Die Sommer jener Friedensjahre pflegte Friedrich in Melfi zu verbringen, wo die üppig grünen Wälder reich waren an Wild und ihm Gelegenheit boten, seiner geliebten Falkenjagd zu frönen. Oftmals begleitete ich ihn dabei und schlug ihm manche Beute, sodass jedermann, sowohl bei Hofe als auch unter den fremdländischen Gästen, ihn um seinen Falken Saxo beneidete.
Die Wintermonate hingegen brachte Friedrich zumeist in Foggia zu, und hier, in seinem neu errichteten Palast, umgeben von seinem Hofstaat und wohlbehütet von seinen sarazenischen Wächtern, gab sich mein Herr den Wissenschaften hin, für die er sich seit seiner Kindheit begeisterte und die niemals aufgehört hatten, ihn zu faszinieren: Der Natur durch Beobachtung und die Kraft des menschlichen Geistes Erkenntnisse abzugewinnen, war sein stetes Bemühen, oftmals mit dem Ziel, das neu gewonnene Wissen zum Wohl seiner Untertanen anzuwenden. Und so gab es kaum ein Gebiet, auf das er sich nicht mit großer Neugier und wildem Eifer gestürzt hätte.
Begab er sich im Sommer gern auf die Jagd, gehörten Winter und Frühjahr dem Studium der Tiere: In den Gärten von Foggia ließ er künstliche Sümpfe anlegen, auf dass dort Wasservögel aller Art nisten sollten; er interessierte sich für die Pferdezucht und begründete ein eigenes Gestüt, aus dem die prächtigsten Araberhengste hervorgingen; und um zu beobachten, ob Straußeneier tatsächlich vom heißen Sand ausgebrütet würden, wie ein Gelehrter aus Africa ihm berichtet hatte, ließ er einen tönernen Brutkasten bauen, der mit Glut beheizt wurde.
So, wie ihm das Wohl der Tiere am Herzen lag, kümmerte ihn auch das der Menschen: Die Seuche von Brindisi, die damals seine Abreise ins Heilige Land verhindert und so viele seiner Getreuen das Leben gekostet hatte, war ihm unvergessen, und er beauftragte seine magistri damit, die Ursache herauszufinden. Wissend, dass die Heilkunst der arabischen Welt jener des Abendlands weit überlegen war, ließ er deren Lehrbücher ins Lateinische übersetzen und begründete eine Schule zu Salerno, auf der in einem acht Jahre dauernden Studium medici ausgebildet werden sollten, die sich nicht länger der Quacksalberei und anderer zweifelhafter Methoden bedienten, sondern die Bezeichnung eines Arztes auch verdienten; und damit die jungen Männer, die sich dort ausbilden ließen, den menschlichen Körper auch tatsächlich begriffen und verstanden, gestattete er das Sezieren von leblosen Körpern zum Zweck der Wissenschaft und ließ neue Methoden der Behandlung erproben wie das Verabreichen heilender Bäder oder die Anwendung von Mitteln zur Betäubung bei schmerzhafter Operation.
Er interessierte sich für die Baukunst; innerhalb weniger Jahre ließ er nicht nur jene Burgen erneuern, die im Zuge der Kämpfe Schaden genommen hatten, sondern ließ dazu noch zahlreiche neue Festungen errichten, die dabei helfen sollten, die Grenzen des Reiches zu sichern und seine Macht zu festigen.
Jedoch verlangte der Bau all dieser Burgen nach Material in großen Mengen, und so lichtete sich mancher Wald, der dem König noch im Jahr zuvor als Jagdrevier gedient hatte; auch blieb Friedrich nicht verborgen, dass mancher Fluss, der sich aus Städten und Dörfern wand, in Farbe und Geruch einer Kloake glich; also forderte er seine Justiziare auf, Gesetze zu entwerfen, die der Schonung der Wälder dienen sollten sowie der Reinheit der Gewässer; und er ließ festlegen, wo Unrat und Kadaver zu lagern seien und in welchem Abstand zur Siedlung und auf welche Weise seine Untertanen ihre Friedhöfe anzulegen hätten.
Die Bibliothek im Palast zu Foggia suchte ihresgleichen; kein anderer Herrscher des Abendlandes konnte von sich behaupten, derart viel Wissen in seinen Mauern angesammelt zu haben: uralte Handschriften und Codices, aber auch neue Texte, die im scriptorium des kaiserlichen Hofs erstellt wurden, nicht nur in lateinischer, sondern auch in griechischer und arabischer Sprache. Und Friedrich war selbst ein Mann des Buches – viele der gelehrten Schriften las er selbst und führte auch auf Reisen, ganz gleich, ob sie ihn nur ins nahe Melfi führten oder ins ferne Deutschland, stets einige Exemplare auf Packpferden mit.
