9.


 

 

Gleichzeitig rissen sie ihre Pferde herum und trieben sie auf die nächste Anhöhe. Von dort konnten sie ihn bereits sehen, den Rauch, der von jenseits der Bäume aufstieg und den der Ostwind herantrieb, zusammen mit beißendem Brandgeruch.

Einen Augenblick lang standen Pferde und Reiter wie zu Statuen erstarrt. Dann gaben der Kaiser und die Seinen den Tieren die Sporen und jagten hinab in die Flusssenke und zurück zur Lagerstadt. Als die eng stehenden Bäume sich lichteten, konnten sie es bereits sehen.

Victoria stand in Flammen!

Die Palisaden, die Zelte und Baracken, die Stände und Buden – all das brannte lichterloh, eine rote Feuersbrunst wütete und fraß sich von Osten her durch die Gassen, und da kaum ein Haus aus Stein errichtet war, fand sie reiche Nahrung. Über dem Tosen der Flammen jedoch lagen lautes Geschrei und das Geklirr von Waffen, das nur einen einzigen Schluss zuließ: Die Parmesen hatten einen Ausfall vorgetragen!

Just in dem Moment, als niemand damit rechnete, war das Volk im Verbund mit Rittern und Waffenknechten aus den Toren der Stadt gestürmt und gegen die Palisaden der Belagerungsmauer angerannt, von Hunger und Entbehrung zu wahrer Raserei getrieben. Nicht Eisen und nicht Schwerter, sondern die schiere Masse hatte die Abwehr der Kaiserlichen überwunden und Feuer und Zerstörung in die Lagerstadt getragen – und nun waren die Parmesen dabei, das brennende Victoria zu plündern.

»Neeein!«, brüllte Friedrich aus Leibeskräften.

Er war außer sich.

Die lodernde Feuersbrunst spiegelte sich in seinen Augen, während er seinen Zorn laut hinausschrie, als wollte er das Brausen der Flammen noch übertönen. Schon zog er sein Schwert und trieb sein Pferd an, vergeblich rieten seine sarazenischen Leibwächter ihm zur Flucht. Nur der Falkner wurde fortgeschickt, damit die prächtigen Tiere überlebten – der Kaiser und sein Sohn jedoch trieben ihre Rösser mitten in das lodernde Inferno, von den Leibwachen begleitet.

Einen Pulk parmesischer Bürger, die mit gestohlener Habe beladen aus einer der Buden kamen, ritten sie kurzerhand nieder. Einem allzu dreisten Gesellen, der sich in einen viel zu großen Umhang gehüllt hatte, spaltete der Kaiser im Vorüberritt den Schädel. Die Hauptstraße hinab erreichten sie den von Rauchschwaden verhüllten Marktplatz, hinter dem der kaiserliche Palast aufragte – doch auch auf diesen hatten die Flammen bereits übergegriffen und bedrohten nun die benachbarte Kirche. Die Kanzlei, die Bibliothek mit dem Falkenbuch und vielen anderen wertvollen Codices, die kaiserliche Münze – all das stand in hellen Flammen!

Sengende Hitze schlug ihnen entgegen, dennoch trieb Friedrich sein panisch scheuendes Pferd in den Innenhof, wo der Brand bereits gewütet hatte. Rauch lag über schwelenden Trümmern, inmitten deren sie einen riesigen, dampfenden Kadaver gewahrten – der Elefant, den Friedrich einst von Sultan al-Kamil zum Geschenk erhalten und der ihn auf so vielen seiner Reisen begleitet hatte. Nach dem Triumph von Cortenuova hatte das Tier den eroberten carroccio der Mailänder gezogen – nun hatten des Kaisers Feinde sich furchtbar dafür gerächt.

Zäh und bitter lag der Geruch des Todes über den Trümmern. Die Plünderer waren bereits abgezogen, nur noch die rußgeschwärzten Körper der Gefallenen lagen umher, unter denen der Kaiser viele seiner Beamten und Justiziare erkannte – und schließlich auch ein vertrautes Gesicht erblickte.

Es war Taddeo da Suessa, sein vertrauter Berater, der inmitten der Erschlagenen lag. Ein magister der Jurisprudenz zu sein, einer der führenden Rechtsgelehrten im Land, hatte ihm nichts genutzt, als der parmesische Pöbel tausendfach und mit rasender Wut über den Palast hergefallen war.

Ungeachtet der Kampfgeräusche, die noch aus anderen Teilen der Lagerstadt drangen, stieg der Kaiser aus dem Sattel. Er trat zu Taddeo und beugte sich zu dessen von Blessuren übersätem Leichnam hinab, schloss ihm die Augen, während er den Aufrührern zugleich blutige Rache schwor.

»Vater!«, rief Manfred plötzlich zu ihm herüber. »Komm schnell hierher …«

Die Stimme des Sohnes bebte, nicht nur vor Entsetzen über die Zerstörung, sondern auch aus Trauer. Denn ein weiterer Vertrauter der kaiserlichen Familie war inmitten der Trümmer gefunden worden – als Friedrich ihn erblickte, reglos am Boden liegend, der Körper brandgeschwärzt und geschunden, hatte er das Gefühl, sein Herz würde von einer glühenden Klinge durchbohrt.

»Parceval!«

Über die leblosen Körper der Seinen hinwegsteigend, eilte der Kaiser zu dem Freund, den Manfred inmitten der Gefallenen gefunden hatte, und fiel keuchend bei ihm nieder.

»Guter, treuer Parceval …«

Obschon er wie tot dalag, aus einer tiefen Wunde blutend, die ihm ein Wurfspieß beigebracht hatte, war noch nicht alles Leben aus Parceval Doria gewichen. Blinzelnd schlug er die Augen auf, sah mit glasigem Blick an Friedrich empor.

»Mein … Kaiser«, stieß er hervor.

»Still«, ermahnte ihn Friedrich. »Sprich nicht!«

»Tut mir … leid«, hauchte der Freund dennoch, jede Silbe, die ihm über die Lippen kam, von einem Blutschwall begleitet. »Alles versucht …«

»Ich weiß, mein Freund, ich weiß«, versicherte der Kaiser. Tränen traten ihm in die vom Rauch geröteten Augen.

»Doch kein … ruhiger Tag.« Ein letztes Mal versuchte Parceval Doria, der meinen Herrn so viele Jahre begleitet hatte, sein unbekümmertes Lächeln. Es gelang ihm halbwegs, doch es gefror auf seinen blutigen Lippen. In diesem Moment brach auch sein Blick, wurde starr und leer – und Parceval Doria, der treue Freund aus Genua, starb in Friedrichs Armen.