rief der eine Sohn entsetzt, doch der Emir ließ sich nicht beirren – und sank schließlich doch vor dem Sieger nieder.

»Mein König«, sagte er, »ich erflehe Eure Gnade. Vergebt mir meine Vermessenheit und schont meine Familie.«

»Darum bittet Ihr mich?«

»Ja, Herr.«

Friedrich schnaubte wie ein wilder Stier.

Er hatte die besten Absichten gehabt, dem Ratschlag seines Admirals zu folgen, hatte geglaubt, dass es seinen Zorn besänftigen würde, den aufsässigen Emir vor sich auf den Knien zu sehen – doch das war nicht der Fall.

»Ihr wollt also Gnade?«, fragte Friedrich lauernd. »Wurde sie denn meinen Kämpfern gewährt, die Ihr mit Pfeilen gespickt habt, selbst dann noch, als sie bereits geschlagen waren? Oder den königlichen Boten, die man Euch schickte und die Ihr hinrichten ließet? Oder hat es Euch etwa gekümmert, dass meine geliebte Gemahlin zum Herrn berufen wurde, just in den Tagen, da ich vor Euren Mauern weilte?«

»Das wusste ich nicht, Herr«, kam es leise zurück.

»Statt bei ihr zu sein und ihr in ihrer letzten Stunde beizustehen, habe ich vor Eurer Festung gelegen, habe Zeit verschwendet, die niemals wiederkehrt, nur weil ein allzu stolzer Muselmane den Nacken nicht beugen wollte!«

»Mein König«, wollte Heinrich einwenden, der das Unheil wohl bereits kommen sah, doch Friedrich hörte nicht auf ihn, gebot ihm mit einer herrischen Geste zu schweigen.

Nicht länger hielt es ihn auf seinem Thron. Von Jähzorn getrieben, sprang er auf, setzte auf den am Boden liegenden Emir zu und trat ihn mit dem Fuß. Und da Friedrich seine Sporen trug, riss das spitze Metall dem Fürsten die ungeschützte Seite auf, sodass sich der helle Stoff seines Kaftans schlagartig blutig rot färbte.

Die Ereignisse überstürzten sich.

Ibn Abbad schrie auf vor Schmerz, und seine Söhne eilten ihm von beiden Seiten zu Hilfe, der Wachen ungeachtet. Der hünenhafte Leibwächter jedoch, der bislang still und reglos verharrt hatte, sprang plötzlich vor, um sich mit bloßen Händen auf Friedrich zu stürzen.

Weit kam er nicht.

Die Speere der Wächter verwehrten ihm den Weg, noch ehe er den Herrscher erreichte, und er kam zu Fall. Mit einer Verwünschung ging er zu Boden und warf sich herum – nur um sich von Speerspitzen umgeben zu sehen, die sich in Kehle und Bauch rammen wollten.

»Nein!«, rief Friedrich mit fester Stimme und trat vor den am Boden liegenden Sarazenen. »Wie ist dein Name?«, verlangte er auf Arabisch von ihm zu wissen. Er hatte die Sprache lange nicht benutzt, entsprechend fremd fühlte sie sich an. Dennoch schien der andere ihn sofort zu verstehen.

»I-Ihr beherrscht unsere Sprache?«, stammelte er, die dunklen Augen weit aufgerissen.

»Dein Name, Kerl!«

»O-Omar ibn Rashad.«

»Warum hast du mich angegriffen?«, fragte Friedrich, sich weiter der arabischen Zunge bedienend. »War dir nicht klar, dass es dich das Leben kostet?«

»Ich … habe nicht darüber nachgedacht«, stieß der andere mit einem Seitenblick auf den jammernden Emir hervor. »Ihr habt meinen Herrn verletzt, also handelte ich.«

Friedrich nickte. Der helle Zorn, der eben noch in seinen Adern gebrannt hatte, legte sich plötzlich, so, als würde sich eine Hand besänftigend auf seine Schulter legen.

Konstanzes Hand …

Es war nur ein flüchtiger Gedanke, doch er traf ihn wie ein Pfeil ins Herz. »Verlangt es dich so sehr danach, hier und heute zu sterben, Omar ibn Rashad?«, wollte Friedrich wissen, statt von maßlosem Zorn nun von Wehmut und Melancholie erfüllt.

»N-nein, Herr.«

»So biete ich dir an, dein Leben zu schonen – wenn du dafür künftig mein Leibwächter wirst«, entgegnete Friedrich und reichte ihm die Hand wie zur Versöhnung.

Ein Raunen ging daraufhin durch die Reihen der im Zelt anwesenden Christen. Zwar sprach keiner von ihnen die Zunge der Heiden, doch diese Geste verstanden alle.

Omar ibn Rashad regte sich nicht. Rücklings am Boden liegend, sah er Friedrich mit noch immer weit aufgerissenen Augen an. »A-aber …«, stammelte er.

»Deinem alten Herrscher kannst du nicht mehr helfen, aber sein Schicksal muss nicht das deine sein. Sei mir ein ebenso mutiger Beschützer, wie du es ihm gewesen bist, und du wirst leben«, bekräftigte Friedrich sein Angebot.

Einen Augenblick lang, der dem armen Omar wie eine Ewigkeit erscheinen musste, starrten alle im Zelt, Christen wie Sarazenen, mit ungläubigem Staunen auf die zur Versöhnung ausgestreckte Rechte. Schließlich ergriff Omar ibn Rashad sie, und Friedrich zog ihn wieder auf die Beine und empfing ihn mit einem Versöhnungskuss.

Jähzorn und Trauer.

Herz und Verstand.

Rache und Vergebung.

All das lag in jenen bewegten Tagen bei meinem Herrn eng zusammen, und das bekamen auch der vermessene Emir und seine Söhne zu spüren.

Denn nur wenige Tage später, noch vor dem Fest des heiligen Michael, ließ Friedrich sie hinrichten.