Und schließlich tat mein Herr das, was er schon in jungen Jahren erfahren und bewundert hatte und was auch die Herrscher des Orients zu tun pflegten, allen voran der ihm so verbundene Sultan al-Kamil: Er umgab sich an seinem Hof mit Gelehrten aller Art, mit denen er allabendlich zu Gespräch und wissenschaftlichem Disput zusammentraf. Dort saß er dann als einer von ihnen, und nicht wenige der magistri, die Friedrichs Einladung folgten und an den Hof von Foggia kamen, staunten über die Bildung und die Gelehrsamkeit des Herrschers und über die Vielzahl von Zungen, die er sprach. Dabei machte es für meinen Herrn einmal mehr keinen Unterschied, ob es christliche, muslimische oder jüdische Gelehrte waren – wer dem Ruf nach Foggia folgte, den nahm der Kaiser mit großer Herzlichkeit und brennendem Wissensdurst bei sich auf, gespannt darauf, was jener in der Runde der Meister beitragen würde.
Auch interessierte sich Friedrich für die Disziplinen der Mathematik, der Philosophie und der Sternenkunde, wobei die Grenzen zwischen jenen Gebieten fließend waren und die Gelehrten oft gleichermaßen in allen dreien gebildet, so wie jener Theodorus, den ich bereits erwähnte. Der Philosoph aus dem fernen Antiochien stand wiederum in freundschaftlicher Verbindung mit einem genius der Mathematik, der in Pisa lebte und unterrichtete, nachdem er in Ägypten die Geheimnisse der Zahlen studiert hatte. Leonardo Fibonacci war sein Name, und er überzeugte Friedrich, dass der mathematischen Wissenschaft durch die Verwendung der arabischen Zahlen weit größere Möglichkeiten offenstünden und sich weit tiefere Geheimnisse erschließen ließen als bisher mit den römischen. Per Dekret reformierte der Kaiser daraufhin die Zahlen und das Rechnen mit ihnen.
Friedrich liebte es, sich neuen, bisweilen radikalen Gedanken zu öffnen und sie in Leidenschaft zu diskutieren, und so schickte er auch nach Michael Scotus, dem wohl gelehrtesten Philosophen seiner Zeit – und der Schotte, der zuvor in Oxanforda, Paris und Toledo gewirkt hatte, folgte dem Ruf des Kaisers und kam nach Foggia.
Da er wie Friedrich des Arabischen mächtig war, übersetzte er für die kaiserliche Bibliothek zahlreiche Werke des Aristoteles, die fern im Morgenland die Jahrhunderte überdauert hatten. Des Weiteren übertrug er die Werke des sarazenischen Philosophen Averroes ins Lateinische, der die Welt zwar verlassen hatte, als der Kaiser noch ein Kind gewesen war, dessen Denken Friedrich aber dennoch beeinflussen sollte, suchte es doch Religion und Philosophie, Glauben und Vernunft voneinander zu trennen, was bei einem wachen Geist wie dem meines Herrn auf dankbares Interesse stieß. Fragen wie jene nach der Herkunft der Welt beschäftigten ihn: War Gott, wie die Bibel es lehrte, der Schöpfer aller Dinge? Oder waren, wie Aristoteles und in seiner Nachfolge auch Averroes vermutet hatten, die Dinge schon immer da gewesen und Gott derjenige, welcher dieser Materie Bewegung und Leben gab? Und wenn es so war, war die Welt dann ewig und schon immer da gewesen? Und was geschah mit den Seelen, die in die Ewigkeit gingen?
Einigkeit bestand darüber, dass sie unsterblich waren – doch bedeutete dies Unsterblichkeit in dem Sinne, dass eine Seele in der Ewigkeit als Individuum existierte, so, wie sie es im Diesseits getan hatte? Oder waren, wie Averroes behauptete, alle Seelen einst Teil eines Großen und Ganzen gewesen, mit dem sie nach dem Tode wieder eins wurden?
Auch als Sterndeuter war Michael Scotus tätig, und es hieß, dass sein Wissen um die Gestirne und den Einfluss, den sie auf die Geschicke der Menschen nehmen, unter allen Gelehrten am größten sei, weshalb der Kaiser ihn zu seinem persönlichen Astrologen ernannte. Selten traf mein Herr eine Entscheidung, ohne vorher den Rat des Schotten eingeholt zu haben, sodass dieser großen Einfluss auf den Kaiser gewann, der dem der anderen Berater in nichts nachstand. Doch gab es auch Zungen, die behaupteten, dass Scotus ein arg versponnener Zeitgenosse sei, trug er doch bei Tag und Nacht eine gewölbte, aus schimmerndem Metall gefertigte Haube auf dem Kopf.
