6.


 

 

Woher die Seuche kam, wusste niemand zu sagen.

War sie aus der Not der Versorgung entstanden und aus der Knappheit des Wassers? War sie aus fernen Landen eingeschleppt worden von jenen, die sich in Brindisi sammelten? Oder war sie, wie mancher Prediger vermutete, ein Zeichen des Allmächtigen?

Niemand kannte die Antwort, und bald schon war sie auch nicht mehr von Belang. Denn unter den Tausenden von Wallfahrern, die sich im Süden Apuliens versammelt hatten, griff das Fieber wie ein Lauffeuer um sich und erfasste innerhalb kürzester Zeit das gesamte Lager.

Eine Warnung gab es nicht.

Am einen Tag war es noch Gerücht, am nächsten bereits schreckliche Gewissheit. Wer sich am Morgen noch gesund und in der Blüte seines Lebens wähnte, der konnte am Abend bereits todkrank darniederliegen. Der Mangel an Wasser und die Hitze über der apulischen Ebene taten ein Übriges, und so verwandelte sich das Heerlager der Wallfahrer in einen Acker des Todes, über dem schon bald der beißende Gestank der Verwesung lag. Statt ihr Leben in fernen Ländern zum Ruhm des Allmächtigen zu wagen, verloren es viele der mit dem Kreuz Bezeichneten an das Fieber, und ihre letzte Ruhestätte fanden sie nicht in der heiligen Erde des Gelobten Landes, sondern in staubigen Gruben, die rasch ausgehoben wurden, um sich der zahlreichen Toten zu entledigen.

Panik breitete sich unter jenen aus, die noch nicht von der Seuche ergriffen waren, und sie verließen fluchtartig das Lager, zerstreuten sich ins Landesinnere, wo sie sich in Hunger und Not an die Bauern der dortigen Dörfer wandten – die daraufhin ebenfalls vom Fieber befallen wurden.

Doch obwohl all dies geschah, hielt Friedrich weiter an seinem Gelübde fest.

Was ihn dazu trieb, wusste er wohl selbst nicht zu sagen – war es seine persönliche Beharrlichkeit? Seine Weigerung, sich von einer Laune des Schicksals in die Knie zwingen zu lassen? Oder sah er womöglich noch mehr darin? Eine Prüfung des Allmächtigen? Ahnte er bereits, dass der neue Stellvertreter Christi auf Erden sehr viel weniger nachsichtig sein würde als sein Vorgänger?

Obwohl die Seuche auch vor dem kaiserlichen Lager nicht Halt machte und zahlreiche Ritter aus Friedrichs Umfeld befiel, versah er weiter seine Pflicht als Anführer. Er ließ die im Hafen von Brindisi ankernden Galeeren bemannen und in See stechen und sorgte so dafür, dass eine erste Welle von mehreren tausend Kämpfern das Heilige Land erreichte. Wie leicht hätte er selbst eines dieser Schiffe besteigen und mit dem Wind nach der Levante segeln können, sich Seuche und Gefahr entziehen, doch er tat es nicht. Trotz aller Gefahr harrte der Kaiser auf seinem Posten als Oberbefehlshaber des christlichen Heeres aus und schickte sich an, das nächste Kontingent für die Überfahrt aufzustellen, während die Seuche weiter im Lager der Wallfahrer wütete und Noble wie Gemeine gleichermaßen dahinraffte.

Andachten wurden abgehalten, verzweifelte Gebete zum Herrn gesprochen, Weihrauch durch das Lager getrieben, um es von Sünde und Tod zu reinigen. Doch das Fieber hielt weiter an, und es wurden Stimmen laut, die darin mehr erkennen wollten. War die Seuche die Strafe dafür, dass das Unternehmen wieder und wieder verschoben worden war? Immer größer wurde die Zahl jener, die darin nicht nur eine Warnung des Allmächtigen sahen, sondern in der Seuche das sich ankündigende Weltgericht erkennen wollten. Zur Furcht vor dem Fieber gesellte sich nun auch noch die vor dem göttlichen Strafgericht – und es machte vor niemandem Halt.

Auch Landgraf Ludwig von Thüringen, der dem Kaiser bis dahin als zweiter Heerführer zur Seite gestanden hatte, wurde vom Fieber befallen, und gegen Ende des Monats erkrankte Friedrich selbst.

Es kündigte sich in Schwächeanfällen an, die er den Tag über erlitt, während er mit den Unterführern die Verteilung des Proviants besprach. Am Abend klagte der Kaiser über brennenden Durst und stechenden Kopfschmerz, und noch in der Nacht entbrannte sein Körper in lodernder Hitze, die sich auch in den darauffolgenden Tagen nicht legte und gegen die die medici keine Abhilfe wussten. Dennoch bemühte sich Friedrich, seine Aufgabe als Heerführer auch weiterhin zu erfüllen, dem Fieber zum Trotz – in der Folge verschlechterte sich sein Zustand.

Die Heiler rieten ihm schließlich dazu, sich auf die vor der Küste gelegene Insel Sant’Andrea zurückzuziehen und von den Mönchen des dortigen Benediktinerklosters pflegen zu lassen. Einmal mehr war es der getreue Parceval Doria, der meinen Herrn begleitete. Friedrichs engste Berater suchten unterdessen die Regierungsgeschäfte aufrechtzuerhalten. Während der Kaiser in den Klauen des Fiebers lag, sandten sie Meldung um Meldung nach Rom, in der sie die dramatischen Ereignisse schilderten und vom geschwächten Zustand des Imperators berichteten. Doch die Geduld des Heiligen Stuhls war erschöpft, und so enthielten die Erwiderungen, die Papst Gregor dem kaiserlichen Lager zukommen ließ, weder Verständnis noch Nachsicht.

