Der Friede, der durch die Versöhnung zwischen Kaiser und Papst nach langem Zwist wiederhergestellt worden war, ließ vor allem das Südreich erblühen.
Nach Jahren der Vorbereitung, der Kämpfe und auch mancher Rückschläge konnte Friedrich hier nun endlich der Herrscher sein, der ihm in seiner Vision von einem neuen Kaisertum stets vorgeschwebt hatte. Ideen der alten Zeit, vom großen Alexander über die Kaiser der Römer, von Augustus und Konstantinus bis hin zu Theodosius und Justinianus, schwangen ebenso darin mit wie der Einfluss der arabischen Herrscher, deren hochstehende Kultur und Reichtum an Geistesgaben Friedrich von früher Jugend an bewundert hatte; und natürlich die Traditionen des großen Karl, der Ottonen und der Salier, sowie jene der beiden Häuser, denen Friedrich selbst entstammte: auf der einen Seite das normannische Haus Hauteville, dem die Herrschaft über das Südreich entsprang, auf der anderen Seite das Geschlecht von Hohenstaufen, durch das die Kaiserkrone auf ihn gekommen war.
Lange Zeit hatte er schwer an der Verantwortung getragen, die ihm seine Herkunft aufbürdete. Doch die Wallfahrt ins Heilige Land und seine Krönung zum König von Jerusalem hatten etwas bei ihm bewirkt, eine Veränderung in seinem Denken und seiner Wahrnehmung von sich selbst … die schließlich in die Überzeugung mündete, dass er wirklich und wahrlich vom Allmächtigen auserwählt war, um zu herrschen und seinem Reich als lebendiges Gesetz Frieden und Ordnung zu geben.
Nirgendwo fand er dafür bessere Voraussetzungen als im sizilischen Reich. Die constitutiones, die er auf dem Hoftag zu Melfi erließ, schrieben das bis dahin geltende Recht der Gewohnheit in feste Gesetze um, denen fortan jedweder Untertan unterworfen war, vom geringsten Bauern bis hinauf zum Noblen.
Einmal mehr wurden dem Adel in den Gesetzen von Melfi Privilegien genommen. Viel zu lange hatten Fehden unter den Edlen für Unruhe gesorgt – das neue Gesetz belegte denjenigen, der eine Blutfehde begann, mit der Todesstrafe sowie dem Verfall all seiner Güter und seines Besitzes an die Krone. Das Tragen von Waffen zu Friedenszeiten wurde bei Strafe verboten, des Weiteren nahm Friedrich die Frauen unter den Schutz seines Gesetzes und stellte Vergewaltigung unter Todesstrafe, ganz gleich, ob es sich bei den Frauen, denen Gewalt angetan wurde, um Nonnen oder Huren handelte.
Die Gewalt in seinem Reich, daran ließ mein Herr keinen Zweifel, sollte allein von ihm ausgehen und von jenen, die er damit beauftragt hatte. Niemals, niemals wieder sollte habgieriger Adel die Möglichkeit erhalten, das Gesetz zu beugen und sich an Macht und Besitz zu bereichern.
»Niemand«, so diktierte Friedrich seinen Notaren, »darf sich in die Handlungen und Entschlüsse des Herrschers einmischen. Und wenn ich in meiner Eigenschaft als Kaiser und König Recht gesprochen habe, so kommt es niemandem zu, meine Beschlüsse und Handlungen zu hinterfragen. Denn sie zu hinterfragen kommt einem Gottesfrevel gleich in diesem unserem Reich.«
Dass es der Allmächtige selbst war, der ihn dazu ermächtigt hatte, Gesetze zu erlassen und Recht zu sprechen, betonte mein Herr immer wieder, und ebenso, dass er diese Macht nutzen wollte, um das Reich und die Welt zu erneuern. Das Unrecht vergangener Zeiten wollte er verstummen lassen und zur Ehre Gottes ein neues Reich errichten, in dem Frieden und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit nicht nur ein hohles Wort sein sollte. Doch nicht alle standen hinter seinen Zielen.
