Unter denen, die an jenem unheilvollen Tag den Tod gefunden hatten, waren Parceval Doria und Meister Taddeo dem Kaiser fraglos am engsten verbunden gewesen. Doch noch viele weitere Beamte und Justiziare des kaiserlichen Hofs waren der Raserei der Parmeser zum Opfer gefallen sowie zahllose Ritter, Sergeanten und Knechte, insgesamt über eintausendfünfhundert, die entweder erschlagen worden oder in der lodernden Feuersbrunst zu Grunde gegangen waren. Im Gefolge der Flammen hatten die Parmeser die Lagerstadt anschließend geplündert und alles mitgenommen, dessen sie hatten habhaft werden können – selbst den kaiserlichen Thron aus dem hölzernen Palast und Friedrichs Krone, die sich ein Zwergwüchsiger namens Kurzschritt aufgesetzt und sie als Trophäe umhergetragen hatte, zur Freude und zum Spott seiner Kumpane.
Tagelang hatten die Einwohner von Parma das Ende der Belagerung und den Sieg über den Kaiser gefeiert, waren in einen regelrechten Rausch verfallen, zu dem auch der Wein aus dem kaiserlichen Lager beigetragen hatte – während Friedrich und die Seinen um Leib und Leben fürchten mussten und dem tosenden Inferno nur mit knapper Not entkommen konnten.
Nach der infamen Verschwörung gegen ihn war dies der zweite schwere Schlag, den Friedrich innerhalb kurzer Zeit hinnehmen musste, und ein anderer an seiner Stelle hätte vielleicht aufgegeben – aber nicht mein Herr.
Mit aller Macht, die ihm zu Gebote stand, stemmte er sich gegen seine Feinde, zumal die Trauer, die er über den Tod Parceval Dorias und so vieler anderer Getreuer empfand, sich schon bald in heiligen Zorn wandelte.
Zusammen mit dem, was von seinem Heer verblieben war, zog er nach Cremona, das ihm nach wie vor treu ergeben war. Vor den Toren der Stadt vereinigte sich das kaiserliche Heer mit dem von König Enzio, und gemeinsam kehrten sie nach Parma zurück, gewillt, die Räuber und Mörder dort zur Rechenschaft zu ziehen … doch wie sich zeigte, war dies nicht möglich.
Die Parmeser hatten sich erneut in den Mauern ihrer Stadt verschanzt, wissend, dass dem Kaiser zu einer neuerlichen Belagerung oder gar zur Errichtung einer weiteren Lagerstadt sowohl die Mittel als auch die Kämpfer fehlten. Zu groß war der Verlust an Menschenleben, zu groß das Loch, das die Zerstörung des Palasts und der Kanzlei in der Staatskasse hinterlassen hatte. Zudem hatten das Scheitern der Belagerung und die Zerstörung Victorias den Parmesern neuen Mut gegeben – und weit über die Grenzen ihres Gebiets hinaus auch allen anderen, die es mit Papst Innozenz hielten und dem Kaiser die Stirn bieten wollten.
So blieb meinem Herrn nichts, als wiederum die Umlande zu verwüsten und auf kleinere Scharmützel mit dem Feind zu setzen, die nichts entschieden, die Parmeser jedoch zermürben sollten. Doch in Wahrheit war es Friedrich, den der endlose Krieg zermürbte, mit zäher Langsamkeit wie ein Geschwür, das ihn allmählich zerfraß.
Noch immer wollte er den Kampf nicht aufgeben.
Es gelang ihm, Orlando di Rossi, den päpstlichen Schwager und Agitator der Verschwörung, ausfindig zu machen und zur Strecke zu bringen, und er ließ jeden Aufrührer, dessen er habhaft werden konnte, hängen, mitunter Hunderte von ihnen. Doch wie beim Haupte der Hydra schienen für jedes abgeschlagene Haupt zwei neue nachzuwachsen, und je grausamer der Kaiser gegen die Verräter am Reich vorging, desto mehr fielen von ihm ab. Bis zuletzt sogar das geliebte Ravenna, die Stadt Theoderichs, ihm den Rücken kehrte und zum päpstlichen Lager überging.
Gezeichnet von Niederlage und Verlust und verfolgt von der Angst, dass überall und jederzeit die Klinge eines Meuchelmörders lauern könnte, ließ mein Herr Papst Innozenz ein letztes Angebot unterbreiten, in dem er bereit war, auf alle Forderungen einzugehen und seinen Feinden zu geben, was sie aus dem Schatz des Reiches haben wollten, wenn nur wieder Friede im Reich einkehre und er die Huld der Kirche wiedererlangen würde.
Doch Innozenz IV., von allen Gegnern, mit denen Friedrich im Lauf seines Lebens zu schaffen gehabt hatte, bei Weitem der unnachgiebigste und erbarmungsloseste, lehnte ab.
Zu groß seien die Vergehen des Kaisers gewesen, zu gewaltig die Sünde, die er auf sich geladen hatte.
Mit der Erkenntnis, dass der Nachfolger Petri nicht mehr und nicht weniger als seine völlige Vernichtung wollte, sowohl die seines Körpers als auch die seiner Seele, verlor mein Herr einen guten Teil des Mutes, der ihn stets durchs Leben getragen und ihn Erfolg um Erfolg hatte erringen lassen.
Auf eine Entwicklung zu seinen Gunsten, die seine Feinde bestrafen und ihn als glorreichen Sieger aus dem Streit hervorgehen lassen würde, konnte er nicht mehr hoffen. Folglich suchte er Trost im Kleinen und Vertrauten, klammerte sich an das, was ihm geblieben war.
