Der ehrwürdige Berard sollte recht behalten.
Schon bald wurde nur zu deutlich, was der Papst und seine Berater, allen voran der machthungrige Raniero Capocci, im Schilde führten: Innozenz begab sich nach Lyon, an den Rand des kaiserlichen Einflussgebiets, und berief für den Sommer des Folgejahres ein Konzil dorthin ein, das nur einem einzigen Zweck dienen sollte: der Absetzung des Kaisers.
Als mein Herr von diesem größten und letzten Schlag gegen ihn erfuhr, verfiel er entgegen seiner sonst bisweilen aufbrausenden Natur nicht in Zorn. Die Querelen der vorangegangenen Jahre, der neu entflammte Zwist und der nicht enden wollende Krieg in Oberitalien hatten ihn viel von seinem einstigen Tatendrang gekostet, sodass er in diesem Moment wohl nichts als Leere verspürte, die Dunkelheit einer endlosen Nacht, die immer finsterer zu werden drohte.
Im Bemühen, das Undenkbare noch zu verhindern, war Friedrich abermals zu weiten Zugeständnissen bereit, bot sogar an, sich auf eine neuerliche Wallfahrt ins Heilige Land zu begeben und das jüngst wieder verloren gegangene Jerusalem im Dienste der Christenheit zurückerobern zu wollen.
Doch sein Angebot zum Frieden wurde abgelehnt, nicht zuletzt auf Betreiben Kardinal Ranieros hin, der den Kaiser einmal mehr durch räuberische Überfälle provoziert hatte – und in seinem hilflosen Zorn hatte Friedrich mit aller Macht zurückgeschlagen.
Dann jedoch besann sich der Kaiser, und im Verbund mit den besten und engsten seiner Berater, allen voran Erzbischof Berard, Taddeo da Suessa und Petrus de Vinea, erarbeitete er eine Verteidigung, die vor den versammelten Würdenträgern der Kirche in Lyon vorgetragen werden und die Unrechtmäßigkeit des päpstlichen Vorgehens belegen sollte.
Es war eine gute, fundierte Verteidigung, entstanden aus der Weisheit Erzbischof Berards, dem Wissen Meister Taddeos und der Eloquenz Petrus de Vineas: Nacheinander wurden die Vorwürfe, die man Friedrich machte, darin entkräftet, von der Ketzerei, deren Innozenz ihn beschuldigte, über die Unzucht mit den Sarazeninnen an seinem Hof und seine Freundschaft zu den Muselmanen bis hin zum Bruch des Lehensrechts, den man ihm zur Last legte. Niemand, so war es die Überzeugung meines Herrn, würde sich der Logik dieser Argumente entziehen können, und selbst der Papst würde am Ende zugestehen müssen, dass ihn, Friedrich, keine Schuld traf und es folglich auch keinen Grund zu seiner Absetzung gab.
Kein Geringerer als Taddeo da Suessa selbst begab sich nach Lyon, um den Kaiser als dessen Anwalt zu verteidigen und mit machtvollen Worten für ihn zu sprechen.
Doch die Verhandlung verdiente ihren Namen nicht, so, wie das gesamte Konzil seinen Namen nicht verdiente. Und nicht nur, weil es nur unzureichend besetzt war und viele Regionen des christlichen Abendlands überhaupt nicht repräsentiert waren.
Sondern auch, weil Papst Innozenz Richter und Ankläger zugleich spielte.
Als am 17. Juli das Plädoyer der Verteidigung gehört wurde, stand das Urteil längst fest, zu einer Abstimmung der Kirchenoberen kam es nie. Der Papst allein hatte entschieden, dass Friedrichs Tage als Kaiser gezählt sein sollten, entsprechend war die Absetzungsbulle auch gleich zur Hand, und er verlas sie noch an Ort und Stelle.