Ein großer Teil des sizilischen Adels, der durch jahrelange Kämpfe geschwächt worden war und ohnehin schon viele Privilegien verloren hatte, nahm die neuen Gesetze ohne Murren hin. Doch es gab auch Widerstand. Die Zahl der Verstöße gegen die neuen Gesetze war beträchtlich, sodass die Justiziare vor Ort blutige Exempel statuieren mussten, um ihnen Geltung zu verschaffen. Wo sie es taten, kehrte Ruhe ein, doch konnten des Kaisers Vollstrecker nicht überall zugleich sein. Folglich beauftragten sie Späher, an ihrer statt Auge und Ohr des Reiches zu sein, und schon bald unterhielt mein Herr, sich auch hier Kaiser Justinianus zum Vorbild nehmend, ein Heer von Spionen, die in seinem Auftrag nicht nur den Untertanen, sondern auch den Justiziaren selbst bei ihrem Tun und Walten zusahen und Verstöße an die Krone meldeten.
Andernorts freilich, zumal im oberen Italien und jenseits der Alpen, sah man die Entwicklung mit großer Sorge. Würde, so fragten sich sowohl die Lombardenstädte als auch die deutschen Fürsten, Friedrich in seiner Eigenschaft als Kaiser auch in ihren Breiten auf solche Weise wirken? Würde er auch ihnen neue Gesetze geben und sich im Namen des Herrn zum Begründer einer neuen Zeit ausrufen? Noch deutete nichts darauf hin, im Gegenteil hatte sich Friedrich sowohl den Lombarden als auch den Deutschen gegenüber stets als großzügig erwiesen, doch blickte man im Königreich seines inzwischen zweiundzwanzigjährigen Sohnes Heinrich mit Argwohn gen Süden – und war damit nicht allein.
Auch Papst Gregor war erzürnt über die vom Kaiser erlassenen Gesetze, denn ein Eingriff in die Rechte des Adels war zugleich auch eine Einschränkung geistlicher Fürsten und damit auch kirchlicher Macht. Um den Verlust an Einfluss auszugleichen, suchte der Papst über seine Legaten wiederum die Nähe Mailands und seiner Verbündeten, was wiederum meinem Herrn nicht gefallen konnte.
Eine erste Vorahnung von Ungehorsam erhielt er, als er im selben Jahr 1231 zum Hoftag nach Ravenna rief. Nicht nur, dass zahlreiche Städte Oberitaliens der Versammlung fernblieben; die Lombarden trieben auch wieder ihr altes Spiel und versperrten die Veroneser Klause, um den Kaisertreuen den Weg über die Alpen zu verwehren. König Heinrich und die Seinen erschienen daraufhin nicht in Ravenna, obschon es anderen Fürsten aus deutschen Landen sehr wohl gelang, indem sie über andere Pässe auswichen. Friedrich warf seinem Sohn Ungehorsam vor und befahl ihm, pflichtschuldig zum nächsten Hoftag zu erscheinen, den er zu Ostern in Aquileia einberief.
Diesmal folgte der junge König dem kaiserlichen Befehl. In Cividale, zwei Tagesritte von Aquileia entfernt, kam es zur Aussprache zwischen Vater und Sohn – doch Friedrich war gewarnt.
Die Unruhe vorausahnend, die den Norden seines Reiches erschüttern sollte, bestieg er im Frühjahr 1232 auf Vermittlung seiner Berater ein Schiff, das ihn nach Venedig brachte. Gegen das Zugeständnis weitreichender Privilegien wollte er die Lagunenstadt für ein Bündnis gegen Mailand und die übrigen Lombarden gewinnen, doch der Mission war kein Erfolg beschieden. Allein dass Jacopo Tiepolo, der Doge von Venedig, das großzügige Angebot des Kaisers ausschlug, hätte meinem Herrn wohl sagen müssen, dass trotz aller Erfolge, die er gefeiert hatte, sich dunkle Wolken über seiner Herrschaft zusammenbrauten.
Noch jedoch überwog der Wille zur friedlichen Einigung – auch auf Seiten des Heiligen Stuhls.