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Aachen

28. März 1227

Das Jahr des Herrn 1227 war noch nicht alt, als aus Rom die Nachricht kam, dass Papst Honorius III. am 18. März, dem Tag des heiligen Kyrill von Jerusalem, gestorben war.

Zuletzt hatte der greise pontifex noch zwischen dem Kaiser und den Städten Oberitaliens vermittelt und angesichts des gemeinsamen Ziels, das in diesen Tagen alle Christenmenschen vereinen sollte, einen brüchigen Frieden zustande gebracht. Doch nun war er vom Allmächtigen abberufen worden, und während die Kardinäle in Rom zusammentraten, um einen Nachfolger für Honorius zu bestimmen, gingen die Vorbereitungen für die große Unternehmung unvermindert weiter.

Als hätte Honorius geahnt, dass sich seine irdische Zeit dem Ende näherte, hatte er zwei Jahre zuvor noch auf eine Vereinbarung gedrängt, die schließlich zu San Germano zwischen Hermann von Salza und Vertretern der Kurie abgeschlossenen worden war. Darin war nicht nur festgeschrieben, dass die große Wallfahrt spätestens im Sommer des Jahres 1227 beginnen sollte. Der Kaiser verpflichtete sich darin auch, eine Streitmacht von nicht weniger als eintausend Rittern aufzubieten sowie für die Dauer von zwei Jahren zu unterhalten; ferner sollte er Schiffe für weitere zweitausend Reiter zur Verfügung stellen, um auf dem Seeweg nach Outremer zu gelangen. Des Weiteren hatte das Reich Finanzmittel im Wert von einhunderttausend Goldunzen aufzubringen, um dieses größte und kühnste Unternehmen, das seit langem gewagt worden war, zu ermöglichen.

Um nun auch die deutschen Fürsten für die Idee zu gewinnen, hatte Friedrich im kalten Herbst des Jahres 1226 einmal mehr Hermann von Salza über die Alpen geschickt. Der Ordensmeister genoss auch im Norden des Reiches hohes Ansehen und zudem auch das Vertrauen der Kirche, und das war gut so, denn das harsche Vorgehen des Kaisers gegen Johann von Brienne hatte auch hier für Missstimmung gesorgt.

Isabellas Vater selbst hingegen war, seines Titels und seiner Ämter ledig, von Brindisi aus schnurstracks nach Rom geeilt, um sich vor dem Heiligen Stuhl lauthals über die rüde und – zumindest in seinen Augen – ungerechte Behandlung durch seinen kaiserlichen Schwiegersohn zu beschweren. Zwar gab Papst Honorius Johann recht, doch die Aussicht auf den nun unmittelbar bevorstehenden Heereszug ins Heilige Land überwog die Entrüstung. Was dem Grafen von Brienne widerfahren war, war angesichts der großen, gemeinsamen Unternehmung nur eine Nebensächlichkeit, eine von den vielen, über die man in Rom einstweilen hinwegsah – die man jedoch, wie sich zeigen sollte, weder vergaß noch vergab.

In der Erwartung, dass der deutsche Adel nicht mit allzu großer Begeisterung auf den neuerlichen Aufruf zur Wallfahrt reagieren würde, hatte man einen anderen Grund für Bruder Hermanns Besuch in deutschen Landen vorgeschoben – nämlich die Krönung von König Heinrichs Gemahlin Margarethe, die sich Ende März im Dom zu Aachen ereignen sollte. Die Eheschließung zwischen dem damals dreizehnjährigen Heinrich und der zwanzigjährigen Margarethe von Babenberg hatte bereits zwei Jahre zuvor stattgefunden.

