5.


Vatikan, Rom

Januar 1225

Zum Jahreswechsel hatte Friedrich seinen treuen Gefolgsmann Hermann von Salza, den Hochmeister des Deutschritterordens, zu Beratungen nach Rom entsandt.

Der offizielle Anlass war das Versprechen zur Wallfahrt ins Heilige Land, das Friedrich bei seiner Krönung zum König der Römer gegeben und das er feierlich erneuert hatte, als Papst Honorius ihm die Kaiserkrone aufs Haupt setzte. In den darauffolgenden Jahren hatte Friedrich stets geltend gemacht, dass der Kampf gegen seine Gegner – und insbesondere gegen die Sarazenen – ihn zu sehr in Anspruch nehme und er es nicht wagen könne, seinem Reich den Rücken zu kehren, ehe es in allen Teilen befriedet und seiner Herrschaft unterworfen sei. Und Papst Honorius hatte sich – wohl in Anerkennung der Tatsache, dass auch der Kampf gegen die Sarazenen schließlich eine Art von bewaffneter Wallfahrt war – bislang geduldig gezeigt. Doch immer lauter wurden an der Kurie die Stimmen, die nun endlich die Einlösung von Friedrichs Versprechen forderten. Und wie Bruder Hermann, der als des Kaisers oberster Gesandter die Wogen glätten sollte, feststellen musste, war der verzögerte Feldzug gegen die Heiden nicht der einzige Vorbehalt, den man in Rom gegen den Kaiser gesammelt hatte …

»Seine Majestät Fredericus Secundus, römischer Kaiser und König von Sizilien, entbietet Euch seinen Gruß und wünscht Euch Frieden und den Segen des Allmächtigen«, eröffnete der Deutschritter das Gespräch mit den Kardinälen, die ihm und seinen Begleitern an einem breiten Tisch aus Ebenholz gegenübersaßen. Doch nicht nur das schwarze Holz schien sie voneinander zu trennen, sondern auch kühle Reserviertheit, mit der die Vertreter der Kurie dem kaiserlichen Gesandten begegneten.

»So sei es auch ihm beschieden«, entgegnete Kardinalbischof Hugolinus von Ostia, den der Papst zum Wortführer der Verhandlungen bestimmt hatte.

Der Vergleich mit einer alten und einer neuen Klinge drängte sich Hermann von Salza auf.

Denn während der eher sanftmütige, von Alter und Schwäche gebeugte Honorius einem prächtigen, aber stumpfen Prunkschwert glich, das man für demonstrative Zwecke nutzte, das jedoch zum Kampf nicht taugte, war Hugolinus das genaue Gegenteil: Kurz vor seinem sechzigsten Lebensjahr stehend, war er der Neffe von Honorius’ Vorgänger Innozenz III. und ihm in vielerlei Hinsicht ähnlich. Nicht nur, dass er genau wie sein Onkel dem mächtigen Hause Conti entstammte, er schien auch dessen nüchternes, asketisches Wesen zu teilen, das gleichwohl nach großer Machtfülle strebte, freilich nicht für sich selbst, sondern immer zum Ruhm der Kirche; sein Verstand war so scharf wie ein frisch geschärfter Dolch, seine Worte ebenso spitz. Und nicht wenige waren der Ansicht, dass Hugolinus Papst Honorius im Amt des pontifex nachfolgen würde, würde dieser einst zum Herrn gerufen. Zudem war der Kardinal von Ostia kein Unbekannter, war er doch genau jener Hugolinus, der Friedrich am Tag seiner Krönung am Altar des Heiligen Mauritius gesalbt hatte. Damals war der Bischof von Ostia dem jungen Staufer mit Wohlwollen, ja mit Freundschaft begegnet. Doch Hermann ahnte, dass sich dies geändert hatte, die mehrfach verschobene Wallfahrt war wohl der Grund dafür …

»Ist seine kaiserliche Hoheit wohlauf?«, erkundigte sich der Kardinal und machte kein Hehl daraus, dass es nur eine Floskel war, um dem Protokoll zu genügen. In vollem Ornat thronte er jenseits des Tisches, den scharlachroten Mantel um die Schultern, das kahle Haupt vom Kardinalshut bedeckt, all dies ein Zeichen dafür, dass dies kein informelles Treffen war und Hugolinus mit dem ganzen Gewicht der römischen Kurie sprach.

