Die Trauer um geliebte Menschen, die Erbarmungslosigkeit seiner Feinde, der Verlust von Macht und Ansehen, der Spott seiner Widersacher – all das ging nicht spurlos an Kaiser Friedrich vorbei.
Die ständige Furcht vor Verrat und Nachstellung trieb ihn um, auf Schritt und Tritt umgab er sich mit Wachen, nur noch seine engsten Vertrauten ließ er zu sich vor. Und im selben Maß, wie sich sein Umfeld verengte, verengte sich auch sein Blick auf die Welt: Er, der stets aufgeschlossen gewesen war gegenüber neuem Wissen und neuer Erkenntnis, der auch fremde Kulturen, ihre Sprache und ihren Glauben nie gefürchtet hatte, zog sich auf das zurück, was er kannte und was ihm vertraut war; wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, kehrte er ins Südreich zurück, um an der vertrauten apulischen Sonne Leib und Seele zu wärmen. Denn auch seine körperliche Verfassung hatte gelitten; immer wieder wurde er von Schwächeanfällen und Beschwerden in Magen und Darm geplagt, die schier unerschöpfliche Kraft, die ihn einstmals erfüllt hatte und die ihn vieles zur selben Zeit tun ließ, war zusehends dabei zu schwinden.
Die medici vermochten sich den Zustand des Kaisers nicht zu erklären, gab es doch bei ihm keine Krankheit, der sie einen Namen hätten geben können. Wäre ich in der Lage gewesen zu sprechen, so hätte ich ihnen gesagt, dass es sein gebrochenes Herz war, das meinem Herrn zusetzte, und seine gescheiterten Hoffnungen. Und doch sollte ihm der furchtbarste Schlag gegen seine Person und seine Herrschaft erst noch bevorstehen.
Zu Beginn des Jahres 1249 hielt er sich in Cremona auf, das sich auf die Fahnen geschrieben hatte, von allen Städten des Reiches die kaisertreuste zu sein. Seinen Feinden hatte er den Winter über weiter getrotzt, die schwer getroffene Reichskanzlei wieder aufgebaut, seinen Sohn Manfred mit Beatrix verheiratet, einer Tochter des stolzen Hauses Savoyen, und dies alles war mit Hilfe Petrus de Vineas geschehen, der ihm enger Berater, ja ein Freund geworden war.
Wie so oft in jenen Tagen litt der Kaiser unter Schlaflosigkeit, worauf sein Leibarzt Tibaldo ihm zur Nacht ein Bad verordnete sowie einen aus Kräutern gemischten Trank. In einem Raum, der eigens mit glühenden Steinen aufgeheizt worden war, ließ Tibaldo einen Zuber mit Wasser bereiten, in das er wohlriechende Öle und Essenzen gab, während der Leibdiener bereits dabei war, Friedrich zu entkleiden.
Auch der Körper des Kaisers hatte gelitten, wirkte ausgezehrt und gebeugt, die Folge Tausender von Meilen, die mein Herr im Sattel zurückgelegt hatte … und wohl auch des großen Vermächtnisses, das er von Geburt an auf seinen schmalen Schultern trug.
»Ehe ihr Euch ins Bad begebt, trinkt dies, Majestät«, sagte der medicus und reichte ihm den Becher mit dem Kräutersud. »Es wird die heilende Kraft des Bades unterstützen.«
»Was bewirkt es?«, wollte Friedrich wissen, während er den Becher entgegennahm.
»Es wird …«, – der Leibarzt zögerte einen Moment –, »Euch die Ruhe geben, nach der es Euch verlangt, Herr.«
»Die Ruhe?« Friedrich blickte auf den trüben Inhalt des Bechers. Was genau es war, das seinen Argwohn erregte, vermag ich nicht zu sagen. War es ein bloßes Gefühl, eine Ahnung? Oder war es etwas an Tibaldos Verhalten, das ihn warnte? Eine Veränderung in seiner Stimme womöglich oder ein Zucken in seinen Augen? Oder war er zu jenem Zeitpunkt bereits so vorsichtig geworden und voller Argwohn gegen jedermann, dass er auch seinem langjährigen Arzt nicht mehr vertraute?