Demnach wurde Fredericus Secundus, römischer König und Kaiser, wegen Friedensbruchs, Untreue und Ketzerei verurteilt und abgesetzt; sowohl seiner Ehre als auch der Würden seines Titels würde er dadurch beraubt, seine Gefolgsleute von ihrem Treueeid entbunden, auf dass ihm niemand mehr gehorchte; des Weiteren solle schon in absehbarer Zeit ein geeigneter Nachfolger gefunden und in Rom zum neuen imperator imperii erhoben werden.
Nicht nur Taddeo da Suessa, der bei der Urteilsverkündung selbst zugegen war, erhob sofort lautstark Einspruch gegen dieses Urteil, das jeder rechtlichen Grundlage entbehrte. Auch viele Kirchenobere, vornehmlich jene aus England und Frankreich, empfanden den Ausgang der Verhandlung als ungerecht. Entsprechend schwer taten sie sich, in das Te Deum einzufallen, das der Papst und seine Berater anstimmten, um den Allmächtigen für das in ihren Augen so gerechte Urteil zu preisen … während Taddeo da Suessa und die übrigen Mitglieder der kaiserlichen Gesandtschaft den Saal unter Protest verließen.
Von jenen, die in Taddeos Gefolge waren, wurde mir berichtet, dass viele Anwesende bittere Tränen vergossen, als die Absetzung des Kaisers verkündet wurde – wohl nicht so sehr, weil sie mit Friedrich fühlten, sondern weil ihnen klar war, dass die Christenheit nun noch dunkleren Zeiten entgegengehen und die Voraussagen der Apokalypse sich womöglich doch noch erfüllen würden.
Ein Raunen schien durch das Abendland zu gehen, als sich die Nachricht von der Absetzung des Kaisers verbreitete. Innozenz selbst sorgte dafür, indem er einmal mehr das Heer seiner Prediger in Marsch setzte, und auch die Mönche der Bettelorden leisteten ihm wieder wertvolle Hilfe, als es darum ging, sein Wort in jeden Winkel des Reiches zu tragen.
Doch die Stimmen des Widerstands verstummten nicht.
Nicht nur König Ludwig von Frankreich ergriff für den abgesetzten Kaiser Partei, sondern auch viele weitere weltliche Fürsten und gekrönte Häupter. Wenn dem größten und mächtigsten unter ihnen, so sagten sie sich wohl, solches widerfahren konnte, wie mochte die Kirche dann erst mit ihnen umgehen, wenn sie sich in ihren Augen ungehorsam zeigten?
Niemand bezweifelte, dass es der Herr im Himmel war, durch den die Macht auf die Herrschenden kam – doch hatte der Papst das Recht, diese Bande jederzeit zu knüpfen und zu lösen, wie es ihm gefiel?
Friedrich verneinte dies.
In einem Schreiben an die Fürsten der Welt reklamierte er, dass nur sie ihn absetzen könnten, niemals aber ein Papst, der sich anmaße, Herr nicht nur über die Kirche, sondern auch über die Welt zu sein. Und er gab jenen recht, die bereits am Tag der Urteilsverkündung befürchtet hatten, dass nun alles noch schlimmer werden würde.
Denn bislang hatte sich der Kampf des Kaisers stets nur gegen den Papst sowie gegen einzelne Kardinäle gerichtet – nun jedoch kämpfte er gegen die gesamte Kirche.
Aus einem Zwist war offener Krieg geworden, den Friedrich mit einem Paukenschlag begann: einem von seiner Kanzlei verfassten Manifest, in dem er seine Sicht der Dinge schilderte und die Kirche all der Vergehen beschuldigte, deren man ihn, den Kaiser, überführt zu haben glaubte – und das er von seinen Boten überall im Reich verlesen ließ.