»Sagt, Magister«, fragte Friedrich irgendwann den Gelehrten, »warum ruht stets dieser eigenartige Helm auf Eurem Haupt? Weder sind wir im Krieg, noch müsst Ihr in meinem Palast einen Angriff fürchten.«
»Ich weiß, Majestät«, versicherte der Philosoph, »und dies ist nicht der Grund, warum ich diese Haube trage. Sie dient einzig dem Zweck, mein Gehirn vor Schaden zu bewahren, deshalb habe ich ihr den Namen cerebrium gegeben.«
»Vor Schaden wodurch? Was fürchtet Ihr?«
»Ich habe die Sterne gedeutet, Majestät, und so, wie sie mir Euer Schicksal künden, haben sie mir auch das meine verraten«, erwiderte Scotus ebenso ernst wie nüchtern. »Es besagt, dass ein Stein, der aus großer Höhe auf mich herabfällt, dereinst mein Ende bringen wird.«
»Und um diesem Schicksal zu entgehen, tragt Ihr diese Haube?«, fragte mein Herr, halb staunend und halb im Spott.
»Aus diesem Grund«, bestätigte der Gelehrte ernst.
Etwa ein Jahr später, als er in der Kathedrale zu Foggia die heilige Messe besuchte, nahm er, um Demut vor dem Allmächtigen zu zeigen, die schützende Haube ab – worauf sich vom inneren Dach das Bruchstück eines Ziegels löste und ihm aufs nunmehr ungeschützte Haupt fiel. Scotus sah das kantige, blutige Stück Stein noch am Boden liegen, hob es auf und betrachtete es.
Dann brach er tot zusammen.
Friedrich, den der Tod des Gelehrten tief erschütterte, sah darin den endgültigen Beweis dafür, dass dieser tatsächlich der größte aller Sternkundigen gewesen sei, und seine Begierde nach Wahrheit und Wissen wurde durch diese Erfahrung nur noch mehr entfacht. Und auch wenn es eigentlich verboten war und der Klerus nicht zwischen sündhafter Versuchung und wissenschaftlichem Versuch unterschied, begnügte sich der Kaiser nicht allein mit Beobachtungen der gegebenen Natur, sondern schuf auch selbst Szenarien, um Antworten auf seine vielen Fragen zu bekommen.
Um beispielsweise herauszufinden, welche Sprache dem Menschen von Natur aus gegeben sei, befahl er, Neugeborene ihren Müttern wegzunehmen und sie durch Ammen versorgen zu lassen, die ihnen jedoch nur die Brust, aber kein gesprochenes Wort und keine Zuwendung geben sollten. Welcher Zunge würden sich die heranwachsenden Kinder dann wohl bedienen? Der ihrer Eltern? Oder womöglich der ägyptischen, da sie doch die älteste von allen Sprachen war? Oder hatte es davor schon eine andere gegeben, eine Ursprache, die allen Menschen des Erdkreises gemeinsam war?
So gespannt mein Herr auf die Beantwortung all dieser Fragen auch wartete, er hat sie nie erhalten – denn die Neugeborenen, die keine menschliche Zuwendung erhielten, starben nur wenige Monate nach ihrer Geburt und noch lange bevor sie zu sprechen begannen.
Ein anderes Experiment, das Friedrich durchführen ließ, betraf die Frage, wie Nahrung im menschlichen Leib besser verdaut werde, ob durch eifrige Bewegung oder erholsamen Schlaf. Kurzerhand ließ er zwei zum Tode Verurteilte aus dem Kerker holen und servierte ihnen ein üppiges Mahl. Danach hieß er den einen, auf die Jagd zu gehen, der andere sollte ruhen. Im Anschluss ereilte beide das Beil des Henkers, woraufhin der Kaiser ihre Bäuche öffnen und nachsehen ließ – und siehe da: Derjenige, der nach dem Essen ruhte, hatte die weit bessere Verdauung aufzuweisen.
Über ein weiteres Experiment meines Herrn wurden später dreiste Lügen verbreitet: Es hieß, der Kaiser hätte einen Todgeweihten in ein Fass einsperren lassen, weil er wissen wollte, ob nur der Mensch allein oder auch die unsterbliche Seele darin zugrunde gehe. Solche Blasphemie lag meinem Herrn natürlich völlig fern – er wollte lediglich wissen, auf welchem Weg die Seele des Verstorbenen aus dem Fass heraus und in den Himmel fände.
Einmal mehr erregte Friedrichs Lebensart das Misstrauen der päpstlichen Legaten, die regelmäßig nach Rom berichteten. Und so blickte auch Papst Gregor schon bald wieder mit geheimem Groll auf den Mann, den er noch vor zwei Jahren in Anagni als seinen »geliebten Sohn der Kirche« bezeichnet hatte.
Und auch im oberen Italien sowie jenseits der Alpen, in den kalten deutschen Landen, zogen sich dunkle Wolken zusammen, die Friedrichs Zeit als Friedenskaiser alsbald beenden sollten.