Dass sein Sohn eine Frau ehelichen sollte, die rund sieben Jahre älter war als er, mag bei Friedrich Erinnerungen an seine eigene Vermählung mit Konstanze von Aragon geweckt haben. Und auch der Unwille, den der junge Heinrich an den Tag legte, könnte meinen Herrn an seine eigene starrsinnige Haltung erinnert haben – was jedoch nichts an seiner Entscheidung änderte. Denn Margarethes Vater war Leopold von Babenberg, ein Mächtiger des Reiches, der als Sechster seines Namens Herzog von Österreich und der Steiermark war und somit Friedrichs Zugang ins obere Italien sichern konnte. Um Margarethe nicht nur als Heinrichs Gemahlin, sondern als Königin zu legitimieren, kam man folglich überein, die beiden Kinder vornehmer Häuser nicht nur zu verheiraten, sondern Margarethe zudem in einer eigenen Zeremonie zur Königin zu krönen.

Das Ereignis fand am 28. März des Jahres 1227 statt, kurz vor dem Osterfest und an jenem Ort, wo seit den Tagen des großen Karl die Fürsten des Nordens den König krönen, nämlich im Dom zu Aachen, wo auch Heinrich selbst und vor ihm sein Vater gekrönt worden waren. Und bei dieser Gelegenheit, als die deutschen Edlen angesichts des freudigen Ereignisses zusammenfanden, forderte Hermann von Salza im Namen des Kaisers ihre Teilnahme an der Wallfahrt nach Jerusalem ein, zur Ehre Gottes und zum Heil ihrer eigenen Seele.

»Auf ein Wort«, wandte er sich an Ludwig, den jungen Landgrafen von Thüringen, der ein entfernter Cousin des Kaisers war und als einer der mächtigsten deutschen Fürsten galt – und zudem als ein Mann von besonderer Frömmigkeit.

»Ich grüße Euch, Bruder Hermann«, erwiderte Ludwig. Während der Herzog anlässlich des Ereignisses seinen besten Mantel trug, begnügte sich der Deutschritter einmal mehr mit der schlichten weißen Robe seines Ordens. »Noch ehe Ihr ein Wort gesprochen habt, weiß ich, was Ihr sagen wollt – geradeso, als hättet Ihr es bereits gesagt.«

»So erspart Ihr mir Zeit und Mühe, Herr«, entgegnete Hermann, froh darüber, nach langen Aufenthalten in der Fremde endlich einmal wieder die Zunge seiner thüringischen Heimat sprechen zu dürfen. »Doch nehmen wir nun einmal an, ich hätte Euch tatsächlich gefragt, ob Ihr Euch der Unternehmung Eures Kaisers anschließen wollt, was würdet Ihr darauf erwidern?«

Ludwig, ein Mann von 27 Jahren, von hohem Wuchs und wachem Verstand, lächelte und ließ sich auf das Gedankenspiel ein. »Ich würde Euch antworten, dass die letzten Jahre nicht einfach waren, weder für mich noch für die Meinen. Die Auseinandersetzung mit dem Erzbischof von Mainz hat mich große Anstrengung gekostet …«

»… die seine Majestät der Kaiser allerdings geschlichtet hat«, wandte Hermann von Salza ein.

»Das ist wahr«, gab Ludwig unumwunden zu, »doch war dies nicht der einzige Kampf, zu dem ich mich gezwungen sah. Die Markgrafschaft von Meißen fiel mir zu, als mein Bruder verstarb, doch meine eigene Schwester verwehrt mir, was rechtens mir gehört. Würde ich mich der Wallfahrt des Kaisers anschließen und den Dingen hier den Rücken zukehren, würde das bedeuten, meine Ansprüche aufzugeben.«

»Und wenn es einen anderen Weg gäbe? Einen, an dessen Ende ein jeder seinen Willen bekäme, der Kaiser und auch Ihr selbst?« Das bärtige Gesicht des Ordensritters verriet keine Regung, doch in seinen kleinen Augen blitzte es listig.

»Wie?«, wollte Ludwig wissen.

»Indem seine Majestät zu Euren Gunsten in den Konflikt eingreift und Euch sämtliche Reichseinnahmen der Mark Meißen gewährt«, eröffnete Hermann von Salza.