»Soweit meine Pflicht es gestattet, will ich dir gern entgegenkommen«, las Doria Friedrich eine der Antwortnoten vor, die die Boten nach der Insel brachten, »allerdings erwarte ich von dir, dass du weder dich selbst noch mich in eine Lage bringst, aus der ich dich nicht befreien kann, selbst dann, wenn ich es wollte. Gezeichnet: Gregor …«

»Ich weiß, wer es geschrieben hat«, versicherte Friedrich. Zur Seite gedreht lag der Kaiser auf seinem Lager, die Gesichtszüge bleich und ausgezehrt. »Stil und Duktus sind mir nur zu bekannt«, fügte er hinzu und rang sich trotz seines elenden Zustands ein Lächeln ab.

»Und?«, fragte Parceval nur. In sich zusammengesunken, kauerte er auf einem Schemel an Friedrichs Lager. Auch ihn plagte das Fieber, Schweiß stand ihm auf der Stirn, und dunkle Ränder lagen um seine Augen, jedoch konnte er sich noch aufrecht halten.

»Ich habe nicht mit Nachsicht gerechnet«, versicherte Friedrich. Seine Stimme war heiser, das Sprechen fiel ihm schwer angesichts des dicken Klumpens, zu dem seine Zunge angeschwollen war.

»Was willst du tun?«

»Was schon?« Der Kaiser wollte bitter auflachen, stattdessen schüttelte ihn heftiger Husten. »Tun, was meine Pflicht ist«, erwiderte er, nachdem er wieder Atem gefasst hatte. »Was ich gelobt habe, schon vor so langer Zeit.«

»Du willst in See stechen?«

»Habe ich eine andere Wahl?«

»Wohl nicht.« Mit fiebrig glänzenden Augen blickte Parceval auf das Schreiben in seiner Hand. »Man gibt sich noch nicht einmal Mühe, die Drohung darin zu verstecken.«

»So frei ist ein Kaiser«, keuchte Friedrich bitter.

»Warum?«, fragte Parceval nur.

Sein kaiserlicher Freund sah ihn müde an. »Was meinst du?«

»Warum hast du es damals getan? Warum hast du das Kreuz genommen, als man dich zum König krönte? Niemand hat darum gebeten, es war deine Entscheidung allein.«

»Denkst du?« Das Haupt mit dem rotblonden, schweißnassen Haar auf das Kissen gebettet, schüttelte Friedrich den Kopf. »Niemand ist je in seinen Entscheidungen allein, mein Freund … am allerwenigsten jemand, der eine Krone trägt.«

»Nicht einmal ein Kaiser!«

»Selbst ein Kaiser hat Herren, denen er dient … der Tradition und der Vergangenheit, seinen Ahnen, die aus der Ewigkeit auf ihn blicken bei allem, was er tut … erst vergangene Nacht sind sie mir wieder im Traum erschienen … mein Vater und meine Mutter … und selbst der alte Barbarossa! Der große Karl und Kaiser Konstantin …«

»Das macht das Fieber«, entgegnete Parceval und tippte sich an die schweißnasse Stirn. »Es verwirrt die Gedanken und lässt dich Dinge sehen, die nicht da sind.«

»Die Vergangenheit ist da, mein Freund«, versicherte Friedrich mit glasigem Blick, »und sie ist allgegenwärtig … sie ängstigt mich mehr als alles, was in der Zukunft liegt.«

»Aber was geschehen ist, ist geschehen! Die Vergangenheit hat keine Macht mehr über dich!«

»Im Gegenteil – sie ist alles, was ich habe. Ihr bin ich verpflichtet, mein Freund, in allem, was ich tue – nicht weniger, als ich dem Allmächtigen selbst verpflichtet bin. Und deshalb«, fügte der Kaiser hinzu, während er sich auf seinem Lager aufzurichten versuchte, »werde ich in See stechen, sobald ich mich erheben kann!«

Nur wenige Tage später, am 8. September, verließ mein Herr die Abtei von Sant’Andrea und gesellte sich an Bord seiner Galeere zu dem Hauptverband, der von Brindisi auslief und von Ludwig von Thüringen befehligt wurde. Der Landgraf war ebenso geschwächt wie der Kaiser selbst, und sein Zustand verschlimmerte sich noch, bis er schließlich auf Deck zusammenbrach und das Bewusstsein verlor.

Nach nur wenigen Tagen auf See war die Flotte gezwungen, den Hafen von Otranto anzulaufen. In der Hoffnung, dass sich Ludwigs Zustand dort bessern würde, ließ Friedrich ihn an Land bringen, doch das grässliche Fieber hatte ihn bereits zu sehr geschwächt: Am 11. September im Jahr des Herrn 1227 starb Ludwig, Landgraf von Thüringen und Pfalzgraf von Sachsen, der gegen eine Zahlung von fünftausend Silbermark und die Gewährung von Privilegien an der großen Wallfahrt teilgenommen hatte, in Otranto an den Folgen der verheerenden Seuche.

Selbst noch am Fieber leidend und bis ins Mark erschüttert vom Tod des Freundes und Verwandten, folgte Friedrich schließlich dem Drängen seiner Berater sowie seiner Ärzte und beschloss, die Pilgerfahrt ins Heilige Land bis zu dem Zeitpunkt zu verschieben, da er selbst wieder genesen und im Vollbesitz seiner Kräfte sein würde.

Und in dieser Lage, von Trauer und Krankheit gezeichnet, traf ihn der päpstliche Bannspruch.