»Mit der Hilfe des Allmächtigen«, bestätigte Hermann von Salza nickend. »Die Trauer um seine geliebte Gemahlin hat der Kaiser endlich überwunden und sich wieder mit ganzer Kraft seinen Pflichten gewidmet, sodass das Südreich inzwischen weitgehend befriedet ist …«

»… und somit jeder Grund entfällt, die bewaffnete Wallfahrt ins Gelobte Land ein weiteres Mal aufzuschieben«, folgerte der Kardinal. »Ich muss Euch hoffentlich nicht daran erinnern, dass der Kaiser bei seiner Krönung in der Kirche Petri feierlich das Versprechen dazu gegeben hat. Und vor zwei Jahren hatte er es beim Treffen zu Ferentino in der Gegenwart seiner Heiligkeit Papst Honorius erneuert und den Beginn des Unternehmens für diesen Sommer angekündigt.«

»Weder müsst Ihr mich noch meinen Herrn daran erinnern, Eminenz«, entgegnete Bruder Hermann. »Doch kehre ich soeben von einer Reise in die Lande nördlich der Berge zurück, und ich muss Euch mitteilen, dass die deutschen Fürsten zum gegenwärtigen Zeitpunkt in großer Mehrheit nicht gewillt sind, sich der Unternehmung anzuschließen.«

»Sie … sind nicht gewillt, ihrer obersten und heiligsten Pflicht als Streiter der Christenheit nachzukommen?« Das Gesicht unter der Krempe des scharlachroten Huts nahm beinahe dessen Färbung an.

»Nicht, dass sie die Notwendigkeit einer solchen Unternehmung anzweifeln würden«, verteidigte Hermann die deutschen Fürsten, zu denen der aus der Landgrafschaft Thüringen stammende Ordensmeister selbst gehörte, »doch ist der Norden nach wie vor von Unruhen geplagt und König Heinrich noch jung an Jahren. Und was Seine Majestät den Kaiser betrifft, so ist sein ganzes Streben derzeit darauf gerichtet, zu Foggia ein Zentrum seiner Herrschaft zu errichten, sodass alle Fürsten seine Macht erkennen und sich ihr beugen sollen.«

»Davon haben wir gehört«, bestätigte der Kardinal. »Jedoch gestehen wir freimütig, dass wir diesbezüglich ein gewisses … Befremden empfinden.«

»Ein Befremden?« Der Ordensmeister hob die buschigen Brauen. »Wie darf ich das verstehen, Euer Eminenz?«

»Ein Befremden aus mancherlei Gründen«, bekräftigte Hugolinus, die Rechte mit dem Kardinalsring schwenkend. »Da ist zunächst diese Universität, die der Kaiser im vergangenen Jahr zu Neapel begründet hat …«

»War es nicht sein gutes Recht?«, fragte Bruder Hermann dagegen.

»Sehr wohl – und doch war es unschwer als Maßnahme gegen Bologna sowie gegen alle anderen Schulen zu verstehen, die der Weisung der Mutter Kirche unterstehen. Ihre Lehre wird dadurch unterwandert, ihre Autorität in Frage gestellt.«

»Wie ist das möglich, Euer Eminenz?«, fragte der Deutschritter zurück. »Gibt es nicht nur eine einzige Wahrheit, der alle Christenmenschen dienen? Wie kann da die eine von der anderen unterwandert werden?«

»Mancher Gelehrte hat unseren Schulen den Rücken gekehrt, unseren Bibliotheken und Skriptorien«, fuhr der Kardinal fort, ohne auf die Frage einzugehen.