»Ihr braucht dringend Schlaf, Herr«, versicherte der medicus. »Trinkt diesen Sud, solange er noch warm ist, und er wird Euch tiefen Schlaf und süße Träume bescheren.«
»Gewiss«, sagte der Kaiser – und reichte den Becher kurzerhand wieder an den Arzt zurück. »Und da es so ist, wärt Ihr auch jederzeit bereit, selbst einen Schluck von diesem Trank zu nehmen, nicht wahr?«
»Das wäre ich, Majestät«, räumte Tibaldo beflissen ein, »doch handelt es sich um eine Rezeptur mit äußerst seltenen und erlesenen Zutaten. Auch nur einen Schluck daran an einen niederen Diener wie mich zu verschwenden, wäre …«
Er verstummte, als sich die Augen des Herrschers zu schmalen Schlitzen verengten.
»Trink«, verlangte Friedrich.
»Weshalb, Herr?« Der Leibarzt, ein Absolvent der Schule von Neapel, die der Kaiser selbst gegründet hatte, sah Friedrich erschrocken an. »Wie Ihr wisst, habe ich einen heiligen Eid geschworen, Euch jederzeit vor Schaden …«
»Trink«, wiederholte der Kaiser, der splitternackt vor ihm stand und doch angetan mit der ganzen Macht, die die Krone ihm verlieh. »Auf der Stelle!«
Der Blick des Gelehrten begann zu flackern wie ein im Wind erlöschendes Feuer. Zuerst sah er zu Boden, dann zur Tür der Kammer, die jedoch von zwei Sarazenen bewacht wurde. Ein Entkommen gab es nicht.
Daraufhin schickte der Arzt sich an, den Becher zu nehmen, den Friedrich ihm reichte. Kaum hielt er ihn jedoch in den Händen, tat Tibaldo so, als würde er beim Rückwärtsgehen über eine Unebenheit im steinernen Boden der Kammer stolpern. Mit einem dumpfen Schrei ging er zu Boden, dabei entwand sich der Becher wie zufällig seinem Griff, wobei er den größten Teil seines Inhalts verschüttete.
Das alles geschah innerhalb von Augenblicken, und es war so schlecht gespielter Mummenschanz, dass Friedrich nicht einen Augenblick darauf hereinfiel.
»Fürwahr«, knurrte er, »es ist gut, dass du Arzt geworden bist, Tibaldo – zum Politiker hättest du nicht getaugt.«
Er befahl den Wachen, den lauthals jammernden medicus vom Boden aufzulesen und zu verhaften – während er selbst den herrenlosen Becher vom Boden auflas, in dem noch ein letzter Rest des Tranks verblieben war.
Sein erster Impuls war es, dem Arzt diesen letzten Schluck in den Rachen zu schütten, doch er beherrschte sich. Stattdessen ließ er sich ankleiden und befahl dann dem Hauptmann der Wache, einen zum Tode Verurteilten aus dem städtischen Kerker zu holen und zu ihm zu bringen.
»Hör mir zu«, sagte er zu dem Mann, dessen fehlende Ohren verrieten, dass er nicht zum ersten Mal im Kerker weilte, »diesen Trank wollte mein Arzt mir verabreichen. Es mag Gift darin sein oder ein Heilmittel – je nachdem wirst du daran entweder sterben oder die Freiheit zurückerhalten.«
Der Mann, der nichts zu verlieren hatte, nahm den Becher und trank ihn aus bis zum Boden.
Einige Atemzüge lang fühlte er sich danach als freier Mann, und ein Lächeln huschte über sein entstelltes Gesicht – dann jedoch durchlief seinen ausgemergelten Körper ein Zucken, und schon im nächsten Augenblick sank er auf die Knie und verfiel in heftigste Krämpfe. Sich am Boden hin und her werfend, starb er innerhalb weniger Augenblicke, wobei er entsetzliche Qualen zu leiden schien – jene Qualen, die der Arzt Tibaldo ganz offenbar dem Kaiser zugedacht hatte.
Alles Beteuern seiner Unschuld half dem medicus nun nichts mehr, Friedrich ließ ihn in den Kerker schaffen und von den Folterknechten die Nägel von den Fingern reißen – und der Heiler gestand, dafür bezahlt worden zu sein, dem Kaiser einen giftigen Trank zu mischen und als Medizin zu verabreichen, im Bade, wenn er sich schwach fühle und am verletzlichsten wäre …
Die Namen jener, die den Leibarzt dazu angestiftet hatten, kannte Friedrich alle, und sie zu hören traf ihn einmal mehr bis ins Mark. Erneut musste er erkennen, dass das Unkraut des Verrats auch in seiner unmittelbaren Umgebung gedieh, doch erschütterte ihn keiner der genannten Namen so sehr wie der, den Tibaldo als letzten verriet. Vor Qualen heulend und unter Tränen schrie der Arzt ihn hinaus, dass er von der rußgeschwärzten Kerkerdecke widerhallte …
Es war Petrus de Vinea!