Erschüttert von der Unbarmherzigkeit seines Gegners und stets auf der Hut vor weiteren Mordversuchen, wechselte er ruhelos seine Bleibe, umgeben nur noch von den engsten seiner Vertrauten, zu denen neben dem ehrwürdigen Erzbischof Berard, dessen Treue in all den Jahren niemals wankte, auch Petrus de Vinea gehörte. Auch sein Sohn Manfred war in jenen Tagen oft bei ihm; gemeinsam ritten sie aus zur Jagd, die dem Kaiser in diesen dunklen Tagen der Furcht und der drohenden Niederlage die letzte Zerstreuung bot. Und er suchte Trost in den Armen seiner Geliebten Bianca Lancia, die über so viele Jahre ein Fixstern am Firmament seines Lebens gewesen war.
Anfangs mochte ihre Verbindung rein körperlicher Natur gewesen sein, war er schlicht angezogen von ihren Reizen, ihren ebenmäßigen Gesichtszügen, ihrem glänzend schwarzen Haar und ihren vollendeten Rundungen, die Bianca freigebig einzusetzen wusste; die Schönheit der Jugend war allerdings im Lauf der Jahre verblasst, doch unter den vielen Frauen, die er neben seinen Kaiserinnen gehabt hatte, fand Friedrich bei ihr erstmals eine andere, reifere Form der Schönheit, die nicht vergehen konnte. Ihr starkes und offenes Wesen war es, das er schätzte und das ihm Kraft gab … bis auch jener Fixstern an seinem Himmel schließlich sank.
Ein Fieber, das in jenem Winter viele befiel, hatte auch von Bianca Besitz ergriffen, und egal, was die medici versuchten, es ließ sie nicht aus den Klauen. Friedrich, der Tage und Nächte an ihrem Lager verbrachte, konnte nichts tun, als hilflos zuzusehen, wie das Fieber sie immer mehr verzehrte und sie schwächer und schwächer wurde … seine ganze kaiserliche Macht erwies sich einmal mehr als nutzlos.
Doch war er nicht bereit, die Frau, die ihm so viel Liebe und Trost erwiesen und ihm drei Kinder geschenkt hatte, in die Ewigkeit zu entlassen, ohne ihr eine letzte Gunst zu erweisen …
»Geliebter«, hauchte sie, kalten Schweiß auf der heißen Stirn, die einstmals rosigen, von blühendem Leben erfüllten Züge bereits vom nahen Tod gezeichnet, »bitte verzeih mir …«
»Was, mein Herz?«, fragte er, ihre kalten Hände dabei in den seinen haltend. »Da ist nichts, was du getan hättest, das verziehen werden müsste.«
Aus ihren dunklen Augen sah sie zu ihm auf, rang sich ein schwaches Lächeln ab. »Tue es jetzt … lasse dich im Stich.«
»Nein, mein Herz«, widersprach er, Tränen in den Augen. »Du hast mich nie im Stich gelassen … ich bin es gewesen, der andere geehelicht und zu seiner Kaiserin erhoben hat. Doch ihnen bin ich nur ein Gemahl gewesen … dir dein Mann.«
»Hätte … so gern mehr getan.«
»Du hast alles getan, was du tun konntest, hast mir drei Kinder geschenkt, die mein ganzer Stolz sind und ein wahrer Segen … Konstanza, die älteste, wurde die Gemahlin des Kaisers von Byzanz; Violante wurde mit dem guten Richard verheiratet, dessen Treue ich mein Leben verdanke; und meinen Manfred liebe ich mehr als alle anderen, denn in so vieler Hinsicht ist er wie du, meine Geliebte.«
Bianca nickte, das Sprechen schien ihr zunehmend schwer zu fallen. »Versprich … dass du für ihn sorgen wirst.«
»Hab keine Angst, das werde ich – und auch für dich, mein Herz«, fügte Friedrich hinzu und winkte Berard heran, der im Hintergrund der von Kerzenschein beleuchteten Kammer gewartet hatte, jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Friedrichs Freund und Berater, sondern als Priester.
In Biancas glasigen Augen spiegelte sich Erschrecken, als sie den Erzbischof gewahrte. »Ist es … so weit?«, fragte sie tonlos.
»So weit, zu tun, was ich längst hätte tun sollen«, erklärte Friedrich und küsste ihre kalten Hände. »Ich habe Berard gebeten, uns zu trauen, meine Geliebte – und dich somit zu meiner Gemahlin und meiner Kaiserin zu machen.«
»Du …?« Sie sah ihn verständnislos an, schien nicht sicher, ob dies die Wirklichkeit war oder ein Fiebertraum, den sie durchlebte.
»Ich will wahr machen, was ohnehin stets gewesen ist. Wie oft hast du mir Trost gespendet? Wie oft bist du mir mit Rat zur Seite gestanden? Andere mögen den Titel der Kaiserin getragen haben, Geliebte – doch du bist es gewesen. Deshalb werde ich dich nun ehelichen und unsere gemeinsamen Nachkommen damit zu legitimen Erben des Reiches erheben. Du siehst also, es ist für sie gesorgt, in jeder Hinsicht …«
Und so geschah es.
Erzbischof Berard traute die beiden, und noch auf ihrem letzten Lager wurde Bianca Lancia damit zur Kaiserin des Reiches und zur Königin von Sizilien.
Nur wenige Tage später verstarb sie, und eine weitere tragende Säule seines Lebens war meinem Herrn genommen.