»Aber doch nicht um einer anderen Wahrheit willen, sondern weil er in Neapel die besten Voraussetzungen für seine Studien vorfand«, konterte Hermann von Salza. »Zu jeder Zeit steht es Euch frei, die Bedingungen an Euren Schulen entsprechend zu verändern, Eminenz.«

Hugolinus’ hagere, von einem weißen Bart bekränzte Gesichtszüge, die in manchen Augenblicken sehr an die seines Onkels erinnerten, verdüsterten sich. Ihm schien nicht zu gefallen, was er hörte. »Und ist es nicht außerdem wahr«, fuhr er langsam und beinahe lauernd fort, »dass der Rechtsgelehrte Roffred von Benevent, den Fredericus zum Leiter seiner Universität bestellte, allgemein verbreiten ließ, dass der Kaiser aufgrund einer vom Himmel gewährten Gnadengabe Recht spreche?«

»Ich bin kein Rechtsgelehrter, Euer Eminenz, sondern ein Mann des Glaubens und des Schwertes«, gab der Ordensritter ebenso bescheiden wie diplomatisch zurück.

»Nun, wenn Ihr ein Mann des Glaubens seid, so wisst Ihr sicher, dass die Gabe, Recht zu erkennen und zu sprechen, nicht aus heiterem Himmel auf den Kaiser gekommen ist, sondern durch Vermittlung der Heiligen Kirche und allein aufgrund der Segnungen, die er durch Papst Honorius erfahren hat. Und im Gegenzug dazu hat er feierlich und vor aller Augen das Kreuz genommen – doch ist er bislang weder zur Wallfahrt ins Gelobte Land aufgebrochen, noch hat er geholfen, die heiligen Stätten aus heidnischer Hand zu befreien.«

»Und dafür hat er wiederholt um Verständnis geworben. Doch dies bedeutet nicht, dass sich Seine Majestät nicht mit ganzer Seele dem Kampf gegen die Heiden gewidmet hätte. In verlustreichen Kämpfen ist es ihm endlich gelungen, der aufständischen Sarazenen auf der Insel Sizilien Herr zu werden!«

»Und was hat er getan?«, schnappte Hugolinus. »Statt sie über die Gestade des sizilischen Eilands hinaus ins Meer zu jagen, hat er ihnen Land gegeben, wie zur Belohnung für ihre Frevel! Und nicht etwa auf einer entlegenen Insel, sondern auf dem Festland, im Herzen des Reiches, das ihm von Seiner Heiligkeit Papst Innozenz zum Lehen gegeben wurde!«

Die Stimme des Kardinals hatte sich zuletzt überschlagen, man konnte sehen und hören, wie sehr ihn Friedrichs Vorgehen verstört haben musste – und nicht nur ihn. Auch die übrigen Vertreter der Kurie, zwei weitere Kardinäle sowie einige Sekretäre, hatten sich das düstere Mienenspiel ihres Sprechers zu eigen gemacht und blickten nicht weniger finster drein als Hugolinus selbst, einige wirkten gar ängstlich.

»Von den in Lucera angesiedelten Sarazenen geht keine Gefahr aus«, beeilte sich der Hochmeister des Deutschritterordens deshalb zu versichern. »Der Kaiser hat dafür Sorge getragen.«

»Das zu glauben«, entgegnete Hugolinus von Ostia spitz, »bin ich hingegen nur zu gern bereit.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Eminenz?«

»Damit will ich sagen, dass dem Heiligen Stuhl gar Ungeheuerliches zu Ohren gekommen ist … Nämlich dass der Kaiser in dem Palast, den er sich zu Foggia errichten lässt – wohlgemerkt nicht weit von den Muselmanen, die er in Lucera angesiedelt hat –, ein verschwenderisches Dasein fristet und sich ungezügeltem Genuss hingibt, eines christlichen Herrschers unwürdig. Dass er nach dem Tod der tugendhaften Kaiserin einem sündigen Leben verfallen ist und sich wie ein sarazenischer Kalif gebärdet, mit einem Harem voller Tänzerinnen und anderer Weiber, um seinen fleischlichen Begierden zu frönen!«