Als immutator mundi pries er sich selbst darin, als derjenige Herrscher, dessen Bestimmung es sei, die Welt zu verändern. Die Kirche in ihrer derzeitigen Form, so der Kaiser, sei selbst von Lastern durchdrungen, ihre Diener habgierig, heuchlerisch und käuflich. Statt ein Leben in der Nachfolge des Herrn zu führen und jene Heiligkeit zu erstreben, die Kranke heilt und andere Wunder vollbringt, seien die heutigen Glieder der Kirche nur darauf bedacht, ihren eigenen Besitz und ihre Macht zu mehren. Und da beides nach ihrer eigenen Lehre der Frömmigkeit Schande und Sünde sei, sei es die Aufgabe der weltlichen Fürsten, ihnen diese für sie so schädlichen Reichtümer zu entziehen, gewissermaßen als ein Werk der Nächstenliebe …
Während ich diese Zeilen schreibe, kann ich noch immer das listige Blitzen in Friedrichs Augen sehen.
Bis heute weiß ich nicht, ob die Fürsten ihm glaubten, dass er als Veränderer der Welt auch die Kirche reformieren wollte, oder ob sie in seinem Manifest nur einen Akt der Rache sahen. Fest steht, dass viele von ihnen Friedrichs Argumenten beipflichteten – auch wenn sie darin wohl weniger einen Dienst am Nächsten sahen als einen Weg, sich am Kirchengut zu bereichern – per Dekret, wo es möglich war; mit Feuer und Schwert, wo es die Lage erforderte.
Die Reaktion des Heiligen Stuhls ließ nicht auf sich warten: Sich an weltliche wie geistliche Fürsten wendend, rief Papst Innozenz zu einer neuen bewaffneten Wallfahrt im Dienst der Kirche auf. Diesmal allerdings sollte sie sich nicht gegen die Heiden im Gelobten Land richten, sondern gegen niemand anderen als den Kaiser und jene, die ihm noch die Treue hielten.
Unter den Predigern, die er solche Reden verbreiten ließ und die mancherorts eine wahre Schreckensherrschaft errichteten, war keiner eifriger und gefürchteter als Albertus Bohemus. In päpstlichem Auftrag wütete er in den bayerischen Landen jenseits der Alpen und schreckte auch nicht davor zurück, Bischöfe und Erzbischöfe zu exkommunizieren, wenn sie es weiter mit dem Kaiser hielten. Zudem blühte der Handel mit dem Ablass von Sünden, der für einen gewissen Zeitraum jenen gewährt wurde, die einer gegen den Kaiser gerichteten Predigt lauschten. Und einen vollständigen Erlass seiner Sünden erhielt, wer das Kreuz nahm und gegen Friedrich zu den Waffen griff.
Hatte die päpstliche Seite bis dahin lediglich gefordert, dass der Kaiser für seine Vergehen bestraft werden solle, wurde nun nicht mehr und nicht weniger als seine vollständige Zerstörung verlangt, als Mann wie als Herrscher. Nichts, was er errichtet hatte, sollte bestehen bleiben, und so geriet für meinen Herrn der Kampf gegen den Papst und seine Vollstrecker zu einem Kampf um das Überleben – nicht nur um das des Reiches und seines Erbes, sondern, wie sich zeigen sollte, auch seiner Person.
Für Friedrich ging es nun um alles oder nichts.
Wohin auch immer sein Arm reichte, ordnete er an, gegen die päpstlichen Prediger vorzugehen: Er erhöhte die Zahl jener, die in Städten und Dörfern für ihn spionierten, und ließ verdächtige Vorgänge sofort an die Kanzleien melden; er ließ Orte, die im Verdacht standen, mit dem Papst zu paktieren, Geiseln stellen, welche er beim geringsten Hinweis auf Aufruhr am nächsten Baume aufknüpfen ließ; wer sich gegen den Kaiser äußerte, der landete im Kerker, gleich ob Ritter oder Knecht; und wer eine Waffe trug und nicht zum kaiserlichen Heer gehörte, der verlor die Hand, die er gegen seinen Herrscher hatte erheben wollen.
»So lange bin ich der Amboss gewesen, auf den mit aller Macht eingeschlagen wurde«, sagte mein Herr. »Nun endlich werde ich der Hammer sein.«