Der Justiziar am Großhof, des Kaisers Stimme und nach Berard von Castacca der einzige Vertraute, der Friedrich noch geblieben war, sollte ebenfalls ein Verräter sein? Alles in meinem Herrn wehrte sich dagegen, dies zu glauben. Doch war nicht genau dies stets seine Schwäche gewesen? Dass er den Männern in seinem Umfeld bedingungslos vertraute? Hatten sich seine Feinde nicht genau dies wieder und wieder zunutze gemacht, um ihm zu schaden, um Keile zwischen ihn und seine Verbündeten zu treiben und ihm gar nach dem Leben zu trachten?
»Auf wen«, schrie er, außer sich vor hilfloser Wut und kaum weniger laut als der Gefolterte, »kann ich noch vertrauen, wenn mich nun auch schon mein Innerstes, meine eigenen Eingeweide mich verraten und gegen mich kämpfen?«
Der Zorn, den mein Herr empfand, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Kein anderes Gefühl, das er je gehegt hatte, ob im Guten wie im Schlechten, kam dieser Empfindung gleich. Sie ließ seinen Verstand verstummen und sein verletztes Herz nach Rache schreien. Nicht allein Wut war es, die ihn antrieb, sondern Entsetzen. Bislang mochte es sich für ihn angefühlt haben, als würde er am Rand eines tiefen Abgrunds stehen und in die dunkle Tiefe starren – nunmehr war er selbst zum Abgrund geworden, der alle Feinde verschlingen wollte.
Den Leibarzt, der versucht hatte, ihn zu vergiften, ließ er noch am selben Orte blenden und der Hände berauben, mit denen er es gewagt hatte, seinem Herrscher den verderblichen Trank zu reichen. Später ließ er ihn ins Südreich bringen und dort hinrichten. Auch all jene, deren Namen Tibaldo genannt hatte, ließ Friedrich noch in derselben Nacht verhaften, in den Kerker werfen und gleichfalls blenden, keiner von ihnen sollte das Licht des Tages jemals wieder sehen.
Manche Enttäuschung hatte der Kaiser im Lauf seines bewegten Lebens hinnehmen müssen, doch keine wog so schwer wie der Verrat Petrus de Vineas. Der einstige Vertraute leugnete zwar, am Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein, doch gestand er unter Folter, Steuergelder hinterzogen und sich an seinem Herrscher bereichert zu haben – für Friedrich jedoch machte dies keinen Unterschied mehr. Ob der feige Verrat ihm selbst galt oder der Ordnung, die er geschaffen hatte und die er verkörperte, die er als das lebendige Gesetz in gewisser Hinsicht selbst war – die Vergehen des Petrus de Vinea waren unverzeihlich und verdienten keine Gnade. Mit bitterer Genugtuung erinnerte mein Herr seinen Justiziar daran, dass er selbst einst diese harten Worte gesprochen hatte – freilich, als es um den Verrat eines anderen gegangen war.
Auch Petrus de Vinea wurde gefoltert und mit glühenden Eisen geblendet, und als Friedrich im März von Cremona aufbrach, um sich wieder ins Reich Sizilien zu begeben, da ließ er den geblendeten Großhofjustiziar auf einen Esel setzen und zu aller Gespött im kaiserlichen Tross mitreiten. Friedrichs Plan war es, den einstigen Vertrauten so wie alle anderen Verschwörer öffentlich hinrichten zu lassen, doch im Fall de Vineas wurde daraus nichts. Der Justiziar, der stets ein Mann des Verstandes gewesen war und seinen Herrn gut genug kannte, um zu wissen, dass er ihm niemals verzeihen würde, fürchtete die öffentliche Schande so sehr, wie er das Beil des Henkers fürchtete. Und so fragte er, als er von einem Kerker in einen anderen verlegt werden sollte, einen unbedarften Kerkerknecht, wo sich denn die Mauer befände.
Sein Bewacher sagte es ihm – und der Gefangene, in einem letzten Ausbruch körperlicher Kraft, senkte das Haupt und lief mit derartiger Wucht gegen die benannte Wand, dass sein Schädel zerplatzte wie eine überreife Frucht und das Gehirn, das meinem Herrn so trefflich gedient hatte, den kahlen Stein besprengte und auf den schmutzigen Boden troff.
So starb Petrus de Vinea.
Und mit ihm eine weitere Stütze von Friedrichs Herrschaft.