»Ist das Euer Ernst?«

»Allerdings«, bestätigte Bruder Hermann ohne Zögern. Es ließ sich nicht erkennen, ob er in diesem Moment eigenmächtig entschied oder ob ihm der Kaiser die Befugnis dazu gegeben hatte, doch spielte es auch keine Rolle. Jeder in diesen Tagen wusste, dass eine Zusicherung Hermann von Salzas nicht weniger verbindlich war, als hätte der Kaiser selbst sie ausgesprochen.

»So wüsste ich, dass ich meine Grafschaft verlassen kann, ohne dass meine Gegner mir in den Rücken fallen«, bestätigte Ludwig, »doch löst dies noch nicht das Problem meiner leeren Kassen. Meine Truppen sind geschwächt, seit ich gezwungen war, sie gegen Meißen zu schicken, und es wird dauern, bis die Einnahmen, die aus der Mark eintreffen …«

»Würde eine Zahlung von – sagen wir – fünftausend Silbermark denn etwas daran ändern?«, fragte Hermann und hielt ihm die Rechte hin. »Könnte sie Euch gar überreden, das Kreuz zu nehmen und unserem gemeinsamen Herren Friedrich noch in diesem Sommer in Gottes Namen nach Jerusalem zu folgen und die Heiden von den heiligen Stätten zu vertreiben?«

Die Worte verklangen, doch die Frage schwebte weiter in der feuchtkühlen Luft, die durch die Gänge der alten Königspfalz wehte. Einen Augenblick lang dachte Ludwig von Thüringen, Vierter seines Namens, über das großzügige Angebot nach, das sein Herr und Kaiser ihm machte – dann ergriff er die Rechte des Ordensritters und drückte sie herzlich.

»In Gottes Namen«, bestätigte er – und es war beschlossen.

Natürlich hatte Bruder Hermann, der nicht nur ein Mann des Glaubens, sondern auch von großer Schläue war, sich nicht von ungefähr zuerst an Ludwig gewandt.

Dass der mächtige Landgraf von Thüringen das Kreuz genommen hatte, sprach sich rasch herum unter den anwesenden Noblen – noch schneller aber verbreitete sich das Gerücht, dass der Gesandte des Kaisers Ludwigs Frömmigkeit mit der Vergabe von Privilegien sowie einer Zahlung von fünftausend Silbermark auf die Sprünge geholfen habe.

Das Gefühl, dass es in diesen Tagen mehr zu gewinnen gab als nur das bloße Seelenheil, machte in Aachen die Runde, und so schloss sich als Nächstes Heinrich von Limburg der heiligen Sache an, nachdem auch ihm eine erkleckliche Belohnung zugesichert worden war. Noch vor dem Osterfest sagten außerdem siebenhundert weitere deutsche Ritter ihre Teilnahme an der Wallfahrt nach Jerusalem zu.

Nur einen konnte selbst der findige Deutschritter nicht zur Teilnahme bewegen, nämlich den Vater der frisch gekrönten Königin Margarethe.

Weder das familiäre Bündnis mit dem Kaiser noch die Überredungskünste Bruder Hermanns konnten Leopold von Babenberg dazu bringen, sich dem Unternehmen anzuschließen. Der im fünfzigsten Lebensjahr stehende Herzog von Österreich machte geltend, bereits am Feldzug gegen die Albigenser sowie an der Belagerung von Damietta teilgenommen zu haben und zudem einen erbitterten Kampf gegen die Ketzer in seinem eigenen Herzogtum zu führen, weswegen er sich nicht in der Lage sehe, das Kreuz noch ein drittes Mal zu nehmen … Doch hinter vorgehaltener Hand wurde auch erzählt, der Herzog hätte von einem Sterndeuter eine Warnung erhalten, dass, sollte er seinen Fuß in den Süden Italiens setzen, dies sein Ende bedeuten würde, und dass er deshalb davor zurückschrecke, seine Heimat zu verlassen.

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob dies wirklich so geschehen ist oder ob es nur ein Gerücht war, das sich schwatzhafte Knechte und Mägde ausgedacht und lange genug herumerzählt haben, bis sie es am Ende selbst glaubten.

Doch die Warnung sollte sich als berechtigt erweisen.

Und das gleich in zweifacher Hinsicht.