Bruder Hermann ließ sich mit der Antwort Zeit. Über die schwarze, im Schein der Kerzen schimmernde Tischplatte hinweg sah er sein Gegenüber eine Weile lang an. »Und solchen böswilligen Gerüchten schenkt Ihr Glauben, Eminenz?«

So harmlos sich die Frage gab, so listig war sie auch, suchte sie dem Kardinal doch das Geständnis zu entlocken, dass die Kurie Spione am Hof zu Foggia unterhielt. Doch Hugolinus war in den Schlichen der Diplomatie nicht weniger bewandert als der Ordensmeister.

»Es kommt nicht darauf an, welchen Gerüchten ich Glauben schenke und welchen nicht, Bruder Hermann«, wich er der Frage geschmeidig aus, »denn man braucht nur die Taten des Kaisers zu betrachten, um zu erkennen, dass er vom rechten Pfade abzukommen droht. Während er in den vergangenen Jahren kaum je ein Gotteshaus gestiftet hat, errichtet er ein Kastell nach dem anderen, um seine Herrschaft zu sichern, und entmachtet geistliche wie weltliche Fürsten. Das jahrhundertealte Lehensrecht gilt nichts mehr in seinem Reich, selbst jene, die für ihn kämpfen, verlieren am Ende ihren Besitz an die Krone. Stattdessen legt er die Macht in die Hände von Habenichtsen und Emporkömmlingen, die ihm alles verdanken, und sichert sich auf diese Weise ihre Loyalität.«

»Nun«, meinte Bruder Hermann, »Seine Majestät hat in seiner Jugend wohl die Erfahrung gemacht, dass die Treue des Adels wankelmütig ist – und dass sie allzu leicht gekauft werden kann«, fügte er hinzu. Freilich nannte er weder Namen, noch sprach er Verdächtigungen aus, aber natürlich hatte auch die Kirche im Kampf um Sizilien mitgemischt und, zumal über die Bischöfe, ihre Interessen zu wahren versucht.

»Euer Herr«, entgegnete der Kardinal, seinen wachsenden Zorn nur mühsam beherrschend, »unterdrückt jene, denen die Macht gegeben ist. Wie wir hören, wagt niemand im Südreich mehr, ohne Friedrichs ausdrücklichen Befehl die Hand oder den Fuß zu heben. Er fordert das Recht heraus und stellt die alte, gottgegebene Ordnung infrage.«

»Aber Eminenz«, wandte Hermann von Salza ein, »wenn doch, wie Ihr selbst vorhin gesagt habt, Seine Majestät der Kaiser durch die Bestätigung der Kirche die gottgegebene Ordnung vertritt – ist dann nicht jedwedes Gesetz, das er erlässt, vom Allmächtigen gewollt?«

Der Kardinal erwiderte nichts darauf, sondern begnügte sich damit, Friedrichs Gesandtschaft über den Tisch hinweg mit kalten, ablehnenden Blicken zu bedenken. Später wurden die Gespräche wieder aufgenommen, und man kam überein, strittige Punkte auszulassen und sich stattdessen auf die bewaffnete Wallfahrt zu konzentrieren, die Bruder Hermanns Beteuerungen zufolge auch der Kaiser um jeden Preis begehen wolle.

Doch der Bericht, den Hermann von Salza Friedrich am Ende nach Foggia übermittelte, brachte eine bittere Erkenntnis: Dem Kaiser war in der Kurie ein neuer Feind erwachsen.

Für die Zukunft ließ dies nichts Gutes erahnen – und diese Vorahnung sollte sich schon bald als richtig erweisen.